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Zur Bergnamenforschung

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Die Erforschung von geographischen Namen, die sich zunächst auf ganz anderem Gebiete bewegte, hat mich vor einiger Zeit veranlaßt, mich mit den einschlägigen Aufsätzen, die im Jahrbuche enthalten sind, zu beschäftigen. Hinsichtlich einer Familie solcher Namen, der hauptsächlich ein Artikel von Herrn Dr. C. Täuber im Band XLII ( S.. 253 ff. ) gewidmet ist, derjenigen, zu welcher u.a. der Monte Rosa gehört, habe ich mir schließlich ein System gebildet, welches vielleicht einem oder dem anderen Leser dieser Zeitschrift nicht ohne Interesse erscheinen könnte.

Dr. Täuber hat die Untersuchung, auf ein recht ausgedehntes Material an Wortformen aus den Alpen gestützt, so weit geführt, daß es als erwiesen zu betrachten ist, allen oder doch vielen von diesen Wörtern ein Urvokabel zugrunde zu legen, welchem man die Form etwa als: rossa mit mehr oder weniger gedämpftem End-vokal geben kann. Vielleicht ist es sogar richtiger, roissa zu schreiben, und es so auszusprechen, daß kein scharfes s, sondern ein Laut, der mehr nach sch geht, zur Geltung komme. Diesem Urvokabel, welches der Sprache der anteromanischen Alpenbewohner, die man Ligurer nennen darf, sofern man Lust dazu hat, ist von Dr. Täuber recht einleuchtend der Sinn = Gletscher gegeben worden. Zahlreiche topographische Benennungen, die im ganzen zentralen Teile der Alpen, ganz unabhängig von der jetzigen Landessprache, damit in Zusammenhang zu bringen sind, erfahren auf diese Weise eine dermaßen natürliche und überzeugende Deutung, daß daran vorerst kein Zweifel mehr aufkommen kann.

Nun scheint aber die Bedeutung als Gletscher schlechtweg den Sinn des Stammwortes nicht zu erschöpfen. Schon in der „ Alpina " ( 1906, S. 124 ) hatte Prof. Becker das wallisische Wort Bossen = Wassertümpel zum Einweichen, oder wie der im Hoch-deutschen übliche Kunstausdruck lautet: Rösten, von Flachs ( sowohl als von Hanf, der aber im Wallis nicht vorkommt ), aufmerksam gemacht. Mit diesem Wort hat es eine eigene Bewandtnis. Etymologische Wörterbücher der deutschen Sprache ( Grimm, Kluge u.a. ) schreiben es durchgängig in dieser Form und stellen es mit mittelhochdeutschen Formen zusammen wie roetzen oder rozzen mit dem Sinne von faulen, resp. faulen lassen oder faulwerden, die aber immer im besonderen Falle der technischen Prozedur in Anwendung kommen, welche mit den alten Textilpflanzen Hanf und Flachs vorgenommen werden, um die Spinnfasern des Bastes von dem übrigen Gewebe zu lösen. Es ist dies bekanntlich eine Art Gärung der Zellulose ( Fäulnis ist dem Wesen der Sache nach nicht ganz richtig ), die darin besteht, daß die grünen Kräuter, bündelweise mit Steinen beschwert, in stehendes Wasser gelegt werden. Früher hatte wohl jedes Dorf, jede Hofsiedelung ihre Hanf- resp. Flachsröste ( um bei der offiziellen Schreibung zu bleiben ). Hierzulande ( d.h. im Elsaß ) sind dieselben, obwohl der Anbau dieser Gespinstpflanzen beinahe verschwunden ist, noch allenthalben zu finden. Sie heißen im Dialekt reessen oder reeschen, mit deutlich geschlepptem und dumpfem Zischlaut.

Grimm und die anderen erklären diese Wortgebilde aus einer Wurzel rut = faulen, die auch im Englischen mit to rot in demselben Sinne vorhanden sein soll.

Betrachtet man aber den Vorgang des Höschens, wie ich jetzt, der Aussprache besser entsprechend, schreiben will, etwas genauer, so wird wahrzunehmen sein, daß derselbe mit der Bildung von Gasblasen einhergeht, die durch die Tätigkeit von bestimmten Bazillen ( Bacillus Amylobacter und ähnliche Formen ) verursachte Zersetzung der Zellulose und anderer Kohlenhydrate unter Zuziehung der stickstoffhaltigen Bestandteile hervorgebracht werden. Das Flachskraut durchsetzt sich dabei mit Gasbläschen derart, daß ohne die Beschwerung mit Steinen es an der Oberfläche schwimmen würde, was nicht gewünscht wird, da die Prozedur unter Luftabschluß vor sich gehen soll. Diese Gasbildung, die nicht sehr lieblich riecht, aus Kohlensäure, Schwefelwasserstoff, Sumpfgas u. dgl. bestehend, ruft an der Oberfläche des Tümpels, dessen Wasser keine Fließbewegung hat, die Bildung eines zuerst grünlichen, dann grauen und schließlich, wenn der Prozeß zu Ende geht, weißlichen Schaumes hervor.

Darin erblicke ich die eigentliche Bedeutung des Stammwortes; das heißt, ich setze roisse = Schaum, welches in direkte Begriffsverwandtschaft mit dem lateinischen ros = Tau, auch eine Schaumbildung, zu stellen ist. Im Französischen existiert das gleiche Wort mit dem Zeitwort rouir und dem Substantiv routoir, die etymologisch bisher noch nicht bis zum Urstamm resp. Ursinn zurückverfolgt worden sind. Für jene gibt es alte Schreibformen als rousir und roustoër. Es bliebe da zu untersuchen, inwiefern das z.B. bei Rabelais vorkommende Wort roustir, im Part. perf. rousti, die dem modern französischen rôtir und rôti entspricht, heranzuziehen sind; diese könnten ebenfalls mit dem deutschen rösten und dessen Derivaten ( vgl. englisch froth = Schaum ) auf einen gemeinsamen Urbegriff, etwa denjenigen des als Schaumbildung verstandenen Bratprozesses von Fleisch, zurückgesetzt werden. Unmöglich ist das nicht, besonders wenn man bedenkt, daß unsere heutige Sprache, die so vieler Einzelwörter bedarf, ja deren zum Ausdrucke der verlangten Nuancierung der Begriffe immer weitere herstellen muß, auf Ursprachen aufgebaut ist, die, mit wenigen Stammformen begabt, diese notwendigerweise per analogiam auf solche Sachen und Begriffe anwenden mußten, die wir heute scharf auseinanderhalten. Übrigens wissen wir durchaus nicht, in welcher Weise und inwieweit unsere „ ligurischen " Vorfahren die verschiedenen Anwendungen eines Stammwortes zu differenzieren dennoch imstande waren.

Die Anwendung der Vorstellung als Schaum auf einen Gletscher, besonders wenn solcher nur aus der Ferne erblickt wird, liegt ebenfalls nicht außerhalb des Bereiches vernünftiger Möglichkeiten. Ich selbst habe z.B. vor einigen Jahren genau diesen Vergleich anstellen hören von Seiten einer Person, die, zum ersten Male in die Nähe der Alpen kommend, von Thun aus plötzlich die Schneeberge des Oberlandes erblickend, dieselben mit Eierschaum titulierte. Ich will nicht unterlassen, anzuführen, daß dieses letztere Küchenprodukt auch Eierschnee ( blanc d' oeuf battu en neige ) genannt wird, womit eine Begriffsverwandtschaft zwischen Schnee und Schaum auftritt, die etwa auf eine Stammverwandtschaft weisen könnte.

Diese wird zwar von den Lexikographen bisher nicht vertreten, sie soll auch nicht von mir behauptet werden.

In vorgeschichtlichen Zeiten wird demnach die weiße Bedeckung der Alpen den Umwohnern, welche dieselbe vielleicht nicht anders als aus der Ferne und in Form der von den Gletschern herunterstürzenden, in Schaum aufgelösten Wildbäche gekannt haben, als Schaum gegolten haben; so daß die Reuß, der Rotten ( Rhône ) im Wallis, der Rhein, die Areuse im Jura, die Severaisse im Val Gaudemar ( Dauphiné ) und andere ihre diskordanten Namen von jener Eigenschaft her haben möchten.

Fick hat schon vor 40 Jahren ein gemeineuropäisches Wort rasa = Tau angenommen ( Die Spracheinheit der Indogermanen Europas [1873], S. 359 ). Das von ihm dann auf gestellte Verbum ras oder ars = netzen, naß machen ist wohl nicht erwiesen. Das Substantiv ist in einer Reihe von Sprachen vorhanden. In der Bildung ros marinus, der bekannten Pflanze, können wir nicht bestimmen, was es eigentlich zu bedeuten hat, obwohl, zum Unterschiede gegen viele antike Pflanzennamen, deren wirkliche Träger wir nicht mit Sicherheit kennen, das Objekt sehr wohl feststeht. Merkwürdig ist, daß das Griechische mit âlooâvri die genaue Übersetzung aufweist, die ebenfalls für eine Pflanze oder dergleichen, vielleicht auch ein Zoophyt, zu nehmen ist, die aber genauer nicht bestimmt sind.

Begriffsverwandtschaft von ros mit Schaum ist jedenfalls vorhanden. Auch die Nebenform Rotz in Rotzloch ( Nr. 52 bei Dr. Täuber ) ist nicht abzutrennen, trotz der Ableitung aus einem germanischen Personennamen Bozzo, wie Öchsli, Die Anfänge der Schweizerischen Eidgenossenschaft, S. 25, es haben will. Rotzloch als enge Felsschlucht mit Wasserfällen paßt jedenfalls sehr gut zum Grundbegriff, wie nicht minder die Anwendung von Botz auf die bekannte Krankheit der Pferde, die sich ja durch das Auftreten einer heftigen schleimig-schaumigen Aussonderung aus Nüstern und Maul offenbart. Damit wäre des weiteren ein Weg gewiesen, um das heute in der Schriftsprache nur noch im gehobenen Sinne angewendete Boß für das jetzt gebrauchte Lehnwort Pferd zu erklären. Das eigentliche indogermanische Wort ist Gaul, verwandt mit dem lateinischen cabalus, das aber in der Schriftsprache die Entwicklung nach der entgegengesetzten Seite gemacht hat, indem es eine entschieden pejorative Bedeutung besitzt. Soll Roß etwa das schäumende Tier heißen? der stehende Ausdruck der „ schäumenden Rosse " wäre somit eine Tautologie.

Auch in bezug auf solche Vokabeln, die sich wohl eher vom Bosse als Vier-füßler ableiten, z.B. Roßboden, wird es angebracht sein, um diese Etymologie zu beweisen, daß in den Vogesen an der Straße von Beifort nach St-Maurice im Mosel-tale, etwas nördlich von der Paßhöhe am sogenannten Wälschen Belchen ( Ballon d' Alsace ou de Giromagny ), ein Roßboden sich befindet, der französisch La Jumenterie heißt, und eine ähnliche Anstalt darstellt, resp. früher dargestellt hat, wie sie auch in der Schweiz nicht unbekannt sind. Jetzt noch werden ja junge Pferde, sogar aus dem Wallis, die dabei den beschwerlichen Weg über die Gemmi und das Kandertal zurücklegen müssen, auf der Engstligenalp, bei 1950 m ob Adelboden, übersömmert, mit andern Worten in Luftkur gegeben. Ein ähnliches Sanatorium hat es auf der Engstlenalp am Fuße des Titlis gegeben. Ich stelle hier mit einem Fragezeichen die Roßböden mit den [H]engstenalpen zusammen.

Man soll sich ja wohl hüten, solchen Etymologien, die ihrer Natur nach auf sehr hypothetischem Boden stehen, mehr Wert beizulegen, als denselben zunächst gebührt. Soll aber doch ein Fortschritt in dieser Richtung gemacht werden, so ist es nur auf dem Wege einer möglichst kritisch verfahrenden vergleichenden Methode. Diese Ausführungen haben keinen anderen Zweck, als derselben zu dienen.

J. E. Gerock ( Sektion Randen ).

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