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Bergfahrt im Herzen der Sahara. Hoggargebirge

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Hoggargebirge.

Von Walter Hauser.

Mit über 12 Millionen Quadratkilometer ist die Sahara die grösste Wüste der Erde. Sie reicht vom Atlantischen Ozean bis zum Nil, von den Bergländern Nordafrikas am Mittelländischen Meer bis hinunter in die Tiefebenen der Kolonialstaaten des Westens. Mitten im Herzen dieser endlosen Wüstengebiete liegt das Hoggargebirge. Ein Chaos von Bergdomen und Spitzen erhebt sich über die Täler. Ein wildes Durcheinander von Sägen und Messer-schneiden umstarrt stachelähnlich kleinere Hügel und fährt wütend in die Höhe. Dieses Bergland hat nichts von der majestätischen Ruhe der Alpen, nichts von ihrer Einheitlichkeit. Dort gibt es keinen gemeinsamen Plan, keine Gipfelfamilie. Es sind lauter Individuen, es ist die Anarchie der Berge.

Alle diese endlosen Wüsten, Weiden, Gebirge und Oasen werden von Menschen durchstreift, die auf ihnen und von ihnen leben. Der Hoggar ist die Heimat der Tuaregs, ein Volk von Weltruf, in welchem sich die Wüste mit ihrer Grausamkeit und Grosse verkörpert hat. Allen Invasionen von Norden haben sie bis um die Jahrhundertwende tapfer standgehalten. Erst mit der etappenweise erfolgten Pazifizierung von Südalgerien ist dieses geheimnisvolle Volk unterworfen und damit eine direkte Verbindung zum französischen Sudan geschaffen worden. Das umworbene, alte Afrika ist erobert. Es ist eingeordnet in den Lebensrhythmus jener Völker, die auf die Karte der Zivilisation setzen.

Die endlosen, weissen Sanddünen von Südtunesien liegen in dreitägiger, abenteuerlicher Autofahrt hinter uns. Motorpanne und Strapazen unter glühender Sonne haben uns schon am ersten Tag im Sande aufgehalten. Ein Biwak bei beissender Kälte in den mondbeschienenen Sandbergen beim Chott el Djerid hat uns frühzeitig mit den Leiden und Freuden des Wüsten-bewohners bekannt gemacht. Das Erlebnis der Nacht ist etwas Geheimnisvolles, Unfassbares. Der Tag jedoch lässt Sorgen und Mühen wieder leicht vergessen. Ein wolkenloser Himmel wölbt sich stets von Horizont zu Horizont. Kleine Karawanen kreuzen unsere Spuren im heissen Sand. Kamelleichen längs der Piste erinnern an die Gefahren der Wüste. Eindringlich mahnen sie zu aller Vorsicht.

Blutrot verschwindet die Sonne hinter den Sandbergen von El Oued. Der Blick vom Minaret über die Stadt der tausend Kuppeln ist überwältigend. Bei Touggourt endlich erreichen wir den Endpunkt der algerischen Eisenbahn. Ein funkelnder Sternenhimmel liegt über der Stadt. In der Ferne kläffen Hunde in die kalte Nacht. Dunkle Gestalten huschen in engen, unerleuch.teten Gassen. Monotoner Gesang und verborgenes Lachen tönt aus finsteren Höfen, wo die Ouled Nails von ewiger Liebe schwärmen. Kolonialsoldaten stieren in öden Tanzbuden auf die farbenprächtigen Gewänder der Tänzerinnen. Ein stilles Heimweh nach dem fernen Sudan liegt auf ihren hohlen Augen. Das ist die Wüstennacht.

Die Alpen — 1936 — Les Alpes.13 Eine gut asphaltierte Strasse führt vor Tagesanbruch zur « Piste orientale » hinaus. Aus den roten Lehmbuden kräht ab und zu ein Hahn in den lautlosen Morgen. Das Wüstenbild wiederholt sich in den mannigfaltigsten Farben. Gegen Mittag erreichen wir das Fort Lutaud in Ouargla. Der residierende Kommandant Carbillet heisst uns herzlich willkommen. Eine junge, charmante Französin, die für eine französische Zeitung einen Raid nach dem Sudan beabsichtigt, wird uns als Convoi-Gefährtin zugeteilt.

Der gleiche Nachmittag schon sieht uns auf der über 300 km langen Piste nach El Goléa. Bei Nacht und Wind erreichen wir das Bordj El Hadjar: eine einsame Karawanserei in der trostlosen Wüste. Der alte Araber als einziger Betreuer gibt uns Gastrecht. Müde und geschlagen kriecht man auf dem blossen Sandboden in Wolldecken und Schlafsack. Bald hat auch Bouboule, unser Vierbeiner, mit gleichmässigem Schnarchen seinen Tag beschlossen.

Lang vor Tagesanbruch steht alles wieder kampfbereit im Hof. Der Himmel hat sich leicht überzogen. Eine Regenstimmung liegt über der einsamen Wüste. Mit offenem Auspuff jagt unsere Begleiterin in den unfreundlichen Morgen hinaus. Gegen Mittag klart das Wetter und bringt wolkenlosen Himmel. Auf der Hochfläche von Djafou stossen wir unvermutet auf einen Sack Kartoffeln. Kaum eine Viertelstunde später glitzern Konservenbüchsen und eine silberne Puderdose im Sand. Ein blaues, ölbeschmutztes Ballkleid bildet den Abschluss des verlorenen Warenlagers. Unsere Gefährtin muss ordentlich auf den Gashebel gedrückt haben, dass sie diesen Verlust nicht bemerkt hat. In später Nacht halten wir Einzug in der Rosenstadt von El Goléa. Zu aller Verdruss muss mitten in schmutzigen Gassen nochmals getankt werden. In den wunderbaren Gärten der Militärstation beziehen wir Unterkunft in einem verlassenen, ebenerdigen Gebäude. Der Lysolgeruch lässt auf ein ausgedientes Lazarett schliessen. Ein eisernes Bettgestell und ein zerbrochener Stuhl gehören zum staubigen Inventar. Auf einem alten Waschtisch dampft ein einfaches Nachtmahl. Bouboule ergattert sich unbemerkt eine Omelette, mit der er in die dunkle Nacht hinaus flüchtet.

Wie Nadeln stehen Zypressen im nahen Park. Dazwischen blühen Pfir-sich- und Aprikosenbäume, stehen hellgrüne Oliven und grossblätterige Weinreben. Blühende Ziersträucher im wilden Durcheinander mit Beeten von roten Rosen bilden ein Gartenparadies von seltener Schönheit. Ein leichter Wind schüttelt die mächtigen Palmen. Sternschnuppen fallen wie Filigran in wildem Durcheinander. Das ist die Nacht in der Oase.

Am folgenden Morgen leuchtet uns kein guter Stern. Bei 5 Grad Kälte will der Motor nicht anspringen. Die Sonne steht noch fahl und tief hinter den Sandbergen. Violett weicht die Dämmerung den ersten Strahlen des Feuerballs. Blutrot überflutet das ewige Licht dann ferne Tafelberge und Dünen. Der Motor setzt aus. Die Ölleitung ist gebrochen. Lötkolben und Konservenblech beheben den Schaden in einer guten Stunde.

Ein stufenförmiger Anstieg führt auf die Hochfläche von Tademait, jener über 400 km breiten, schwarzen Regwüste, deren Boden von windgeschliffenen, oft wundervoll kannelierten Kalksteinen und Quarziten bedeckt ist. Der blaue Himmel sticht wie eine Halbschale auf dieses schwarze, vollkommen ebene Wüstenplateau. Die kleinen Steinmännchen der Pistenbezeichnung liegen oft kilometerweit abseits. Hier bedeutet ein Verirren den sicheren Tod. Stundenlang begleitet uns dieses merkwürdige Gefühl. Gegen Mittag erreichen wir Fort Miribel, einen ehemaligen Stützpunkt bei der Eroberung der südlichen Territorien. Nach kurzem Mittagshalt empfängt uns wieder die unendliche Steinwüste. Ab und zu stossen wir auf alte Citroen-Signale, die abwechselnd mit Zementpyramiden und Steinmännchen uns die Piste markieren. Die schwarze Hochfläche geht allmählich über in gelbe Sandebenen. In den abflusslosen Niederungen grüssen ferne Tafelberge. Zinnoberrot leuchten die Tafelkanten bereits im Abendlicht. Die rein blauen Schlagschatten werden länger und länger. Am Horizont stossen wie mächtige Fächer vereinzelte Palmen in den Abendhimmel. Im Scheinwerferlicht erreichen wir In Salah, die grösste Oase der Sahara. Verschlafene Militärposten werden durch unsere Begleiterin aufgeschreckt. Der Hof des Militärforts ist unser Parkplatz. Im kleinen Hotel der Société Algérienne des Transports Tro-picaux sinken wir müde in weiche Betten. Unsere Französin hat Gastrecht bei den Offizieren.

Der folgende Tag ist wohlverdienter Ruhetag. Ein Bummel durch die wohlgepflegten Gärten der Militärstation bringt farbige Abwechslung in das oft monotone Wüstenbild. Die umliegenden Eingeborenendörfer zeigen viel Merkwürdiges. Die ewig wandernden Sanddünen überfallen erbarmungslos diese heisseste Stadt der Sahara. Verwitterte Lehmmauern bilden fensterlos die engen Gassen. Viel Jungvolk spielt fast nackt in Sandhaufen zwischen Eseln und Kamelen. Der Sonnenuntergang auf der nahen Sanddüne ist etwas Überwältigendes. Überall hört man fröhliches Lachen von Heimkehren-den aus der nahen Oase. In den engen Höfen stechen Rauchfahnen kerzengerade in den schon sommerlichen Abend. Dämmerungserscheinungen in den merkwürdigsten Farben weichen einer sternklaren, kalten Nacht.

Lange vor Sonnenaufgang sind wir wieder im Sand. Leere Benzinfässer markieren kilometerweit die Piste. Am Horizont tauchen die ersten Berge auf. Violette Mergel in gewaltigen Schichtungen wechseln mit weicheren Sandsteinen der Devon- und Kreideformation. Dann geht 's vorbei an Bergen von schwarzen Schiefern und Granit des afrikanischen Grundgebirges. Stundenlang begleiten uns diese Höhenzüge der sogenannten Tassili, eine gewaltige Mauer aus flachgeschichtetem Sandstein über dem Granit.

Gegen Abend durchfahren wir einen farbenprächtigen Talboden. Vereinzelte Gazellen flüchten in die umliegenden Steppen. Am Eingang der Schlucht von Arak stehen zwei Benzinsäulen auf eisernen Postamenten. Das Bordj ist nicht mehr weit. Das schmale Strässchen führt zwischen hohen Felsmauern in die finstere Schlucht. Im Talgrund weht die französische Fahne auf der ehemaligen Festung. Unser Nachtquartier ist erreicht. Ein junges Pärchen aus der Provence bedient diese weltabgeschiedene Etappenstation. Wohl-aufgehoben in diesem wilden Felsental erträumen wir den nahen Morgen. Ein Radiogramm meldet unsere glückliche Ankunft vorschriftsgemäss den Militärbehörden nach In Salah und zugleich unsern Weggang nach Tamanrasset, dem Ausgangspunkt unserer Bergreise im Hoggar.

In früher Morgenstunde durchfahren wir ein wildreiches Hochtal. Dann aber passiert das Ungeheuerliche. Unser schwer beladene Ford hat ausgelitten. Mitten in einem alten Bachbett ist der Motorblock gesprungen. Was uns bevorsteht, ist nicht gerade rosig. Das war nun das längst schon prophezeite Ende. « Les Suisses n'ont jamais été des débrouilleurs », meinte die Französin. Auch Bouboule freute sich im stillen auf längere Ferien. Doch der Rat der Weisen findet bald einen Ausweg. Nach Arak zurückfahren: Motor in Algier bestellen, alles Unnötige zurücklassen, damit wenigstens die Bergfahrt ausgeführt werden kann. Koffern, Decken, Proviantkisten und Benzin-reserven werden umgeladen. Alles Entbehrliche unserer Begleiterin bleibt zurück. Wer weiss, wann diese Sachen den Sudan wiedersehen. Unser frisch verheiratete Mechaniker ist zu längeren Ferien in diesem einsamen Bergtal verurteilt. Lebensmittel und Wasser hat er für mehrere Wochen. Der Abschied ist sang- und klanglos und passt so recht in diese Trostlosigkeit und Einöde.

Um die heisse Mittagszeit rattert unser Cabriolet mit möbelwagen-artigem Umfang und meistens im zweiten Gang im engen Felsental aufwärts. Dann folgt ein kahles, schwarzes Schiefergebirge, ein Rumpfstück eines nordstreichenden Gebirgszuges der Sahariden. In der Ferne erscheinen Rundhöckerberge in ihren extremen Formen: Halbkugeln und windgeschliffene glatte Kuppeln. Über gut tragende Stein- und Sandebenen plagen wir uns Kilometer um Kilometer. In der Gegend von Tesnu geraten wir zwischen phantastisch hohe Granitberge in den wunderlichsten Formen, die aus den Sandhochflächen in den wolkenlosen Himmel schiessen. Durch Koffern und Kisten im Notsitz eingeklemmt, geniesse ich dieses Schauspiel einer mond-ähnlichen Landschaft. Im Durchschnittstempo von 50 Kilometer geht es teils auf neuen Spuren in unbekanntes Land. Ab und zu fliegt wieder eine Konservenbüchse hoch im Bogen über meinen Kopf. Man muss aussteigen, umpacken, stossen, Sand schaufeln und verlorene Sachen zusammensuchen.

Am Horizont gewahren wir erstmals die stolze Pyramide des Ilaman und den breiten Rücken des Mont Tahat, den Kulminationspunkt des Hoggar-gebirges. Der Sonnenuntergang erreicht uns mitten in den Bergen, ein unvergessliches Schauspiel. Eine Märchennacht sinkt über das tote Land. Noch über 150 Kilometer trennen uns von dem Bordj von In Eker, das wir in später Nachtstunde glücklich erreichen. Der junge Araber empfängt uns nicht wenig überrascht im mondbeschienenen Hofe. Kurz vor Mitternacht verkriechen wir uns in warme Decken von des Tages Mühsal und Strapazen.

Violett weicht die Dämmerung über den Bergen, als wir am Morgen das Bordj verlassen. Colonel Carbillet ist noch in später Nacht in einer 700 Kilometer langen Tagesetappe von In Salah in In Eker eingetroffen, um eine Inspektionsreise in den südlichen Territorien zu unternehmen. Er ist nicht wenig erstaunt, dass uns die junge Französin heil und ganz bis hieher gebracht hat. « Vous avez du culot », rufen uns die Chauffeure der Militärcamions nach, als wir zur letzten Etappe hinter Hügeln und Bergen verschwinden. Im Tuaregdorf von In Amdjel bleiben wir mitten in einem ausgetrockneten Bachbett im Sande stecken. Das Militär hat uns dort eine Panne prophezeit und kommt mit Drahtgeflecht und Stricken zur Stelle.Verhüllte Tuareg- geeichter tauchen auf und wollen helfen. Bald stehen wir wieder auf festem Boden. Mit offenem Auspuff macht sich das Militär aus dem Staube.

Nach wenigen Stunden durchfahren wir den saftig grünen Talboden von Tit, einem der wenigen Tuaregdörfchen, einer Siedlung von armseligen, zerstreuten Hütten. Dort mussten sich vor zirka 20 Jahren die nur mit Lanzen bewaffneten Tuaregs nach heldenhafter Verteidigung ihrer Freiheit dem Kugelregen der französischen Maschinengewehre ergeben. Über erdbraun angewitterte Granit- und Gneisberge, über bergumsäumte Hochflächen und an wunderlich geformten Felsgebilden vorbei erreichen wir kurz nach Mittag Tamanrasset, das heutige Fort Lapérrine im Hoggar. Auf den roten Lehm-häusern wehen französische Trikoloren. Das Fort ist zu Ehren des Kommandanten reich geschmückt. Dort herrscht auch ein wildes Gewoge von bunten Uniformen der Fortwachen und Militärs. Die Begrüssung durch den diensttuenden Kommandanten ist ebenso herzlich wie an den früheren Etappenorten. Vom Generalstab in Tunis ist er bereits über unser Kommen orientiert. Im kleinen Hotel der S. A. T. T. und im Beisein einiger Offiziere wird die Organisation unserer Bergfahrt in groben Zügen festgelegt. In später Nacht noch wird der ehemalige König der Tuareg, « Amenokal Achamuk », um Stellung einer Kamelkarawane gebeten. In langwierigen Verhandlungen gibt uns der Dolmetscher für den übernächsten Tag seine Zusage. Der Ruhetag wird zu allerlei Vorbereitungen benutzt.

In den Eingeborenenvierteln ist alles auf den Beinen, als wir am frühen Morgen die mächtige Allee von schattenspendenden Casuarinen hoch zu Kamel wie Landesfürsten hinausziehen. Ein merkwürdiges Gefühl der Weltabgeschiedenheit greift Platz, wenn man an die mehrtägige, wohl an Entbehrungen und Überraschungen reiche, kleine Expedition denkt. In diesen wundersamen Berglandschaften, wo oft jahrelang kein Regen fällt, bummeln unsere Vierbeiner gemächlich durch dürre, bambusartige Grasbüschel von Odrinen. Violett blühende, blattlose Mrakbas mit Assimilationsorganen aus grünen Dornen stehen vereinzelt längs den ausgetrockneten Talfurchen, die wir in stundenlangem, eintönigem Marsch verfolgen. Die fernen Berge des Haggeranmassivs stechen in einen überaus klaren, wolkenlosen Himmel. Merkwürdig geformte Klötze und Tafeln wechseln mit senkrecht aus dem Boden schiessenden Zuckerstöcken von erloschenen Vulkanen. Kreuz und quer ziehen Kamelspuren in allen Richtungen der Windrose. In glühender Sonne schreitet unser Tuareg bald barfuss und dann wieder hoch zu Kamel über scharf gebrochene Steinwüsten und Hügelketten. Im heissen Sande schlendern wir durch breite, ausgetrocknete Bachbette. Gegen Mittag sichten wir die isoliert stehende, gewaltige Steinfestung des « Richtungspunktes ». Ein mächtiger Gürtel von zahllosen, senkrechten Kaminen erinnert uns an das Totenkirchl. Kleinere und grössere Berggruppen mit merkwürdigen Farbtönungen bilden das mittägliche Schauspiel. Riesenhafte Steinburgen von Klötzen, Kugeln und Platten liegen wie Titanenspielzeug zu Haufen geschichtet in wildem Durcheinander. Kulissenhaft stehen die fernen Bergketten mit ihren Zacken und Zinnen am Abendhimmel. Golden überflutet die tiefstehende Sonne die Pyramide des Ilaman am Horizont. Im noch warmen Sand einer Niederung rüsten wir unser Biwak. Die tägliche Abladerei ist mühsam und braucht viel Zeit. Unsere Kamele weiden mit zusammengebundenen Vorder-füssen in den wenigen, dürren Büschen. Der Primuskocher bringt den einzigen Lärm in den geruhsamen Abend. Eine Sternennacht von seltener Klarheit sinkt über das Bergland. Unser brave « Umenna » wiederholt, nach Osten gewendet, sein letztes Gebet. Über einem glimmenden Feuer dürrer Ochriden wärmen wir Kleider und Decken und kriechen in unsern Schlafsack. Wie ein Häufchen Elend zieht unser Tuareg seine Schaffelle über den Kopf und erwartet zusammengekauert den neuen Morgen. Das Thermometer zeigt 7 Grad Kälte. Doch in unseren Säcken und Wolldecken sind wir wohl geborgen. Hie und da erwachen wir durch einen unsanften Windstoss. Jeder Augenaufschlag erinnert schlaftrunken an eine Märchennacht von seltener Pracht und Erhabenheit.

Das tägliche Schauspiel des Sonnenaufganges erleben wir auf den nordwärts streichenden Bergketten und Ausläufern des Ilaman. Mit jeder Stunde wächst die stolze Pyramide in den glanzvollen Morgen. Bei einem kleinen Tümpel fassen wir letztmals schmutziges, trübes Wasser in unsere Schaf-schläuche. Durch Felswüsten und Blockgewirr tasten vorsichtig unsere Kamele. Auf einem nahen Plateau gewahren wir eine verlassene Kultstätte aus geschichteten Steinen und Basaltsäulen dieses merkwürdigen Bergvolkes. Am frühen Nachmittag erreichen wir unsern Lagerplatz am Ilaman. Rings um den Talgrund erhebt sich ein Chaos von wilden Bergen, die in unglaublich kühnen Formen aufeinandergetürmt liegen.

Vor uns liegt der gewaltige Zahn des Ilaman, der den Talhintergrund wie ein stummer Wächter beherrscht. Infolge vulkanischer Eruption und magmatischer Bewegung in grosser Tiefe hat er explosiv das Grundgebirge durchstossen und die schwache Erdrinde gebrochen. Sein Gürtel ist auf der Nordseite stark abgewittert. Noch bevor der Tag zur Neige geht, erklimmen wir seine mühsamen Schutthalden. Mit dem Feldstecher suchen wir nach einer schwachen Seite. Dort, wo der Gürtel in das Blockgewirr übergeht, liegt eine Besteigung im Bereich der Möglichkeit. Wie eine Feuergarbe stossen Zacken und Zähne in wildem Durcheinander in den blutroten Abendhimmel, als wir den Heimweg in das Lager antreten. Als mächtige Scheibe verschwindet die Sonne hinter fernen, unerforschten Bergen. Ein gewaltiges, imposantes Sternenzelt wölbt sich über die Vulkanlandschaft. Das Ungewisse des kommenden Tages durchwirbelt schlaflos den müden Kopf, als wir uns in unsere Decken verkriechen.

Schon lange vor Tagesanbruch plagen wir uns durch mühsame Schutthalden. Dort, wo der Gürtel in gewaltigen Platten in das Blockgewirr abfällt, deponieren wir unsere Siebensachen. Mittlerweile ist es schon ordentlich Tag geworden. Über klaviergrosse Blöcke und Wandstufen turnen wir in der steilen Rinne hoch. Zu unserer Rechten schiessen lotrechte Plattenschüsse und verbogene, enge Kamine zum Gipfelaufbau. Eine Durchkletterung der Nordwand scheint uns aussichtslos. Dort, wo das Gipfeldach in den Himmel sticht, sind teils überhängende, teils dachziegelartige Balkone, die eine Begehung sinnlos erschweren. Zwei kleine, exponierte Wandstufen im mittleren Ringgürtel setzen uns erstmals auf harte Probe. Die Felsen sind kalt, und der Wind pfeift auf der Schattenseite durch schmale Kamine. Dort, wo der Gipfelaufbau in die mauerglatte Schlusswand übergeht, betreten wir eine kleine Kanzel. Die Kletterei erinnert uns an frohe Ferientage in der Pala. Wir befinden uns ca. 200 m unter dem Gipfel. Freund Hermann hat mit dem obligatorischen Morgenpfiff aufgehört. Das hat wohl nicht viel Gutes zu bedeuten.

Lotrechte, grifflose Kamine schiessen über unserem Kopf in den blauen Himmel. Weit in der Ostwand draussen versucht mein Seilgefährte einen Haken. Das Eruptivgestein ist hart und spaltenarm. Mit Suchen und Probieren geht viel kostbare Zeit verloren. Rechts über der kleinen Plattform zieht ein mächtiger, gegen 70 m langer, lotrechter Kamin in die Höhe. An seiner rechten Kante schwindeln wir uns Seillänge um Seillänge höher. Auf einem kleinen Wandabsatz sichern wir nochmals mit einem Haken. Wie mächtige Orgelpfeifen umstehen die mauerglatten Pilaster und Kamine der Gipfelwand die erhabene Felsenkanzel. Auf der Ostseite sieht es auch nicht viel vertrauenerweckender aus. Dann aber neigt sich der Zahn zurück. Im Eiltempo erstürmen wir die Blöcke des zurückfallenden Daches. Der Ilaman gehört uns. Der Weg auf sein stolzes Haupt war lang und beschwerlich. Nun aber geniessen wir das Gipfelglück erst recht in vollen Zügen.

Ein unendliches, Hunderte von Kilometer umfassendes Panorama tut sich vor uns auf. In allen Richtungen der Windrose tauchen ferne Berggruppen, Zacken, Tafeln und Türme in den heissen Mittag. Ein Massstab für all das Riesenspielzeug geht verloren. Eine wasserlose und kahle Fels- und Berglandschaft bietet sich dem Auge, wie wir sie in diesen Ausmassen in unseren Alpen nicht kennen. Wie eine breite Steinburg liegt der Koloss des Tahat in greifbarer Nähe. Gegen die Sandwüsten der grossen Oasen ist der Himmel wie ein blaues Riesensegment. Dem Sudan zu verlieren sich die Berglandschaften im Dunstschleier der subtropischen Zone. Das Gipfelpanorama ist wohl das umfassendste, das wir auf unseren vielen Fahrten von hoher Warte geschaut. Der Gipfel selbst bot keine Anzeichen einer früheren Besteigung. Das stolze Geheimnis König Amenokals ist gebrochen. Ein mannhoher Steinmann wird in mittäglicher Hitze geschichtet und mit der Schweizerfahne dekoriert. In heisser Wüstensonne wird das rote Feld wohl verblassen, bis die stolze Pyramide wieder Besuch erhält. Ein fröhlicher Jauchzer beschliesst unsern Aufenthalt.

Vier lange Abseilstellen führen uns kerzengerade über die Nordwand zum Ringgürtel. Zwei Abseilhaken und eine Seilschlinge bleiben als Zeugen in den stolzen Wänden. Drunten in der Schutthalde taucht hinter grossen Granitblöcken plötzlich unser Tuareg auf. Er hat unsern Steinmann auf dem Gipfel gesehen und unsern frohen Jauchzer gehört. Barfuss kommt er uns entgegen, und unbeschreiblich ist seine Freude. Die Unterhaltung ist überaus herzlich, denn im Schweizerdialekt kann man sein überglückliches Herz besser ausschütten. Das einzige Wort, das wir aus seiner Antwort verstehen, ist immer und immer wieder: Ilaman. Mit einem solennen Mahl wird der Feiertag im Lager beschlossen. Ein letzter und lang aufgesparter Tropfen algerischen Weins besiegelt unsere Gipfelfreude.

Da plötzlich hören wir Hundegebell. Ein speerbewaffiieter, verhüllter Tuareg mit zwei bissigen Kabylenhunden schreitet gelassen auf unser Lager zu. Der König hat ihn zu unserer Sicherheit hergeschickt. Zu Fuss ist er in mehrtägiger Wanderung bei sengender Hitze über Berge und Hügelketten in unser Lager gekommen. Umenna freut sich dieser unerwarteten Gesellschaft. Lange noch sassen wir im Lager beisammen, bis das Abendrot wieder unseren Feiertag beschloss. Wiederum erlebten wir das imposante Schauspiel der Dämmerung und Nacht in den Bergen der Antinea.

Der folgende Tag galt dem Tahat, 3010 m. Der Kulminationspunkt des Hoggar wird in beschwerlichem Marsch durch heisse Täler und Hügelzüge erreicht. Wie ein Riesenkeil erhebt sich unser Ilaman über seine kleineren Nachbarn. Ein unheimlicher Wind fegt über die Gipfelfelsen. Umenna friert wie ein Espenlaub und klappert mit seinen weissen Zähnen. Am Abend sind wir wieder im Lager zurück. Eine kalte Nacht beherbergt uns wiederum im Sand. Dann aber ist Abschied von diesen merkwürdigen Bergen.

Die Sonne steht schon hoch am Himmel, bis alle Kamele zusammengesucht, gepackt und Abmarsch geblasen werden kann. Wie ein kleiner Triumphzug bewegt sich unsere Karawane durch sonnverbrannte Täler, über kahle Hochflächen und bizarre Bergketten nach Tamanrasset zurück. Der Einzug im Fort bleibt uns unvergesslich. Kommandant und König freuen sich über unsern alpinen Erfolg. Ein wildes Menschengewoge feiert bis tief in die Nacht auf dem weiten Platz. Unsere Französin aber ist ausgeflogen.

Unser Ford lag noch immer in der Talschlucht von Arak auf Wochen. Doch auch da ist das Glück uns hold. Ein Renault-Tigre der Ligne du Hoggar kommt nach wenigen Tagen vom Tschadsee herauf und nimmt uns zurück in die grossen Oasen. Alles, was wir in abenteuerlicher Fahrt schon auf dem Hinweg erlebt, wiederholt sich nun tagelang wieder in demselben Einerlei. Mit verschiedenen Autogesellschaften erreichen wir die Endstation der algerischen Eisenbahn von Djelfa. Bei beissender Kälte und hohem Schnee durchfahren wir die winterlichen Bergketten des Atlas und erreichen bei Algier das Mittelländische Meer.

Eine Bergfahrt voll unvergesslicher Eindrücke mitten ins Herz der grossen Wüste hat damit ihren Abschluss gefunden.

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