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Beleuchtungen

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Wenn wir auf die Wander- und Reisetage unseres Lebens zurückblicken, so glänzen aus ihnen Bilder heraus, die in ganz besonders eindrücklicher Farbigkeit sich dem Gedächtnis eingeprägt haben. Es sind Stunden oder oft gar nur wenige Augenblicke, die mit besonderer Klarheit aus der Vergangenheit auftauchen, fast wie in der Sonne leuchtende Berge über dem Nebelmeer tausendfältiger Erlebnisse.

Wie eine Melodie oder ein Duft uns eine Begebenheit im Gedächtnis wach werden lässt und die Stimmung, die Umgebung, Luft und Licht, ob Regen oder Sonne sie begleitet hat, in scharfen Umrissen in uns aufleben lässt, so kann sich in stiller Stunde beim Rückblick auf Vergangenes das Bild einer Landschaft besonders klar einstellen. Es waren die Höhepunkte der Reise-oder Wandertage, an welchen den Augen ein Erlebnis zuteil geworden ist, dem die Seele sich weit geöffnet und es in abgeschlossenen Umrissen festgehalten hat. Körperlich waren wir fast untätig dabei; nicht eine besondere Anstrengung oder eine bewusste Willenstat war damit verbunden, es war einfach das Sichhingeben an einen starken, sich aufdrängenden Eindruck, das Hinnehmen einer grossen Freude, wie die trockene Erde den strömenden Regen dankbar empfängt.

Solche Eindrücke in Worte zu fassen, mag vermessen erscheinen, denn Luft und Farbe lassen sich kaum durch Worte derart schildern, dass sie für andere seelisch so fassbar werden, wie sie sich dem Empfangenden einmal aufgedrängt haben. Sie lassen sich auch nicht herauslösen aus der Umgebung, sie würden vereinsamen, gerade wie ein Edelstein seine Wirkung einbüsst, wenn er aus der Fassung herausgebrochen wird. Der Versuch reizt aber, und so sei er gewagt.

Mein Reisegenosse und ich hatten frostige Tage hinter uns. Auf dem Nordkap hatte die Mitternachtsonne nur durch einen Schleier hindurch gegrüsst, und in dem dämmerigen Lichte hatten wir am Rande der felsigen Hochfläche still abseits gesessen. Tief unter uns der weisse Schaum der anschlagenden, dunkeln Wellen, vorn auf dem Kap die tanzende Schiffsgesell-schaft. Schiff und Gesellschaft verliessen wir bald nachher ganz und zogen eigene Wege. Den Sack auf dem Rücken wanderten wir durchs Innere des Landes von Fjord zu Fjord. Tagsüber durch Täler mit magerem Wuchs von Wald und Gras, nachts zu Gast in irgendeinem Bauernhofe, wo uns viel Freundlichkeit, aber wenig Reinlichkeit zuteil wurde. Die Nahrung bestand meist aus Fisch, Milch und Moltebeer, dazu etwa ein Trunk fürchterlichen, selbstgebrauten Bieres und statt Brot dünne Fladen, die an Zähigkeit tüchtigem Karton nicht viel nachgaben. Regen die Menge und nachts auch Kälte im Uberfluss und Schnaken ganze Schwärme als Schlafmittel. Und dennoch, wir wanderten froh und tapfer durch dieses Stück Neuland und möchten keinen Tag davon missen. « Ihr könntet Bären antreffen », gab man uns im letzten Bauernhofe vor der Passhöhe hinterm Svartisen als Geleitwort mit. Ja, was dann anfangen? Oh, die täten nichts, sie kämen oft bis in die Nähe der Ställe und die Kinder trieben sie dann mit Steinwürfen weg. Wir bekamen aber kein solches Untier zu Gesicht, wohl aber in den höhern, sumpfigen Birkenwäldern eine Herde Renntiere.

Hinter dem Svartisen, dem gewaltigen Gletschergebiete, wateten wir wohl zwei Tage in ununterbrochenem Regen. In den einsamen Bauernhöfen hatten sie Mühe, unsere Kleider trocken zu kriegen, während wir im Bett erwärmten oder im Sonntagsstaat des Hausherrn am Tische sassen. Einmal, bevor wir wieder den kleinen Postdampfer weit unten am Talende und Fjordanfang finden sollten, war ein Telephonzimmer unser Nachtquartier, Renntierpelze unsere Bettunterlage, ein Renntierpelz unsere Decke und Renntierbraten, endlich wieder einmal mit gutem Bier, unser leckeres Mahl. Das Wetter blieb grau und die Weiterfahrt reizlos. Trondhjem war das letzte Ziel und das Ende der Nordlandreise.

Gegen Abend zerriss die Wolkenschicht, und die Sonne brach durch. Das war aber kein milder Abendschein, es war wie Metallglanz. Grell, hell und hart fiel das Licht auf die felsige, unwirtliche Küste des Foldenf jords. Fast schwefelgelb war der Schein, und schroff, ohne mildernde Luftschicht lag das Land vor uns, seelenlos und doch prächtig. Die Grasbänder leuchteten gelbgrün aus den gerundeten Felsbergen heraus, die sonst so freundlichen, roten Häuser waren wie frischgemalte, von Kindern am Ufer hingestellte Spielzeuge, auch sie im giftigen Grün der Matten und der spärlichen Bäume eingebettet. Allem vorgelagert mit zitternden Wellen das stahldunkle Meer und wir in unserem Fahrzeug still festgebannt am Bord im Schauen dieser fremden Farbenpracht. Es dauerte nicht lang, und alles sank in Dunkelheit. Was sich daran anschloss, liegt für mich fast vergessen als ein gleichgültiger Abschluss der überreichen Wochen hinter mir.

Normann malt begeistert die südlichen Fjorde, Sogne und Hardanger, mit ihren hohen, aus dem blauen Meer schroff ansteigenden Bergen und lässt sie in vollem Sonnenlicht friedlich zum Besuche einladen. Auch uns hatte es an sonnigen Stunden nicht gefehlt. Die Fahrt durch die unzähligen Inseln und in die tiefen Fjorde hinterliess Bild um Bild, aber wenn das Erlebte in der Hauptsache zusammenschmilzt in ein sonnenarmes Ganzes, so sticht, wie vom Blitzlicht offenbart, jener Abend heraus wie eine plötzliche Leidenschaft aus dem Gesichte eines sonst ruhigen, arbeitsgewohnten Menschen.

Heute ist wohl die Hotelkultur auch in jene einsamen Täler eingedrungen und wird mehr und mehr die patriarchalische Gastfreundschaft verdrängen. Freilich, man musste sich in manches schicken, nicht nur was die primitive Nahrung anging, sondern auch die wenig appetitlichen Nachtlager. « Sie schlafen heut in meinem Ehebett », versicherte uns ein runzliger Grossvater und spuckte auf den mit Wacholderzweiglein bestreuten Zimmerboden. Es war ein schmales Bett für uns zwei und duftete nicht nach frischen Rosen. Aber wir hatten wenig über 20 Jahre hinter uns, und im Militärdienst liegt man auch nicht immer in schneeweissen Linnen. So nahmen wir das mit in den Kauf.

Wir drängten zurück nach Berlin und hatten auf der langen Fahrt Zeit, Farben und Formen Norwegens uns durch den Sinn gehen zu lassen und daran wohl zu leben.

Einige Jahre später ging die Fahrt nach Süden, der Sonne zu, und das wieder an der Seite eines Freundes. In Ägypten haben wir herrliche Wochen erlebt damals in den Strassen Kairos, noch ohne Automobillärm und Benzin-gestankund ohne Eisenbahn längs dem Nile. Uns durchwärmte trockene Luft, und da dank der frühen Reisezeit wenig Fremde mit uns waren, so genossen wir ungestört die Moscheen Kairos und die Tempel des Niltales. Es waren wolkenlose, wohlige Wochen und mit einer reichen Ernte an neuen Eindrücken. Die sich anschliessende Fahrt durch das rote Meer und den indischen Ozean war ruhig, fast wellenlos verlaufen. Nach den dürren, kahlen Felsen von Aden kamen bald die Palmenkronen der Lakkadiven-Inseln am Horizonte in Sicht und verloren sich lautlos, wie sie erschienen waren, nach wenig Stunden hinter der Meereswölbung. Am Christabend kamen wir in Colombo an und konnten ohne Lichterbaum und leider auch ohne unsere festlichen Lieder Weihnachten in fröhlicher Gesellschaft an Land feiern. Die weite, flache Küste Ceylons ist ein grosser, zusammenhängender Palmenwald, der in der treibhauswarmen Luft üppig gedeiht. Wenn wir in den ägyptischen Wochen gewohnt waren, bei aller Wärme doch mit trockener Haut Fahrt und Wanderung zu gemessen, so ist in Colombo alles feucht und schwitzig und darum erschlaffend. Aber darüber sieht man gerne hinweg, wenn man jung und zum erstenmal in den Tropen ist. Wir besuchten die in Colombo unscheinbaren Hindutempel und machten einen Ausflug durch die Lagunen mit den in der Sonne glitzernden Waldrändern. Dann aber zog es uns bald weg von der Küste und hinauf nach Kandy mit seinem berühmten See und dem malerischen buddhistischen Kloster. Die Bahn führt zuerst durch das flache Tiefland an den hellgrünen Terrassen der Reisfelder vorbei, und dann steigt sie in Windungen hinauf nach dem gebirgigen Landesinnern.

Es ging gegen Abend, und der Blick nach Westen wurde ganz frei. Die dampfdurchtränkte Luft sättigte sich mit Sonnenlicht, und je mehr die Göttin sank, um so mehr schien alles Übergossen und eingetaucht in warmen, goldenen Duft. Weit über die Reisfelder und Palmenwälder hinweg kam das Meer als dunkelblaue Linie zum Vorschein, ein wunderbarer Abschluss des glänzend moosgrünen Vorlandes. Ausser diesem Wasserstreifen am Horizonte sieht das Auge in meiner Erinnerung kein Blau mehr, Himmel und Luft waren von warmem, alles umhüllenden und durchdringenden Gold erfüllt, und nur die Erde und das Meer behielten ihre eigene Färbung, aber verklärt und durchglüht. Sonnenuntergänge wie in Blut getaucht hatten wir in Ägypten über der heissen Wüste erlebt. Hier aber war die von Feuchtigkeit getränkte Luft gesättigt von goldenem Lichte. « Ich sah im ewgen Abendstrahl die stille Welt zu meinen Füssen, entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Tal, den Silberbach in goldne Ströme fliessen. » Wir erlebten, was Faust sich ersehnt, und es war die Ouvertüre zu den Monaten, die wir in Indien verbrachten und in denen hie und da ein Ausschnitt aus Tausendundeinenacht uns zuteil geworden ist.

Das kleine Paradies von Kandy im geschlossenen Bergtal sieht wohl jeder Fremde, der in Colombo seine Reise unterbrechen kann, und es mag ihm zum Inbegriff tropischer Schönheit werden, aber für uns lag seit jenem Abend über Ceylon ein Glanz überirdischer Schönheit, fast zu golderfüllt für unsere nordischen, nebelgewohnten Sinne und fast zu weich und zu reich für uns in Härte und Selbstzucht grossgewordene Menschen. « Das isch wohl für e Tierli guet », sagt Hebel vom Käfer, der es sich in der Ilge wohl sein lässt, aber einmal tut es auch uns Menschen gut, in der Überfülle von Sonne und Wärme es sich wohl sein zu lassen.

Das nächste Vierteljahr sah uns kreuz und quer Indien durcheilen. Wir weilten in den südlichen Tempeln mit ihren von Teichen und Palmenhainen umgebenen Hallen und Pagoden. Wir fuhren mit einem stolzen Brah-manen von Benares den Ganges hinab und staunten die stolzen Königspaläste an mit ihren Pfalzen und sahen nicht ohne Anteilnahme die unzähligen Beter zum heiligen Strome hinuntersteigen. Wir traten fast scheu vor Erwartung durch die hohe Eingangshalle in die Gärten des Taj, jenes Mausoleums aus weissem Marmor, das ein Bild aus Märchen verkörpert, und durften hoch zu Elefant nach dem Bergschloss Amber reiten, wo wilde Pfauen unsern Weg kreuzten und ein See im engen Tal die Zinnen der Festung widerspiegelte. Es war eine neue Welt für uns, voll von Zauber und von Schönheit. Einen Abend aber wie in Ceylon haben wir nicht mehr erlebt, und sein goldenes Licht überstrahlt milde die Herrlichkeiten des indischen Wunderlandes.

Bekanntlich ist es dem Menschen nicht gut, dass er allein sei. Das gilt ganz besonders auch vom Reisen, wo die Einsamkeit nicht nur drückend, sondern auch hindernd sein kann. Nicht jeder ist ein starker Mann, dem es allein auf sich gestellt am wohlsten ist und dessen Mut jedem Abenteuer im Vertrauen auf die eigene Energie und Kraft gewachsen ist. Das Alleinsein ist zeitweise eine Notwendigkeit, aber die Vereinsamung ist sicherlich wenigen bekömmlich. Es wandert und reist sich gut zu zweien, was dem einen entgeht, bemerkt der andere, was dem einen zustösst, trägt mit der andere, und die Sicherheit des gegenseitigen Verlasses hilft über sonst unerquickliche Sach-lagen hinüber. Das war auch die Meinung einer befreundeten Familie in New York, die mir ihren Sohn empfahl für den Fall einer Reise nach Westen, und das gab den letzten Anstoss dazu.

Damals war Kanada von Montreal bis Vancouver nur von einem Schienenstrang durchzogen. Jeden Wochentag fuhr ein Zug, am Sonntag keiner. Schlaf- und Speisewagen waren behaglich ausstaffiert, und die Reisenden richteten sich ein wie auf dem Schiff, denn für 3 bis 4 Tage ging 's gradaus westwärts im gleichen Abteil und gleichen Bett und mit den gleichen Genossen.

Die Fahrt war etwas eintönig, ärmliche Tannenwälder, weite Steppen und hie und da eine Musterfarm, Städte noch keine, Strassen noch weniger, es war damals noch Neuland. Das hinderte aber verschiedene recht eindrückliche Erlebnisse durchaus nicht.

In einer Nacht, in der es stürmte und regnete, wurden wir plötzlich tüchtig geschüttelt und gestossen, aber wir waren im weichen Bett, und so gab es nicht einmal Beulen. Der Zug blieb stehen, die Beamten machten nicht viel Lärm, und es war stockfinster — wir schliefen wieder ein. Als der Tag graute und der Zug immer noch bewegungslos dastand, zog ich mich an und stieg aus. Wir waren mitten in der Prärie, die Lokomotive quer über den Schienen, der Tender senkrecht an ihr aufgerichtet, ein Viehwagen zersplittert vor dem Zug, der Gehilfe des Führers noch zitternd wie Espenlaub neben den Trümmern. Was war geschehen? Der Sturm hatte von dem Seitengeleise einer Viehfarm einen Wagen auf die Hauptlinie getrieben, wo er stecken blieb, und wir, dank Nacht und Nebel, waren glatt hineingesaust. Der Schaden war nicht sehr gross, und nach einiger Zeit kam Hilfe. Ein Arbeiterwagen mit Mannschaft traf ein. Das Nebengeleise, Schienen und Schwellen wurden stückweise abgehoben, neben die umgestürzte Lokomotive auf die Prärie gelegt und leicht verbunden, hinten und vorn das Hauptgeleise abgebogen, und nach wenigen Stunden humpelte die Hilfsmaschine über die provisorische Linie, holte ebenfalls humpelnd unsere schweren Wagen aufs jenseitige Geleise, und weiter ging die Fahrt.

Die Rocky Mountains wollten wir nicht ganz ohne Aufenthalt durcheilen. Wir überschlugen einen Tag in Glacier und gewannen einen Führer, um in die Gletscherwelt hineinzuschauen. Es war keine Kletterpartie und keine Besteigung, nur eine Wanderung in ein wildes Tal, an dessen Ende der Tannenwald an die Schuttmassen des Gletschers unmittelbar heranreichte. Wild und einsam, von Weiden, Vieh und Menschen wie bei uns rein nichts, nur längs unseres Weges zeigten ein paar Bärenspuren, dass der Gletscher auch von andern Lebewesen als Passweg benützt wurde. Die Lieblichkeit unserer Talgründe mit ihren grünen, nahrhaften Wiesen und Weiden fehlt ganz. Der Wald geht über in den Fels und Schutt und dieser ins Eis. Wir sahen von der Gletscherhöhe hinüber in eine zerrissene Berglandschaft, einsam und verschlossen, und wohl die wenigsten Kämme und Spitzen hatten damals schon menschlichen Besuch erhalten.

Eine kleine Beobachtung mag Interesse bieten. Der ganze Gletscherschnee war bräunlich angehaucht. Er war überdeckt mit kleinen, braunen Rubeli, ähnlich denen, die sich beim Reiben der Handflächen ergeben. Die braune Farbe hatte sich in diese Würstchen am Rande der kleinen Vertiefungen, die die Sonne ausgeschmolzen hatte, gesammelt. An den Bruchstellen des Eises sah man horizontal braune Schichten, Linien, eingelagert. Es musste also die Ablagerung eines Stoffes sein, den der Schnee mit sich herabgezogen und der nun beim Schmelzen obenauf zurückblieb. Ich konnte es mir nur so erklären, dass es der Niederschlag von Rauch sein musste. Die Rauchentwicklung der Waldbrände ist unter Umständen so gewaltig, dass durch weite Landstrecken die Luft davon wie von einem milchigen Nebel gesättigt wird. So suche ich in der bräunlichen Verunreinigung des Gletscher-schnees den Niederschlag des Rauches der Waldbrände.

Wir sollten einen solchen in nächster Nähe erleben. Die Bahn führte am westlichen Absturz der Rocky Mountains durch ein enges, bewaldetes Tal hinunter. Auf einer Strecke brannte der Wald beidseitig des Geleises lichterloh. Der Zug fuhr langsam, denn der Rauch hemmte den Ausblick über die Linie, und die Gefahr, dass ein stürzender Baum die Fahrt sperre, verlangte grösste Vorsicht. Die Fenster waren geschlossen, und wir sassen dennoch wie an einem Kaminfeuer in der strahlenden Hitze der flammenden und glühenden Stämme.

Von Vancouver nach Victoria hatten wir mit dem Nebel zu kämpfen, und es fuhr auch glücklich im faustdicken Brodem ein kleiner Holzdampfer in unser Schiff hinein. Wir kamen mit dem Schrecken und mit einer zerstörten Küche weg. Das Dampferchen war vorn aufgerissen, aber nicht lebensgefährlich verletzt, und so fanden wir beide bald nachher mit zerschundenen Schiffskörpern den schützenden Hafen.

Die Fahrt nach Alaska ging, wie in Norwegen, zwischen felsigen Inseln hindurch, auf denen ein magerer Tannenwald sein Leben fristete.Viel Abwechslung war nicht dabei, aber gute Gesellschaft. An den wenigen Stationen machten wir mit den dortigen Indianern Bekanntschaft, eine unsaubere Gesellschaft. Ihre Frauen nehmen aber doch auf ihren Teint Rücksicht und schmieren sich, wenn sie in der Sonne auf dem Wasser fahren, die Wangen mit Russ ein, um keinen Sonnenstich zu bekommen. Ein Mittel, das bekanntlich auch gegen Gletscherbrand schützt. Weiter nordwärts bei Juneau City besuchten wir die Goldminen, und dann fuhr, den Vergnügungsreisenden zulieb, unser Schiff in den tiefen Fjord des Muir-Gletschers hinein. Das war der Glanzpunkt der Fahrt!

Der Fjord ist am Ende etwa 3 Meilen, also nahezu 5 km breit und wird durch die direkt aus dem Meer aufsteigende gewaltige Eiswand des Gletschers von fast hundert Meter Höhe in seiner ganzen Breite abgeschlossen. Wir kamen am Morgen hin; das Wasser war übersät mit zum Teil grossen Eisblöcken, und es war bitter kalt. Das Eis hatte sich in der Nacht mit einer weisslichen Schicht Reif überzogen, und die Wand von 100 Meter Höhe stand leblos und frostig vor uns. Von Zeit zu Zeit brach nun krachend ein Stück des Gletschers ab und sank lautlos in die schwarze Flut, einen dunkelblauen Flecken auf der Randseite des Gletschers hinterlassend. Einmal löste sich an seiner höchsten Stelle eine gewaltige Masse los, es muss ein Stück gewesen sein, das an Grosse der Basler Münsterfassade entsprochen hat, denn es ward die tiefblaue Wunde auf der ganzen Stirnhöhe des Gletschers sichtbar, und unser Schiff, das wohl zirka 5 km weit weg im Fjord stillag, schwankte wie auf offener See, wenn die Sturmwogen es in seiner ganzen Länge heben.

Wir durften an Land, stiegen auf den breiten Gletscherrücken und sahen hinunter auf die eisübersäte Wasserfläche. Der Gletscher stösst täglich um 3 Meter vor und lässt ahnen, welches gewaltige Einzugsgebiet ihn speisen muss. Ich sage ahnen, denn leider war der Nachmittag grau, und Wolken lagerten sich im Norden, über dem Quellgebiet des riesigen Eisstromes. Das Eis war stark ausgeapert, und seine scharfen Nadeln spielten den Gummischuhen unserer Damen bös mit; sie wurden gründlich zerschnitten und blieben als Zeugen europäischer Kultur auf dem Gletscherrande ausgesetzt.

Es ging gegen Abend, als wir wieder an Bord uns eingefunden hatten, und bis alles zur Rückfahrt nach Süden bereit war, schauten wir hinüber nach dem wunderbar langsam und stetig fliessenden Riesengletscher. Da tat sich weit hinten überraschend die Fernsicht auf. Rötliches Abendlicht brach unter den Wolken durch und unter ihnen in magischer Beleuchtung erschienen Berge, Riesen mit Felsrippen und Firnschnee, einer neben dem andern, gewaltige Gesellen von gegen 5000 m Höhe, eine rosenrote, über-weltliche Gebirgskette, weit, weit weg, duftig und gross, von traumhafter Schönheit. Das also waren die Paten, die die Wiege der Gletscherquellen umstanden und die uns einen letzten Gruss, von der sinkenden Sonne bestrahlt, zusandten. Die gewaltige Eiswand hatte jeden Glanz verloren; grau und herzlos schloss sie den Fjord ab, als wollte sie drohend jeden abschrecken, den das Gelüsten ankommen könnte, weiter hineinzudringen in die Geheimnisse jener leuchtenden Firne. Eine verbotene Welt lag in der Ferne, als ob sich dort eine Neuschöpfung vollzöge, deren Geburt keines Menschen Auge Zeuge sein durfte. Nur von ferne wurde uns die Vision eines märchenhaften Gebirges zuteil, einer Welt, viel zu verschlossen, als dass sie Menschen erreichen könnten, zu kalt, zu unnahbar und zu starr, als dass menschliches Leben dort sich hinwagen dürfte, und doch lag ein Zauber auf diesem Schauspiel, der uns weit in die nächtliche Rückfahrt und in unser ganzes Leben hinein begleitete.

In Sitka, dem alten russischen Hauptstädtchen Alaskas, hielt der Dampfer, um die Post abzuliefern und für die Fahrt südwärts in Empfang zu nehmen. Ich sass in Gedanken am Schiffsrande und schaute nach der kleinen, freundlichen Kirche hinüber. Da klang unerwartet das Klavier aus den untern Räumen herauf, Melodien aus Opern und Liedern. Man hörte es dem Musiker an, dass sein ganzes Herz in seinem Spiele lag. Es war der Schullehrer aus Sitka, ein Amerikaner, dem die Musik Bedürfnis war, der aber in dem weltverlorenen Orte kein Instrument besass. So hungerte er tage- und wochenlang nach der Ankunft des Postdampfers, und während die Passagiere an Land gingen und seine Schule besahen, ruderte er an Bord und schwelgte ohne Noten in den Klängen, die seine Hände dem alten Instrumente entlockten. « Wie freu ich mich, wie freu ich mich, wie treibt mich das Verlangen », klang es aus Nicolais « Lustigen Weibern », und ich freute mich mit ihm und genoss mit ihm Melodien, die mich und ihn weit weg von Meer und Gletschern führten in ferne Städte und ferne Kontinente, wo wir viel Liebes zurückgelassen hatten.

Südwärts war nicht mehr viel zu erleben. Ein Reh, das von Insel zu Insel schwimmen wollte, wurde herausgefischt und ward unser neuester Passagier. Um ihm Gesellschaft zu geben, kaufte der Kapitän um 5 $ einen kleinen Bären, ein urgemütliches, komisches Tierchen, mit dem jedermann spielte und das schnurrte, wenn man ihm den Finger zum Lutschen gab, wie eine tüchtige Katze, der es wohl ist.

Die gewaltigen Vulkane Mount Rainier und Mount Baker, die wir bei der Fahrt nordwärts klar gesehen hatten, waren nun verschwunden in weisslicher, vom Rauch der Waldbrände getrübter Luft.

Portland nahm uns bald nachher auf, und die Weiterfahrt ging der Sonne zu, Kalifornien, Arizona und Texas, und an Frieren und warme Kleider war nicht mehr zu denken. Das ferne Eisland aber im roten und doch so kalten Abendschein folgte uns nach wie mit magischer Anziehungskraft in die heissen Täler Colorados.

In den neunziger Jahren fanden mich wolkenlose Septembertage in der Berglihütte ob Grindelwald. Die Jungfraubahn existierte damals noch nicht, kaum ein Gedanke daran. So blieb also die bittere Schwitz-tour über den sonnigen Kalli nicht erspart und ebensowenig das Stapfen und Klettern durch weichen Schnee und den Gletscherbruch unterhalb des Bergli.

Es ist ein unbarmherzig langer Aufstieg, und er lässt es nie durch Einschaltung einer ebenen Wanderung zum Umschalten der Muskeln kommen. Dazu brennt die Sonne von Westen her auf den Rücken vom ersten Schritt ob Grindelwald bis fast zum schützenden Dach der Hütte. Die Hauptarbeit des Steigens ist dann allerdings gemacht, denn von Grindelwald zur Hütte sind 2300 m, von der Hütte zur Jungfrau nur noch 860 m zu überwinden. Arme Jungfrau! Damals musste man noch um sie werben, heute ist sie zum leicht erreichbaren Aussichtspunkt einer Bahn geworden.

Uns nach folgten zwei Schweizer, die mit uns die Hütte teilten, der eine nur in leichten Halbschuhen, in die er sich im Tal noch hatte Nägel schlagen lassen, und sonst ohne Ausrüstung. Er muss aber mit seinem Kollegen heil heimgekommen sein und hatte das dem überaus schönen Wetter und auch den guten Schneeverhältnissen zu verdanken.

Wir waren früh auf. Führer Joseph Küster von Engelberg voraus, ein zweiter Führer aus Grindelwald hintennach. Ich war nie ein Alleingänger. Um 7 Uhr standen wir auf der Jungfrau. Die Täler lagen noch im tiefen Schatten unter uns, aber die Luft war vollkommen klar. Den Tag hatten wir noch voll vor uns, und so gelüstete uns nach dem Mönch. Um 12 Uhr sassen wir oben. Der Schnee war weich und haftete kaum mehr auf dem eisigen Untergrund, so hielten wir uns, soweit immer möglich, auf dem steilen Schneegrat dem Mönchsjoch zu. Die zweite Nacht weilten wir auf dem Bergli allein und konnten am Abend ungestört den Lawinen zusehen, die von den Fiescherwänden in den Kessel herabdonnerten.

Am andern Morgen waren wir wieder zeitig auf und eilten, um noch guten Schnee anzutreffen, im Mondschein über das obere Ewigschneefeld dem grossen Fiescherhorn zu. Das war ein leichter Spaziergang, bis die Wände des Berges steiler und steiler wurden und wir schliesslich uns zum Stufenhauen und langsamen Vorrücken bequemen mussten. Das Licht wurde stärker, und der Himmel war durchsichtig, wie er es nur im Frühherbste sein kann. Das Eis war spröde und schwarz und die Neigung so schroff, dass man mit seiner Nase bedenklich in die Nähe der Absätze des Vormannes kam. Küster schlug tiefe, gute Stufen, und wir klebten hinter ihm an der Wand, Schritt um Schritt dem Grate zusteigend. Es war bitter kalt, und das Eis glashart.

Da, mit einem Male berührte die Sonne den Gipfel der Jungfrau, dann des Mönchs, und Spitze um Spitze leuchtete auf im goldenen Licht. Das war nicht ein langsames Eintreten in die Helligkeit des Morgens, ein unsicheres Getroffenwerden von den ersten Strahlen, nein, in harter, scharfer Linie rückte der Schein hinunter an unsern Bergriesen, als wäre keine Luft vorhanden, die eine Lichtstreuung verursacht hätte. Mit einem Schlag kam Bewegung in die schlafende Welt. « Hoch, weit, herrlich, den Blick ins Leben hinein », so klang es in mir, « der Berge Gipfelriesen verkünden schon die feierlichste Stunde ». Ich vergass mich auf Augenblicke in diesem unendlich schönen Schauspiel und sagte zu meinem Hintermann: « Seht, welche Pracht !» « Nicht sprechen, aufpassen! » herrschte mich Küster an und mahnte meine gefangenen Sinne, dass ein Abschweifen von der Wirklichkeit für uns drei zusammen Gefahr bringen konnte. Ich duckte mich wieder an die Eiswand, schweigend wohl, aber immer noch gefesselt vom siegenden Licht.

Einmal voller Tag, verlor die Sonne ihren wannen Schein, und die Berge und Gletscher bekamen ihr gewohntes, hartes Gesicht, das uns dank seiner Grosse und seines männlichen Charakters immer neu lieb ist und zu sich hinzieht. Es ging nicht mehr lang, und wir waren auf dem Grat, und der Aufstieg nach dem Horn bot keine Mühe mehr.

Das Fiescherhorn liegt zurück hinter der grossen Vorwacht der andern Berner, und die Aussicht ist gehemmt. Mächtig bleibt der Blick in den Gletscherkessel zu seinen Füssen. Von alle dem ist vieles im Gedächtnis verwischt. In bestimmtem Bilde bleibt aber das Aufleuchten und der Niederstieg der Morgensonne an den Zinnen gegen Westen, dieser sichere, fast schattenlose Einbruch des Tages in die tote und plötzlich so unendlich farbenreiche Gletscherwelt.

Den Abstieg nahmen wir nach dem kleinen Fiescherhorn. Der Schnee war nun so weich, dass wir die Absicht, ihm einen Besuch abzustatten, aufgeben mussten. So wanderten wir den Fiescherfirn hinunter und über die Grünhornlücke nach der Konkordiahütte, um dort zu übernachten.

Zum erstenmal litt ich ein wenig an Bergkrankheit. Ich konnte nur noch Trinkbares den Hals hinunterbringen. Das Brot klebte mir wie Kleister an Zunge und Gaumen, wie wenn kein Speichel mehr zu Hilfe kommen wollte. Wir unterliessen es darum, auch am folgenden Tage wieder einen Gipfel aufs Korn zu nehmen, und schlugen unsern Weg direkt über die Lötschenlücke nach Ried ein. Dort gab 's Milch im Uberfluss, und die heilte auch jeden Schaden alsobald.

Am andern Morgen benützten wir nochmals den Mondschein zu frühem Aufbruch und genossen auf dem Tschingelhorn zum letzenmal in jenen klaren Herbsttagen den Blick weit hinein in unser Schweizerland.

« Beleuchtungen » habe ich meine Erinnerungen überschrieben. Man könnte auch Visionen sagen, Augenblicke, in denen sich Eindrücke zu einem zwingenden, geschlossenen Bild zusammendrängen. Was ist die Veranlassung dazu? Sind wir in solchen Augenblicken besonders empfänglich für das Geschaute oder ist es innerhalb der Reihe der Bilder wirklich so einzig in seiner Art gewesen, dass es alle Nerven erfasst hat und die Erinnerung es in bestimmter Prägung festhalten musste? Es wird wohl beides zusammentreffen, aber der Anstoss zur Erregung muss von aussen kommen und die innere Bewegung auslösen. Wir könnten sie mit all unserer Phantasie nicht erschaffen und könnten solche Stunden oder Minuten nicht erzwingen. So kurz sie in sich sind, sie leuchten lange zurück.

Musik und die bildenden Künste können ähnliche Eindrücke in uns wachrufen. Vor Jahren wohnte ein Franzose auf der Durchreise durch Basel einer Aufführung der Matthäuspassion im Münster bei. Der « Temps » brachte nachher einen Artikel, der in fast überschwenglichem Lobe der Aufführung gedachte und damit schloss: « Je recommande Bâle pour des jouissances inédites. » Ihm ist wohl ganz unerwartet ein übergrosser Kunsteindruck zuteil geworden, der in einem Bekenntnis zur Ruhe kommen musste. Jeder einigermassen empfängliche Mensch wird sich solcher Stunden oder Augenblicke erinnern, wo von einem Bild, von einer Melodie, vielleicht auch von einem Bauwerk oder Raume etwas wie eine Offenbarung ewiger Schönheit in ihm aufging, wo er gefesselt wurde von der Empfindung, ein Stück Vollkommenheit und reinster Harmonie in Farbe, Ton oder Form geschaut oder gehört zu haben. Auch das sind Erlebnisse, in denen unserm Gemüt für immer eine Vertiefung, unserem Herzen eine Reinigung zuteil wird.

Aber wohl am stärksten sind wir doch beeinflusst, wenn ein Stück der Schöpfung uns seine volle Herrlichkeit offenbart. Ein Amerikaner genoss einst mit mir einen farbigen Sonnenuntergang vom Gäbris aus und, von der Pracht erfasst, rief er: « Man muss religiös werden, wenn man so was sieht! » Und Goethe dichtete nicht vergebens, « von Gebirg zu Gebirg schwebet der ewige Geist ewigen Lebens ahndevoll ». Es besteht sicherlich eine Verwandtschaft zwischen den durch Kunst und Natur geweckten tiefsten Empfindungen und dem unsere Seele erfüllenden religiösen Leben. Sind sie auch nur sein « farbiger Abglanz », so sind sie doch eine nicht gering zu achtende Bereicherung.

Liegt es an der Fülle der Farben und des Lichtes, dass sich solche Erlebnisse so tief in unserer Erinnerung verankern? Ich möchte das bejahen, wenn ich auf das Geschilderte zurückblicke. Aber Farben ohne Form tun es nicht, geradesowenig als Klänge ohne Melodie uns seelisch packen oder Bauformen ohne ihre Einordnung in den Raum oder Unterordnung in die Gliederung des ganzen Gebäudes uns innerlich erfassen würden. Es muss ein Zusammenklang von Farbe und Form sich einstellen, um uns ganz ergreifen zu können. Die Formen gehen auf Schritt und Tritt mit uns, und sie reichen in der Natur aus, um an sich schon in ihrem steten Wechsel uns zu erfreuen und zu fesseln. Aber wenn sie sich zum Bilde gestalten sollen, so muss Licht und Farbe sich ihnen zugesellen und zu einem abgestimmten Ganzen zusammenschmelzen, das vor uns entsteht wie ein vollendetes göttliches Kunstwerk, an dem man, ohne ihm zu schaden, nichts verschieben dürfte.

Der Genuss der körperlichen Anstrengung, die Freude an bezwungenen Schwierigkeiten und das Trinken von Luft und Licht, der Reiz des Nie-gesehenen, die Mehrung unserer Erfahrungen und Kenntnisse, die Ausweitung unseres Lebens durch neue, fremde Bilder und Eindrücke: all das lässt keinen Reisetag und keine Wanderung als verlorene Zeit erscheinen, aber über all dem Reichtum thronen wie hohe, sonnige Gipfel aus idealen Gefilden solche einzelne Erlebnisse, die unserem Leben einen unverlierbaren Wert zugefügt haben. Dass es dazu keine Tropenfahrt und keinen Abstecher nach Alaskas Gletschern braucht, ist nicht nötig zu sagen, unsere Alpen sind reich und wunderbar genug, um uns solche Geschenke zu spenden.

Alfred Sarasin.

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