Ausflug nach dem Wallis (1855) | Club Alpino Svizzero CAS
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Ausflug nach dem Wallis (1855)

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Von Gustav Ott-Daeniker

Mit 2 Bildern ( 114, 115 ) ( Zürich ) Notizen aus einem Tagebuch, geschrieben im Jahre 1855, von Gustav Ott, Landschaftsmaler, in freundlicher Weise von Herrn Alfred Ott, Sektion Les Diablerets, Prilly, zur Verfügung gestellt. Wir geben den Text ohne besondere Änderung wieder, da er in interessanter und anschaulicher Weise eine Fahrt, die vor rund 100 Jahren stattfand, wiedergibt.M. Oe.

« Ende September des Jahres 1855 hatte ich Gelegenheit, das mir bis dahin unbekannte Wallis zu besuchen. Das zweifelhafte Wetter konnte mich nicht zurückhalten, und so verliess ich Zürich an einem Abend, um am nächsten Morgen Bern zu erreichen. Den Weg nach Luzern hatte ich öfters bei Nacht, und zwar bei Mondschein, gemacht und es war eine Wonne, durch den friedlichen Obstbaumwald des Cantons Zug dem herrlichen Vierwaldstättersee zuzufahren. Auf meinem heutigen Wege aber umfing mich eine nasskalte, finstere Nebelnacht, als ich in Baden aus dem Waggon trat, und lange dauerte es, bis Koffer, Schachteln, Mäntel und Reisende in ihre Ecken gepackt waren. Endlich war Alles in Ordnung, die Portieren wurden zugeschlagen, der Conducteur rief sein „ vorwärts ", der Postillon knallte mit der Peitsche, und fort rasselte der Eilwagen über das Pflaster auf die Landstrasse. Endlich fand ich auch die gewünschte Ruhe, und nur einmal weckte mich ein auf mir liegender nachbarlicher Kopf, der dann aber zur Abwechslung sich zu meiner Befriedigung nach der entgegengesetzten Seite kehrte. Mein Wunsch erfüllte sich, denn erst bei Tagesanbruch erwachte ich, als wir über die dampfende Ebene des Cantons Bern fuhren. Der schönste Herbstmorgen lag auf derselben; schon zogen die Leute aufs Feld, und ein wolkenloser Himmel verkündete einen prächtigen Tag. Gleichmässig forttrabend passierten wir da und dort die am Wege liegenden Dörfer. Noch nie war mir dieser Canton so freundlich und wohnlich vorgekommen. Meine Furcht vor Regen hatte der Hoffnung auf schönes Herbstwetter Platz gemacht, und schon waren meine Gedanken an der stillen Fläche des Thunersees und an den leuchtenden Schneebergen des Oberlandes. Einmal noch wurden die Pferde gewechselt, und gegen sieben Uhr fuhr der schwere Eilwagen in die Bundesstadt ein. Emsige Markt- und Morgengeschäftigkeit war auf allen Strassen, und freundlich blickte die Sonne in dieselben hinein. Die Platteform, die ich besuchte, ist ein wahrhaft herrlicher Punkt; jenseits der tief unten fliessenden blaugrünen Aare breitet sich eine fruchtbare Ebene aus, und über diese fliegt der Blick schon den weissen Bergspitzen zu. Zürich mit seinem See ist eine schöne und freundliche Stadt, das stolze Bern aber mit seinem gothischen Münster, seinen festen, alterthümlichen Häusern und Arkaden, der es tief umfliessenden Aare und der prächtigen Nideckbrücke hat nur eine Rivalin — das vom Tajo umflossene Toledo. Die Lage Zürichs ist ohne Zweifel unvergleichlich; seine Gebäude aber stehen in Bezug auf Architektur nicht nur in keinem Verhältnisse unter sich, sondern auch in keinem zu der es umgebenden Natur.

Wenige ehrwürdige und imponirende Gebäude, wie das Grossmünster, das Fraumünster, die Meise, die neue Post und andere werden erdrückt durch eine Unzahl von Neubauten, indem oft ein ganz abentheuerlicher, meistens aber gar kein Geschmack herrscht, weil derselbe dem Nutzen und der Bequemlichkeit weichen musste. Handel und Industrie haben einen, wenn schon nach vielen Seiten sehr wohlthätigen, doch in Bezug auf Architektur und äusseren Eindruck eher nachtheiligen Einfluss auf die Stadt, deren Umgebung und einen grossen Theil der Seeufer ausgeübt. Im Canton Bern baut der Landbewohner sein Haus auf Bernermanier; nicht nur er, sogar Wirthe und Städter haben Wirthshäuser und Villen in diesem Style, und dass sich darin eine fröhliche, freundliche und friedliche Ländlichkeit ausdrückt, wird wohl Niemand bestreiten wollen. Im Canton Zürich ist 's oft umgekehrt. Jedes neue Haus soll ein Herrenhaus sein und vier flache, weisse Mauern haben; denn das ist schön und vornehm und die originellen zürcherischen Bauernhäuser mit den grossen Dächern sind etwas der Neuzeit unwürdiges; während doch sie einzig den Stempel freundlicher Ländlichkeit tragen. Im ganzen Bernerbiet haben die Wohnungen einen ausgesprochenen und durchgehenden Charakter von der Gemüthlichkeit, der nur in Einzelnheiten Veränderungen unterliegt und selten durch etwas anderes verdrängt worden ist. Wie das Land, so hat auch die Stadt ihr einheitliches Gepräge, und dieses war mir heute in seiner Grösse und Schönheit wieder deutlich vor die Augen getreten.

Bald musste ich jedoch wieder zur Post zurück und rollte nun in Begleit eines Bekannten dem freundlichen Thun zu. Er kannte das Wallis, hatte die über 13 000'hohe Cima di Jazi bestiegen und ist ein warmer Freund der Alpenwelt, dessen Auskunft sehr interessant und mir sehr erwünscht war. Häuser, Gärten und Felder flogen an uns vorbei, und höher und höher erhob sich der Niesen. Bechts dehnte sich das fruchtbare Aarthal aus, und die ganze Landschaft lag in ungetrübtem Sonnenschein. In Thun war der Hauptzug der Fremden schon vorbei, und als einziger Reisender nach Frutigen vertauschte ich den schweren Wagen gegen einen einspännigen Char-à-banc, wo ich in aller Ruhe mich des herrlichen Anblicks erfreuen konnte, den der Thunersee an einem schönen Nachmittage gewährt. Wir waren an den letzten Bäumen des Landgutes Schadau vorbei, und nun lag er da in seiner ganzen Grösse, nur durch eine Wiese von der Landstrasse getrennt. Über dieser dehnte sich die ruhige Wasserfläche bis an den fernen Fuss des Niesen'und der Oberländer, welche durch die wärmegetränkte Athmosphäre noch grösser weiter entfernt als gewöhnlich erschienen. Links spiegelten sich die ebenso glänzenden als malerischen Dörfer von Oberhofen und Hilterfingen, und vor uns lag das mittelalterliche Spietz. Sanft steigt nun die Strasse an und zieht sich unvermerkt auf das breite Hügelplateau, welches den See auf dieser Seite unmittelbar begrenzt und sich von dem andern Ufer oder vom Dampfschiff aus gesehen als Übergang zu der dahinterliegenden Bergpyramide so schön ausnimmt.

Es ist wohl nicht zu gewagt, zu behaupten, dass kein Punkt in der Schweiz die Grösse der Alpenwelt und das lachende Bild eines Sees in so glücklicher Weise vereinigt, wie diese Gegend. Die grössten Gegensätze, die fruchtbare Ebene und die Spitzen der Gletscherwelt sind hier durch so schöne Übergänge vermittelt, dass sie ein harmonisches Ganzes bilden, was kaum wo anders in dieser Vollkommenheit zu treffen ist.

Nun biegt die Strasse rechts über den Hügel, um sich in das Frutigerthal hinabzusenken, und verschwunden ist die schön bewaldete Halbinsel, deren Bäume sich als tiefes Blaugrün spiegelten, verschwunden ist der See mit der ganzen Fernsicht. Man nähert sich der Kander und gelangt bald darauf nach Müllenen. Bis hieher war ich allein gewesen mit dem in einer Person vereinigten Postillon und Condukteur; hier aber holten wir einen Engländer ein, den ich schon im Wagen zwischen Thun und Bern gesehen hatte und der gegen alle Gewohnheit seiner Landsleute eine wirkliche Fussreise in der Schweiz machte und nur soviel Gepäck hatte, als er selbst tragen konnte. Er wollte, wie ich, über die Gemmi nach Visp und Zermatt und dann aber — was ich nicht im Sinne hatte — den Monte Rosa noch besteigen, wie er den Mont Blanc, seiner Aussage nach, voriges Jahr bestiegen hatte. Er behandelte dieses als ganz leichte Sache, und ich konnte desshalb nicht verhindern, dass einige Zweifel über seine Aussagen in mir aufstiegen. Den Weg nach Frutigen hatte er zu Fuss machen wollen, um seine, seit vorigem Jahre ausser Übung gekommenen Glieder wieder zu gewöhnen; in Müllenen aber schmerzte ihn sein Fuss und er zog vor, den Char-à-banc mit mir zu theilen, wo er mir nun seinen Reiseplan auseinandersetzte. Da ich Chamoni aus eigener Anschauung kenne und den Mont Blanc aus den vielen im Druck erschienenen Besteigungen desselben, so erlaubte ich mir verschiedene Fragen an ihn zu richten, um mich von der Wahrheit seiner Aussagen zu überzeugen. Bald war er im Fluss der Erzählung, und schon fing ich an, daran zu glauben, als er mich fragte, ob ich Herrn Albert Smith kenne oder schon von ihm gehört habe. Ich bejahete das Letztere, da ich wusste, dass Herr A. S. in London sehr besuchte und unterhaltende, obgleich etwas bänkelsängerartige öffentliche Vorlesungen über seine Besteigung des Mont Blanc gehalten und mit diesen ein bedeutendes Vermögen sich erworben hatte. Diese Frage aber erweckte nun wieder den Verdacht in mir, meines Reisegefährten Weg nach dieser Spitze könnte vielleicht eben nur in Herrn Smiths Salon in London gemacht worden sein, denn immer wollte es mir scheinen, wenn man auch nur den Mont Blanc oder Monte Rosa besteige, um davon den Namen zu haben, so gehöre doch immer noch eine gewisse Begeisterung für die Alpenwelt dazu, einen solchen Entschluss zu reifen; aber von dieser bemerkte ich nichts und konnte mir desshalb auch nicht denken, was diesen Herrn eigentlich noch so spät im Jahre auf den Monte Rosa bringen könne. Dieses Räthsel nun löste sich dadurch, dass er mir endlich gestand, er sei selbst im Begriffe, wie H. A. S. Vorlesungen in England zu halten, und wolle desshalb, um neuen Stoff zu haben, den Monte Rosa ersteigen. Ich wünschte ihm nun Glück zu seiner Unternehmung, konnte mich aber nicht enthalten, es als ein charakteristisches Zeichen unseres industriellen Jahrhunderts anzusehen, dass die Grösse unserer Bergwelt nun auch auf diese neue Art von der Spekulation ausgebeutet wird. Jetzt hatte ich keine Ursache mehr zu zweifeln, aber der Zweck dieses Unternehmens liess mich dasselbe natürlich in einem etwas andern Lichte sehen, und der bekannte jesuitische Grundsatz ist hier vielleicht nicht am ganz unrechten Orte angewendet; wer mit Liebe und Pietät die Wunder der Alpenwelt betrachtet und erforscht, muss doch wahrhaftig anders beurtheilt werden als derjenige, der Ungewöhnliches und Abentheuerliches in derselben aufsucht, um damit ein zahlendes Publikum zu amüsiren.

Wir blieben in Frutigen über Nacht und trafen daselbst beim Nachtessen mit einem andern Engländer zusammen, der mit seinen drei Töchtern reiste, lauter hübschen, ausnahmsweise schwarzäugigen Engländerinnen. Dieser hatte nicht minder abentheuerliche Pläne; er wollte auch nach Zermatt und von hier mit seinen Frauenzimmern und zwei von England aus absichtlich für die Schweizerreise mitgenommenen Pferden über das mehr als 10 000'hohe Matterjoch nach Tournanche und Chatillon gehen. Dieses ist eine unerhörte Tour für Frauenzimmer, denn man hat vier Stunden lang über den Theodulsgletscher zu gehen und nur nach schneereichen Wintern, wo die Schründe ausgefüllt sind, kann dieser Pass mit Vieh und Pferden befahren werden. Da zwei Pferde für drei Frauenzimmer bestimmt waren, so sassen die zwei jüngern nebeneinander auf einem ebenfalls aus England gebrachten zweiplätzigen Sattel, und so sahen wir sie den nächsten Tag die steile Wand auf der Südseite der Gemmi hinunterreiten. An einer der steilsten Stellen holte ich die kleine Caravane ein und war begierig, zu sehen, welchen Eindruck dieser wahrscheinlich zum erstenmale gemachte Weg auf die Amazonen machen würde; ich ging vorbei, grüsste und statt irgend welchen ängstlichen Umherschauens, wie ich es erwartet hatte, traf mich ein ruhig freundlicher Blick aus den beiden Augenpaaren. Das eine Pferd führte der Engländer selbst, das andere der Führer, und da diese Thiere hier nur langsam vorwärts kommen, so hatten wir bald einen grossen Vorsprung. Im Laufe des Nachmittags langten wir in Leuk an und benutzten den Rest desselben dazu, die Bäder zu besehen. Beim Nachtessen erschienen die inzwischen glücklich angekommenen drei Fräulein wieder, die, wie ich später in Zermatt erfuhr, wirkhch den gefahrvollen Übergang über das Matterjoch gewagt und vollführt haben.

Wir Beide fuhren den nächsten Tag auf der hoch über der Dala wunderschön angelegten Strasse hinunter nach dem Städtchen Leuk und von da nach Visp, unterwegs den Wasserfall am Ausgang des Turtmannthaies be-sichtigend. In Leuk hatte mein Reisegefährte vorläufig einen Bernerführer als Dolmetscher mitgenommen, und mit diesem ging er denselben Tag noch bis nach Zermatt, während ich in Visp blieb. Seither habe ich Nichts mehr von ihm gehört und konnte auch später in Zermatt nicht mit Gewissheit erfahren, ob er die Spitze des Monte Rosa erreicht hatte.

Die traurigen Folgen des Erdbebens, durch welches Visp und der grösste Theil des Nikolaithales während dieses Sommers heimgesucht wurden, versuche ich nicht zu schildern, denn es ist dieses schon auf so vielfältige Art geschehen, dass meine oberflächliche Anschauung dieser Verwüstung nur eine sehr mangelhafte Wiederholung des schon darüber bekannten sein würde, und ich erlaube mir daher, den geneigten Leser dieser Zeilen auf die ebenso intressante als gründliche, wissenschaftliche Darstellung der Folgen dieses Erdbebens von Herrn Dr. J. Th. Hausser in Zürich zu verweisen.

Nach verschiedenen Ausflügen, die ich von hier aus machte, beschloss ich, auch das hoch am Berge über Stalden gelegene Törbel zu besuchen, beiläufig gesagt die grösste Gemeinde im Thale, deren menschenfreundlicher Pfarrer mich während meines Aufenthaltes aufs Beste beherbergte, wofür ich ihm noch jetzt von Herzen danke, denn die angenehme Erinnerung an diesen kurzen Aufenthalt knüpft sich besonders auch an die in seiner Gesellschaft so heiter verlebten Abende.

Bekanntlich dehnen sich gerade in den engsten Bergthälern hoch über den steil in dieselben abfallenden Felswänden weite, fruchtbare Hochplateaus, breite Bergstufen, aus. Nördlich der Alpenkette, welche die Cantone Bern und Wallis trennt, bilden diese ersten Stufen schon die Voralpen, und nur einzelne, meist blos im Sommer bewohnte Wohnungen liegen zerstreut auf denselben. Ganze Dörfer, wie Rüti und Hohfluh auf dem Hasliberge bei Meyringen und Isenfluh im Lauterbrunnenthale, sind Ausnahmen. Im weiter südlich gelegenen Wallis hingegen sind diese Hochebenen meist stark bevölkert, und grosse Kirchdörfer liegen auf denselben. Im Nikolaithal sind fünf solcher hochliegender, weit ausgebreiteter Kirchgemeinden: Emd, Zeneggen, Visperterminen, Törbel und Grächen, wovon die letzte 5533'( also 17'niedriger als der Rigikulm ) und die vorletzte 5200'über Meer liegt. In Grächen hatte ich früher einige Tage zugebracht, und nun war ich auf der entgegengesetzten Seite und sah von hier über das tiefliegende Thal südlich das prächtige Bruneck- und Weisshorn, südöstlich die Mischabeln und östlich über den untersten Theil des Saasthales die jenseits desselben sich erhebenden Schneeberge. Jeder Freund der Alpen weiss, dass die Bergformen sich erst in dieser Höhe zu ihrer ganze Grossartigkeit entwickeln, was sich auch leicht erklärt, wenn man bedenkt, dass vom tiefen Thale aus alle Berglinien dem Auge nur in starker Verkürzung erscheinen, während man in einer Höhe von 4-5000'denselben gegenüberstehend sie in ihrer ganzen Grösse und Mannigfaltigkeit übersieht. Dieses ist auch in Törbel der Fall, und während im tiefen Thale sich oft nur die steile Basis und einige herausragende Spitzen dem Auge zeigen, so entwickelt sich von hier aus schon der ganze mächtige Bau der gegenüberliegenden Berge vom Fusse bis zum Scheitel.

Am Abend war ich angekommen, und am nächsten Morgen stieg ich, nach Anleitung meines freundlichen Wirthes, jenseits einer sich zu Thale ziehenden Schlucht an der Felswand hinauf einem Bergvorsprunge zu, um von hier einen vollständigen Überblick über die ganze Gegend zu haben. Dieser Ausläufer sieht, von Törbel aus gesehen, einer isolirten Spitze gleich, und so hoffte ich, auf demselben eine ausgedehnte Aussicht zu gemessen. Da aber dort jeder Baumwuchs aufgehört hat, so konnte ich auch keinen richtigen Maßstab für die Entfernung haben und musste wohl anderthalb Stunden lang steigen, bis ich das so nahe geglaubte Ziel erreichte. Es war ein herrlicher Tag, und mit jedem Schritte schienen die gegenüberliegenden Berge höher in die Luft zu steigen; erst hatte ich einen Weg, dann schien es mir, näher zu sein, rechts gerade durch einen Lärchenwald hinaufzuklettern, und so erreichte ich eine freundliche Bergstufe, einen lieblichen Platz, wo dünn gesäet die schönsten Exemplare dieses Baumes standen. Ich sah, es waren die letzten Bäume, und doch kam mir unbegreiflich vor, dass ich schon an der obersten Gränze des Nadelholzes sein sollte. Es war aber doch so und wer an den wilden Ernst der höchsten Tannen an der Handeck oder auf dem Weg nach der Scheideck denkt, oder an den mit grauen Moosen überhängten Tannenwald auf der Bernerseite des Joches, wird hier eine ganz eigenthümliche Empfindung haben. Er wird wahrnehmen, dass der ausgeprägte wilde Alpencharakter einem nördlicheren Himmelsstrich angehört, dass hier im südlichen Wallis, so grossartig die Bergformen sein mögen, doch gerade in dieser Region die feierlich ernste Wildheit fehlt. Ein weiches Grün zieht sich unvermerkt bis an die nackten Steintrümmer, und die hellgrüne zahme Lärche steht hier in friedlichen Gruppen, wie wenn sie sich immer des mildesten Sonnenscheins zu erfreuen hätte. Wie ganz anders sind die knotigen Wettertannen, welche vereinzelt an den langen Riesenen empor klettern, alten Veteranen gleich, die in Sturm und Wind grau geworden sind und an deren zerbrochenen Ästen und gebeugten Spitzen man ein Vorgefühl eines wilden Schneesturmes bekommt. Ganz dieselbe Bemerkung habe ich in Grächen gemacht und am Ryffelberge. Der erstere Ort hat, wie oben bemerkt, dieselbe Höhe mit dem Rigikulm, aber das wäre mir von ferne nicht eingefallen, als ich dort war, und ich würde es noch jetzt unglaublich finden, wenn ich es mir nicht durch die viel südlichere Lage erklären könnte, welche die Grenze des Nadelholzes schon bedeutend höher hinaufrückt; abgesehen davon ist aber auch hier wie am Ryffelberge diese Grenze entblösst von den Hauptattributen einer Berneralpe, und wenn hier im Wallis noch weiter oben die Berge durch ihre verhältnissmässig grössere Basis einen Charakter von Grossartigkeit in der Form erlangen, die sie sonst nirgends in der Schweiz haben, so fehlt dagegen auf der andern Seite der Region der Alpen in vielen Gegenden das Schroffe und Zerrissene, das die Berneralpen auf der Nordseite charakterisirt. Oft hielt ich an, um die sich immer weiter auseinanderlösende Aussicht nach W zu geniessen; doch nur kurz waren diese Ruhepunkte, denn immer wieder trieb mich der Gedanke an viel grossartigere Rundsicht vorwärts. So erreichte ich den Vorsprung mit einem Steinmannli, der sich mir als freistehende Spitze von unten gezeigt hatte; aber eben nur ein Vorsprung eines weiter gegen O sich erhebenden Gipfels war. Da dieser aber gar nicht weit schien, so war ich schnell entschlossen, noch dahinauf zu gehen; bald erreichte ich steigend ein mit Moos und Gras bewachsenes, sumpfiges Plateau, und von diesem erhob sich steil der neue Bergkegel; eine, wie ich hoffte, isolirte Spitze. Erst über Gras- und Moosbüschel, dann über grobes Geröll stieg ich langsam hinan und erreichte bald die ersehnte Höhe — aber welche Täuschung; es war wieder nur ein Vorsprung, und jetzt erst sah ich in nicht unbedeutender Entfernung den schneeumgürteten Gipfel des Berges, auf dem ich stand; doch der Weg dahin schien ohne Schwierigkeiten zu sein, und da das Wetter unvergleichlich war, so eilte ich sogleich weiter, dem neuen und letzten Ziele zu. Die Vegetation war hier auf Moose und wenige Grashalme zusammengeschmolzen, und ein erst wegsamer, dann aber felsig zerrissener Grat führte nach dem Fusse der letzten Spitze. Auf diesem Grate ging ich zuweilen ansteigend, zuweilen in horizontaler Richtung bis an die Zerklüftungen, die mich nöthigten, auf dem nördlichen Abhange den weiteren Weg zu suchen. Hätte ich tiefer hinunter steigen wollen, so hätte ich auf einem Umwege bequem diesen Theil des Grates umgangen, doch da auch der nähere Weg unmittelbar am Fusse der zerrissenen Felsen gangbar schien, so suchte ich auf diesem so viel als möglich in wagrechter Linie fortzukommen. Mächtige chaotisch durcheinandergeworfene Steinplatten bildeten hier den Anfang der langen Geschiebeflächen, die in der unter mir liegenden Alpe ausliefen, und nur langsam kam ich darauf vorwärts. Oft schaute ich links hinauf nach einem besseren Weg, aber immer vergebens, und lange musste ich gerade aus mich zwischen den Trümmern durchwinden oder über dieselben wegklettern. An die Alpe reih'te sich ein Schneefeld, das sich bis auf den Gipfel zog. Immer höher stieg dieses zu mir herauf, und bald stand ich an den ersten einzelnen Streifen, die in dasselbe ausliefen. Meine Verwunderung war aber nicht gering, als ich diese kleinen Flächen so hart und glatt gefroren fand, dass ich die grösste Mühe hatte, hinüberzukommen und jeden Schritt auf denselben mit der Spitze meines Stockes vorbereiten musste. Auch meinen Zeichnungs-aparat musste ich hier zurücklassen, und überhaupt war mir der Schnee, den man, wenn er weich gewesen wäre, mit der grössten Leichtigkeit passirt hätte, ein ganz unerwartetes Hinderniss. Doch die weiteren Streifen konnte ich oben umgehen, und als sie weiter zusammenhängend wurden, hatte ich den nun sich weit ausbreitenden Grat wieder erreicht und stieg von hier mit neuer Hoffnung und meines Zieles sicher der letzten, mit einem Steinmannli gezierten Spitze zu, die ich gegen 11 Uhr erreichte.

Eine wunderbar grossartige Aussicht breitete sich hier rings um mich aus; eine Bergaussicht, wie ich nie eine ähnliche gesehen hatte; ein Schneeberg reihete sich an den andern; Eis und Schnee hingen zusammen im ganzen weiten Kreise herum. Gegen S erhoben sich zwischen vielen wilden Spitzen die unbeschreiblich grossartigen Häupter des 14 000'hohen Weisshorns und des Bruneckhorns. Diese beiden Berge mit ihrer Umgebung und dem gegenüberliegenden Mischabel mit dem mächtigen, davon ausgehenden Riedgletscher waren der Glanzpunkt der Aussicht in die näheren südlichen Berge. Gegen NO sah man durchs ganze Wallis hinauf, und gegen N dehnte sich eine ganze Kette von Schneebergen aus, deren Spitzen ich nur ungefähr errathen, aber durchaus nicht mit Gewissheit bestimmen konnte, da ich leider keine Karte bei mir hatte. Deutlich unterschied ich die beiden Bergketten, die das Lötschenthal einschliessen, und dahinter die Häupter des Berneroberlandes. Weiter gegen W sah ich einen mächtig breiten, dick übergletscherten Gebirgsstock sich weit über seine Nachbaren erheben, und da ich sehr neugierig war, zu wissen, welcher derselbe sein möchte, so merkte ich mir, dass er in dem Kreise, dessen Mittelpunkt mein Standort bildete, gerade gegenüber dem kleinen Mischabel lag, woraus ich später mit Hülfe der Karte schliessen konnte, es sei der Alteis mit seiner Umgebung gewesen. Doch kann ich mich irren, aber soviel weiss ich mit Gewissheit zu sagen, dass er durch seine Höhe wie durch seine breite Basis und sein weit übergletschertes Haupt einen prachtvollen Anblick gewährte. Weiter gegen W waren noch viele andere, fern liegende Spitzen sichtbar, aber auf diesem zum erstenmale betretenen Terrain war es mir unmöglich, mich in diesen zahllosen Gipfeln zurecht zu finden. Ja, ich wusste nicht einmal den Namen des Berges, auf dem ich stand, und habe erst in Törbel mit Hülfe der topographischen Karte gefunden, dass es das 9940'hohe Augstbordhorn war, einer der letzten Ausläufer der Bergkette, die das Nikolai- vom Turtmannthal trennt, und der höchste Gipfel in derselben abwärts vom Zehntenhorn. Vom Wetter war ich diesesmal ausserordentlich begünstigt, denn es lag eine klare, durchsichtige und wolkenlose Luft auf dieser ganzen Bergwelt wie nur selten um die Mittagszeit, und von Spitze zu Spitze wanderte ich mit den Augen, neugierig forschend, ob ich alte Bekannte erkennen könne. Einmal glaubte ich, im W die Dent du Midi zu sehen, einmal die Diablerets, dann glaubte ich wieder einzelne der bekannten Berneroberländer zu unterscheiden und den Aletschgletscher, aber die Gewissheit fehlte. Immer wieder richtete ich aber den Blick gegen SW, der Spitze über dem Riedgletscher zu, aus welcher dieser mächtige Eisstrom sich zu Thale zog und von da an die weiter südlich sich erhebenden Gipfel, die an Grosse der Form wohl kaum ihresgleichen finden werden. Der nächste, höher als mein Standort gelegene Berg war das schwarze Zehntenhorn, das erste Verbindungsglied zwischen dem Berge, auf dem ich stand, und der ewigen Eiswelt, die sich ununterbrochen in mehr als vierzig Gletschern um das Nikolaithal herum zieht; ich glaube, es wäre leicht möglich, von hier auf dasselbe zu gelangen, denn es zieht sich ein Grat dahin, der anscheinend ohne Schwierigkeit zu passiren ist. Der Herr Pfarrer in Törbel hatte mir von einem Punkte gesagt, wo man nicht nur durch das Rhonetal hinauf, sondern auch abwärts die Thalfläche mit den Ortschaften erblickt; da ich diese letztern nicht sah, so vermuthete ich, dieser Punkt könnte vielleicht die nicht weit entfernte südlich tiefer liegende Spitze sein. Allerdings mag dort die Aussicht ins Thal vollkommener sein, wie auch vielleicht die des Augstbordhorns freier sein mag als die des höheren Zehntenhorns, doch gab ich den Gedanken auf, noch diesen Umweg zu machen, weil es mich drängte, wieder zurückzugehen. Hätte ich Törbel in der Absicht verlassen, hierher zu kommen, so hätte ich nicht nur die Kellerische Karte mitgenommen, mit Hülfe welcher ich leicht für die hervorragendsten Spitzen die Namen hätte finden können, sondern auch einen Jungen mit Wein und Brod. So musste ich auf jede weitere Auskunft verzichten und mich, obwohl ungern, von der schönen Aussicht trennen, denn einerseits konnte mein längeres Ausbleiben meinen freundlichen Wirth, dem ich versprochen hatte, um Mittag zurück zu sein, beunruhigen, und anderseits fing ich an, einen bedeutenden Durst und Hunger zu spüren, und diese versprachen nicht, sich auf dem langen Heimwege zu vermindern. Ich glaube, mit Gewissheit behaupten zu können, dass man wohl schwerlich irgendwo ein so weites und reiches Panorama ununterbrochener schnee-und gletschergekrönter Berge wird finden können. Ein Blick auf die Karte wird die Wahrheit dieser Behauptung bekräftigen. Das Augstbordhorn liegt in der Mitte zwischen den beiden höchsten Gebirgsketten von Europa und ist isolirt genug, ohne zu weit davon entfernt zu sein, um einen Überblick über beide zu gewähren. Die nördliche Kette liegt weit ausgestreckt in majestätischer Ruhe vor einem; währenddem die südliche ein wild zerrissenes Chaos sich hintereinander aufthürmender Fels- und Gletschermassen ist. Kein Freund der Alpenwelt wird bereuen, diesen Berg zu besuchen, umso mehr, als die Ersteigung im Vergleich zu seiner Höhe ausserordentlich leicht und ohne eine Spur von Gefahr ist.

Die Kirche von Törbel konnte ich nicht sehen; hingegen die höchstgelegenen Häuser des Dorfes, und diesen zu wäre ich von hier gerade nach der Törbelalpe hinuntergestiegen, hätte ich nicht meine Mappe zurückgelassen. Lange musste ich suchen, bis ich sie fand, und als mir dieses gelungen war, stieg ich über die steilen Geröllflächen abwärts und war froh, als ich den ersten Rasen unter den Füssen hatte, denn das lange Absteigen über grosse Felstrümmer ist etwas sehr ermüdendes. Auf der Alpe fand ich eine reiche Quelle, die über braunglänzendes Moos sprudelte; hier löschte ich meinen Durst und dann ging es steil abwärts durch eine Schlucht, wo die ersten Lärchen standen, einer Alpe zu, auf der zahlreiche Heerden waren und wo ich auch in einer Sennhütte Milch bekam. Hier traf ich wieder einen Weg, der mich durch den grossen Bergeinschnitt selbst hinunterführte, den ich am Morgen überschritten hatte.Vor drei Uhr langte ich im Pfarrhause an und war sehr froh, hier ein ländliches, aber kräftiges Mittagessen, bestehend aus Brod, Butter, Kaffe und geröstetem Käs zu mir zu nehmen.

Acht Tage später war ich auf dem Wege nach Zermatt; ich hatte Visp erst um 11 Uhr verlassen und musste eilen, um vor Nacht das Ziel meiner Tagesreise zu erreichen. In St. Nikiaus machte ich einen halbstündigen Halt, und als wir nach Täsch kamen, war es schon ganz dunkel. Mein Träger sagte mir, wir könnten hier beim Pfarrer über Nacht bleiben. Mir gefiel dieser Vorschlag gar nicht; doch da es sehr finster war und er einige Bedenken hegte, unter diesen Umständen den Weg zu machen, so beschloss ich, wenigstens im Pfarrhaus einen Schoppen Wallisser zu trinken, um mich durch dessen Beschaffenheit zum Weiteren bestimmen zu lassen. Noch eine Virtelstunde mussten wir auf das Ende der Vesper warten. Dann kamen die Leute nach einander aus der beleuchteten Kirche und endlich der Herr Pfarrer, aber da ihm unser nächtlicher Besuch nicht sehr gelegen zu sein schien und ebenso das Haus nicht den Anschein hatte, für Reisende eingerichtet zu sein, so beschloss ich in Hinsicht der guten Herberge, die mich dort erwartete, noch bis nach Zermatt zu gehen. Wo kein Wald war, konnte man den Weg sehen, aber im Schatten der Lärchen war nichts mehr zu erkennen, so dass wir oft Schritt für Schritt, wie Blinde, mit den Stöcken vor uns her sondiren mussten. Auf diese Art kamen wir nicht schnell vorwärts, und es war wohl zehn Uhr, als wir in Zermatt anlangten. Schon waren die letzten Fremden aus dem Thale verschwunden, und bereits war das Hôtel du Mont Cervin geschlossen. Im « Hôtel du Mont Rose » hingegen, wo alles schon im tiefen Schlafe war, fand ich nebst einem freundlichen Gesichte ein sehr gutes Nachtessen und ein vortreffliches Bett, wo ich jedenfalls besser schlief, als dieses in Täsch der Fall gewesen sein wäre. Den folgenden Tag ging ich auf den bekannten Ryffelberg, woselbst kürzlich der Wirth des Monte Rosahôtels ein Hôtel du Ryffel gebaut hat, das sich schon im vergangenen Jahre eines grossen Fremdenbesuches erfreute und ohne allen Zweifel im folgenden ein wenigstens ebenso besuchter Punkt sein wird als die Wengernalp, denn mit der Grossartigkeit dieser Gletscherwelt können weder das Chamonithal, noch das Berneroberland rivalisiren. Das Wetter war gut, und da der Ryffelberg als wirthlicher Ausgangspunkt für Ausflüge in den grossartigsten Theil der Gletscherwelt wohl einzig dasteht, so konnte ich mich nicht enthalten, trotz der vorgerückten Jahreszeit zwei Führer zu nehmen, um, im Fall das Wetter gut bleiben würde, irgend einen grösseren Ausflug zu machen. In zwei Stunden hatten wir das Ryffelhaus erreicht, zu welchem bekanntlich ein bequemer Saumpfad führt. Zwischen dem Findelen- und dem mächtigen Gornergletscher zieht sich ein im untern Theile breiter und weiter oben mehr felsiger Grat bis in das Herz der starren Gletscherebenen. Auf dem untersten Vorsprunge dieses Ausläufers nun liegt das Ryffelhaus, dessen Höhe über Meer ich nicht genau kenne, die aber wohl 6000'betragen wird, und von hier können Frauenzimmer mit der grössten Bequemlichkeit bis nach einem höheren Theile des Grates, dem Gornergrate, reiten, der wohl nicht weniger als 8500'hoch ist, und von wo man die mit Recht berühmt gewordene Aussicht auf die gegenüberliegende Gletschermasse des Monte Rosa hat, auf die ich später zurückkomme. Will man den Monte Rosa selbst, die Cima di Jazzi oder das Weissthor besuchen, so ist das Ryffelhaus nicht nur der bequemste Ausgangspunkt, sondern auch ein fast unentbehrliches Obdach, ohne welches man eine Nacht im Freien zubringen müsste.Vom Gornergrate aus steigt man ohne besondre Beschwerde nach dem Hochthäligrat, und von da kann man den letzten und höchsten Punkt dieser aus dem Gletschermeere aufsteigenden Halbinsel, das Stockhorn, besteigen, von wo der Anblick der ungeheueren Firnfläche, die den Gorner- und Findlengletscher verbindet, mit den in unmittelbarer Nähe daraus empor steigenden Spitzen ein ausserordentlich grossartiger sein muss. Ein Blick auf H. Studers ausgezeichnete Karte wird dieses deutlich machen. Ich benutzte den Nachmittag, um auf den Gornergrat zu gehen, und wäre auch noch bis auf den Hochthäligrat und vielleicht noch weitergegangen, wenn ich nicht für den nächsten Tag die Besteigung der Cima di Jazi beabsichtigt hätte, wesshalb ich mich nicht zu sehr ermüden wollte.

Die Aussicht vom Gornergrat ist schon häufig beschrieben worden; überdiess gibt es ein sehr gutes Panorama davon, und so bleibt mir nichts übrig, als dem geneigten Leser, der einiges Intresse für diese Blätter gewonnen hat, meine Ansicht über die Schönheit und Eigenthümlichkeit dieses Gletscher-knotens zu geben und mit einigen Bemerkungen über den Charakter der Walliser Thallandschaft zu schliessen. Mein Blick in die nächste Umgebung des Monte Rosa beschränkt sich freilich auf die Aussicht vom Gornergrate; denn den nächsten Tag nöthigten mich Regen, Wind und Nebel, die Cima di Jazi aufzugeben und eiligst nach Visp zurückzukehren; aber diese Aussicht ist so umfassend, dass man sozusagen in einem Blicke den ganzen Zusammenhang des mächtigen Eis- und Felstheaters erfasst, das im Halbkreise das Nikolaithal einschliesst und, den Mont Blanc abgerechnet, die höchsten Spitzen Europas enthält. Bei weiterem Vordringen auf den Gletschern selbst wird sich natürlicherweise dem Wanderer die wilde Grösse der Schründe und Eisstürze in ganz anderem Lichte zeigen; hier hingegen ist — nicht eine Fern6 sicht — sondern eine vollständige Zusammenstellung des sich im Bogen herumziehenden Gebirges von der Cima di Jazi an bis zum mächtigen Weisshorn. Im Centrum dieses Halbkreises ist am günstigsten Orte der Gornergrat, nicht zu nah, um die Übersicht zu verhindern, und auch nicht zu weit, um nicht jeden Felsen, ja fast jede Spalte an den näher gelegenen Gletschern zu erkennen. Unter sich in einer Tiefe von wohl gegen 1000'zieht sich der lange Strom des Gornergletschers längs der ganzen Bergreihe hin, in welcher der Gornergrat das Mittelstück bildet und wohl fünf kleinere Nebengletscher laufen, am Monte Rosa, Lyskamm, Breithorn und an den Zwillingen entspringend, in denselben hinunter. Über diese weg nach Westen sieht man das in seiner Form einzige Matterhorn fast wie einen abgebrochenen Riesenobelisk in die Luft ragen, und rechts davon dringt das Auge bis in die weiten Gletscherflächen, die sich gegen das Eringerthal hinüberziehen. Rechts von diesen erheben sich die Dent blanche, weiter das Rothhorn, das prächtige Weisshorn und das Bruneckhorn mit vielen an Höhe wenig nachstehenden Nachbaren. Gegen N allein ist ein kleines Stück Fernsicht; in dieser Richtung erblickt man durch das Thal hinaus das Bietschhorn und mehrere Berneroberländer.

Chamoni ist schon oft mit Zermatt und die Mer de Glace schon mit dem Gornergletscher verglichen worden. Will man eine solche Vergleichung anstellen, so wird man zuerst finden, dass der Gebirgsstock des Mont Blanc, obgleich höher, doch viel weniger Flächenraum einnimmt als der Monte Rosa mit seinen Ausläufern, und dass die Berge und Gletschermassen, die hier sich weit und frei nach allen Seiten verzweigen, dort doch mehr auf einen kleineren Raum beschränkt, mehr zusammengedrängt sind und gerade desshalb bei der Erdumwälzung, die diese Gebirge aufthürmte, sich durch die Höhe entschädigen mussten. Fast möchte ich sagen, sei die Höhe des Monte Rosa eine mehr natürliche, durch die Grösse der Felsmassen bedingte, die des Mont Blanc eine gewaltsamer hervorgebrachte, wofür doch gewiss die im Chamonithal so häufigen, in die Luft ragenden, nadelartigen Felszacken zeugen. Dass nun aber die spitzigen, gedrängten Formen den in unsern Gebirgszügen vorherrschenden Charakter majestätischer Ruhe weniger in sich tragen, wird wohl kaum bestritten werden, und dann liegt wohl die Behauptung nicht mehr fern, dass der Monte Rosa mit seiner breiten Basis und seinen weitausgreifenden Verzweigungen und Gletscherarmen mehr des wahrhaft Grossartigen werde bieten müssen als der Mont Blanc. In der That scheint der Instinkt der englischen Touristen dieses nun auch gefunden zu haben, und nachdem die unternehmendsten derselben diese Gegenden besucht, die Murray's und andere rothe Bücher Zermatt mit Umgebung wie ein neu-entdecktes Land in ihre Spalten aufgenommen und endlich spekulative Inländer grosse Hotels gebaut haben, geht nun alljährlich in wachsender Zahl der ganze Schwarm dahin, der aus langerweile den Continent und somit auch die Schweiz besucht und sich hütet, irgend etwas schön zu finden, was nicht im rothen Buche als schön gepriesen ist, oder nur einen Schritt weit von der grossen Touristenstrasse abzugehen.

Steigt man nun aber aus der luftigen Höhe der Schneelinie wieder zu Thal, so trifft man oft auf eine melancholische Düsterkeit und Einförmigkeit in der Landschaft, und kommt einem dann der Sinn ans Berneroberland, so frägt man sich, wo sind die freundlichen Häuser, wo die lebenslustigen Gesichter, wo sind die Tannen, die Zierde der Alpen? Schwarz und unwohnlich sind die Hütten, wortkarg die Einwohner; kein Jodeln noch Jauchzen zeugt von Lust zum Leben, und das matte Grün der Lärche ist an die Stelle der kräftigen Bergtanne getreten. Senken sich nun die Nebel über die Berge herunter und ereilt einen der kalte Regenwind, so wird einem fast unheimlich in der einförmigen Thalfläche, und man flieht so schnell als möglich, das offene Land zu erreichen. Doch ist vom Ryffelberg bis zum Genfersee ein langes Stück Weg, und eine trostlosere Reise als durch das lange Wallis hinab beim strömenden Regen gibt es nicht. Wie gern wäre ich über die Grimsel gegangen, doch das Wetter war zu schlecht. Den Pisse vache sah ich kaum, denn die Scheiben des Rosswagens selbst glichen einem Wasserfall, und erst als wir uns der Waadtländergrenze näherten, wurde der Himmel wieder etwas freundlicher. Schon beim guten Wetter hatte mir die breite Thalfläche bei Visp einen öden und düstern Eindruck gemacht; nun aber beim Regenwetter schien mir das Rhonethal wirklich so düster und unwohnlich als möglich. Soviel ist aber gewiss nicht aus der Luft gegriffen, dass der häufige Sumpfboden, die gleichförmigen, langen Linien der das Thal begrenzenden Vorberge, deren gleichförmige Farbe und das unwohnliche Aussehen der alten, dunkeln, steinernen Häuser, diesem dunkeln durch die zwei höchsten Bergketten der Schweiz abgeschlossenen Thale einen Stempel melancholischen Ernstes aufdrücken, der wohl in keinem Theile der Schweiz so deutlich ausgeprägt ist. Auch die Übergänge aus dem Thal zur Region der höchsten Alpen scheinen den freudigen Glanz der entsprechenden im Berneroberland zu entbehren; steigt man aber im Wallis noch höher empor bis zur Gletscherwelt, so entwickelt sich hier, wie gesagt, eine Grösse, Erhabenheit und Schönheit der Formen, welche kaum in der Schweiz und in Europa ihresgleichen finden wird.

Die letzten schönen Herbsttage waren vorbei und Kälte und Regen nöthigten mich, für dieses Jahr von den Bergen Abschied zu nehmen. »

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