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Auf den Spuren des Reussgletschers

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VON JOSEF KOPP, EBIKON-LUZERN

Mit 1 Karte Nach der Ansicht der Geologen sind die Gletscherströme in der Eiszeit viermal aus dem Alpeninnern ins Mittelland vorgestossen. Die grösste Ausdehnung erreichten die Gletscher in der Risseiszeit. In der nachfolgenden Würmeiszeit sind am Alpenrand und im Mittelland mächtige Moränenmassen deponiert worden, welche gegenüber den früheren Gletscherablagerungen weit vorherrschen. Wir wollen uns deshalb hier besonders mit dem würmeiszeitlichen Reussgletscher befassen, der in der Zentralschweiz tiefe Spuren hinterlassen hat.

Das Einzugsgebiet und Verbreitungsgebiet des Reussgletschers erreichte in der Würmeiszeit ein Areal von über 3000 km2. Der östliche Eisrand des Gletschers verlief von den Höhen im Osten des Ägerisees der Albiskette entlang bis vor Birmenstorf. In den Tälern zwischen Bünz und Wigger reichten die Gletscherzungen bis Othmarsingen, Schafisheim, Zetzwil und Kirchleerau. Zwischen den Zungenenden lagen die eisfreien Höhen des Lindenbergs und Schiltwald—Sterenbergs. Der westliche Eisrand verlief ins Einzugsgebiet zurück über Dagmersellen-Schötz-Grosswangen-Buttisholz-Hellbühl—Luzern—Kehrsiten. Im Trichter des Vierwaldstätter Sees stiessen die Eismassen des Reussgletschers mit dem Eisstrom der vereinigten Aare—Brünig—Engelberger-Gletscher zusammen, der die linke Flanke bildete und bis Wolhusen, Wüschiswil und Ettiswil vorstiess. Beim Höchststande des Aaregletschers ergoss sich nämlich ein Seitenarm über den Brünigsattel ins Obwaldnerland und umfloss den Pilatus. Wie die Gegend von Luzern damals aussah, zeigt ein von Kunstmaler Hodel ausgeführtes Panorama im Gletschergarten Luzern in anschaulicher Weise. Aus dem durch Mittelmoränen durchzogenen Eismeer ragten Rigi, Stanserhorn, Buochserhorn, Rigi-Hochfluh, Brisen und die beiden Bauen heraus. Lopper, Sonnenberg, Rooterberg und Bürgenstock ( bis auf die Hammetschwandspitze ) lagen unter dem Eis begraben. Im Vierwaldstätter-See-Gebiet und im urnerischen Reusstal können wir die einstige Höhe des Gletschereises einerseits aus den Findlingen und anderseits aus der Schliffgrenze erkennen, welche die Grenze zwischen den zackigen und den durch das Eis gerundeten Bergformen bildet. In den Gneisen und Graniten des Aare- und Gotthardmassivs ist die Schliffgrenze vielerorts scharf ausgeprägt, so dass man im Reuss- und Urserental leicht feststellen kann, wie hoch das Gletschereis einst an die Gipfel heranreichte. Die Schliffgrenze im obersten Reussgletschergebiet fällt vom Finsterstock ( an der Furka ) bis zum Bristenstock von 2650 m auf 2200 m herab. Im Vierwaldstätter-See-Gebiet lässt sich aus der Höhenlage der Findlinge und dem Höchststand der Seitenmoränen die Eisdicke ziemlich genau errechnen. Sie betrug im Gersauer Becken ca. 1100 m, im Küsnachter Arm ca. 700 m, im südlichen Zuger See ca. 800 m und am Baldegger See ca. 400 m.

In den letzten Jahrzehnten sind die höchstgelegenen Findlinge im Rigi- und Pilatusgebiet unter Naturschutz gestellt worden, um Marksteine für den Höchststand für alle Zeiten sicherzustellen. Im Seebecken zwischen Rigi-Hochfluh und Urmiberg finden wir Granitfindlinge in 1390 m Höhe, die jedoch wahrscheinlich der vorletzten Eiszeit angehören, in der die Eisgrenze 100-200 m höher lag als in der Würmeiszeit. In diese Eiszeit ist wohl auch der mächtige Granitblock in 1230 m Höhe bei Felmis nördlich des Vitznauer Stockes zu stellen. Bei Eichiberg und Tristel, oberhalb Vitznau, zeugen weitere unter Schutz gestellte Granitfindlinge für die Höhe des Eisstromes. Eine block-gekrönte Seitenmoräne zieht sich an der Rigilehne zur Seebodenalp hin. Sie trägt den Alfred-Strübi-Albert-Heim-Stein, einen Granitblock mit der Inschrift: « Am Gotthard verladen, vom Gletscher gebracht halt über dem grünenden Land ich Wacht. » Östlich dieses Findlings liegt in einem Tobel ein 200 m3 grosser Kieselkalkblock, wohl der grösste noch erhaltene Erratiker der Zentralschweiz. Im Volksmund heissen die Granitfindlinge « Geissberger ». Reich an Granit- und Gneisblöcken des Reussgletschers erweisen sich im Reusstal und Vierwaldstätter-See-Gebiet: Arni-berge, Grosser Axen ob Teilsplatte, die Terrasse Tannen-Morschach, diejenige von Sonnenberg-Seelisberg, der Hang nördlich Ingenbohl und die Gegend Gersau-Gätterlipass. Im Park des Hotels Axenstein bei Morschach liegt unter zahlreichen Granitblöcken der 56 m3 grosse Druiden-stein. Reiche Blockstreuung treffen wir an der Rigilehne ob Goldau. Eine ganz eigenartige Häufung von Gneisblöcken weist der Blattis- und Buchenwald unterhalb Steinerberg auf. Hier liegen einige tausend Blöcke, von denen manche ein Ausmass von über 20 m3 erreichen. Das Blockareal umfasst mehr als 30 Hektaren. Es ist im östlichen Teil durch einen jungen Bergsturz vom Rossberg überdeckt worden.

Wie sind diese Gneismassen hieher gelangt? Eine petrographische Untersuchung erweist, dass diese Blöcke von der Nordseite des Bristenstockes stammen. Dort muss in der Eiszeit ein grösserer Felssturz auf den damaligen Gletscherstrom erfolgt sein. Der Reussgletscher transportierte die Bergsturzblöcke. Bei Steinen schmolz das Eis ab und liess seine Fracht liegen, oder er verlor sie seitlich auf seinem Weg. Im rechtsseitigen Reussgletschergebiet des Kantons Aargau sind viele grosse Findlinge aufgefunden worden, von denen aber viele zufolge technischer Verwertung der Zerstörung anheimgefallen sind, wie übrigens auch im Gebiet der Gotthardbahn zwischen Brunnen und Meggen, was die vielen Granite im Mauerwerk bezeugen. Bei Wohlen im Freiamt liegt die Granitblockgruppe des Erdmannlisteins. Bei Meilingen sind der 300 m3 grosse Kindlistein und der noch grössere Honderfluhstein leider zerstört worden. Unweit Gehingen, im Seetal, lag unter dem bewaldeten Hexenhubel ein riesiger Kalkfindling, aus dem 6000 m3 Schlagschotter hergestellt worden sind. Der noch erhaltene Heidenhubelstein bei Sarmenstorf am Lindenberg misst trotz Verkleinerung noch 460 m3.

Als einziges, leider sehr wenig verbreitetes Leitgestein des Reussgletschers, welches gestattet, seine Ausdehnung und Abgrenzung gegenüber dem Aare-Brünig-Gletscher und dem Linthgletscher zu bestimmen, dient der Windgällenporphyr, ein grünlicher Quarzporphyr vom Gipfel der kleinen Windgälle. Ein grosser Block aus diesem seltenen Gestein ist vor einigen Jahren bei Büron zerstört worden.

Ein Arm des Reussgletschers bewegte sich über Sattel ins Ägerital und drang südwärts bis ins Hürital ein, wo er mit den Gletscherzungen der Rossberggletscher zusammenstiess. Der markante Moränenwall, auf dem das Gasthaus Mostel am Hochstuckli-Sessellift liegt, bildet den Höchststand dieses Seitenarmes, 1200 m ü.M. Bis ins Hürital betrug das Eisgefälle ca.4 %.

Wenn der Gletscher hartes Moränenmaterial über die Felsunterlage schleift, so entstehen bei widerstandsfähigem Gestein Polituren, bei weicherem Schrammen, die Gletscherschliffe. Im Vier-waldstätter-See-Gebiet sind bei Felsabdeckungen mancherorts prächtige Gletscherschliffe beobachtet worden, so im Schrattenkalk bei Kindlimord unweit Gersau, an der Egg bei Seelisberg, in den Zementbrüchen Rütenen bei Beckenried und auf Nagerfluh bei der Kirche Steinerberg. Prächtige Gletscherschliffe sind im Gletschergarten und an der Zürichstrasse in Luzern im harten Molassesandstein angetroffen worden.

Wie in jedem Gletschergebiet, so trifft man auch in den Tälern des Reussgletschers vielerorts gerundete, zumeist in der Talrichtung gestreckte Felsbuckel. Es sind Rundhöcker, entstanden durch die schleifende Wirkung des Eises. Schöne Rundhöcker findet man am Ursprung des Reussgletschers am Gotthardpass, aber auch im Ausbreitungsgebiet im Mittelland, so z.B. bei Giebelflüh 4 Die Alpen - 1959 - Les Alpes49 zwischen Seetal und Freiamt, wo die Richtung der Rundhöcker die Zweiteilung des Eisstromes durch den Lindenberg deutlich zum Ausdruck bringt. Auch zwischen Risch und Böschenroth am Zuger See sind Rundhöcker vorhanden.

Im Gebiete des Reussgletschers stossen wir auf einzigartige Wahrzeichen der Schmelzwasser-tätigkeit im Gletschereise, auf die Gletschertöpfe des Gletschergartens in Luzern. Auf einer Grundfläche von 5000 m2 sind hier im Luzerner Sandstein 32 Strudellöcher durch Schmelzwasser ausgekolkt worden. Die bis 10 m tiefen Töpfe bergen am Grunde einen harten Mahlstein. Die Gletschermühlen entstanden wahrscheinlich durch Schmelzwasser, das über Gletscherspalten bis auf den Grund hinunterstürzte und die Mahlsteine in drehende Bewegung versetzte. Zweifellos sind noch viele durch Moränen zugedeckte Gletschermühlen vorhanden, welche bis heute noch nicht aufgedeckt worden sind.

Im Ausbreitungsgebiet des Reussgletschers im Mittellande herrschen vielerorts an der Oberfläche die Moränenablagerungen gegenüber dem Molassegestein vor. Weite Flächen sind mit kiesiger oder lehmiger Grundmoräne überdeckt, die stellenweise über 50 m Mächtigkeit erreicht. In der zumeist ungeschichteten Grundmoräne trifft man oft mehr oder weniger grosse geschrammte Blöcke. Geschichtete Moränen zeugen von verschwemmtem Moränenmaterial. Ausgedehnte Grundmoränenablagerungen des Reussgletschers finden sich im Freiamt, im Seetal, im Michelsamt, im Surental und im Wauwiler Moos. In diesen Moränengebieten kann man vielerorts langgestreckte Hügelzüge aus Wallmoränen beobachten, die in der Regel kiesiges Material mit vielen Blöcken enthalten. Die Bildung von Wallmoränen ist mit einem Gletschervorstoss verbunden. Besonders ausgeprägte Wallmoränen deuten ein Stadium in einer Rückzugsperiode an. Zwischen den mächtigen mehrfachen Endmoränenwällen an den Zungenenden des Reussgletschers und dem Vierwaldstätter-See-Gebiet treffen wir mehrere wohlausgeprägte Wallmoränen, welche Stadien repräsentieren: am markantesten ist das Surseestadium, dem das Zürichstadium des Linthgletschers entspricht. Wir können den häufig doppelt ausgebildeten Moränenwall dieses Stadiums von der Höhe über Hohenrain über Lieli-Ermensee-Römerswil—Gormund—Sursee zum Homberg verfolgen. Eine prächtige Wallmoränenlandschaft mit vier hintereinanderliegenden Wallmoränen eines sich von Beromünster zurückziehenden Gletscherlappens kann man zwischen Hildisrieden und Neudorf wahrnehmen. Baldegger See, Sempacher See und Mauensee verdanken ihre Entstehung hauptsächlich der stauenden Wirkung von Wallmoränen. Manche Gletscherstauseen sind heute verlandet wie der Wauwiler See und Kommeier See bei Gunzwil. Vor Luzern liegt beim Riffigwald bei Gerliswil ein Rückzugswall des Reussgletschers. Durch die Wallmoränen bei Staffeln—Rothen und beim Rönnimoos wurde einst der Gletscherstausee von Littau abgedämmt, der bis Werthenstein reichte. Ein Endmoränenwall riegelte zeitweise das Reusstal bei Honau ab, und vom Zuger See her bildete ein Eislappen einen prächtigen zungenförmigen Wall, an dem heute Rotkreuz liegt. Durch mächtige Wallmoränen wurde sowohl vom Zuger als auch vom Küssnachter Gletscherarm her das Tal zwischen Zuger See und Küssnachter Bucht des Vierwaldstätter Sees abgeriegelt. Spuren von Wallmoränen weist die Landschaft oberhalb Steinen auf. Dem höchsten Moränenwall der Seebodenalp entspricht am Rossberg der lange Moränenkamm am Rufiberg. Im Vierwaldstätter See liegen zwei gewaltige Wallmoränen zwischen den beiden Nasen und bei Kindlismord unweit Gersau. Erstere ist 100 m hoch und reicht bis 27 m an die Seeoberfläche heran; letztere erhebt sich 112 m über den Seegrund des Gersauer Beckens.

In den Moränenlandschaften des Reussgletschers findet man längliche, schwach gewölbte Hügel, welche schwarmweise auftreten. Es sind Drumlins, welche ihre Entstehung der akkumulierenden und schürfenden Tätigkeit des Gletschereises verdanken. Diese stromlinienartigen Gebilde trifft man in grosser Anzahl im Freiamt und im obern Seetal, in geringerer Zahl auch bei Neudorf, bei Neuenkirch und zwischen Hertenstein und Weggis, wo sie das Umschwenken des Eises in den Küssnachter Arm deutlich veranschaulichen.

In Gletschernähe sind Schotter mit geschrammten Geschieben abgelagert worden, sog. fluvioglaziale Schotter. Ausgedehnte derartige Schotter nehmen den Raum zwischen Eschenbach und Hochdorf ein. Man trifft sie ferner bei Blickensdorf oberhalb Baar und bei Küssnacht. Hier reichen die sich bis Greppen erstreckenden Schotter bis auf 550 m Haushöhe hinauf. Die fluvioglazialen Schotter sind ausgezeichnete Grundwassersammler.

Im Vierwaldstätter-See-Gebiet hat der Reussgletscher, als er dieses Becken einnahm, an einigen Stellen Seitentäler abgedämmt, so dass Stauseen entstanden, in die die Schmelzwässer geschichtete und geneigte Deltaschotter ablagerten. Solche gewaschene Schotter, welche zu technischen Zwecken ausgebeutet wurden, trifft man am Ausgang des Muotatales bei Ibach, bei Küssnacht und zwischen Stans und Buochs. Letztere sind im eisfreien aufgestauten Gebiet zwischen Engelberger- und Reussgletscher abgelagert worden.

Die Ablagerung von Wallmoränen und glazialen Schottern führte mancherorts zur Abriegelung alter Talläufe, so dass sich die Flüsse ein neues Bett suchen mussten. Reuss und Engelberger Aa flössen in den Zuger See, bevor bei Küssnacht und Immensee mächtige Wallmoränen aufgetürmt wurden. Längere Zeit floss die Reuss durchs Rotseetal. Dann kam es zur Abtrennung einer Toteismasse vom Reussgletscher, gegen die beim Friedental Delta-Schotter aufgeschüttet wurden. So wurde die Reuss gezwungen, nach Norden ins Tal der kleinen Emme durchzubrechen. Die Lorze hat ihren alten Lauf über Steinhausen—Bibersee durch glaziale Ablagerungen ebenfalls verloren. Bei Ecce Homo, zwischen Steinerberg und Sattel, hat eine Reusswallmoräne das alte Tal der Steiner Aa abgedämmt, so dass sie nach Südosten gegen den Ehrlibach ausbrach.

Überblicken wir die Tätigkeit des diluvialen Reussgletschers und seine mannigfachen Ablagerungen, so erkennen wir seine tiefgreifende landschaftsformende Kraft. Am Alpenrand ist die Rippenlandschaft der Molasse durch Auskleisterung mit Grundmoräneablagerungen stark gemildert worden. Im Mittelland zeugen viele Torfmoore von früheren Moränenseen. Die weitverbreiteten Grundmoränenaufschiittungen haben der Stufenlandschaft des Mittellandes sanfte Formen aufgedrückt, was dem Strassen- und Bahnbau zugute gekommen ist. In volkswirtschaftlicher Hinsicht spielen die glazialen Ablagerungen in mancher Hinsicht eine günstige Rolle. Der Landwirtschaft bieten sie fruchtbare, mineralreiche Böden mit zahlreichen Quellen. Der Bauindustrie liefern sie Schotter und Sande, den Ziegeleien Glazialtone. In Notzeiten wurden die glazialen Torfvor-kommen sehr geschätzt. Die diluvialen Schotter bergen reiche Grundwasservorkommen. Aus Findlingen bestehen die Grundmauern vieler Häuser und Scheunen, was dazu führte, dass nun weite, früher von Kalk- und Granitblöcken übersäte Fluren blockfrei geworden sind. So hat der Mensch das Landschaftsbild, wie es am Ende der Eiszeit vorlag, tiefgreifend verändert. Der Naturschutz ist heute bestrebt, markante, letzte Zeugen der Eiszeit der Nachwelt noch zu erhalten, damit sich auch unsere Nachfahren daran erfreuen können.

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