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Aus dem Leben der Gebirgsmundarten

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Von Manfred Szadrowsky.

Es ist kein Wunder, dass romanische Gebirgssprachen mit Ortsbestimmungen ähnlich und sozusagen « gleich » verfahren wie die alemannischen.

Die entsprechenden Gelände- und Lebensarten bringen entsprechende Wirkungen hervor.

Dazu kommen Einflüsse der einen Sprachgruppe auf die andere, Einflüsse herüber und hinüber. Besonders stark müssen sie gewesen sein in Zeiten, da alemannische Ansiedler sich unter romanischer Bevölkerung niederliessen.

Einschlägige Tatsachen aus den welschen Wallisermundarten hat vor einigen Jahren E. Muret in der Festschrift für L. Gauchat behandelt.

Wie sich die Sache bei den Rätoromanen Graubündens verhält, soll jetzt noch gezeigt werden, und zwar an der Hand von Mitteilungen C. Pults, des Schriftleiters des rätoromanischen Idiotikons.

Da bieten sich zunächst treffliche Gegenstücke zu der im Hochaleman-nischen nachgewiesenen Genauigkeit und Mannigfaltigkeit der Vorwörter und Umstandswörter und zu der Sonderentwicklung örtlicher Bestimmungen je nach den Verhältnissen verschiedener Ort- und Talschaften.

AUS DEM LEBEN DER GEBIRGSMUNDARTEN.

Zur Angabe der Dorfteile oder der Feldgegenden werden aint, « hinein, drinnen », ora, « hinaus, draussen », je nach den Gegenden sehr verschieden gebraucht. Überall beziehen sich die beiden Wörter auf Abstände, die auf mehr oder weniger ebenem Wege zu erreichen sind ( für die andern braucht man sü, « auf », und jo, giu, « hinunter » ); die Himmelsrichtung ist aber je nach den Ortschaften recht verschieden. In Sent bedeutet aint bei Angaben, die sich nicht auf grosse Entfernungen beziehen, « nach Osten », ora « nach Westen »; man sagt aint in Alp, aint in Val Sinestra, aint a Curtin, aint in Plaz, dagegen ora Sot-Crusch, or'illa Costa da la Jocca ( beide am Weg nach Schuls ). Lohn im Schams gibt mit aint den Süden an, mit or den Norden. Die Erklärung für die Senter Auffassung sieht Pult darin, dass gegen Osten die Val Lavèr und Val Chöglis liegen, wilde, enge Bergtäler, in die man « hinein »-dringen muss ( sie gehören auch zum Dorfgebiet ), während in der Richtung gegen Schuls das Tal offen bleibt und unser Gang nach dieser Richtung uns bald aus dem Gebiete des Dorfes « hinaus » führt. Dass das Hineindringen in ein enges Tal mit aint ausgedrückt wird, beweist aint in Uina, aint in S-charl, aint in Zuort. Übrigens wird die östliche Richtung mit ora angegeben, sobald es sich um etwas grössere Entfernungen handelt und der Weg uns nicht gegen Val Sinestra und Lavèr führt, sondern gegen das Tirol, d.h. die offene Grenze des Landes: man geht ora Strada, ora Martina ( Martinsbruck ), ora Danuder. Man sagt auch ora Cuoira ( Chur ), das ja in der entgegengesetzten Richtung liegt. Bei Angabe von Städten in fremden Ländern denkt man an das Hineindringen in das neue, fremde Gebiet und sagt aint a Firenza, aint a Pisa, aint a Lubiana ( Laibach ), aint a Flüm ( Fiume ). Bei Namen von Ortschaften, wohin man in der Regel nicht zum Bleiben aus-wandert, begnügt man sich meistens mit dem Vorwort a, z.B. a Berlin, a Paris.

Der Senter sagt: oz vegna via Scuol, « heute gehe ich nach Schuls », aber vainsch in di nan a Sent? « kommst du einmal ( an einem Tage ) nach Sent her »? Einer aus Süs sagt: eu vegn oz vi Lavin i tuorn in nan quista saira, « ich gehe heute nach Lavin und komme heute abend zurück ». Überhaupt dient via, um die Richtung nach der nächsten Ortschaft anzugeben, falls das Gefälle nicht gross ist. Geht es auf- oder abwärts, wendet man sü, « auf », und jo, « hinunter », an: oz davomazdi val jo Crusch i luorna in sü pur vers saira, « heute nachmittag geht er nach Crusch hinüber und kommt erst gegen Abend zurück »; nus mein giu Tavanasa, « wir gehen nach Tavanasa hinunter ». Auch für weiter entfernte, ausserbündnerische, schweizerische Ortschaften gilt jo, « hinunter »: jo San Galla, jo Zürich, jo Basel.

Pult betont denn auch in seiner Schrift « Über die sprachlichen Verhältnisse der Raetia prima im Mittelalter » ( S. 33 ) sehr den « besonderen Usus einer gegebenen Gegend »: « selbst ein Romantscher, der mit dem besonderen Usus einer gegebenen Gegend nicht vertraut wäre, würde meistenteils entweder nur den Flur- oder Ortsnamen mit der Präposition a « nach », « in » nennen, er würde z.B. sagen: a Tschlin, « nach Schieins », statt sü Tschlin, « auf Schieins », a Scuol, « nach Schuls », statt via Scuol, « nach Schuls hinüber, drüben », a Sent statt nan a Sent, « in Sent hüben », a Crusch statt jo Crusch, « nach Crusch hinunter ».

Die Richtungsvorwörter drücken im Rätoromanischen nicht nur Bewegung nach einem Orte hin oder von einem Orte her, sondern auch Ruhe am Ort aus.

Der Unterengadiner geht via Scuol « nach Schuls hinüber », wohnt aber auch via Scuol, « in Schuls drüben », eigentlich « hinüber »; er geht oder bleibt aint in Uina, « ins Uina-Tal hinein ». Der Bergeller sagt in seinem ( lombardisch gefärbten ) Rätoromanisch: indär sün Malögia und stär sun Malögia, « hinauf nach Maloja gehen » und « hinauf nach Maloja sein »; indär ent in Ävar und esser ent in Ävar, « hinein nach Avers » gehen und sein; indär ent l' alp und esser ent Y alp, « in die Alp hinein » gehen und sein, gnir ent da Soi, « von Soglio nach Stampa herein kommen »; indär ora Soi und esser ora Soi, nach Soglio « hinaus » gehen und sein, gnir or da Visavran, or d'Ävar, « von Vicosoprano, von Avers heraus kommen ».

Da ist denn auch der rätoromanische Einfluss auf den walserischen Brauch besonders handgreiflich. Auch unter den Waisern wohnt einer da Un, « da drinnen », eigentlich « da hinein ». Der Walser sagt: i(ch ) goon da uuf, aber auch: i(ch ) woon da uuf, « ich wohne da hinauf »; uf Leis uuf wohnt einer in Vals; d'Geisse(n ) sind düür und uuf blibe(n ); dert uuf ist noch einä, « dort oben ( dort hinauf ) ist noch eine »; derte(n ) ist au(ch ) däne(r ) Spitz uuf, « dort ist auch eine solche Felsenspitze droben ( hinauf ) »: dass sie sich « hinauf » erstreckt, kann im Vorstellungsbilde noch mitwirken. Man fragt: Sid-er ii(n ) g'si(n )? « seid ihr hinein gewesen? »; auch: händ-er ii(n ) altes veiloore(n )? « habt ihr drinnen ( hinein ) im Tal etwas verloren? » Im Wallis bedeutet brii(n ) ( entstanden aus aber-iin ), « hinunter », aber auch « dort unten ».

Es ertönen etwa Sätze, die nach zwei Seiten zu schauen scheinen, z.B. in Avers: ds Schuelhuus ist uf dem Egg oop g'stellt; zum « stellen » passt aap im Sinne von « hinunter », zur Wemfallfügung uf dem Egg dagegen oop im Sinne von « drunten », falls sie nicht im Sinne des « wohin » gemeint oder verstanden wird; übrigens ist das Schulhaus « dorthin » gestellt und steht eben « dort ». Ein Avner Jäger konnte sich auf der Jagd beim Abstürzen von Felsmassen gerade noch knapp auf eine Felsenspitze hinaus flüchten: i(ch ) bin chad ( gerade ) no(ch ) cho(n ) ufem Egg uus. In Safien, hinten im obersten Tal, sagt ein Mann, der zum Heuen ein paar Wochen da wohnt, sonst aber « am Platz » drunten: Sus si-wr im Platz ab, « sonst wohnen wir am Platz drunten », eigentlich « hinunter »: vom obern Tal aus ist es tatsächlich ein « hinunter ». Da liggensch guet, in dem Büel aap, « da liegen sie ( die Kühe ) gut, in diesem Hügel hinunter », so sagt ein Splügner Hirte: da ist wirklich eine Erstreckung mit vorgestellt; aber das Liegen der Kühe und die Wemfallfügung in dem Büel können das aap in ihren Bann ziehen und das « hinunter » zum « drunten » wandeln. In Monstein erklärt mir ein Mann Gelände und Besiedlung und sagt, häjunnär, « da unten », oder drunder apper liege ein Hof.

Zum Teil haben bei diesen Vor- und Umstandswörtern lautliche Vorgänge zu Angleichung und Ausgleichung geführt ( z.B. Vermischung von in, inn und imzum Teil aber, und zwar zum grossem Teil, handelt es sich um eine Beschaffenheit der Vorstellungen und Begriffe. Das tritt gerade bei den zuletzt angeführten Sätzen deutlich zutage, und für die Vermengung der räumlichen Vorstellungen liessen sich noch Beispiele in Hülle und Fülle bringen. Nid-si(ch ) heisst allgemein « abwärts », kann aber auch « unten » bedeuten: van nid-schi ( ch ) cho ( n ). Im Prätigau sagt man nicht nur zuehi ( n)--chon, « hinzukommen », sondern auch zuehi(n)-siin im Sinne von « nach Hause, zu Hause sein », und zuehi(n ), zueha bedeutet auch « nahe »: am Län-de(n ) zuehi(n ) sü(n ), « nahe am Landen », an der Erreichung eines Zieles sein »; am ii(n)-nückle(n ) zuehi(n ) sii(n ), « nahe am Einschlummern sein ».

In Davos hört man satt a(n)-ma zuehi(n ), « ganz nahe bei ihm », also Wemfallfügung a(n)-ma und dazu zuehi(n ), wie bei der Wenfallfügung an d'Muura zuehi(n ), « an die Mauer hinzu ». Man kann daher in Bünden sagen: Schär-di(ch ) vo(n ) mir zueche(n )! « scher dich aus meiner Nähe ».

Auch bei andern Zusammensetzungen mit -hin und -her zeigt sich auf Schritt und Tritt, dass die jetzt oder einst an romanisches Gebiet grenzenden Mundarten « wo » und « wohin » nicht genau unterscheiden. Z.B. über-här heisst in Langwies « herüber » und « diesseits »; auch über hat in den Walliser und Walser Mundarten sowie im Berner Oberland neben dem Bewegungssinn « hinüber » die Ruhebedeutung « drüben »; uf-her, uahar heisst in der altern Sprache und in Graubünden noch heutzutage nicht nur « herauf, hinauf » und « aufwärts », sondern auch « auf, oben »; das Schweizerische Idiotikon verzeichnet auch aus dem Berner Oberland Fälle wie ueha, « droben », den uhi, « dort oben », uf höje(n ) Flüene(n ) uohi, « auf hohen Flühen droben ».

Der Gruss Gottwilche(n ) daher! ( z.B. im Prätigau ) meint, es komme einer willkommen « daher », er sei « da » willkommen ( auch im Altdeutschen gilt solche Fügung ). Die Walser begrüssen auch einen als willkommen « zu » ihnen: willkomme(n ) zue-n-isch, die Obersaxer merkwürdigerweise f erchume(n ) zue-n-ichch!

I(ch ) bin vilmaal ins Riinwald g'si(n ) erzählt ein Mann in Vals: dass er « ins Rheinwald hinüber » gewandert ist, fliesst zusammen mit dem Gedanken, dass er « im Rheinwald drüben » gewesen ist. Übrigens wird eben sün in solchen Zusammenhängen sozusagen ein Bewegungszeitwort: wo bisch du hi(n ) g'si(n )? d.h. wohin bist du gegangen?

Es gibt auch Gegenstücke zu den Anwendungen des « wohin » im Sinne des « wo », Fälle, in denen ein « wo » für ein « wohin » eintritt.

Schon die Frage nach einem « wohin » hat in hochalemannischen Mundarten eine auffallende Gestalt. Man fragt z.B. in Avers: Wo gäischt, MicheliWo gäid-er mit dene(n ) BrüterWo tuescht d'Blachte(n )?, so auch in Safien: Wo hasch d'Peitschä taa(n )? Es heisst denn auch: I(ch ) wüssti nid wo tuä(n ), « ich wüsste nicht, wohin damit », är häd g'wüsse(n ) wo-sch g'höörä(n ), « er wusste, wohin sie ( die Tiere ) gehören ».

Begriffliche Verwechslung oder Vermengung des « wo » und « wohin » kann da Ursache oder Folge sein, vermutlich beides. Tatsache ist sie in solchen Fällen wie in manchen andern. Geschichtlich kann ein unschuldiges wa, wo aus altdeutschem war, « wohin », vorliegen.

Auch der Fügung, dass man « im Bett geht oder tut oder schickt », die bei Waisern und auch in den Dörfern des Domleschg und in Tamins üblich ist, liegt eine regelrechte Wenfallfügung zugrunde: man geht in Bett ( ohne Geschlechtswort wie in der schriftdeutschen Wendung « zu Bette gehn » ), und lautlich wurde in Bett zu im Bett. Man findet denn auch Gewährsleute, die dieses im deutlich als in empfinden. Es gibt auch Talschaften und Ortschaften, wo in Bett oder i(n ) Bett gilt. In Vals, zum Teil auch in Safien, sagt man a(n ) Bett gaa(n ), a(n ) Bett sii(n ). Das ist eine altdeutsche Wendung. Sie ist bei den Waisern durch die rätoromanische ir a lüg gestützt worden, und die Fügung im Bett gaa(n ) hat natürlich an der rätoromanischen ir egl lüg, d.h. eben « im Bett gehn », Halt gefunden.

Es geht also im Grunde mit rechten Dingen zu, wenn man sagt: jetz gä-wr im Bett; gang hinacht früehafi im Bett; i(ch ) glaub, du bist z'spaat im Bett, du spinnst; i(ch ) bin froo, das-i(di ) im Bett chumm; die Mutter will jetzt de(n ) Micheli im Bett tue(n ). Solches im für in zum Ausdruck der Richtung und Bewegung ist denn auch sonst häufig: me(n ) tuet ds Fläisch im Chäller; är rüef f i ünsch im Hotel düür, « ins Hotel hinüber », und es ist kein weiter Sprung zu Sätzen wie: ufem Ofen ) gaan-i(ch ) niä, är ist z'hert. Dass sie nicht nur zustande kommen, sondern auch Bestand erhalten, dass eine übliche Fügung daraus wird, dazu hilft natürlich die von romanischer Vorstellungs-und Ausdrucksweise herrührende Unsicherheit in der Unterscheidung des « wo » und « wohin ».

Noch einmal muss ich zurückkommen auf Sätze wie: ich gaan ab gä Chüblisch, oop ga Maksût, gon Ilanz, gen Ilanz. Eigentlich müsste es in solchen Sätzen gen, gä heissen ( aus mittelhochdeutsch gein, gen, « gegen » ); sagt man dafür ga oder gon, dann rührt dies von einer Vermischung mit andern Sätzen her, in denen die Satzpartikel gan, ga steht: är ischt Un ga jrääge(n ). Langwieser Hexenprozessakten aus dem 17. Jahrhundert unterscheiden z.B. richtig: « wan er gen Chur gange » und « habe er gesagt, was gan thun? » Aber in andern Walserdenkmälern liest man etwa: « die Leute müssen gän stägen, wägen, jagen », und man stösst auf einen « weg, der gon Netz ( Net's)hus gaut ». Diese Dinge sind allenthalben im Schweizerland ungefähr gleich. Aber ein paar walserische Merkwürdigkeiten gibt es auch da ( vielleicht gehören sie auch dem Berner Oberland an ).

Gang gä Wasser! kann man in Obersaxen sagen anstatt gang gä Wasser holä(n ), ebenso gang gä Gebsä(n ), « geh Milchgeschirre holen », so auch in Vals und im Rheinwald: er ischt ga Chriis, « er ist Reisig suchen gegangen »; gang go Broot! « geh Brot holen »; är ischt gon es Chüeli, « er ist ein Kühlein holen gegangen » ( oder eigentlich eine Kuh, denn ein Kühlein hiesse es Chüetschi ). Da kann also nach der Partikel ga das Zeitwort ( in der Grundform ) wegbleiben. Doch lässt sich gang gä Wasser auch deuten « zum Wasser, zum Brunnen », d.h. als Fügung mit dem Vorwort ge(n ), ebenso der Satz: ob är au(ch ) mit-na(n ) ga Holz chämmi: die Auffassung « ins Holz » verbindet den Satz mit Ortsbestimmungen wie ga Splüügen iihi(n ). Solche Grenzfälle sind lehrreich.

Da gibt es denn noch launigere Verwachsungen: Gang ga dernaa(ch ) I « geh es holen », auch gang 's ga dernaa(ch ); er isch cho(n ) dernaa(ch ), « er ist gekommen, es zu holen »; ietz wä-wr Gebse(n ) ga dernaa(ch ), « jetzt wollen wir Gebsen holen gehen ». Da sind Fügungen mit nach in die Ausdrucksweise mitverflochten.

Also ist auch ein Blick auf nach nötig. Aus Avers habe ich Sätze wie: gang no(ch ) Wasser! « geh Wasser holen »; wir gän na(ch ) Holz; schi gänd na(ch ) W cichholder-Sluudä(n ); schi ischt chad no(ch ) dru Liter, « sie ist gerade drei Liter holen gegangen ». Mehr Aufschluss geben Sätze mit Geschlechtswort: wo gäischtno(ch ) d'Gäis, « wohin gehst dudie Geissen holen »; söll-i(ch ) oop no(ch ) ds Ross? « soll ich hinab das Ross holen? »; wiltii über noo(ch ) d'Chüä? « willst du hinüber und die Kühe heimtreiben? »; i(ch ) will noo(ch ) ds andera Schöpf i, « ich will den andern Schöpflöffel holen ». Solches nach als Vorwort mit dem Wenfall ist offenbar eine Seltenheit. Das Idiotikon ( 4, 637 ) kennt dergleichen nur aus dem Hasletal: i(ch ) mües no(ch ) nach ) nes Brooili ( gaan ); i(ch ) wollt na(ch ) ne(n ) Fläsche(n ) Wasser; er ist geschter na(ch ) d' Ewigkeit, « er ist gestern gestorben »; ig wollt na(ch ) ds Wiib, « ich will dem Weib entgegengehen ».

Vielleicht stammt der Wenfall aus entsprechenden Fügungen mit um: du gäischt um Lauch; er ischt um en G'hulz, « er hat eine Garbe Kleinhanf geholt » ( Schanfigg ); die Pürter kommen nach Cresta heraus um schi, d.h. um die entlaufenen Geissen zu holen ( Avers ).

Ferner sind Wendungen mit ze gebräuchlich: mer gänt z'gadme(n ), « wir gehen helfen beim gadmen, beim Aufrichten eines Stalles ». Walserisch ist auch z'verliere(n ) gaa(n ) « verloren gehen »: Näme(n ) gänd vili z'verliere(n ), « Ortsnamen gehen viele verloren »; er häd es Gemsch z'verliere(n ) g'schosse(n ), « er hat eine Gemse geschossen und musste sie liegen lassen » ( Safien ). Eine Grundformfügung mit ze ist auch altes z'nüechtere(n ) nä(n ), « etwas vor dem eigentlichen Frühstück geniessen », auch z'e(n)tnüechtere(n ) nä(n ). In Obersaxen ist aus der Wendung ein sächliches Hauptwort ds Ernüechtere(n ), « das erste Frühstück », entsprossen.

Beliebt ist in den Berner, Walliser und Walser Mundarten das Vorwort ze vor dem dritten Fall von Eigenschaftswörtern; daraus ist eine besondere Art Umstandsbestimmungen entstanden: z'blultem dahär cho(n ), « nackt daher kommen »; man macht etwas no(ch ) z'vollem fertig, « vollends fertig »; mit Mehrzahlformen z'gliiche(n ), « zugleich », z'meischte(n ), « meistens ».

Eine beachtenswerte Umstandsbestimmung mit zu und Hauptwort ist zum Tag im Sinne von « täglich »: man steigt noch oft zum Tak die Treppe hinauf; was ist daas? en Liter Milch zum Tak! davon kann der Hüterbube doch nicht leben ( Avers ).

Die Walser gehn nicht nur z'Chikhe(n ), zur Brädig, sondern auch z'Châller. Zwei Pirger ( Wildheuer ) sind bi dar Juuzete(n ) rächt z'Luft g'fare(n ), « aufgefahren vor Verwunderung »; auch erschreckte Gemsen juckend z'Luft, « in die Höhe ». Ein Kranker ist zufrieden, wenn er nur wieder z'Bei(n ) chund, « sich erholt ». Einen Sterbenden will man z'Himmel richte(n ) oder in der Innerschweiz z'Himmel reise(n ), d.h. mit dem letzten Troste « versehen ». Im Wallis steht solches ze für das Ziel auch vor Ortsnamen: schi gäänd, schetzi(ch ), här nid z'Ei ( n)sidlu(n ), d.h. dies Jahr veranstaltet man, wie ich glaube, keine Wallfahrt nach Einsiedeln.

Z'Wäg sii(n ) hat nicht nur den allgemein bekannten, verblassten Sinn « gesund sein »: z'wäg brunge(n ) hat der Dorfpfarrer als Arzt verschiedene Kranke, « was auf Aschüel ( einer sumpfigen Alp ) gesommert ist, bringt der Tüüfel nit mee(i ) z'wäg » — sondern Frauen sind auch no(ch ) nid z'wäg, d.h. noch nicht bereit für den Kirchgang ( Safien ); man kann die Tütschi z'wäg laa(n ), « diese Blöcke in Bewegung setzen » ( Jenatz ); man sieht einen Schwärm Vögel z'wäg flüüge(n ), « auffliegen » ( Safien ).

Dass man hingegen nicht « zu » Bette geht, sondern i(n ) Bett, im Bett, a(n ) Bett, ist schon erwähnt worden. Man ist auch nicht « zu Hause », sondern der Walser sagt: wir sind bi Huus ( Safien ). Anstatt wenn d' imstand bischt, das z'trääge(n ), hiess es früher in Avers: wenn d'bistdnd bischt. Altertümlich ist die Wendung: schi häd en Bueb g'ha(n ) bim eerschte(n ) Ma(nn ), « sie hatte einen Knaben in der Ehe mit dem ersten Mann ». Eine Krankheit kann bi Tage(n ) dauern, d.h. tagelang; die Henne hat bi Stunde(n ) immer gegackert, stundenlang. Eine alte Frau in Avers hat früher bi zwanzig, driissig Pfund in äim Winter g'spune(n ), d.h. annähernd oder ungefähr so viel; bi der Schweeri heisst « in Menge, massenhaft ». Auch das Umstandswort bü, « nahe », ist in den Gebirgsmundarten noch recht lebenskräftig, auch in Steigerungsformen: biier,«näher », biiischt, « am nächsten »: wäder bu no(ch ) nooch, « weder nah noch fern » ( Wallisd'Schaaf nämend 's bü, sie fressen das Gras knapp vom Boden weg(Prätigau ); z'Mischt, « am nächsten » ( Glaris ); er ischt bü a(n)-mer, « er ist mir nahe », er ischt mir z'bii, « zu nahe verwandt », es ischt-em bü g'gange(n ), « er wäre beinahe getroffen worden, ums Leben gekommen » ( Davos ); hat hend-sch dem Landamme(n ) afe(n ) bü g'redt, « fast an seine Ehre gerührt » ( Schanfigg ). Dieselben Gebirgsmundarten brauchen auch ein Zeitwort biie(n ), biije(n ), « sich nähern »: der Winter biiet; es biiet dem End, « es geht dem Ende entgegen », sowie ein Hauptwort Biü, Biiji, « Nähe »: uf d'Wiiti und uf d'Biin; schi sind-ne(n ) nid uf Schussbiiji zuehi(n ) cho(n ), « sie sind ihnen nicht auf Schussnähe nahegekommen ».

Sehr lebendig sind in den Walsermundarten die Umstandswörter danna und wanna. Im Neuhochdeutschen bedürfen sie des stützenden Vorworts « von »: « von wannen », « von dannen ». In den Mundarten wirken sie ohne Hilfe mit ursprünglicher Kraft: ma(n ) chunt niena zuehe(n ) und niena danna, « man kommt nirgends hinzu und nirgends weg »; er ischt uus und danna g'sii(n ), « er war hinaus und weg »; i(ch ) wetti danna, läät-mi(ch ) danna wünscht ein Kind, das vom Esstisch aufstehen will; gang-mer e(n ) bitz danna, « geh mir ein bisschen aus dem Weg » ( Safien ); ds Schloss danna schruufä, « das Schloss losschrauben »; da chasch danna strüchä bis g'nueg, « davon kannst du wegwetzen soviel du willst »; allJaar strüchensche(n ) paarWuche(n ) danna va(n ) der Jagdzit, « jedes Jahr streichen sie ( die Behörden ) ein paar Wochen weg von der Jagdzeit »; Chrüeg mit de(n ) Handhebi danna han i(ch ) g'nueg, « Krüge mit den Henkeln weg habe ich genug ». Auf Schritt und Tritt hört man Fragen folgender Art: wanna chuuscht du hüt? « woher kommst du heute? wo hat die Reise begonnen? » Wanna ischt d'Frau? « woher stammt die Frau? » ( Safien ). Wanna häit-er dia? « woher habt ihr diese? » Wanna häsch-schi b'schickt? « woher hast du sie ( die Wanduhr ) kommen lassen? » I(ch ) wäis ja nit, wanna dia Lüt ds Galt immer hän, « ich weiss ja nicht, woher die Leute das Geld immer haben » ( Avers ). Freilich nimmt man auch etwa ein von, va(n ) zu Hilfe: va(n ) wanna will ma(n)'s nä(n )? « woher will ( soll ) man es nehmen »? Wanna chuscht? « woher kommst du? » Diese Schau über örtliche Umstands- und Vorwörter ( mit einigen Seitenblicken ) ist keineswegs vollständig.

Die Gebirgsmundarten haben auch auf diesem Sachgebiet allerlei Alt-ererbtes in Anwendung und Sinn treuer bewahrt als andere Mundarten.

Altdeutsches hat gelegentlich eine Stütze gefunden in Romanischem der Nachbarschaft.

Romanischer Einfluss hat Fügungen zustande gebracht, die deutschem Sprachgefühl sonst ferne liegen.

Mancherlei Gemeinsames ist in gemeinsamen Gelände- und Lebensverhältnissen, zumal in der Abhängigkeit von der Naturumgebung begründet.

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