Aus dem Leben der Gebirgsmundarten | Club Alpino Svizzero CAS
Sostieni il CAS Dona ora

Aus dem Leben der Gebirgsmundarten

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Von Manfred Szadrowsky.

Wenn man über Graubünden spricht, darf man allenthalben in der Schweiz auf empfängliche Ohren zählen. Land und Leute ziehen an durch urwüchsige Eigenart.

Als sprachlichen Schatz besitzt das wunderbare Bergland vor allem eine uralte und ganz eigentümliche romanische Sprache, die rätoromanische. Sie wird jetzt mehr geliebt und besser behütet als ehedem und kann so zum Glück noch jahrhundertelang erklingen.

Auf dem reichen Bündnerboden wachsen auch zwei alemannische Rede-weisen, zwei gründlich verschiedene.

Wir wandern aus dem Bündner Rheintal in Seitentäler hinein, aus der Herrschaft ins Prätigau und nach Davos hinauf oder von Chur ins Schanfigg, auch nach Churwalden und Parpan, oder von Thusis ins Tal des Hinterrheins dem Splügen zu oder nach Avers, aus dem Vorderrheintal nach Safien hinein, von Ilanz nach Obersaxen oder nach Vals: wir wandern ein Stündlein oder ein paar Stunden, da hören wir schon nicht mehr die Churer Mundart, die feine Sprache des Bündner Rheintals.

Jene Talschaften und Berghänge haben ihr Deutsch eben nicht, wie das Rheintal, aus der untern Schweiz erhalten, sondern dort sind seit dem 13. Jahrhundert Walser ansässig, das heisst Einwanderer ( ursprünglich besonders Bergbauleute und Krieger ) aus dem obern Wallis und aus den ennetbirgischen Walsertälern, besonders aus Pomat.

Das Wallis selber verdankt sein Deutschtum den Alemannen des Berner Oberlandes.

Die Walser in Graubünden sind also nahe Vettern der Berner Oberländer, und ihre Mundarten gehören aufs engste zusammen. Das Ohr merkt es sogleich, die Wissenschaft bestätigt es und nennt diese Mundartengruppe Hochalemannisch oder Höchstalemannisch als Sondergruppe innerhalb der südschweizerischen Mundarten, zu denen auch die der Innerschweiz gehören.

Ein paar eigenartige Erscheinungen des Satzbaues in den Gebirgsmundarten sollen nun mit vorwiegend walserischem Sprachgut dargestellt werden. Es wäre schön, wenn Bern und Wallis sich bald auch zum Worte melden würden.

Bezeichnungen für das örtliche Ziel fallen durch die Genauigkeit und Mannigfaltigkeit der ortbestimmenden Vor- und Umstandswörter auf.

Der Averser oder Avner geht nicht « nach Campsut », « nach Juf », « nach Pürt », sondern er sagt: i(ch ) gon oop ga Maksût, uf Maksûr uuf ( ein Maiensäss oberhalb Maksut ), i(ch ) hän d'Chua a(n ) Joof iihi(n ) g'schickt: die Hütten und Weiden von Juf liegen eben « am » Bergjoch und im Tal « drinnen », also geht man a(n ) Joof iihi(n ), und von da geht man uus a(n ) de(n ) Krästa, « nach Cresta hinaus », ferner von drinnen oder draussen zu ds Loorelsch Huus, zu ds Podistaats Huus ( beides sind Hof namen ), von Cresta dar ( eh ) am Blatta, nach Piatta hinüber — da geht 's nämlich weder merklich auf noch oop, sondern dür(ch ).

Die Ortsangabe kümmert sich also um die genaueren Raumverhältnisse, um das Gelände, um die « Gelegenheit » des örtlichen Zieles. Vorstellung und Bezeichnung beachten und bewahren das Eigenwesen dieser und jener örtlichkeit.

In Safien geht man iihi(n ) oder uus zum Tura, uus zur Nüw-Chilcha ( nicht « nach Neukirch » ), z'Platz ( nicht « nach Safien-Platz » ), auf ins Häfeli, i ( n ) de ( n ) Türr-Ast, uf Bääch uus, Uhi ( n ) uf de ( n ) Büel, uuf uf Glas, uus ga Tusä, uus ga Chur ( nicht « nach Thusis, nach Chur » ), uus ans Eggschi; wir gäänt ds Sunntik a(n ) Verdüus, a(n ) Scalûtta, a(n ) Vereina: das sind romanisch benannte Alpen « am » Abhang der Berge.

Auch der Davoser geht a(n ) d' Alpa, a(n ) d'Schatzalp, a(n ) de(n ) Slaafel, ferner a(n ) oder uf Parsénn, aber immer uf lisch ( « Ischa-Alp » ), uf Altein, uf de(n ) Wolfgang, das ist eben eine Passhöhe, uf Scalétta, den Scalettapass, uf Flüela-Hospiz, aber a ( n ) Flüela, wenn die Alp gemeint ist. Man geht i(n ) Dischmd, i(n ) Sertig, nämlich « hinein » in diese Seitentäler, i(n ) d'Siibel-Matta ( d.h. « runde Matte » ), in oder im Mo(n)stéin, auch On Mo(n)stein: das Tal Monstein und das Dorf Monstein sind eben nicht das- selbe. Nach aussen, ausserhalb der Gemeinde, gilt gä(n ): er gäid gän Alveneû, gä Lenz, ab gä Chüblisch, Schiers, Chur — mit einigen Ausnahmen: a(n ) d'Wisa ( nach Wiesen ), a(n ) d'Schmüta ( nach Schmitten ), zum Chlooschter ( nach Klosters ).

Schon im Davoser Spendbuch von 1562 erscheinen denn auch z.B. « huss und hof, gelegen an Glaffadell », ferner eine Spende « ab einer gadenstatt an der Alpen »; « vierthalb kuoweid, gelegen in Persenn » steht in einer Spende aus dem Jahre 1544, dagegen 1560 in der Erneuerung derselben Spende « vierthalber kuoweid an Parsenn », wie der Davoser noch heute a(n ) oder uf Parsenn geht. Nach dem Kirchenbuch von Avers sitzen ( vor 1655 ) im Kirchenrat Hans Rüedi an Joff, Cristen Joss an Crästen, Thoma Stoffel an Blatten neben Hans Hassler in der Pürt, Jacob Wolff auss Madrisch — ganz entsprechend den heute lebendigen Fügungen.

Das Schweizerische Idiotikon ( 1, 250 ) verzeichnet aus dem Wallis an Jungen ( auf der Alp Jungen, auf die Alp Jungen ), aus dem Bernischen am Berg sii(n ), « sich auf der Alp aufhalten », aus dem Berner Oberland a(n ) Berg sii(n ), « auf den Berg gegangen sein ».

In der altern Sprache und noch häufig in den Mundarten steht auch sonst an im Sinne eines neuhochdeutschen « in, auf »: in Davos sagt man sich an Wäg mache(n ), « sich auf den Weg machen, eine Reise antreten ». Umgekehrt gilt auch, und zwar gerade in Graubünden, in im Sinne von « an »: as stäid imma Räintschi, « es steht an einem Rainchen ».

Für in mit dem vierten Fall im Sinne von « nach », er gäid i(n ) Sertig, gibt das Idiotikon ( 1, 286 ) zahlreiche Belege aus der altern Sprache, besonders mit Ländernamen, z.B. « begab sich in Holland », d.h. nach Holland ( 1791 ), « Lachen, ein grosser Pass in Pündten », d.h. nach Graubünden ( 1692 ), « zugen heim in Walles » ( Thomas Platter, 1572 ). Das Idiotikon fügt bei: « jetzt mit dem Artikel i(n )'s Wallis », verzeichnet immerhin aus dem Wallis i(n ) Aletsch f are(n ) mit der Bemerkung « früher durchweg so ». Bei den Waisern in Graubünden ist die ältere Fügung noch gäng und gäbe; man geht ab in Prättig ( nicht « ins Prätigau » ).

Nach dem Wörterbuch von Paul ist die schriftdeutsche Verwendung von nach anstatt in vor Städte- und Ländernamen ( z.B. « nach Deutschland » ) dadurch veranlasst, dass sonst der Gegensatz von Ruhelage und Richtung nicht hervorträte. Dieser Gegensatz ist nun eben gerade den Gebirgsmundarten in romanischer Nachbarschaft beinahe gleichgültig. Da kann denn einer i ( n ) Monstein su ( n ) oder i ( n ) Monstein gaa(n ), a ( n ) Flüela bliibe ( n ) oder a(n ) Flüela cho(n ); der Davoser schickt so gut wie der Avner einen Sohn i(n ) Amerika, und ein Splügner Hirte urteilt, die Amerikaner hätten nicht sollen Truppen in Europa use(n ) schicke(n ). Da ist offenbar ein älterer deutscher Sprachgebrauch durch romanischen Einfluss gestützt worden.

Mit Verhältnissen der romanischen Nachbarschaft lassen sich auch jene genauen Ortsbestimmungen vergleichen: er gäid uuf uf Glas. Doch zeigt die gesamte schweizerdeutsche Volkssprache, wie sich das Idiotikon ( 2, 1319 ) ausdrückt, eine Scheu vor dem Genügen am einfachen Umstands- und Vorwort, besonders wenn es sich um räumliche Anschauungen handelt; sie sagt AUS DEM LEBEN DER GEBIRGSMUNDARTEN.

lieber ins Tobel abe(n ) oder ine(n ) als bloss ins Tobel und verstärkt auch Dativbestimmungen durch entsprechende Umstandswörter: i(n ) der Stuben inne(n ). Sie tut das zum guten Teil gewohnheitsmässig und ohne besondern Ausdruckswert. Bei den Gebirgsbewohnern, den Waisern zum Beispiel, haben die Bestimmungen des « hinauf und hinab, hinein und hinaus » lebendigen Ausdruckswert, wenn es sich um Richtung oder Bewegung im Gelände handelt.

Übrigens machen die Gebirgsmundarten den Brauch auf eine eigene Weise mit.

Erstens stellen sie, wie auch romanische Sprachen, die Richtungsangabe mit Vorliebe, wenn auch nicht regelmässig, der Ortsbezeichnung voran: er gäid uuf an de(n ) Platz, « nach Davos-Platz hinauf ».

Zweitens erscheint das Richtungswort in eigenartiger Gestalt: uuf an de(n ) Platz, nicht uf-hin, ufe(n ). Das einfache uuf braucht man also auch für die Richtung, im Sinne von hin-uuf, uf-hi(n ) und her-uuf, uf-he(r ), auch im Sinne von dar-uuf, druuf.

In Avers heisst es zum Beispiel: ma(n ) mues ds Ässe(n ) uuf in d'Bäärga noo(ch)-trääge(n ); das Tobel gäid uuf, d.h. hinauf, aufwärts; dert ist stützend uuf, « dort ist es steil hinauf » ( von Casaccia zum Septimer ); nach dem Ringkampf zweier Kühe hatte die eine en Rieme(n ), en Schi ämpf e(n ) ganz rood uuf, d.h. ganz rot hinauf einen blutigen Striemen am Leibe. Hell d(i)r Gott i(n)s Himmeli uuf! wünscht man im Prätigau einem niesenden Kinde. Im Schanfigg drücken zwei Friedenschliessende die Spitzen der empor-gestreckten Zeigefinger gegeneinander, fahren mit ihnen in die Höhe, indem sie sprechen: Frid ouf bis ins Himmeli ouf!

Aus dem Idiotikon ( 1, 119 ) lässt sich entnehmen, dass der « absolute » Gebrauch des uuf eine Eigenheit der Walliser und Walser Mundarten ist.

Übrigens verhalten sich die Wörter ab, un, uus, durch, über nicht anders als uuf. Bei allen ist kein hin, her nötig, um die Vorstellung des durchlaufenen Raumes mit auszudrücken.

Der Avner sagt: wir hand oop, was wr hän träägä(n ) möge(n ), d.h. « von der Alp herab » geholt; ds Walter duuret eender, wann der Moonä oop gäid, « wenn der Mond hinabgeht ». Gang ii(n )! sagt der Avner, wenn man in die Stube hinein soll, dagegen gang ii(n)-hi(n )! geh hinein ins Tal, taleinwärts. Ein Splügner Hirte erzählt: i(n ) dem Stall stüpt 's, es stüpt ii(n ), « es stiebt Schnee hinein »; dia gäid in de(n ) Hafen il ü(n ), diese ( Kuh ) geht in den Kochtopf hinein, ist zum Schlachten bestimmt; i(ch ) stör schi ii(n ), « ich treibe sie ( die Kühe ) einwärts », und über einen Zeitungsberichterstatter: dä(r ) kriegt en Tschuppe(n ) Franke(n ), wann er so en Dräck ii(n)-tuet, in die Zeitung bringt. Ein Valser oder Valier will aus dem Bach Fische uus-faa(n ), herausfangen, ein Avner den Milchkübel uus lüftä(n ), « ins Freie hinauslüpfen », Molken uus träägä(n ), von der Alp ins Tal hinaus. In den Stammbäumen des versicherten Viehs gäit 's in Muetter und Vatter no(ch ) vil witer uus, noch viel weiter hinaus, zurück. Valserisch heisst es: Träg-mr de(n ) Brief uf Post dür! ( nicht düre(n ) wie andernorts ); über gaa(n ), « hinübergehen », über den Berg.

Im altern walserischen Schrifttum lässt sich die Sache auch beobachten. In der Davoser Kirchenordnung von 1466 steht als Grenzbestimmung: « die gassa, die gen Prawogaw uffgatt, von der selben gassen gerad uff und ouch von der selben gassen gerad ab und über das Lantwasser gerad über ». Nach dem Davoser Spendbuch aus dem 16. Jahrhundert stösst ein Gut « auf an die allmein, ab an Christen Müllers erben guot, in an ander sein eigen guot, auss an Clauss Rüedis guot » — nach dem lebenden Sprachgebrauch reicht ein Gut immer noch uuf bis an den Zun, ab bis a(n ) ds Wasser, un bis an de(n ) Wald und uus bis an de(n ) Bach.

Es ist schon angedeutet worden, dass es auch in den Gebirgsmundarten erweiterte Formen der Umstandswörter gibt, wie aapper, uoher, iiha, Uhi, also Zusammensetzungen mit her und hin. Sie verdienen noch besonderes Augenmerk, nämlich wegen ihres lebendigen Ausdruckswertes.

Der Schweizer verwendet sonst ufe gleichgültig für ein « wohin » und « woher »: er goot ufe, er chunt ufe, so auch abe, use, ine, das heisst die Zusammensetzungen mit -hin und -her sind lautlich zusammengefallen, zudem im Ausgang dem « wo » gleich: obe, unne, inne, usse.

In den Gebirgsmundarten gelten noch deutlich unterscheidende Wortgestalten. Das « wo » drücken, bei den Waisern zum Beispiel, Wörter mit dem Ausgang -a aus: obna, dobna, unna, dunna, dussna. Die Zusammensetzungen mit -hin unterscheiden sich von denen mit -her, oder der Unterschied zwischen « hin » und « her » ist dadurch gewahrt, dass für die « hin»-Richtung das einfache Wort gebraucht wird ( uus, un, uuf, ab ), für die « her»-Richtung die Zusammensetzung mit -her,har ( apper, iiha ). So sagt man in Avers: chumm iiha, « komm herein in die Stube », aber gang il, « geh hinein in die Stube », gang Uhi, « geh hinein ins Tal ». In Davos heisst es: er chund aapper, uocher, aber er gäid aap, uuf; es kommt einer uber-her, d.h. über den Berg her, aus dem Schanfigg, heimwärts geht er dann über de(n ) Barg dar. In einem Davoser Kinderspruch lautet eine Stelle: Hans Peter Suur-nagel singt uuf und g'hiit aher — nicht etwa ufe und abe, wie es in der untern Schweiz hiesse. Entsprechendes lässt sich in allen Walsergegenden feststellen, daneben freilich auch etwa ein Ausgleichen, z.B. aappä für « herab » und « hinab ».

Als Conters im Prätigau noch keine Kirchenglocke hatte, ging jeden Sonntag früh ein Mann bei den Häusern und Höfen herum, der rief: Kommet apper und kommet ueher, kommet von allen Säten zueher, ünschere Heer will predigen!

Die Schriftsprache würde das apper in « herab » umkehren, anstatt ueher, zueher würde sie « herauf, herzu » sagen. Kennzeichnend für die schweizerische Volkssprache ist bei diesen Ausdrücken die Nachsetzung des -her,hin.

Die dem Neuhochdeutschen entsprechende Stellung kennt das Schweizerdeutsche, doch nur im Wallis und dessen südlichen Aussenorten, ferner in Unterwaiden in Verbindungen von Ortsadverbien mit aber im Sinne von « wieder »: aber-uuf, meist in verstümmelter Form ambruuf, amuuf mit der Bedeutung « hinauf », amaap, « hinab », amuuber « hinüber », amüm, « zurück », embricha, « herein »: der Föön isch ds Gangs embricha g'hiü, der Föhn stürzte plötzlich einher; es geht garrod umbruuf, gerade hinauf.

Das Schweizerische Idiotikon ( 1, 41 ) führt aus, die Verwendung des aber im Sinne von « wieder » in solchen Richtungsausdrücken habe ihren Grund darin, dass das Leben der Gebirgsbewohner weit mehr als das der Bewohner des übrigen Landes eine beständige Wiederkehr von Gängen auf und ab, ein und aus ( zwischen Haupt- und Nebental ) mit sich bringt. Hier ist also ein Einfluss des Geländes auf Wortbildung und Satzbau erwogen und behauptet.

Auf die eben dargestellten Ortsbestimmungen, z.B. die umständlichen und wahrhaft gegenständlichen Angaben a(n ) Joof Uhi, oop ga Maksut, uf Maksur uuf lassen sich denn auch Gedankengänge über den Sprachgebrauch der Naturvölker anwenden, die der Indogermanist Havers dargestellt und der Berner Germanist Singer auf andere Tatsachen des Mund-artenlebens bezogen hat. Es handelt sich um die « enumerative » Redeweise, welche Handlungen, besonders Bewegungen, in Teile zerlegt: i(ch ) gang 's ga hole(n ) für die Tatsache « ich hole es » und dergleichen. Das Entscheidende ist nach Havers das innige Verhältnis zur Natur und die grosse Abhängigkeit von der Naturumgebung. Wem in der umgebenden Natur nichts gleichgültig ist, der wird auch geneigt sein, bei der sprachlichen Wiedergabe von Beobachtungen die Weise der « enumerativen » Aneinanderreihung zu befolgen. Da führt Havers denn auch aus, in den Sprachen der Naturvölker finde man eine peinliche Genauigkeit und Verschwendung bei der Bezeichnung alles dessen, was die Stellung im Räume betrifft, und so sei auch die « enumerative » Redeweise der Kultursprachen zu einem grossen Teil bedingt durch die anschaulichen Raumvorstellungen.

Es ist verlockend, diese Gedanken auf die Vorstellungs- und Redeweise der Bergbewohner anzuwenden: leben sie doch unter ganz besonders ausgeprägten Raumverhältnissen. Sie empfinden es stark und drücken es darum auch besonders aus, ob ein Weg oder ein Gang, vielleicht mit schwerer Last oder mit dem wahrhaft lieben Vieh, uus oder an führt: das kann in Berggegenden sehr zweierlei sein, gründlich verschieden nach Gelände und Wegsame und Ansprüchen an den Gänger oder Fahrer. Und wie spürbar verschieden sind erst das uuf und aapes ist schon « der Mühe wert », es auszudrücken. Deutlich und empfindlich scheidet sich auch die Gesamtausdehnung des uuf und aap von der Erstreckung des uus und un, die Witi und Breiti von der Hööhi und Tiefi.

Wie wesentlich und wichtig Ort und Raum für ländliche Bevölkerung, zumal im Gebirge, sind und wie dadurch Begriffe und Wörter beeinflusst werden, das kann man z.B. am Wort Land beobachten. Land ist im Schweizerdeutschen, abgesehen von geographischen und politischen Bedeutungen ( Baselland, Fürstenland ) der ertragfähige Boden, also z.B. Acker-Land, Wis-, Chorn-, Streui-Land. Weid-er i(n ) d'Länder? fragt man im Glarnerland Leute, die auf ihren Acker in der Allmeinde an die Arbeit gehen. Im Zürichbiet ist Land besonders Acker- und Wiesboden im Gegensatz zu den Weinbergen, in Uri im Gegensatz zum unbebauten Boden im Hochgebirge, besonders zu den Schneefeldern. Im Wallis heisst Land auch « Erdreich »: die geringste Sorte von Reben laat-me(n ) im Land hocke(n ), man hält sie niedrig. Mit Land kann auch das offene Feld, abgesehen vom Ackerbau, die Weite gemeint sein: g'rad i(n)s Land luege(n ) heisst gerade vor sich hinsehen ( Aargau ). Land ist denn auch das weite, offene, flache, tiefe Land, besonders im Gegensatz zu den Bergen ( eigentlich das für den Ackerbau günstige Land ), Tal, Niederung. Diesen Sinn hat das Wort z.B. schon im Zürcher Oberland, und dort bezeichnet man als Land auch bestimmte Gegenden, nämlich die flacheren Teile der Bezirke Uster, Pfäffikon. Im Kanton Glarus ist Land nach der Richtung des Haupttals auf den Nordwesten festgelegt. Der Toggenburger Ulrich Brägger schreibt 1780: « Im Land unden ( Bern, Solothurn, Baslergebiet ), landwerts, bis ins Teutschland ist ein grosse Trockne. » Zumal in den Gebirgsgegenden kommt der Gegensatz zwischen Berg und Tal in den Wörtern Berg und Land stark zum Ausdruck: « Es ist ein grüselichi Schneelöuwi us dem Gebirg in 's Land hinabgeschossen », schreibt der Graubündner Ardüser 1609. Jetzde gat 's bald ou(n ) Land sagen die Glarner vor der Alpfahrt. Wos bringest-nis niws vom Land? fragt man in Alagna Besucher auf der Alp. D's Land uus heisst im Prätigau « talauswärts ». Im Land nümme ( r ), aber im Bäärg sehe man bei jedem Hause e ( n ) Blakte ( n)-Bed, ein kleines Grundstück mit Blakten, so erzählt ein Mann aus Küblis. Das im Sommer vorläufig in den Heuschobern auf den Bergen untergebrachte Heu müssen die Bündner im Winter z'Land oder a(n ) d's Land bringe ( n ) oder zieh(n ) oder schlittne(n ). Auf die Frage: Sid-er fertig mit Heue(n )? erhält man die Antwort: Am Land wol, aber no(ch ) nid i(n ) der Alpa und im Barg, und zwar ist in Davos mit dem Land besonders das Haupttal im Gegensatz zu Tal gemeint, das heisst zu den Nebentälern.

Das Schweizerische Idiotikon ( 2, 973 ) verzeichnet aus Uri hooch im Sinne von « fern » in der Redensart: weder hoch no(ch ) nooch, d.h. weit und breit, ist niemer g'sii(n«eine für ein Bergland nahe liegende Vertauschung der Höhendimension an die horizontale Erstreckung ». Hooch-Liecht, Hö(ch)-Liecht heisst in Gebirgsgegenden ( Berner Oberland, Wallis, Graubünden ) « der Himmel um den Zenith », die « Höhe des Himmels », « der helle, über und an den Bergkämmen von der Tiefe des Tales aus sichtbare Sonnenglanz »: « Oben am Rande der Felswand steht eine Baumgruppe gegen das Hochlicht. » Aufs örtliche übertragen bedeutet Hooch-Liecht « Bergkamm, Berggrat »: dem Hooch-Liecht naa(ch ), « den Bergkamm entlang », und das Wort kann die Höhe des Bernhardinpasses bezeichnen und andernorts zum Bergnamen werden. Da in Berggegenden durch die Gebirgskämme der Horizont begrenzt wird, bekommt Hooch-Liecht auch den Sinn « Horizont, Gesichtskreis ».

Zur Ortsbestimmung dienen und dienten sehr häufig die Himmels- und Windrichtungen, auch Sonnen- und Schattenlage. Nach dem Davoser Spendbuch stösst z.B. ein Gut « abwerd an die landstrass, f önenhalb ( südlich ) an des Kauffmans stuck, kaltenwindshalb ( nördlich ) an David Buols guot, ufwerd an Aberham Ardüsers syn wybs Selfiboden ». Im Idiotikon ( 2, 1169 f. ) sind zahlreiche Belege für bisenhalb « auf der Nordseite », windshalb « von oder auf der Windseite ». Noch mehr Wendungen stehen im Spendbuch zur Ver- fügung: ( tmorgenthalben, mittentag, abenthalben, gegen miüernacht », ferner « sonyhalb und litzihalb, sonyhalb und abyhalb », d.h. sonnenhalb und schattenhalb, auf der Abseite. Seewersunnisita und Seewerlitzisita heissen die Sonnen-und die Schattenseite des Davosersees, Seewersunnihalb und Seewerlitzihalb sind Namen von Nachbarschaften.

Aber von Namen sollte nicht die Rede sein, sondern nur von der Treffsicherheit, mit der der Gebirgler die Raumverhältnisse erfasst und wiedergibt.

( Schluss folgt. )

Feedback