«Unsere Berge sind im Winter grossartiger, gewaltiger» | Schweizer Alpen-Club SAC
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«Unsere Berge sind im Winter grossartiger, gewaltiger» Wie Christof Iselin vor 130 Jahren den Skilauf in der Schweiz lancierte

1893 begann in zwei Mitteilungsblättern des SAC die publizistische Bekanntmachung eines neuen Bergsportes, der in der Folge rasant Fahrt aufnahm.

«Zum Schneeschuhlaufen bedarf man nicht nur Schnee, sondern geeigneten Schnee», dozierte Oskar Vorweg im ersten Lehrbuch zum Skilauf, Das Schneeschuhlaufen von 1893. Vorweg hatte nach einer Norwegenreise im Winter 1890/91 begonnen, die langen Holzlatten im heimatlichen Riesengebirge auszuprobieren, und kam zur Einsicht: «Das schwierigste ist das Bergabfahren, das leichteste das Bergauflaufen.»

Einem anderen Skipionier schien das Bergabfahren mit den norwegischen Skischuhen, wie man die Ski damals auch nannte, keine Probleme bereitet zu haben: «Eigentlich hat man nur mit dem Aufstieg zu rechnen, denn die Thalfahrt ist keine Anstrengung, sondern ein Vergnügen, ein keckes Hinuntersausen, bei dem Gewandtheit die Hauptrolle spielt», hielt der Glarner Christof Iselin im Bericht Praktische Ergebnisse des Schneeschuhlaufens in den Glarnerbergen im Winter 1892/1893 fest, abgedruckt in der Alpina. Mitteilungen des Schweizer Alpen-Club vom 1. Dezember 1893.

Heimliche Fahrversuche in der Nacht

Iselin, Mitglied der SAC-Sektion Tödi, hatte 1891 die deutsche Übersetzung des zweibändigen Expeditionsbuches På ski over Grønland von Fridtjof Nansen gelesen und sich darauf selbst ein Paar Ski besorgt. Damit machte er in der Nacht oder bei Schneegestöber (um dem Gespött der Leute zu entgehen) erste, nicht sehr erfolgreiche Fahrversuche. Im Jahr darauf lernte Iselin den Norweger Olaf Kjelsberg, Ingenieur bei der Schweizer Lokomotivfabrik in Winterthur und Mitglied der SAC-Sektion Winterthur, kennen. Dieser lehrte Iselin und dessen Freunden schliesslich das Skifahren.

Am Sonntag, dem 29. Januar 1893, zeigten die Skineulinge bei einer Überquerung des Pragelpasses (1548 m), was man mit den neuen Geräten im Gebirge ausrichten konnte, gerade im Vergleich mit den herkömmlichen Schneeschuhen, die auch die Bergbauern zur Fortbewegung im Winter benützten. Iselin, Kjelsberg und der Berner Alexander von Steiger, Mitglied der Sektion Tödi, waren mit Ski unterwegs, der Glarner Eduard Naef-Blumer, Mitglied der Sektion Winterthur, mit Schneereifen. Die Skifahrer gewannen den Testlauf mit einer Stunde Vorsprung. Naefs vielerorts abgedruckter Bericht Eine Winterreise über den Pragelpass mit Skis und Schneereifen trug viel zur Bekanntmachung des noch unbekannten Bergsportes bei. Am 1. März 1893 erschien er in der Schweizer Alpen-Zeitung. Organ für die deutschen Sectionen des Schweizer Alpenclubs sowie für alle Freunde der Alpenwelt. Es war eine der ersten Erwähnungen von «Ski» im Schriftgut des SAC.

Mit nur einem Stock – und keinen Fellen

Die Ausführungen gehen, wie Iselin zum Auftakt schrieb, auf seinen Vortrag vor der Sektion Tödi am 16. April 1893 zurück; die publizierte Fassung sollte seine Annahme stützen, «dass mancher unternehmungslustige Clubgenosse noch nicht schlüssig ist, ob er dem neuen Sporte huldigen soll oder nicht».

Auf dreieinhalb Seiten breitete Iselin alles Wissenswerte zum Skifahren aus. Da war natürlich zunächst die Ausrüstung, bestehend aus den Ski aus Eschenholz, 2 bis 2,4 Meter lang und 7 bis 10 Zentimeter breit, mit aufgebogener Spitze und einer Führungsrinne in der Gleitfläche. In der Mitte der Ski werden die Schuhe «durch starkes Riemenzeug festgeschnallt». Die nicht beschlagenen Schuhe selbst sollten etwas zu gross sein, «um die Blutcirkulation nicht zu hindern». Und, unbedingt notwendig: «Ein langer, starker Stab mit einer soliden eisernen Spitze und Scheibe, die das Einsinken des Stockes im Schnee verhindert.» Felle, die ein Zurückgleiten der Ski beim Aufsteigen verhindern, gab es vor 130 Jahren noch nicht.

Aufwärts kam man «in ansteigenden Kurven oder im Zickzack; – oder aber bei grösserer Steilheit, indem man aufwärts stampft oder seitwärts treppenartig aufsteigt». Ganz schön mühsam aus heutiger Sicht. Doch die Skipioniere waren fit und bewältigten so Höhenunterschiede bis 1800 Meter. Allerdings, so Iselin, komme es stark auf die Schneeverhältnisse an, gerade auch bei der Abfahrt. Er beschrieb genau, welche Schneearten am günstigsten sind: «Die beste Skibahn für das Gebirge ist der staubige, mehlige, tiefe Schnee von grösster Dichtigkeit, während für den Übungsplatz im Thal die mit einigen cm frischen Schnees bedeckte harte Decke vorzuziehen ist.»

Folgender Tipp war gut verständlich für die Holzski ohne Kanten: «Auf fest durchgefrorenem Schnee mit glatter Oberfläche ist es schon bei geringer Steigung angezeigt, die Skis zu tragen.» Iselin wies als Erster darauf hin, dass das Skifahren in den Bergen bis Mitte Mai gut möglich sei, wenn der Schnee in der Nacht gefriere und am Morgen Sonnenschein erhalte: Dann werde er «körnig und sehr schlüpfrig, d. h. fahrbar».

Tipps und Lob für den neuen Bergsport

Man staunt, wie viel Iselin zum Skilauf im Gebirge schon wusste. Auf kleinen und grossen Touren in den Glarner Bergen, die er in seiner Anleitung aufzählte und beschrieb (er nannte es Ski-Itinéraire), haben er und seine Skikollegen während zweier Saisons viel erfahren. Zum Beispiel beim Spuren: «Durch regelmässiges Ablösen des Vorfahrers können die Kräfte einer Expedition geschont werden.» Zudem sei es ganz wichtig, dass «der Alpen-Skiläufer» nicht den vorhandenen Sommerwegen folge, sondern einen eigenen Weg einschlage.

So richtig in Fahrt kam Christof Iselin beim Lob des neuen Bergsportes: Er ermögliche nun das Hinaufsteigen «in jene Höhen des glänzenden Sonnenscheins, in jene Regionen, wo das Herz in der reinsten Luft sich baden und neu stärken kann!» Und, sich an die «werthen Clubgenossen» wendend, schrieb er: «Sie werden mit mir einig gehen, dass unsere Berge im Winter grossartiger, gewaltiger, unnahbarer erscheinen als im Sommer.»

Autor / Autorin

Daniel Anker

Daniel Anker ist ein Berner Autor und Fotograf. Der Historiker hat ungefähr 40 Skitouren-, Wander-, Klettersteig- und Radführer sowie Bergmonografien über grosse Gipfel der Schweiz verfasst.

Skipionier, Unternehmer, Abenteurer

Der Glarner Christof Iselin (1869–1949) gilt als Säulenheiliger der Schweizer Skigeschichte: Er war Besteiger des ersten Zweitausenders der Alpen mit Ski (Schilt, 8.1.1893); Gründer des ersten Skiclubs der Schweiz (Ski-Club Glarus, 22.11.1893); Initiator einheimischer Skifabrikation (Melchior Jakober in Glarus, 1893); Mitorganisator des ersten offiziellen Skirennens der Schweiz (Glarus, 26.1.1902); Förderer der ersten SAC-Skihütte (Spitzmeilenhütte, 1903); Mitbegründer des Schweizerischen Ski-Verbandes (in Olten am 20.11.1904); Erfinder der Schneeschaufel (um 1925).
Aber Iselin war noch mehr: Oberstleutnant im Generalstab; internationaler Grosskaufmann im Ersten Weltkrieg (Transport von Erdölprodukten auf Tankschiffen vom Schwarzen Meer nach Europa); Teilnehmer am Zeppelinweltflug vom August 1929; Grossaktionär des Kreuger-Konzerns, der Konkurs ging, wodurch Iselin sein ganzes Vermögen verlor; eigenmächtiger Landesversorger im Zweiten Weltkrieg. Nachzulesen im ausgezeichneten, von Thomas Busset und Peter Engel edierten Buch Surmonter les frontières à ski / Grenzen überwinden mit Ski (Éditions CIES, Collection Réflexions sportives, Neuchâtel 2021). dab

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