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Begegnungen mit dem Nichts

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VON KARL GREITBAUER, WIEN

EINE AUSEINANDERSETZUNG MIT PROJEKTIONEN PHILOSOPHISCHER ART INS BERGSTEIGEN UND UMGEKEHRT Es ist mitunter sehr schwer, Gedanken über ein Thema in einer Weise niederzulegen, dass man, wenn schon nicht verstanden, so zumindest nicht missverstanden wird. Wer je versucht hat, sich auch nur im kleinsten Kreis über Dinge des Gefühlslebens, über komplexe Stimmungsbilder mit Fragen nach deren Kausalität zu verbreitern, wird gemerkt haben, wie unendlich weit es manchmal von Mensch zu Mensch ist. Und es ist oft wirklich leichter und für den menschlichen Kontakt ergebnisreicher, miteinander zu schweigen als miteinander zu reden. Aber es ist auch wirklich nicht einfach: steht und fällt doch letztlich alle sprachliche Verständigung allein mit der simplen Formel der Verständigung. Die Formel aber, das ist die Summe der Vorstellungsbilder, die einem Gespräch zugrunde liegen. Und gerade diese Bilder sind es, die sich kaum je gleichen.

Man sollte nun meinen, dass zumindest auf einem umzirkten Gebiet, wie es doch das Bergsteigen ist, die Vorstellungsbilder zum Thema durchaus ähnlich, wenn schon nicht gar identisch zu sein hätten. Die Wirklichkeit aber zeigt uns, dass hier ein Unterschied besteht, wie - nur um irgendeinen Vergleich zu bringen - zwischen der Geologie des Kohlenstoffes und dessen Chemie. Denn der Geologe wird auch kaum in der Lage sein, aus der Strukturformel des Chemikers am Papier eine Beziehung zu dem Brocken in seiner Hand herzustellen, bei dessen Betrachtung sinnend vor ihm die Urgeschichte der Welt aufersteht und ihn ein Hauch vom Mysterium des Werdens der Erde anweht. Doch sicher sieht auch der Chemiker in dem Stück Kohle das Richtige. In seiner Weise zwar berücksichtigt er nicht, was dem Geologen ein archäologisches Erlebnis bedeutet, doch er bewegt sich mit seinen Strukturen durchwegs auf der realen Basis des gemeinsamen Stoffes.

Und so wie Geologe und Chemiker die natürliche Erscheinung der Materie gründlich kennen mögen, jedoch beide das Ausgangsprodukt in ein anderes Feld projizieren, das jedes auf seine Weise lebendig ist, genau so kann man auch über das Bergsteigen in verschiedener Sprache sprechen. Bergsteigen ist eine sehr schöne Sache, solange man jung ist und bedingungslos nur erlebt und wieder erlebt, jedes Erlebnis in vollen Zügen in sich hineinschlürfend, von einem Erleben zum anderen eilend in bacchantischer Getriebenheit. Bergsteigen wieder ist eine besinnliche Sache, wenn man, älter und reifer geworden, Strukturen darin sieht, die nicht aus der Überfülle der Erlebnisse mehr gewachsen sind, wo einen Gedanken über Wert und Unwert anfallen wie den Soldaten nach der Schlacht Gedanken über Sinn oder Unsinn des menschlichen Opfers im Kriege. Bergsteigen ist eine besinnliche Sache, wenn man irgendwann in einer bedingungslosen Stunde der Abrechnung mit sich selbst einmal nicht das Fazit der Bilanz eines Bergsteigerlebens in Form von Zahl und Namen von Gipfeln, Graten und Wänden vorüberziehen lässt, sondern sich die Zahl der Freunde vor Augen führt, die in den Bergen geblieben sind. Und Bergsteigen wird schliesslich zu einer unverdaulichen Sache, wenn es einem, noch älter darin geworden, zum Problem wurde in der Form, dass man merkt, was man noch gerne alles möchte und nicht mehr kann, weil man nicht mehr mitkann; weil man müde geworden ist des ewigen Wanderns; weil die Kraft geschwunden ist, dieweil der Geist noch voll ist des Verlangens nach dem Erleben des Unendlichen.

Man kann sagen, solche Gedanken in einem Leistungssport seien morbide Gedanken. Aber: wer kann schon sagen, dass sein und nur sein Bergsteigen das richtige sei, wer kann den Zeiger der Zeit festhalten und in seiner Jugend stehenbleiben, wer kann schliesslich eine Grenze ziehen zwischen sportlichen Auffassungen des Bergsteigens und Bergsteigen gemeinhin? Und: ist Älterwerden vielleicht morbid? Mag dem sein, wie dem wolle - eines steht fest: dass jede der drei hier angeführten Formen ( vielleicht besser Stadien ) innerhalb des Bergsteigens ihre eigene Sprache spricht, und zwar erlebnismässig sowohl wie auch im Spiegel des Erlebnisses, in der literarischen Aussage. Es ist ja klar: man kann dem Bergsteiger, der mitten im Erlebniswirbel steckt, nicht mit kritischen Strukturen kommen, so wie man kleinen Bären, die auf der Waldwiese im hohen Norden sich balgen und kugeln, nicht mit den Problemen der Gefahren der Wildnis kommen kann - denn alles muss einmal erfahren werden, um es zu wissen.

Wenn wir uns aber nunmehr an jene wenden, die sich gerne und mit aufgeschlossenem Sinn für die Problematik des Bergsteigens auch schwerere geistige Kost vorsetzen lassen, so wollen wir uns nunmehr mit einigen pointillistisch gesetzten Bildern dem eigentlichen Thema zuwenden. Vorerst aber noch eine Einschränkung: haben wir eben bereits eine Gruppe von Menschen im Bergsteigen aus unserer Betrachtung ausgeschieden, so steht es an, noch eine weitere Gruppe hinauszuhalten: die Gruppe derer, für die das Bergsteigen ein Narkotikum ist.

Manche Menschen scheitern am Leben, weil sie es nicht begreifen können, dass ihre Vorstellungswelt sich nicht in die Welt der Wirklichkeit hineintragen lässt, weil sie in der Realität des Lebens nichts finden, was ihren Vorstellungen vom Leben entspricht. Sie bauen sich eine irreale Welt auf, in der sie sich, wenn es ihre Situation zulässt, durchaus bewegen und sich identifizieren mit der Gestalt ihrer Vorstellung. Diese Menschen wollen keine geistigen Auseinandersetzungen, sie wollen das Bergsteigen als Erlebnisform nicht überwinden und geistig neu gewinnen, da sie, dumpf um ihre schicksalhafte Bindung an das Bergsteigen wissend, allein im Sich-Versenken in die Welt der Berge die Wahrheit ihres Lebens erfühlen, ein Brahman darin spürend, das schlechthin Schöpferische. Für sie ist das Bergsteigen niemals eine Begegnung mit dem Nichts, sondern allein mit dem Etwas, für sie ist das, was wir später als das Nichts bezeichnen werden, Sprache des Berges, Fingerzeig seiner Wesenheit, Raunen und Zürnen, Geheimnis und Unerklärbarkeit. Mit den Elementen auf Du und Du zu stehen, dem Sturm die Brust zu bieten, solche Dinge stecken durchaus im menschlichen Verhalten - allerdings sind das mehr jugendliche Elemente; Körperlichkeit und Ankämpfen gegen imaginäre Gegner, gestaltlos, aber dennoch real in ihrer Wirkensweise - da kann man schon Siege davontragen, da die nichtenden Gewalten nur existent, nicht aber bewusst nichtend sind, so dass, wer das Spiel kennt, es durchaus spielen kann - als Spiel mit dem Feuer.

Ein anderes aber ist es, den nichtenden Momenten im Bergsteigen den Platz einzuräumen, der der Wirklichkeit entspricht: sie als gegen die menschliche Existenz gerichtete elementare Gegebenheiten zu betrachten, die man meiden, denen man ausweichen und denen man nur durch schicksalhafte Verknüpfungen widriger Umstände auch wehrlos ausgeliefert sein kann. Die Summe jener nichtenden Momente im Bergsteigen bezeichnen wir, da sie gegen das Sein des Menschen gerichtet sind, in Fortführung des Gedankens des möglichen Ausganges der genichteten Existenz, als das Nichts im Bergsteigen. Wir hypostasieren hier einen abstrakten Begriff wissentlich, machen ihn zu einem Etwas, und dies zu dem Zwecke, um das Sein des Bergsteigers um so deutlicher davon abheben zu können. Die Begegnungen des Bergsteigers mit den nichtenden Momenten im Bergsteigen nennen wir die Begegnung mit dem Nichts.

Bleibt nur mehr die Frage, warum wir uns denn so sehr mit dem Bergsteigen, das doch offenbar vor allem - mag man es drehen und wenden wie man will - ein Kelch von Erlebnismomenten ist, eine romantische Fülle von aneinandergereihten Szenerien mit tausend Möglichkeiten zu Abenteuern und persönlichen Entfaltungen - warum wir uns also so sehr mit dem Bergsteigen geistig auseinandersetzen. Die Antwort: so, wie die kleinen Bären, die sich in der Wildnis unbekümmert tummeln, einmal Beherrscher ihrer Wälder werden, so treten auch wir Bergsteiger einmal heraus aus unserer jugendlichen Unbekümmertheit kraft der Reife durch das Erfahrene und Erlebte, mitunter auch Erlittene, kraft der richtungweisenden und prägenden Verarbeitungen des Ablaufes der Situationen. Und wir sind vor allem irgendwann auch einmal nicht mehr nur Bergsteiger, die im alpinen Gelände das Ihre leisten, sondern wir sind auch einmal unbedingt lebensfähig, nicht mehr nur Vaganten eines Volkes, sondern Pfeiler, tragende Generation. Und im Weiten des Gesichtskreises sehen wir über den Spiegel des Narziss hinaus das Wasser, welches das Weltenschiff trägt. Und wir entdecken unser Eingeschaltetsein, entdecken ein gerichtetes Wollen, die Welt voll von Menschen, die sich um das Ihre mühen, und wir entdecken Lebensarchitekturen. Und in allem sehen wir Gemeinsamkeiten und Parallelen. Und wir beginnen irgendwann einmal zu fragen, wie sich denn das Bergsteigen in diese weitere Sicht projiziert, ob es organisch darin aufgeht oder sich bloss wie ein Fremdkörper parasitär dem eigentlichen Leben aufdrückt.

Diese Frage nach dem Sinn des Bergsteigens kommt jedem Bergsteiger zu irgendeiner Stunde einmal, wenn er über das nur Naheliegende hinaus zu denken beginnt. Gleich wie Rembrandt, arm, alt und verlassen, den baldigen Tod vor Augen, bei Betrachtung seiner « Nachtwache » die Worte: Ich habe nicht umsonst gelebt, von Dichterhand in den Mund gelegt wurden, charakterisiert dieser Satz über seine allgemeine Bedeutung hinaus die ganze Angst des Menschen vor der Sinnlosigkeit eines möglicherweise vertanen Lebens, wenn der Tag der Bilanz, die in jedem Leben einmal gelegt wird, gekommen ist.

Aber die Frage nach dem Sinn einer Sache ist bloss die Umkehrung der Frage nach etwaiger Sinnlosigkeit, entsprungen aus dem Drang nach Erhaltung seiner Selbstgewissheit. Und diese Frage sollte im Bergsteigen nicht gestellt werden? Gerade und ausgerechnet im Bergsteigen, wo es doch -ohne Sentimentalität herausgesagt - Bergsteigerfriedhöfe gibt? Um es vorwegzunehmen: wir sind nicht so einfältig zu glauben, dass es auf alle Fragen des Lebens eine eindeutige Antwort gibt. Man gibt zwar oft, um Stellungnahme gebeten, eine runde Antwort, die den Anschein einer gewissen Endgültigkeit in sich birgt. Und doch weiss man dabei genau, dass sie keineswegs erschöpfend gegeben war. Es kommt eben ganz darauf an, welche Gebiete der Fragesteller und welche Gebiete der Antwortende überblickt. Ausserdem wissen wir auch, dass in einem komplexen Geschehen verschiedene Gesichtspunkte enthalten sind. So eben kann nur die Einfalt auf die allgemeine Frage nach dem Sinn des Bergsteigens eine allgemeine und in ihrer Allgemeinheit erschöpfende Antwort erwarten. Uns genügt eigentlich schon eine Parallele und Ähnlichkeit zum allgemeinen Leben hin. Uns genügt es eigentlich schon, wenn wir auf die Frage: Was sucht ihr in den Bergen? in der Gegenfrage beantworten können, was man wohl glaube, was wir dort fänden? Wenn wir dann noch dazu bemerken, dass wir im Bergsteigen eigentlich durchaus das im Griff haben, und zwar erlebnismässig im Griff haben, was als Tor zum Sinn des Lebens überhaupt die modernen Denker im Bezug auf das Dasein bewegt, dann glauben wir wahrhaft auch für das Bergsteigen ein Stück wirklichen Daseinsvollzuges in der Hand zu haben. Die Frage der modernen Denker aber ist diese: Können wir vielleicht zum Seinsverständnis gelangen, indem wir das Sein gegen das Nichts abheben? Dieser Aspekt einer modernen Philosophie gibt auch dem Bergsteiger einen neuen Aspekt: intensiviertes Seinsbewusst-sein durch Abhebung des Seins gegen das Nichts. Das Sein - das eigene Leben, die Existenz, getrieben vom Willen, geführt von Instinkten - gegen das Nichts, die Drohung gegen das Sein.

Es ist, von der Methode abgesehen, etwas aus seinem Kontrast heraus zu erörtern, aber dennoch seltsam, dass etwas, das bereits überwunden schien, ganz elementar wieder Eintritt in die Welt erlangen konnte. Das Bewusstsein eines verborgenen Nichts in der Welt, existent als Drohung gegen das Sein, hat es immer schon gegeben. Das ist die Urangst des Menschen - gerade proportional der Primitivität der Menschheit. Aber die Religion hat diese Urangst eigentlich überwunden, indem sie das Nichts als ein erhabenes Etwas verkündigte. In unseren Zeiten der Erschütterungen der Existenz ist das Näherrücken des Gedankens des Nichts eigentlich verständlich. Wir fragen jetzt nicht nach Gründen dieser Entwicklung. Wir fragen nur, wie sich die Überwindung des Nichts im Bergsteigen gestaltet, und wir fragen weiter, was dabei sich für den Menschen als solchen, der da Bergsteiger ist, ergibt. Und wie sieht es zum ersten mit diesen Begegnungen mit dem Nichts im Bergsteigen aus? Oskar Erich Meyer hat in seiner Sprache darauf ( nämlich auf das Vorhandensein des Nichts, wie wir es nennen ) hingewiesen: « Drum blüh'n die hellsten Blumen dort, wo sich im Kampf des Lebens Linie mit dem Land des Todes schneidet... » Das Nichts als Antizipation einer Möglichkeit, die in der eigenartigen Seinsform und Tätigkeits-abwicklung des Bergsteigers liegt, ist - und das muss klargestellt werden - lediglich Seinsbedrohung, nicht aber das vollzogene Faktum der Nichtung, der Tod, den E. Meyer heranzieht, um das 19 Die Alpen - 1959 - Les Alpes289 Blühen der Existenz, die spürbar prickelnde Seinsgewissheit des Bergsteigers zu versinnbildlichen. Kein gesunder Bergsteigei denkt an Tod und Sterben in den Bergen, aber die Seinsbedrohung kennt jeder. Wir aber hätten den Satz O. E. Meyers weiterhin als Metapher und nichts ausserdem verstanden, würde uns nicht die Existenzphilosophie den entscheidenden Schritt zum Verständnis hin weisen. Wir verstehen vielleicht nicht die Existenzphilosophie in ihrem Anliegen, aber wir begreifen sehr wohl die Situation des Bergsteigers, der aus seinem bestimmten Erlebniswinkel heraus einen solchen Metapher prägen konnte. Denn wir kennen selber aus ungezählten eigenen Erlebnissen dieses Blühen der hellsten Blumen, sei es in der ganz neuen Sicht der Dinge nach einem gewagten Berggang, in der scheinbar kindlichen Freude an Blumen und Wolken, wo die Rast am Bachrand Dir zur Welt wird und das Geläute der Schellen des Weideviehs zum Symbol des Daseins in Frieden. Wir kennen aber auch das Überschneiden der Linien im Sinne Oskar Erich Meyers, die grossen Begegnungen mit dem Nichts: wer sie ableugnet, kann kein Bergsteiger sein. Denn wenn jemand sagt, das vis-à-vis du rien, wie es Sartre nennt, sei fragwürdig, dann scheint er nie die grenzenlose Einsamkeit in den Bergen geatmet zu haben, scheinen ihn nie Begriffe von Grosse und Erhabenheit überkommen zu sein, scheint ihm nie die Nichtigkeit des eigenen Ich bewusst geworden sein, dann scheint ihn nie in einsamen Biwaknächten, über sich nichts als die Sterne, ein Ahnen befallen zu haben über die Relation von Erde und Weltenraum. Dann hat er in der winterlichen Bergwelt in langen Anstiegen mit den Schiern nie bewusst die Spannung registriert, wenn er einen Lawinenhang querte, dann kennt er das Zusammenzucken nicht, wenn sich durch die entweichende Luft des angeschnittenen Hanges der lockere Schnee mit dumpfem Knall setzt und gerade noch nicht als Lawine zur Tiefe fährt. Dann kennt er nicht dieses befreiende Aufatmen, wenn man aus dem Steinschlag gerade noch mit heiler Haut davongekommen ist, wenn nur der Rucksack etwas abbekommen hat und die nach geborstenem Gestein und intensivem Ozon riechende Luft allein mehr an das nieder-geprasselte Verderben aus der Wand erinnert. Dann hat er bei Anstiegen im Nebel nie gebangt um Weg und Richtung, bei Abfahrten auf dem Gletscher nie sich gesorgt wegen heimtückisch lauernder Spalten, dann hat er sich, in ein Hochgewitter auf ausgesetztem Grat geraten, nie gefürchtet vor dem Erschlagenwerden durch Blitze, dann hat er vor einem solchen Hochgewitter, beunruhigt durch das Knistern der hochgeladenen Atmosphäre, nie Ausschau gehalten nach Zufluchtsmöglichkeiten in der Wand, dann hat er nie Schneestürme kennengelernt, war nie am Rande der Erschöpfung...; müssen wir denn alles aufzählen, was einem Bergsteiger als Bedrohung seiner Existenz begegnen kann, um die Existenz eines Nichts im Bergsteigen zu beweisen?

Diese Überschneidungen aber nach E. Meyer oder Begegnungen mit dem Nichts in unserem Sinne sind in ihrer Gesamtheit Ursprung einer daraus hervorgehenden Grunderlebnisform im Bergsteigen, aus dem das intensive Seinsgefühl des Bergsteigers wächst. So verstanden ist auch der Händedruck auf dem Gipfel nach überstandener Gefahr und beendetem persönlichem Einsatz durchaus kein guter alter Bergsteigerbrauch, sondern impulsiver Ausdruck erhöhter Lebensfreude aus intensivem Seinsbewusstsein heraus auf Grund der erlebten Begegnung mit dem Nichts. Dafür spricht, bzw. diese Sicht beweist, dass ein solcher Händedruck auf der Höhe eines unwesentlichen Mugels, meist kann man das auf einem Schimugel im Winter erleben, einem wirklichen Bergsteiger übertrieben und etwas komisch vorkommt. Dieselbe psychische Einstellung, die beim bergsteigerischen Händedruck zum Ausdruck kommt, scheint auch den « Land! Land!»-Rufen der Seeleute im Mittelalter zugrunde gelegen zu sein, die doch damals alle ins Nichts hineingefahren waren.

Mit den Darlegungen über die Tatsächlichkeit einer Begegnung mit dem Nichts im Bergsteigen sind wir am Ende. Dass die Existenzphilosophie zum Seinsverständnis gelangt, indem sie das Sein gegen das Nichts abhebt, haben wir auch gesagt. Die Frage, die wir uns eingangs in bezug auf das Bergsteigen gestellt haben, war die: Welche Bezüge hat das Bergsteigen zur Wirklichkeit des Lebens? Die Antwort liegt auf der Hand: Da sich im Bergsteigen das Sein gegen das Nichts in einem Masse abhebt, wie das als Realität ihresgleichen kaum wo zu finden ist, ist der Bergsteiger der Mensch, der durch seine Tätigkeit in den Bergen zu dem gelangt, was Philosophen ein hochgestecktes Ziel ist: zum Seinsverständnis. Manchen mag das vielleicht sehr wenig erscheinen. Aber gerade heute ist das wahrhaftige, tief blickende Menschsein eine Notwendigkeit, eine Zuflucht und ein Labsal. Seinsverständnis führt unmittelbar zu höherem Menschentum - also müssten Bergsteiger eine höhere Schicht von Menschen darstellen. Dieser Schluss ist zwingend. Wir selbst glauben auch daran; nur glauben wir auch an die Relativität des Intellekts sowohl als auch an die Relativität des Grundcharakters. Gerade in letzter Zeit wurde von einem namhaften Autor bestritten, dass Bergsteiger « bessere » Menschen seien. Wir wollen uns hier in keinen Diskurs einlassen, halten aber mit Nachdruck fest, dass Seinsverständnis vor allem zuerst zu einer Ehrlichkeit gegen sich selbst führt. Und das glaube ich, ist bei Bergsteigern durchaus der Fall.

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