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Altes und Neues aus der Silvretta

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Von Karl Kleine.

Auf einem kleinen Bündnerschlitten schaukeln wir von Klosters her Monbiel zu. Wir sitzen auf unsern umfangreichen Säcken samt Ski, und die Bequemlichkeit wird dadurch nicht erhöht, dass mir als Unterlage ausgerechnet eine Pickelhaue dienen muss. Wir schreiben den 6. Februar 1932. Es hat schon seit vielen Wochen nicht mehr geschneit! Dennoch sind die Schneewälle beidseits der schmalen Strasse recht hoch, und zu viert halten wir uns eng umschlungen, um nicht abgestreift zu werden.

links oben leuchten die Fergenhörner. Die Sonne hat die Felstürme auf der Südseite vom Schnee völlig befreit.

Um 1 Uhr mittags sind wir bei der Alp Novai. Hier hat die Schlittenfahrt ein Ende. Rechts führen Spuren hinein ins Vereinatal und zum Berghaus Vereina. Wir aber halten links und steigen durch Wald hinauf zur Alp Spärra. Der waldfreie, flache Boden des Sardascatales liegt nun vor uns. Kalte, blaue Schatten haben von ihm schon Besitz ergriffen. Eine Brücke übersetzt hier den Sardascabach. Sie besteht aber nur aus drei Balken. Die Querbretter fehlen. Sorgfältig müssen wir auf unseren Skiern darübertreten. Noch eine und eine halbe Stunde, und wir sind bei den Alphütten von Sardasca und damit nochmals im Bereich der warmen Sonne. Wir halten verspätete Mittagsrast; kleben dann unsere Felle auf und blinzeln dabei hinauf zu dem steilen Sommerweg beim Silvrettaeck. Es liegt sehr wenig Schnee! Die Verhältnisse sind so sicher, wie sie nur nach langer Trockenheit sein können. Zudem kann ich mit dem Glas die Anlage des Weges überall erkennen. Die verschwindende Sonne und die damit eintretende Kälte zerstreuen die letzten Bedenken. Und es geht glänzend! In weniger als 2 Stunden sind wir kurz nach 5 Uhr abends vor der Silvrettahütte. Ich stelle aber ausdrücklich fest, dass der Sommerweg nur in ganz schneearmen Wintern und nur nach langer Schönwetterperiode ohne Gefahr begangen werden kann. Dort, wo die Wegkehren sind, überschreitet man zweimal die gleiche Rinne, die bei andern Schneeverhältnissen, als wir sie hatten, sehr gefährlich ist. Für die Abfahrt kommt der Sommerweg nie in Frage!

Bald ist der Hütteneingang freigeschaufelt. Und als die sinkende Sonne die Wände der Rotfluh zum letzten Male in flammendem Rot aufleuchten lässt, beziehen wir unser Heim. Die Silvrettahütte der Sektion St. Gallen ist nun seit dem letztjährigen Umbau in tadellosem Zustand. Es wird keinem Besucher mehr einfallen, das Matratzenlager mit Betonplatten zu vergleichen, wie dies ein humorvoller Österreicher vor einigen Jahren durch Anschlag allen Gästen bekanntgegeben hat.

In kurzer Zeit steht ein dampfender Griessbrei mit recht viel Rosinen auf dem Tisch. Es ist dies eine rasch zubereitete und bewährte Speise! Nach dem Abendessen treten wir nochmals vor die Hütte und staunen hinauf in das ewige Sternenmeer. Wie nichtig und klein kommen wir uns immer vor, wenn sich unser Blick in dieser Unendlichkeit verliert! Über den schwarzen Verstanklaköpfen zittert das blaue Licht des Sirius, und draussen am westlichen Horizont zwischen Pischa und Weissfluh steht die Venus, leuchtend und schön. Ihr Licht ist so stark, dass der ganze Abendhimmel davon erhellt ist und die Berge auf dem Firn Schatten werfen. Als ich so hinüberschaue zum Roggenhorn mit seinem Gletscherchen, da kommt mir eine kleine Geschichte in den Sinn, die sich bei meinem ersten Silvrettabesuch im Jahre 1907 tatsächlich zugetragen hat. Es war ein warmer Sommertag. Wir kamen von der Vereina her und keuchten aufwärts zur Hütte. Oft machten wir Rast und sahen hinüber zu den Hängen des Roggen-gletschers. Dort bemerkten wir vom Ochsenfürkli her eine Fussspur, die den Gletscher unter dem Horn querte. An die Spur schloss sich ein gerader Strich an, der im Roggentäli endete und von einem Hosenboden herrühren musste. Das wäre nun alles nichts Besonderes gewesen, aber Fussstapfen und Abfahrtspur waren schwarz. Wir konnten uns die Sache nicht erklären und erzählten es Papa Schneider, dem damaligen Hüttenwart. Er meinte lachend, das seien die Spuren des Kaminfegers, der gestern von Vereina herkommend diesen direkten Übergang gewählt habe, um auch auf Silvretta seines Amtes zu walten. Also deshalb die schwarze Spur im weissen FirnIn den langen Abendstunden am prasselnden Feuer möchte ich nun etwas aus der alten Silvrettachronik erzählen. Sie ist zwar nicht mehr oben in der Hütte, sondern steht wohlverwahrt in der St. Galler Sektionsbibliothek. Obwohl schon J. Coaz in seinem Artikel « Das Silvrettagebirge » im S.A.C.-Jahrbuch 1866 über den Bau und die Einweihung der ersten Silvrettahütte geschrieben hat, so glaube ich doch, dass hier in kurzen Zügen nochmals darauf hingewiesen werden darf. Wir sehen daraus, wie einfach und bescheiden die Menschen damals noch waren! Ihnen war die Hauptsache: die Ideale des Bergsteigens hochzuhalten!

Die Chronik lautet:

« Die Generalversammlung des Schweizer Alpen-Clubs in Basel beschloss den 1. Oktober 1864: Als Exkursionsgebiet für 1865 wird als neu bezeichnet und angenommen das Gebiet des Silvrettagletschers. Das Central-Comité sah sich hiedurch veranlasst, eine Hütte am Silvrettagletscher erstellen zu lassen, um den Vereinsmitgliedern die Begehung und Erforschung dieses Gebietes möglichst zu erleichtern. Landammann Florian Brosi in Klosters wurde für die Festsetzung einer geeigneten Baustelle zu Rate gezogen. Am 18. Juni 1865 wurde der Bau in Angriff genommen und am 18. Juli vollendet. Zum Bau wurden verwendet: 20 Röhrli Kalk, 14 Rawen, 7 Firsthölzer, 36 Ballen Schindeln, 43 Bretter etc. Das Holz stellte die Gemeinde Klosters unentgeltlich zur Verfügung. Alles Material wurde über Silvrettaeck durch Einheimische herauf getragen, und zwar jedes Stück, also auch die schweren Firstbalken, je von einem einzelnen Mann. Am 24. Juli erfolgte die erste Besichtigung durch den damaligen Präsidenten des Central-Comités, J. Coaz. Die Vertragssumme lautete auf Fr. 567, wurde dann aber auf Fr. 600 auf- gerundet! Am 25. Juli fand eine Exkursion statt. Bei derselben einigte man sich über verschiedene Berichtigungen der Ortsnamen der eidgenössischen Karte. Berichtigt wurde der Name Schattensee in Hühnersee und der auf der Karte nicht angegebene Schattensee eingetragen. Der Wintertäligletscher wurde mit Gross und Klein Wintertäligletscher bezeichnet. Das Silvrettahorn an seinen richtigen Platz ob der Alp Silvretta versetzt. ( Es ist seitdem wieder gewandert. Der Verf. ) Ebenso der Piz Mon an seinen Ort östlich vom Piz Bui n. In die Karte aufgenommen wurden die landesüblichen Bezeichnungen: Scheienwand, Vorder und Hinter Seehorn, Silvrettapass, Galtürtellihorn, abgekürzt in Tellihorn, Silvrettaeck, Medjekopf und Mejetelli, Verstanklaköpf, Rüchigrat, Roggentelli, Hinter den Bürgen, Rotfurka. ( Telli Täli. Der Verf. ) Neu von uns vorgenommene Ortsbenennungen sind folgende: Scheienpass, Seebach, Augstberg, Mittelgrat, Obergletscher, Signalhorn, Gletscherkamm, Kammgletscher, Verstanklathor, Thorwacht, Verstanklahorn, Roggenhörner, Roggenfurka, Jöri-Fless-Pass, Jöri-Flüela, Breitkopf.

Am 31. Juli wurde infolge schlechten Wetters die Einweihung der Hütte verschoben. Am 1. August wurde die höchste Spitze des Gletscherkammes erstiegen. Herr Brosi und 2 Führer verfolgten den Felskamm, arbeiteten sich aber nur mit grosser Anstrengung und Gefahr durch. Herr Coaz und 2 Führer nahmen ihren Weg über den Kammgletscher und erstiegen die Spitze mit weit geringerer Schwierigkeit von Osten her. Es wurde ein Steinmann errichtet, in denselben eine Fahne aufgepflanzt und folgender Wahrzettel in einem alten Brillenfutteral niedergelegt: Abgang von der Silvrettahütte 1215 Uhr mittags, den 1. August 1865. Ankunft 315 Uhr nachmittags, deponiert von J. Coaz, dermalen Präsident des S.A.C., Land. Flor. Brosi, Vorsteher des Klosterser Führerkorps, Jann Gort, Chr. Jegen, Leonh. Jeuch, Ant. Schlegel, Führer, und Chr. Hitz, Förster von Klosters. Am 2. August fand dann bei Nebel endlich die Einweihung statt. Eine Fahne voran, zog die Gesellschaft zur Kanzel, wo der Präsident des S.A.C. eine kurze Rede hielt und die Hütte „ Silvrettahütte " taufte. Nach einigen Hoch und nachdem der Ehrenwein die Runde gemacht, stellte sich die Gesellschaft, die Fahne voran, wieder in Reih und Glied und begab sich zum grossen Fels unter der Hütte, auf welchem die Fahne aufgepflanzt und beschlossen wurde, hier angesichts Klosters und des Silvrettagletschers beständig eine Fahne flattern zu lassen. Der Fels wurde daher die Fahnenburg genannt. » 1890 wurde diese erste Silvrettahütte von der Sektion Davos durch einen Neubau ersetzt. Im Sommer 1904 erstand unmittelbar neben der Clubhütte das bewirtschaftete « Silvrettaheim ». Die Sektion Davos trat in der Folge die Hütte um Fr. 300 an die Prättigauer ab. 1910 kamen Clubhütte und Silvrettaheim in den Besitz der Sektion St. Gallen.

Aus der Chronik entnehmen wir noch, dass auch die beiden Töchter von Coaz am 24. Juli 1865 in der neuerbauten Hütte waren. Sie trugen sich ein:

« Anna S. Coaz, Meine Wenigkeit von nur 11 Jahren, heut auf dem Silvretta- gletscher waren. Clara Maria Coaz, Und meine Füsschen 9% Jährchen nur, folgten sicher der Schwester Spur! » Einige der wichtigsten Eintragungen aus dem alten Hüttenbuch, die noch nicht oder nur unvollständig veröffentlicht worden sind, wollen wir hier wiedergeben. Eine Erläuterung ist aber nötig! Die Silvrettachronik besteht aus zwei Teilen. Im ersten Abschnitt sind ausser der Baugeschichte und dem Einweihungsakt auch die nennenswertesten Besteigungen aus den Jahren 1865-1871 auszugsweise festgehalten. Im zweiten Teil sind die Original-einträge der Hüttenbesucher ab 24. Juli 1865 bis 6. Oktober 1886, also während vollen 21 Jahren, verzeichnet. Wer den Auszug im ersten Teil gemacht hat, ist nicht bekannt. Dagegen kann man ohne weiteres feststellen, dass darin sogar Erstersteigungen völlig fehlen. Daten wurden falsch angegeben, die Namen der Erstersteiger sind unrichtig oder nur teilweise erwähnt. Auch die Führer haben ein Anrecht, genannt zu werden! Fremdsprachliche Eintragungen wurden überhaupt nicht berücksichtigt. Diese Abschrift, also nicht den Originaltext, hat J. Coaz in der « Alpenpost » 1 ) wortgetreu veröffentlicht. Im Jahre 1881 wurde die Silvrettachronik in der « Neue Alpenpost » 2 ) durch J. J. Binder nochmals auszugsweise verarbeitet. In seinem Bericht vermisst man aber ebenfalls wichtige Erstersteigungen. Zudem werden die letzten fünf Jahre der Chronik nicht erfasst. Diese Veröffentlichungen dienten spätem Werken als Grundlage. Das Original der Chronik muss z.B. Otto von Pfister für seinen Beitrag über die Silvrettagruppe in « Die Erschliessung der Ostalpen » 3 ) zugänglich gewesen sein, wie aus einer im ersten Teil vorgenommenen Korrektur von der Hand Pfisters ersichtlich ist. Dagegen hat Walther Flaig die Hinweise auf die Geschichte der Berge nicht der Original-chronik entnehmen können, von der ihm nichts bekannt war. Er musste sich an die Angaben halten, die 1872 und 1881 aus « Chronik der Silvrettahütte » erschienen waren. Aus all diesen Erwägungen heraus ist es gerechtfertigt, die wichtigsten Besteigungen hier festzuhalten. Es werden nur solche aufgeführt, die im Hochgebirgsführer « Die Nordrhätischen Alpen » 4 ) nicht genau den Originaleintragungen entsprechen.

1. « Douglas W. Freshfield, Univ. Coll., Oxford. 3rrt August 1866 with François J. Devouassoud of Chamonix and Johann Gort of Klosters. To Lawin by the Verstanklathor ( weather permitting ). » 2. « C. Seelig, S.A.C. Uto, Zürich. 3. September 1866 Solo-Ausflug nach dem Klostertellihorn. 4. September mit Hans und Christian Jegen nach den Krämerköpfen, zurück über die ganze Breite des Gletschers nach dem Kloster-telligletscher. Am Eingang der Silvretta zum selbigen einen Schneeschuh mit „ I HP 1674 " gefunden, welcher Eigentum der Clubhütte bleibt5 ). » 3. « August 14'h 1867 with guide Hofmann and friend Wehrli to Alp Vereina. 15'h up to Piz Linard, surprising panorama, down to Ridge Glims, there parted with guide Hofmann and with friend Wehrli of St. Gali, tripped to Lawin etc. » Unterschriften sind: A. C. Cawood, England, und J. Wehrli, St. Fiden-St. Gallen, beide S.A.G..

4. Am 12. August 1867 bestieg der Träger Kilian Caperi, Schreiner in Guarda, ganz allein den Grossen Buin. Er pflanzte eine Fahne auf als Beweis. Unterm 21. August 1867 bestätigen dies durch Eintrag in die Silvrettachronik Dr. Albert Wyttenbach und Dr. Arnold Ziegler, S.A.C. Bern.

5. Am 11. September 1867 bestiegen A. H. Cawood und G. Sand jun. das Signalhorn. Die Eintragung lautet: « Indem wir auf der Roten Fluh noch kein Steinmännchen sahen, fanden wir die Aussage der Führer bestätigt, dass solche noch jungfräulich, und verfolgten den Grat, der sich nach dieser Spitze hinzieht. Den dazwischenliegenden Kopf umgingen wir, da wir nicht ahnten, dass dessen Absturz nach Norden so gangbar sei, wie sich nachher herausstellte. In einer kleinen Stunde hatten wir die Spitze erreicht und bekräftigten unsere Anwesenheit durch ein Steinmannli, in welchem wir in einer Flasche unsere Namen deponierten. » Weiter heisst es dann: « Wir fuhren nun das Schneefeld hinab und erklommen jenseits die uns von den Führern erst als Rotfluh bezeichnete Spitze, die sich gerade über dem Silvrettagletscher erhebt. Diese ist aber unbedingt niedriger denn die hintere. Auch hier errichteten wir ein Steinmännchen. » Der Abstieg erfolgte in die Einsattlung nach Osten zurück und von da durch eine Schneerunse direkt auf den Silvrettagletscher.

6. 12. Juli 1869. J. Oberholzer, E. Schoch-Bodmer und Carl Bruppacher bestiegen den Piz Cromsell ( Piz Fliana ) erstmals, begleitet von Führer Lehrer Schlegel aus Klosters x ).

7. 30. Juli 1869. M. A. Tschavoll von Feldkirch, Math. Schmid von München, mit Landammann Brosi von Klosters und Führer Christ. Jann. « Die Gesellschaft gedenkt morgen, den 31. Juli, eine erste Besteigung des Grossen Seehorns auszuführen 2 ). » 8. Am B. Juli 1870 besuchte J. Coaz, Präsident der Sektion Rhätia, mit Führer Chr. Jegen den Piz Buin, und zwar von der Clubhütte aus.

9.15. Juli 1870. Dr. Theodor Petersen aus Frankfurt a. M., S.A.C. Sektion Tödi, mit Otto Morell und Daniel Barbuda von Guarda über Vermuntpass auf Gr. Ochsenhorn ( Dreiländerspitz ) und von da zur Silvrettahütte.

10. Am 20. August 1871 hat den Piz Linard erklommen Prof. Thomas aus Leipzig mit Josef Wiesen aus Lawin und W. und Kilian Caperi. Über den Aufstieg schreibt er nichts.

11. Als erste Frau erstieg am 4. September 1871 Frau Baumann-Oettiker von Horgen das Silvretlahorn.

12. Am 20. Juli 1874 bestieg Dr Emil Burckhardt, S.A.C. Basel, mit den Führern Peter Egger aus Grindelwald und Chr. Jann aus Klosters das Verstanklahorn.

13. « Otto Welter, Advokat aus Köln ( D. ö. A.V., Sektion Rheinland ), bestieg am 3. September 1879 das äussere Plattenhorn ( 3227 m, die westliche der beiden gleich hohen Spitzen ) bei herrlichem Wetter und kam am Abend hieher zur Clubhütte. Führer Chr. Jann. Aufstieg 4 Stdn. von der Alp Vereina. » 14. Mitte September 1880: « Prof. J. J. Bischof aus Basel bestieg unter der Führung von Chr. Jegen aus Klosters das Silvrettahorn, Roggenhorn ( erste Besteigung ) und die Seehörner ( gegen das Montafon ). » 15. « Am 15. August 1882 mit Führern Chr. Jann und Leonh. Guler heute den Gross Litzner bei ungünstiger Witterung erstiegen. K. Mainzer, D. Ö.A.V., Sektion Karlsruhe und S.A.C. Uto. » 16. « 14. August 1883, Otto v. Pfister aus München, S.A.C. Uto, D. Ö.A.V., München, mit Führer Gottlieb Lorenz ( genannt Balluner ) von Galtür. Früh 430 ab Jamtalerhütte, 640 obere Ochsenfurkel, 730 auf dem Gipfel der Dreiländerspitze ( 3199 m ). 755 ab Gipfel, 820 zurück auf der Furkel, 866 am Vermuntpass, 10 Uhr auf dem Grat, welcher vom Piz Buin nordwärts zieht ( das Wiesbadener-grätchen. Der Verf. ), 11 Uhr Fuorcla del Confin, II30 Silvrettapass, 1 Uhr Silvrettahütte. » 17. 6. Oktober 1886. A. Rzewuski und Gefährten. Aufbruch zum Silvrettahorn. Unkundig des üblichen Weges, stiegen sie zum Grat, der Eckhorn und Silvrettahorn verbindet, hinauf. Rzewuski und zwei Kameraden verfolgten diesen Grat auch durch die letzten sehr schwierigen Felsen bis zum Gipfel. Die übrigen Teilnehmer stiegen links wieder etwas hinunter und erreichten den Gipfel über das blanke Eisfeld der Südseite. Abstieg über dieses Eisfeld und die darunterliegenden, etwas vereisten Couloirs auf den Silvrettagletscher.

Nach dieser Abschweifung in die Geschichte der Silvretta kehren wir zu unserer Bergfahrt zurück.

Ein klarer, bitterkalter Morgen liegt über dem weiten Gletscher. Endlich kurz vor 8 Uhr schnallen wir unsere Bretter an. Die aufsteigende Sonne rötet eben die Spitze der Weissfluh, die als strahlende Königin das Prättigau beherrscht.

Durch ein Moränentälchen, dann rechts über einen Rücken erreichen wir die Gletscherzunge. Nur wenige Spalten schimmern blau aus der gewaltigen weissen Fläche des Silvrettagletschers. Wir halten etwas links und schieben uns durch Steilmulden hinauf in die grosse Wanne unterhalb der Rotfurka. Die Sonne hat die prächtige Wand der Rotfluh schon erreicht. Eine Alpenbraunelle hüpft über die Felsgesimse und lässt ihren lieblichen Gesang ertönen. Wir aber sind noch im kalten Schatten, und wie Schildkröten ziehen wir unsere Köpfe tief in den Kragen zurück.

Immer etwas links haltend, gelangen wir in die Nähe von P. 2882, wo wir den zweiten Schneepegel ablesen. Der erste Pegel steht bei der Hütte. In der nun anschliessenden Steilstufe des Gletschers, die vom Eckhorn nach rechts hinüberzieht, sind nur zwei grosse Spalten offen. Kaum haben wir den Obergletscher erreicht, so trifft auch uns das warme Licht, und wie immer begrüssen wir die Sonne mit einem freudigen Ruf der Dankbarkeit. Nun steigen sie herauf, die Spitzen und mächtigen Herren der Silvretta. Rechts erhebt sich der schöne Doppelgipfel des Gletscherkamms. Darüber thronen die schwarzen Felsen des Verstanklahorns. Links leuchten Signal- und Eckhorn und einladend winkt im goldenen Licht der Morgensonne das fein geschwungene Silvrettahorn. Genau nach 2 Stunden stehen wir auf der Höhe des Silvretta-passes und dürfen schon hier einen Blick in die weite, klare Ferne tun. Kein Wölkchen steht an der blauen Himmelsglocke. Wie ein Fürst steht abgesondert die steile Felspyramide des Piz Linard, und als stolze Herrscherin ihres Gebietes breitet die Fliana einen feinen, weissen Mantel aus.

Ohne an Höhe zu verlieren, queren wir unter dem Signalhorn durch und hinüber zur Fuorcla del Confin 3058 m. Hier sehen wir erstmals unser Ziel, den Piz Buin, und immer aufs neue ist man überrascht von der Schönheit dieser winterlichen Gletscherwelt. Eine kurze Abfahrt bringt uns an den nördlichen Fuss des Klein Buin, und in wenig Minuten nach kurzem Gegenanstieg sind wir in der Fuorcla Buin. Wir sehen sofort, dass mit den Brettern weiter nichts mehr zu machen ist und lassen uns in den warmen Felsen zu einer kurzen Rast nieder. Um 11 Uhr nehmen wir zu Fuss den Schneehang in Angriff. Er wird bald hart, und bei den ersten Felsen ziehen es zwei Kameraden vor, die Steigeisen anzuschnallen. Freund Walter und ich haben indessen die Schulter erreicht und bewaffnen uns nun ebenfalls mit den Eisen. Wundervoll ist hier der Tiefblick auf den westlichen Vermuntferner mit seinen blauen Schrunden und weissen Flächen, auf welchen sich die dunkeln Schatten der Berge in phantastischen Formen abzeichnen. Dem Westgrat etwas folgend, kommen wir zu einer kleinen Steilstufe, die nach links durch ein sogenanntes Kamin überwunden wird. Obschon die Verhältnisse die denkbar besten sind, von Vereisung ist kaum eine Spur zu sehen, haben wir uns dennoch angeseilt. Als wir aber nach einigen Minuten oben auf dem breiten Rücken des Berges stehen, da sehen wir uns alle an und fragen uns, ob denn dies « der Kamin » gewesen sei! Nun, es kann auch anders sein. Bei meinem ersten Winterbesuch war alles glattes Eis gewesen, und die Stelle hatte hübsch zu schaffen gemacht. Der breite Westgrat ist heute teils aper, und mühelos bummeln wir über Geröll und sanfte Schneehänge hinauf zur 3316 m hohen Spitze, die wir um die Mittagszeit erreichen.

Voll Freude schütteln wir uns die Hände und staunen dann hinaus in die weite, blauleuchtende, helle Ferne. Es ist eine wirklich glänzende Schau, die sich dem Auge darbietet. Wir grüssen euch dort im Osten, ihr stolzen Ötztaler Recken! Ihr könnt uns die feinen Spitzen der Dolomiten, die sich über dem Talkessel des Vintschgaus noch zeigen, nicht verdecken! Mächtig türmen sich der Ortler und die Engadiner Riesen bis weit hinunter ins Bergell. Verlockend winkt das altbekannte Rheinwaldhorn, und weit draussen im Südwesten unseres Landes thront als Grenzpfeiler der gewaltige Monte Rosa. Es ist stets ein schönes Spiel, all die bekannten Berggestalten mit dem Zeis abzutasten oder zu raten und zu verweisen, wie jener Gipfel wohl heissen möge. Aber noch viel schöner ist es, still und wunschlos hinauszuträumen in die Ferne, die so blau und duftig uns Bergsteiger immer aufs neue lockt und zieht!

Lange staunen wir hinaus in die Weite, für die unsere Phantasie keine Grenzen kennt. Es ist windstill. Uns allen war es eine feierliche Gipfelstunde. Und allen wird der Abschied recht schwer.

Um 2 Uhr sind wir wieder unten bei unsern Skiern, und in sausender Fahrt geht es den Gletscher hinab Richtung Silvrettahorn. Im Schatten des Signalhorns stehen in Reih und Glied die Feinde des Skifahrers, die Windgangeln, und diese bremsen unsere eilige Fahrt mit einigen akrobatischen Purzelbäumen rasch und gründlich ab. In einer grossen Schleife steigen wir aufwärts zur Eckhornlücke 3091 m. Ein markanter Felsturm ragt aus dem Schneemantel und dient uns als Richtungspunkt. Bis zu einer etwas höher gelegenen Firnstufe können wir noch die Skier benützen, dann heisst es abschnallen. Zu Fuss steigen wir über den breiten Grat, der wie beim Buin teils ausgeapert ist, so dass wir sogar Wegspuren entdecken können. Die anschliessende Felsstufe ist glücklicherweise nicht vereist. Dennoch ziehen es einige Kameraden vor, die Eisen anzuschnallen. Etwas Seilhilfe von oben wird hier manchem willkommen sein. Statt Eis haben wir in den Felsen Büsserschnee, dessen hohe und feine Gebilde bei der geringsten Berührung klirrend zusammenbrechen. Nach Überwindung dieser Stelle queren wir nach links unter den Felsen der Westflanke hindurch und erreichen, auch hier wieder durch Büsserschnee, über den W. Grat kurz vor 4 Uhr die Spitze des 3248 m hohen Silvrettahorns. Einzigartig schön ist der Tiefblick auf den Vermuntferner. Der Schatten unseres Berges deckt den Gletscher schon völlig und reicht hinüber bis zur Wiesbadenerhütte.Von hier sehen wir auch hinein in den prächtigen Kessel des östlichen Vermuntferners. Ein grossartiges Skigebiet, überragt vom stolzen Bau des Dreiländerspitz.

Schon wird die Beleuchtung wärmer. Die Sonne neigt sich mehr und mehr dem Westen zu. Wir scheiden und stehen nach sorgfältigem Abstieg, die Steilstufe etwas nach rechts umgehend, bald wieder bei unsern Skiern.

Die Windgangeln haben uns gewarnt! Wir fahren daher nicht wie sonst wohl allgemein üblich zurück zur Fuorcla del Confin, sondern benützen den Nordzugang zum Eckhorn, um in den Sattel zwischen diesem und dem Signalhorn zu kommen. Wir haben ja so sichere Verhältnisse, dass wir den Hang schon anschneiden dürfen! Der Bergschrund ist kaum angedeutet. Dennoch wird er vorsichtig überschritten. Dann geht es steil und etwas mühsam, mit den Schuhspitzen Stufen schlagend, in einer kleinen Viertelstunde hinauf in den obenerwähnten Sattel. Erst dort können wir die Seehundsfelle endlich abreissen. Sie haben uns an keiner Abfahrt gehindert! Allerdings mussten sie dafür Haare lassen!

Bald rutschen meine Kameraden den Steilhang hinab zum Silvrettagletscher. Ich kann es mir nicht versagen, dem nahen Eckhorn noch einen Besuch zu machen. Noch einmal kann ich still und allein hinausträumen in den weiten, in zartesten Farben schwimmenden Abendhimmel. Dann mahnen mich die kleinen, schwarzen und eiligen Pünktchen da unten auf dem Gletscher zum Abschied. In sausender Fahrt geht es klappernd über den harten Schnee, und ich lande in einem Schuss vor dem Schneepegel auf der Passhöhe. Es ist ein kleiner Umweg, aber der Pegel muss noch abgelesen werden, damit die Eintragung unten in der Hütte und die Meldung nach Zürich richtig gemacht werden können. Dann geht es hemmungslos weiter. Der Schnee ist zwar etwas hart, aber dennoch gut. Auf dem untern Gletscher, der VIII34 schon längst im Abendschatten liegt, beginnt die tolle, sausende Fahrt, die in dem übersichtlichen Gelände ruhig gewagt werden darf. Da hat es Platz für kilometerweite Bogen! Wir jagen und fangen einander in aus-gelassenem Spiel und sausen dahin wie im Fluge!

Im Westen ist die Sonne bereits verschwunden. Föhnwolken stehen wie rotglühende Bänder und Striche am Himmel, den Glanz der Sonne uns nochmals gebend. Wir fliegen hinein in den weiten Abendhimmel, wo die Venus schon in voller Reinheit über allem Irdischen triumphiert.

Im Moränentälchen hat es noch feinen Pulverschnee, und punkt 6 Uhr abends stäubt der letzte Schwung vor der Hüttentür, so dass sich der alte Weilenmann, der seit dem Jahre 1927 als Granitrelief dort oben verewigt ist, bass verwundert.

Und wieder zieht das Sternenmeer herauf und ihm nach ein neuer Morgen. Auch der dritte Tag will an Schönheit mit seinen beiden Vorgängern wetteifern. Es gilt der Schneeglocke!

Nachdem die Hütte tadellos aufgeräumt und das Tagesziel im Hüttenbuch notiert ist, schnallen wir um %7 Uhr die Bretter an die Füsse. Im Zwielicht des heraufdämmernden Morgens streben wir wieder dem Gletscher zu, heute etwas mehr links haltend. Kurz unterhalb von P. 2482 machen wir unter einem grossen Felsen eine Niederlage, denn wir beabsichtigen nicht, nochmals zur Hütte abzufahren. Bald darauf stehen wir am Fuss der Rotfurka, schnallen ab und steigen in bereits vorhandenen Stapfen in gerader Linie hinauf zur Rotfurka 2692 m. Auf hartem Schnee rutschen wir hinab zum Klostertalerferner und biegen, sobald die Neigung dies zulässt, nach Osten ab. Ich bin zwar der Ansicht, dass man ganz gut den breiten Grat von der Rotfurka Richtung Rotfluh überschreiten könnte, und zwar ungefähr bis zu P. 2743. Von dort leitet ein beinahe flaches Schneefeld ohne jeden Höhenverlust hinüber zum Klostertalerferner, und zwar gerade unter die erste Steilstufe des Gletschers. Die Route ist allerdings im Skiführer für die Silvretta von Walther Flaig nicht eingezeichnet. Im übrigen kann dieser Skiführer mit seiner vorsichtigen Abfassung nicht genug empfohlen werden. Es genügt natürlich nicht, den roten Linien auf der Karte nachzulaufen. Gründliches Studium des Führers zu Hause und vor allem des Geländes an Ort und Stelle sind die ersten Vorbedingungen, um den vielen Gefahren des winterlichen Hochgebirges nach Möglichkeit auszuweichen und so Unfälle zu verhüten.

Der grossen Mulde des Ferners folgend, halten wir kurz vor der ersten Steilstufe etwas links und kommen so auf die obere Fläche, und als wir hier bei einem Schnaufhalt uns rückwärts wenden, reissen wir die Augen weit auf. Eben röten sich die Felsen des Gross Litzners, und wie eine feurige Fackel leuchtet der prachtvolle Berg empor zum blauen Winterhimmel. Bald sind auch Sonntagspitze und Tälihorn vom Licht überflutet. Wir selbst stehen noch im kalten Schatten. In den Felsen, die unsern Standpunkt im Norden begrenzen, sehen wir in einer hochgelegenen Nische die wunderbarsten Gebilde des Büsserschnees. Der Fels ist völlig aper. Nur auf jenem Plätzchen stehen gleich einem weissleuchtenden Blütengarten die schönen schlanken Schnee- blumen. Die warme Sonne, die seit Wochen die Felsen bestrahlt und erwärmt, hat dieses Wunder geschaffen!

Über eine zweite Steilstufe erreichen wir die letzte sanfte Mulde. Aber welch ein Graus! Schneegangeln eine nach der andern. Es sind die reinsten Tafelberge, die wir sorgsam übersteigen müssen. Das kann eine nette Abfahrt geben! Wir steigen direkt zu den Felsen empor, ohne den Schneesattel rechts zu betreten. Zu Fuss geht es über leichte Schrofen und durch ein grosses Feld von Büsserschnee steil hinan. Es ist ein fortwährendes Klirren infolge der brechenden Eis- und Schneegebilde. Fast ist es, als ob Unholde in einem Porzellanladen hausten! Wir haben auch hier so viele schneefreie Stellen, dass wir mühelos dem Grat bis zur Spitze folgen können. Punkt 10 Uhr stehen wir auf der Schneeglocke 3225 m hoch und haben nochmals die schöne und weite Schau über das Skiparadies der Silvretta. Über dem Gotthard lagert eine Föhnwolkenbank — aber die haben wir heute noch nicht zu fürchten. Zwar kommt schon ein kalter Wind von Westen her und treibt uns diesmal rascher vom Gipfel. Ski anschnallen und hinabsausen in den Sattel zwischen Rotfluh und P. 3186 ist eins. Wir wollen versuchen, von hier aus den Silvrettagletscher zu erreichen, denn die Schneegangeln des Klostertalerferners sehen nicht einladend aus. Bei Pulverschnee oder im Frühjahr bei Sulz muss die Abfahrt zur Rotfurka wohl eine der schönsten im Silvrettagebiet sein.

Von einem Felsvorsprung aus stellen wir fest, dass eine steile Schneerunse ohne Unterbruch hinab zum Gletscher führt. Wir haben so ausnahmsgute und sichere Verhältnisse, dass wir den Einstieg wagen können. Bei Neuschnee wäre diese Rinne jedenfalls sehr gefährlich. Also Ski auf den Sack geschnallt und Steigeisen an die Füsse! Bis ich so weit bin, sind die Freunde schon ein gutes Stück unten. Es scheint ja ganz famos zu gehen. Und wirklich! In kaum einer Viertelstunde sind alle unten am Fuss der Rotfluh. Wir freuen uns, der Hitze in der engen Rinne entronnen zu sein und nun nochmals die schöne Fahrt über die weite Fläche des Silvrettagletschers geniessen zu können.

Es ist halb 12 Uhr, als wir bei unserer Niederlage ankommen. Dort halten wir eine ausgiebige Mittagsrast in der heissen Sonne. Nach 1 Uhr brechen wir auf. Wir haben nur wenige Meter zu steigen, um die Abfahrt durch das Galtürtäli beginnen zu können. Pulver wechselt mit Harsch, und die immer noch schweren Säcke verhelfen zu manchem Sturz.B.ei der Alp Silvretta P. 2070 wird der Schnee besser, und wir können die Fahrt noch bis oberhalb des Sil-vrettaecks auskosten. Hier heisst es abschnallen. Zwei Kameraden ziehen vor, dem Bachlauf zu folgen, doch mir scheint die Sache nicht ganz sicher. Es liegt wenig Schnee. Man hört sogar den Bach rauschen, und so deucht mich die Gefahr eines Durchbrechens zu gross. So wühlen wir andern uns zu Fuss über den Grat des Silvrettaecks hinab. Wir versinken stellenweise bis zum Nabel im losen Pulverschnee. Aber es geht ja nicht lange! Bald können wir unsere Bretter wieder anschnallen. Hier unten im engen Tal ist die Sonne schon verschwunden und der leicht gefrorene Sulzschnee in einem idealen Zustand. Weiter unten, wo die Sonne überhaupt noch nicht hinkommt, liegt flaumiger und unberührter Pulverschnee. Über sanfte Buckel und Hügel wiegen wir uns wunschlos glücklich hinab zu den Hütten

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