Benedictus Marti und die Anfänge der Alpendichtung | Club Alpino Svizzero CAS
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Benedictus Marti und die Anfänge der Alpendichtung

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Von René Neuenschwander

( Utzigen bei Bern ) In der Literaturgeschichte gilt Albrecht von Haller als Entdecker und Verkünder der Alpenschönheit. Wie Rousseau die savoyischen Felsbastionen und die Weingärten und Winzerdörfer des Genfer Sees besang, so stimmte der grosse Berner auf den beglänzten Zinnenkranz des Alpenwalls, auf seine stolzen Schneehäupter und einsamen Eispyramiden das Hohelied an. Er schilderte Werk und Tageslauf der Bergbewohner und pries einem verweichlichten Geschlecht die ursprünglichen Sitten des Hirtenvolks und seine einfach-grossen Charaktere. Ein glücklicher Gestalter und Vollender, zündeten seine Verse in die Zukunft, liessen Dichter und Gelehrte aufhorchen und entfesselten einen Fremdenstrom nach jenen verträumten Tälern und luftigen Höhen.

Doch kein menschliches Werk wird aus dem Nichts geboren, und die Wurzeln von Hallers Hymnus reichen Jahrhunderte zurück. Die alten Völker haben allerdings ihr Bergerleben in keine wohlgesetzten Worte gekleidet, schreibt doch Augustin in seinen « Bekenntnissen »: « Und da gehen die Menschen hin und bewundern hohe Berge und weite Meeresfluten und mächtig daherrauschende Ströme und den Ozean und den Lauf der Gestirne und verlassen darob sich selbst. » Auch Petrarca, der aller beschwörenden Einwände der Ansässigen ungeachtet den Mont Ventoux unweit Avignon bestieg, fühlte sich nicht fähig, den gewaltigen Fernblick in sprachliche Form zu giessen. Ebensowenig drückten Dante und Aeneas Sylvius, der spätere Papst Pius IL, ihre Gipfelwanderungen in feierlicher Liedform aus.

1 Diese Mauer wurde nicht gegen die Lawine erstellt, sondern als Schutzdamm - Auffangdamm -gegen die Felsabbrüche am Sasso Rosso.M. Oe.

Es entspricht der geistig-seelischen Bindung des Menschen an die Umwelt, wenn die frühsten Lobredner der Alpen in der Schweiz und ihrer nächsten Nachbarschaft zu suchen sind. Der Anreger dieser Kundgebungen ist der Zürcher Arzt und Naturwissenschafter Konrad Gesner, ein Polyhistor und Lehrer von universaler Intellektualität. Man hat ihn als den « ersten Sommerfrischler » bezeichnet, der sich vornahm, « jährlich einen oder mehrere Berge zu besteigen, sowohl ihrer Erkenntnis halber, als auch wegen der edlen Körperübung und geistlichen ( geistigen ?) Erquickung ». In seinen Berichten spürt man bereits etwas von der Seligkeit des Auges, dem sich der Zauber der Bergwelt erstmals offenbart. « Welch ein herrlicher Genuss », so schreibt er, « welche Wonne ist es doch, die unermesslichen Bergmassen bewundernd zu betrachten und sein Haupt über die Wolken zu erheben!... Wer aber die Weisheit liebt... besteige hohe Berge, er wende seine Blicke auf jene unermessliche Alpenkette, er wandle durch schattige Wälder, stelle sich auf hohe Berghäupter hin und umfasse da die unendliche Mannigfaltigkeit von Gegenständen, die vor seinem Blicke ausgebreitet liegen. » Als angestrengter Beobachter fängt sein forschender Blick die Berggestalten ein, die erlebte Landschaft verdrängt die « zaubergläubigen Kuriositäten », die den fabulierfreudigen Menschen des Mittelalters in Bann zogen.

Fast gleichzeitig mit Gesner lenkte der aus Rellikon stammende Johannes Müller, genannt Rhellicanus, seine Schritte in die alpine Steinwelt. In Bern als Professor des Griechischen und der Theologie tätig, brach er 1536 mit dem Reformator Peter Kunz und einigen andern von Erlenbach nach dem Stockhorn auf. Der humanistische Pfadfinder verfasste über diese Exkursion eine « Stockhornias », ein Poem in 130 lateinischen Hexametern, das 1537 zu Basel in Druck erschien. Mit Entlehnungen aus Vergil pries er darin die frohe Bergfahrt. Er verzehrte mit seinen Freunden die « Gaben der Ceres », lauschte an Wildbächen und Quellen auf den verlockenden Gesang der Nymphen und Nixen und erblickte im Sonnenuntergang Phöbus, der mit seinem feurigen Gespann in die abendlichen Fluten des Gipfelmeers versank.

Zwei Jahrzehnte später bestieg Benedikt Marti, nach Humanistenbrauch Aretius gerufen, Stockhorn und Niesen. Er war der Sohn eines Priesters und stammte aus Bätterkinden in der alten Vogtei Landshut. Sein Taufjahr steht nicht fest, wir wissen einzig, dass er 1539 in der obern Schule im Franziskanerkloster zu Bern über den « Lätzgen » oder « lectiones » des Präpositus Sulzer schwitzte, später das theologische Alumnat besuchte und mit einem Reisestipendium nach Strassburg und Marburg zog. Dort immatrikulierte er sich mit seinem Landsgenossen Blauner und genoss bei Hyperius und Happel den Unterricht in der Gottesgelahrtheit. Der Krieg zwischen dem Kaiser und den protestantischen Fürsten störte die Vorlesungen, die Füchse flogen aus, und Marti streifte, der materiellen Mittel entblösst, mit einem jungen Mediziner botanisierend in den Wäldern und Hügeln Mitteldeutschlands herum. Seine wissenschaftliche Odyssee führte ihn bis Siegen und Köln und endete mit einer Professur für Logik und Dialektik.

1549 rief ihn die Heimat zurück. In Bern hatte der Sakramentsstreit die Anhänger Luthers und Zwingiis in zwei feindliche Lager geschieden, und die seelsorgerische Tätigkeit litt Schaden. Die Obrigkeit verabschiedete deshalb eine Reihe missliebiger Lehrer und berief Freunde der landeskirchlich-reformierten Richtung an die vakanten Posten. Mit Musculus und Johannes Haller fand auch Marti ein neues Tätigkeitsfeld. Als Gymnasiarch, Vorsteher der untern Lateinschule, ordnete er die Übelstände in der pädagogischen Praxis, und als akademischer Lehrer erläuterte er später Homer, Livius und die Kirchenväter.

Bereits in Marburg hatte Marti mit Gesner Beziehungen angeknüpft, die jetzt in einen regen Briefwechsel ausliefen. Der Berner Professor legte im Kartäuserkloster einen fio- ristischen « Akklimatisationsgarten » an, zog seltene Gewächse und sandte sie dem Freund nach Zürich für dessen botanisches Sammelwerk; er brachte als erster in der Schweiz die 1558 in Europa eingeführte Tabakspflanze zum Blühen und entdeckte in der Bitterwurz ein Heilmittel für das Vieh. Auch mit der Himmelskunde befasste er sich. Der im März 1556 am Firmament schweifende Stern veranlasste seinen Traktat über den Kometen, in dem er den irrenden Lichtkörper als Ausdünstung der Erde und Mahnung Gottes zur Umkehr einer unbussfertigen Menschheit charakterisierte. Auch in seinem grossen theologischen Lehrbuch, den « Theologiae Problemata », untersuchte Marti die Vorgänge im Naturreich. Er gibt einen Erdbebenkatalog und erklärt die Erschütterungen der Erdoberfläche als Ausbrüche des im Innern unseres Planeten eingeschlossenen Dampfes, zugleich aber auch als Vorboten des von Gott beschlossenen Endgerichts. Krankheiten sah der vielseitige Gelehrte als Strafen für begangene Sünden an, und durch eine massige und geregelte Lebensweise glaubte er die Medikamente überflüssig zu machen. Zahlreich sind Martis Lehr- und Streitschriften, seine Kommentare, « Sermones » und « Lectiones ». Verstaubt und vergessen liegen sie heute in den Bibliotheken. Eingang in die Literatur jedoch fand seine Beschreibung der Berge Stockhorn und Niesen und der dort wachsenden Pflanzen, « Stockhorni... et Nessi... montium... descriptio ».

Sie ist wie die übrigen Werke im Humanistenlatein verfasst, bringt eine Reiseschilderung mit geographischen und topographischen Notizen und einen naturkundlichen Anhang für den Pflanzensammler. In zwei Tagen hat der unermüdliche Forscher die beiden Gipfel erstiegen, die herrliche Weite in sich aufgenommen und mit wachem Sinn volkskundliche, wirtschaftliche und botanische Beobachtungen gemacht. Nicht mehr im überschwänglichen Stil antikisierender Poeten zeichnete er seine Erlebnisse auf, sondern als schlichter Berichterstatter, passionierter Wanderer und Bergfreund. Wir bringen - leicht zusammengedrängt -eine Probe aus dem Werk:

« Von den höchsten Alpen laufen in unserem Bernerland niedrigere Berge, Alpweiden, schattige Wälder und schöne Täler aus. Man könnte sie die Paradiese des Cyrus nennen, wo die Menschen im grössten Überflusse leben. Im Süden ragen die Berge der Simmen empor. Da ist die Kette, die wir von Bern aus bewundern, hier sehen wir nach Wetterzeichen, von da beziehen wir Käse, Butter und Ziger. Die Einwohner treiben Milchwirtschaft und erwerben sich aus dem Gelde Getreide und Wein, den sie zwar selbst an vielen Orten haben. Ihre Lebensweise ist einfach, die Rede attisch fein gebildet.

Wer wollte solche Gegenden nicht gerne besuchen! Pilze, Dummköpfe, Tölpel, Fische, träge Chelonen sind alle, denen das keinen Eindruck macht. Ich weiss keine angenehmeren Reisen als Bergreisen, alles findest du da, wunderbare Pflanzen, wilde Vögel, staunenswerte Schluchten, Eisfelder.

Der Zugang ( zum Stockhorn ) ist schwierig, durch Wälder geht es hinauf über Bachalp und Strüssli. Die Aussicht ist wunderbar: zwei Seen sind südlich in der Nähe, der westliche kreisförmig und tief, mit schwarzem Wasser, ein stygischer Anblick! Der andere, herzförmig, liegt östlich. Da sind keine Fische, nur Wasserechsen und Salamander, eine Art Frösche mit grossem Kopf, vier Füssen und langem Schwanz, von den Griechen .Gyrini'genannt.

Auf den Niesen ging es durch Wiesen zum untersten Wald, dann über lachende Fluren zum Gipfel! Die Anwohner nennen ihn den Stalden, entferntere den Niesen, von dem weissen Helleborus oder Niesswurz. Der oberste Gipfel heisst zum wilden Andres. An den Felsen sind Inschriften, Verse, Porträts und Namen der Besucher eingetragen. Man sieht gegen dreissig Dörfer und Städte, alte Burgen, Schlösser, Seen und Flüsse. »

Pyrénées Orientales

Vallée de la Tet bei Olette ( Pyr. Or. ). Zwischen Mt-Louis und Mittelmeer durchfliesst die Tet den östlichen Teil der grössten Längstalfurche der Pyrenäen: Sègre-Col de la Perche-Tet. V-förmig tief eingeschnittene Rinne. Terrassenkulturen am steilen Talhang 13211331134 - Aufnahmen Val. Btnggeli, Langenthal Etang del Casteilla ( oben ) und Etang de Balleil, « .Kristallin-seelein » auf der Camporeil-Terrasse im östlichen Carlit-Massiv. Rechts das Ende der Lokalmoräne, die den Etang de Balleil staut Etang del Casteilla, Karsee im Schieferkristallin des Carlit-Massivs

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