Zwei Tage auf 4000 Meter (Grandes Jorasses) | Club Alpino Svizzero CAS
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Zwei Tage auf 4000 Meter (Grandes Jorasses)

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Philippe Staub, LausanneBilder 26 bis 32 )

Grandes Jorasses In die Höhe schwebend, folgten wir mit den Augen dem Peutereygrat, dessen Silhouette sich vom Abendhimmel abhob. Wir hatten schon von der « Noire » gesprochen, aber ein paar Tage vorher, nach der Rückkehr von einer ziemlich forschen Meije-Traversierung; ich hatte jedoch Pierre vorgeschlagen, die feinen Türme des Südgrates zugunsten einer etwas komplexeren Bergfahrt noch einmal zu vergessen. Eine warme, sonnenreiche Woche musste auch den höchsten Höhen zum letztenmal sommerliche Verhältnisse beschert haben, und eine so günstige Situation dürfte nicht mehr von allzu langer Dauer sein, so dass die Gelegenheit zu einer anspruchsvollen zweitägigen Gratbegehung auf 4000 Meter beim Schopf gepackt werden musste. Weil mir wohlbekannt war, dass Pierre grosse Traversierungen mindestens so hoch einschätzte wie ich, war es ein leichtes, ihm die legendären Bravourrouten à la Brendel, Schaller, Weizenbach und andere aus dem Kopf zu schlagen.

Während wir uns lässig gegen den Col du Géant tragen liessen, erinnerten wir uns der berüchtigten Abseilstelle an den Dames Anglaises, die uns möglicherweise eines Tages veranlassen würde, der Nordwand der « Blanche » den Vorzug zu geben, um auf einer « königlichen » Führe den Gipfel des Mont Blanc zu erreichen. All diese Berge zogen uns jedenfalls wieder einmal in ihren Bann, heizten unsere Phantasie an wie bei jedem Besuch in diesem grossartigen Massiv.

Es folgte eine Reihe recht banaler Dinge: erst die abscheuliche Bergstation, die vergebliche Suche nach einem Nachtlager und dann die kurze Nachtruhe, die wir, zwischen Rucksäcken, Seilen und Schuhen ausgestreckt, verbrachten. So sehnten wir die Stunde des Aufbruchs herbei, ahnten wir doch, dass uns einer der schönsten Anstiege unserer Alpen bevorstand und wir in einem idealen Crescendo dem grossartigen Gipfel der Grandes Jorasses zustreben würden.

Wir waren noch nicht lange unterwegs, als ganz unvermittelt die ersten Sonnenstrahlen die Kuppe des Mont Blanc streiften, um bald darauf das ganze Meer der benachbarten Gipfel zu überfluten. Dabei schien sich das ganze Bergmassiv zu beleben: Seilschaften tauchten an allen Ecken und Enden auf. Und während wir diese kleinen schwarzen Punktesich den Gletscher aufwärts bewegen, Schrunde überwinden oder sich an die Felsen heranmachen sahen, stiegen wir geniesserisch in der frischen Brise bergan, im Bewusstsein, wieder einmal einen jener Höhepunkte des Lebens vor uns zu haben. Von der ebenmässigen Gletscherfläche lotrecht unter den Aiguilles Mar- brées aus erhaschten unsere Blicke selbst die winzigsten Unebenheiten des Terrains, glitten Gletscherspalten und Felsvorsprüngen entlang, die, je nach Beleuchtung, in rötlicher, gelblicher oder grauer Farbe erschienen.

Die Dent du Géant steht auf einem gigantischen, unten blockigen Felssockel. Durch die vielen Begehungen haben sich Spuren und Abkürzungen abgezeichnet, die es einem ermöglichen, weniger geübte Partien in dieser Kohorte, die sich Tag für Tag zur stolzen Aiguille oder zum Rochefort-Grat fortbewegt, zu überholen. Obwohl es uns in diesem Gedränge nicht sonderlich gefiel, liessen wir uns durch dieses Schulter-an-Schulter-Gehen und das Stimmengewirr nicht ins Bockshorn jagen, hatten wir doch die Gewissheit, in einigen Stunden wieder Abgeschiedenheit und Stille zu finden. Unser Weg führte nun einmal da durch, erst durch das Blockgetrümmer, dann durch das kleine Couloir, wo sich einer unserer Freunde einmal das Bein gebrochen hatte - merkwürdig, eine Erinnerung, die ganz unwillkürlich bewirkte, dass ich äusserst vorsichtig Fuss vor Fuss in die vereisten Stufen setzte, bis Pierre sich umwandte und mein ungewohntes Zögern bemerkte.

Beim kleinen Frühstücksplatz unter der Südwand der Dent du Géant befestigen wir unsere Steigeisen, um den Rochefort-Grat in Angriff zu nehmen. Zum drittenmal waren wir nun im Begriff, diesen kurzen beschwingten Gang über die noch harten Schneezacken anzutreten. Wen würde eine so grossartige Umgebung nicht begeistern! Elegante Buckel, zurückweichende Grate, kühn über den Abgrund geschwungene Wächten, bald auf die französische, bald auf die italienische Seite hinaus, als ob sich die Winde einen endlosen Kampf lieferten.

Aber dieser beflügelte Gang wurde unvermittelt gebremst. Die Spur läuft unter der Steilwand, die den Anstieg zur Aiguille de Rochefort verbarrikadiert, aus. Es folgten wenig einladende Platten und wackelige Felsen. Wir schwindelten uns ohne Eile durch, unablässig darauf bedacht, ja keinen gefährlichen Steinschlag auszulösen.

Auf dem Gipfel schnallten wir die Steigeisen wieder ab und begaben uns zur breiten Schneemulde, aus der uns das Wetter vor einem Jahr vertrieben hatte. Diesmal war es so gut, dass wir sogar « Vorgänger » auf dem Grat hatten, nämlich eine französische Seilschaft, die man schon in Richtung Dôme de Rochefort vorrücken sah. Da gab es Bergsteigergruppen, die in ihrer Spur zurückkamen, und andere, die auf einer zwischen Spalten und Eismauern kaum sichtbaren Spur zum Glacier du Mont Mallet abstiegen. Indessen nahm Pierre den ersten Buckel in Angriff. Und auf einmal sah alles viel weniger lieblich aus: Der schwierige Teil begann. Der wunderschöne, feine, durch einige Türme, die man übersteigen oder umgehen kann, unterbrochene Grat führte uns schliesslich unter den Gipfel des Dôme de Rochefort, von dessen eigenartig gespitztem Gipfel uns nur noch eine steile, bröckelige Felsabdachung trennte. Dann wurde der Fels wieder von Schnee abgelöst, so dass wir erneut zu den Steigeisen griffen, sie aber nach etwa dreihundert Metern endgültig versorgten. Die paar Seilschaften, die man von hier aus noch ausmachen konnte, waren nur noch als kleine Ameisen auf dem Mont-Mallet-Gletscher unten zu sehen. Dieser Ausblick erinnerte uns an ein unvergessliches Erlebnis vom letzten Jahr, an ein Mini-Biwak in Form eines Zeltes in den Les Périades.

Die Schwierigkeiten schienen abzunehmen, je mehr wir uns der Gipfelhaube des Dôme de Rochefort näherten; doch eine ebenso tiefe wie unerwartete Scharte hemmte unsern Vormarsch. Da gegen Süden der Fels überhing, wählten wir die nördliche Senkrechte: Abseilen auf einen scharfen Schneefirst, von wo aus Pierre, kaum dass er aufgeschlossen hatte, sofort in Richtung der paar Felsen und des breiten Rückens der Gipfelhaube vorrückte. Dieser Wechsel von Schnee- und Felspassagen machte Spass und trägt nicht wenig zur Vielseitigkeit dieser Bergfahrt bei.

Nun trieb uns die Neugier vorwärts, das Ende des Grates zu erreichen, wo man zum Col des Grandes Jorasses und zum Biwak Canzio, das uns für diese Nacht Obdach gewähren sollte, hinuntersieht. Eine Seilschaft kam von der Pointe Young her und stieg eben in den Hang auf der französischen Seite des Cols ein. Es ist ein angenehmes Gefühl zu wissen, dass man, gesetzt den Fall dort « aussteigen » kann, besser als auf der italienischen Seite jedenfalls, wo ein wenig ermunterndes Couloir klafft. Wir konnten es kaum mehr erwarten, die Türe des Biwaks aufzustossen, und nahmen deshalb ungeduldig den Abstieg in Angriff. Eine erste Abseilstelle setzte uns vorerst auf einer Schulter in der Südwand ab, eine zweite liess uns in einem mit Eis tapezierten Kamin Schlittschuh laufen. Mit einer Schräghangtra-verse erreicht man schliesslich wieder den Grat und festen Fels. Endlich gelangt man über leichtere Stufen zum Col des Grandes Jorasses, der eine harmonische Schneebucht im Gelände bildet. Es war erst früher Nachmittag; glücklicherweise bedeutete das für uns eine geruhsame, vielstündige Erholungspause.

Nach mehreren Stunden angestrengten Kletterns, nach vielen heiklen Passagen unter ständiger nervlicher Spannung erscheint ein Obdach, wie klein, dürftig und primitiv es auch sei, als Oase der Sicherheit. Sobald man auf der Schwelle steht, stellt sich eine wohltuende Seelenruhe ein. Kommt, ihr Stürme; Schnee und Winde mögen toben; wir werden, wollüstig eingemummt, in die Traumwelt hinübersegeln!

Im Lauf des Nachmittags drückte der Nebel und bescherte einige Flocken, was uns etwas beunruhigte, weil es nicht viel davon braucht, um eine Besteigung der Nordwestwand der Pointe Young zu verunmöglichen. Bald darauf zerstreute jedoch ein kleines blaues Loch im Gewölk unsere Befürchtungen. Aller Voraussicht nach kündigte sich höchstens ein abendliches Gewitter an, von denen wir schon einige während dieser Saison hatten über uns ergehen lassen müssen. Also: Türe zu und nichts wie ins Bett!

Der junge Tag sah uns schlottern im eisigen Wind, der vom Col her kam, und den Franzosen zuschauen, wie sie die beeindruckende Wand der Pointe Young angingen. Das Zögern des Bergführers beim Einstieg in diese grossen Platten, deren Risse sich während der Nacht mit Graupeln vermauert hatten, trug nichts zu unserer Ermunterung bei. Es war Zeit, dass wir in Aktion traten und nicht länger steif und starr umherstanden, wollten wir unsere Bedenken loswerden. Aber es dauerte eine volle halbe Stunde, bis sich die vier Seilschaften entlang der komplizierten Route gestaffelt hatten. Eine Linkstraverse auf schmalen Bändern und Felssplittern, senkrechter Aufstieg über vereiste Platten, dann zurück in die ursprüngliche Aufstiegsrichtung mit einer zweiten ansteigenden Querung. Das brachte unser Blut wieder in Schwung, und das war notwendig, um das folgende Stück, das eindeutig noch schwieriger war, anzugehen. Es handelte sich um eine Art lotrechte Verschneidung, die zwar mit ein paar Haken, aber gleichzeitig mit heimtückischem Glatteis versehen war. Die Kletterei erwies sich als grossartig, ausgesetzt und sehr delikat über zwei Seillängen. Dann wurde die Wand etwas weniger steil, aber nicht minder interessant, und wir stiegen einer Folge von Rissen entlang, die uns in die Mitte einer kleinen, nach Nordwesten gerichteten Seitenwand führten, in « gemischtes » Gelände aus schroffen, übereinandergeschichteten Platten.

Der Führer befand sich schon viel weiter oben, aber die beiden andern Seilschaften wurden durch eine schwierige Platte aufgehalten. Von unserem Standplatz aus sahen wir entsetzt drei unserer Vorgänger hintereinander stürzen; gesichert waren sie an einem einzigen Haken, der glücklicherweise standhielt. Na, so ein Vertrauen! Einigermassen erschüttert durch diese zweifelhafte Demonstration, deren Zeugen wir soeben gewesen waren, machte ich mich meinerseits mit umso grösserer Umsicht ans Werk; aber die Gefahr konnte rasch mit ein paar Stufen, die ich ins Eis hackte, entschärft werden.

Fünfzig Meter über unsern Köpfen vergoldete die Sonne bereits die Gratfelsen - ein angenehmer Empfang, wenn man aus einer so düsteren und unwirtlichen Wand aussteigt! Herrliche Augenblicke im frühen Licht des Morgens - milde Wärme der ersten Sonnenstrahlen - märchenhafte Wildheit des von spitzen Gendarmen strotzenden Grates als letzten Verteidigern der Pointe Young, die sich nun grossmütig darbot.

Vom Gipfel aus, wo wir es uns gemütlich gemacht hatten, sahen wir die Franzosen im Abmarsch und dann im Abstieg der tiefen Scharte verschwinden, die uns von den ersten schroffen Hängen der Pointe Marguerite trennte. Bald darauf machten auch wir uns auf den Weg, allerdings ohne jede Eile, wussten wir doch, dass unsere sechs Vorgänger durch so und so viele Abseilmanöver aufgehalten werden würden. Von der Scharte aus setzten sie den Abstieg in der Südwand fort, mit einer langen Traversierung beginnend, welche es ermöglicht, den Grat zu meiden, dessen Schwierigkeitsgrad ein anderer sein dürfte. Übrigens: ist der ganze Grat schon begangen worden?

Zuerst Abseilen in ein erdiges Couloir. Die Franzosen suchten den Weg dreissig Meter weiter unten und fanden ihn schliesslich entlang einer buckeligen, von Steinschlag gefeilten Felsrippe. Das war ein wenig einladender Ort zum Bummeln; vielmehr musste diese gefährliche Stelle schnell überwunden werden. Pierre fand den günstigsten Durchgang; ohne jeden Zeitverlust erreichten wir den Fuss eines Couloir-Kamins, das zwar mit Eis ausgekleidet war, aber doch den sichersten Weg zu der sonnenbeschienenen Schulter am Steilhang des unmittelbar folgenden Gipfels darstellte.

Die hauptsächlichsten Schwierigkeiten lagen damit hinter uns, doch war die Bergfahrt noch keineswegs zu Ende. Dessen wurden wir uns vor allem bei der Ankunft auf dem Gipfel der 4066 Meter hohen Pointe Marguerite bewusst. Und wie lang kam mir der spitze Grat vor, der unsern Gipfel mit der Pointe Hélène verband dann derjenige zur Pointe Croz... und in der Ferne der zur Pointe Whymper! Einzig und allein die letzte Kuppe unter der Pointe Walker schien breit und gefällig.

Als wir auf dem spitzen Grat der « Marguerite » abstiegen, gewahrten wir, dass das Wetter sich verschlechterte. Schon allzuoft hatten wir diesen Sommer bereits am Nachmittag Gewitter über diesem Massiv sich entladen sehen, als dass wir gehofft hätten, ihm diesmal entrinnen zu können. Dicke Wolken trieben von allen Seiten daher, und nach kurzem verschwand bereits die Pointe Walker im Gebräu. Wir konnten zwar damit rechnen, dass es nicht vor Ablauf einer Stunde losgehen würde, möglicherweise würde uns auch noch eine Galgenfrist von zwei oder sogar drei Stunden zur Verfügung stehen, aber wir mussten uns sputen, weil es für uns vor der Pointe Whymper kein Entweichen gab. Der Grat war von grossartiger Wildheit und schuf damit jene unvergleichliche Atmosphäre, wie sie nur Bergfahrten in grossen Höhen eigen ist. Wir warfen einen Blick nach links, auf den eindrücklichen Nordsporn der Pointe Croz, einen neugierigen nach rechts, auf den Helikopter, der auf dem Ghiacciaio di Plam-pinieux eine Rettungsmannschaft absetzte. Eine Abseilstelle- ein Band, dann setzte der Grat zum Schwung auf die Pointe Hélène an. Kurze, « luftige » Kletterei, Umgehung eines auch auf der Südseite von einem brüchigen Band durchzogenen Gratturmes, dann wieder Schnee, auf dem wir rascher vorrücken konnten. Lediglich eine mittelmässige Felsmauer unterhalb des Croz-Gipfels konnte unser Tempo etwas abbremsen. Die Schwierigkeiten lagen also ganz hinter uns; von der « Whymper » trennte uns nur noch ein Schneegrat. Aber eben da liess das erste Donnergrollen unsere Schritte noch schneller werden. Manchmal scheint einem die Furcht fast Flügel zu verleihen; denn wer hat nicht Angst vor dem Blitz in den Bergen?

Teils getrieben von dem brennenden Wunsch, diesen Gipfel noch zu erreichen, teils von der Angst, uns dort oben einer elektrischen Entladung auszusetzen, hasteten wir der Pointe Whymper zu, dieser kleinen Felskuppe hundert Meter weiter oben. Schliesslich sind wir ja nicht alle Tage in den Jorasses; also muss man die Galgenfrist, die einem das Gewitter gewährt, ausnützen.

Vom Gipfel ist mir nur ein flüchtiger Blick in die nebelverhangenen Tiefen des Nordabsturzes in Erinnerung geblieben; denn eine unmittelbare Flucht in den Abstieg war vonnöten, verlief er doch entlang einem gigantischen Felsgrat, der auf der rechten Seite geradlinig mehr als sechshundert Meter abfällt. Mit ihrem Führer an der Spitze gingen uns die Franzosen nur wenig voraus. Am liebsten wäre ich gerannt, immer schneller, um dem Gefahrenbereich der elektrischen Entladungen zu entweichen; denn schon fing es in den Haaren an zu knistern — das Gewitter hatte uns eingeholt, und es würde uns auf zwei Dritteln des Abstiegs getreulich begleiten. Voller Schrecken duckte ich mich anfänglich bei jedem « Angriff » auf die eine oder andere Seite des Grates, immer auf der Suche nach einem ( illusorischen ) Unterschlupf. Aber je länger, je mehr wich die panische Angst einem gewissen Zustand der Gewöhnung, und wir stiegen in regelmässigem Tempo ab, mehr oder weniger unter Missachtung des himmlischen Zornes, der da auf uns hernie-derging. Diese Flucht den Felsen der Pointe Whymper entlang dauerte eine Stunde oder zwei. Die steilsten Gratabbrüche wurden mit dem Seil überwunden, wobei wir uns unten jedesmal gegen das total durchnässte und schmutzige Seil stemmen mussten, um es wieder einzuholen. Endlich kamen wir wieder auf die den Fuss des Sporns querende Route zur Pointe Walker.

Brüchiger Fels, mit Erde und Kies vermischt, vereiste und rinnende Sturzbäche, heikles Ge- lände, in dem wir trotz grosser Müdigkeit einen klaren Kopf zu behalten versuchten. Mit dem Seil setzten wir uns in eine vereiste Mulde ab, wo sich die Franzosen eben wieder bereitmachten und alsbald auf einer feinen Eiszunge durch ein Wirrwarr gähnender Löcher und hervorspringender Séracs davonstoben. Das gehört eben zu den Spitzfindigkeiten einer « gemischten » Route, die aus einer gewöhnlichen Grandes-Jorasses-Bestei-gung etwas ganz Besonderes macht. Nach einer kurzen Gegensteigung ging 's wieder in Schlangenbewegung zwischen den Schrunden durch bergab, dann unvermittelt auf einer deutlichen Schneerippe, die zum First eines grossen, langgezogenen Felsbuckels führte - was einem in eleganter und sicherer Manier ermöglicht, den Gletscher zu meiden, der gleichsam in zwei bewegte Ströme getrennt wird.

Das Gewitter hatte sich ausgetobt; doch nun würde uns bald die Nacht einhüllen. Jetzt nur nicht schwach werden, das Tempo verlangsamen und dabei ein Biwak in unmittelbarer Nähe der Hütte riskieren! Also trollten wir uns die Felsen hinab, aufmerksam darauf bedacht, unsere müden Beine unter Kontrolle zu behalten. Nach dem letzten Abseilen lag das Seil ausgebreitet auf dem Schneefeld. In der tiefen Spur eilten wir weiter und da wir wenigstens auf weichem Grund gingen, hatten wir fast das Gefühl, leichtfüssig dem Refuge Boccalate entgegenzuhüpfen. Dieses lag nun ganz in der Nähe, das schützende Obdach über dem Gletscher, hoch über den glitzernden Lichtern von Entrèves, Courmayeur und dem italienischen Val Ferret.

Übersetzung Rina Vögeli

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