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Bergfahrten in Hellas

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Alfred Gräber, Muzzano

Auf Parnass und Olymp vor vierzig Jahren Bilder ji bis 33'Siehe! Mit leuchtendem Viergespann Glänzt Helios über die Erde schon. Die Sterne fliehn vor des Himmels Glut In heilige Nacht. Parnassos'unersteigliche Höhn Erstrahlen im Licht, berührt vom Tag, Der für die Sterblichen anbricht.

Euripides Ein Häuflein Individualisten In Brindisi hatte die bunt zusammengewürfelte Schar Bergsteiger des Schweizer Alpen-Clubs, die sich zusammengefunden hatte, um die höchsten Berge Griechenlands zu erklimmen, Musse, sich gegenseitig kennenzulernen. Wir alle waren Individualisten und deshalb wohl auch unglücklich, als wir, wie eine Herde Schafe zusammengepfercht, am Quai auf unsern Koffern sassen, um auf die Erlaubnis zum Betreten des Dampfers « Hellas » zu warten, der uns in das Land bringen sollte, das schon unsere Vorfahren « mit der Seele suchten ». Die Sonne brannte heiss. Die verwegenen Pickelspitzen funkelten im grellen Licht und erregten naserümpfende Verachtung der Bewohner dieser Hafenstadt. « Geologen », dachten wahrscheinlich die Intelligenteren, denn für Erdarbeiter sahen wir ihnen doch etwas zu nobel aus. Wir selbst aber dachten nichts anderes mehr, als endlich an Bord zu kommen, um im Schatten des Decks vor der mörderischen Mittagshitze geschützt zu sein. Dies gelang erst nach einer umständlichen Prozedur, bei der Pass und Gepäck einer minuziösen Kontrolle unterzogen worden waren.

Endlich setzte sich die Schiffsmaschine in Bewegung, und ohne Bedauern sahen wir die Landspit-33 zen von Brindisi hinter uns versinken.

33 Der Thron des J?eus ( L, sgw m ) und Mitika ( 2Q20 m ), die beiden höchsten Gipfel des Olymps, vom dritten, dem Skolion, aus gesehen Photos Alfred Graber, Muzzano Sankt Spiridon Ich weiss nicht, welchem Heiligen das Schiff verschrieben war; auf jeden Fall schien es ein guter und anständiger Mann zu sein, der für ein ruhiges Meer sorgte, der nichts gegen Liegestühle auf Deck hatte und sich auch sonst vorzüglich benahm. Ein anderer Heiliger, Sankt Spiridon, schützt die Stadt Korfu mit ihren winkligen Gässlein, in denen allzu viele auf das tägliche Brot lauerten, das ihnen die Fremden bringen sollten. Allmorgendlich küssten sie in der Hauptkirche Korfus Sankt Spiridons Statue am Mantelsaum, bevor sie zur Arbeit gingen. Die Stelle war eindrücklich abgewetzt durch die vielen Tausende, die ihre Morgenandacht dort verrichtet hatten. Die Geldwechsler und Händler aber waren noch nicht aus den Vorhöfen vertrieben, und sie machten einem das Leben auf der Insel sauer.

Inseln der Seligen Traumhaft schön ist die weiche Landschaft von Korfu: die Wälder, die Rebgelände, die sanften Bergzüge. Der grossen Insel lagern manch kleinere vor, die der Böcklinschen « Toteninsel » ähnlich sehen. Das griechische Meer ist ein dunkelblaues Wunder, bestickt mit kleinen, pastellfarbenen Eilanden, die bald näher, bald weiter entfernt an uns vorbeizogen. Im Golf von Patras mehren sich diese Inseln, die wie Bergkuppen aus Fels und Wald aus dem Wasser ragen. Kein Mensch bewohnt sie. Wie herrlich wäre das Leben dort -wenn es Trinkwasser gäbe!

Patras Am Abend kam peloponnesisches Land in Sicht, mit Wachttürmen und Dörfern in verschwimmenden Farben. Dann wuchs ein grosses Lichtermeer aus dem Wasser: Patras. Eine Stunde hatten wir Zeit an Land; der Hellenische Alpen-Club und der Bürgermeister benutzten sie, um uns zu unseren Unternehmungen in Grie- chenlands Bergen willkommen zu heissen. In schwankende Boote verladen und an Land gebracht, bummelten wir vereint miteinander, Hellenen und Schweizer, durch die Stadt, vom Stadthaus zum Sitz des Alpen-Clubs. Doch die Schiffs-pfeife forderte uns zurück auf die schwimmende Herberge, zur kurzen Überfahrt nach Itea. Nach dreistündigem Schlaf standen wir mit Rucksäcken und Pickeln bereit, das Schiff endgültig zu verlassen. Wir kamen uns ein wenig lächerlich vor, in dieser lauen südlichen Meeresnacht pickelbewehrt herumzustehen. Und ausserdem war es jetzt mit dem gemütlichen Nichtstun zu Ende.

Itea Da standen wir nun am Ufer und harrten, nicht anders als eine auf fremdem Kontinent ausge-schiffte Truppe, der Dinge, die da kommen sollten. Zunächst aber ergab sich eine Reihe von uns unverständlichen Unterhaltungen zwischen unserem plötzlich aus Nacht und Nebel aufgetauchten griechischen Reiseleiter in Filzhut und Paletot und den Einheimischen. Besonders der Bürgermeister des Ortes war in Aufregung geraten, da er von unserem Eintreffen nicht unterrichtet worden war und daher keinerlei Ansprache in der Tasche trug. Der Mann, der in einer Barke unsere Koffer herangerudert hatte, stiess wieder vom Ufer ab ins dunkle Meer. Man hatte ihm wohl zu wenig für den Transport geboten. Aus sicherer Entfernung erzielte er nun einen wackeren Preis für seine Arbeit. Schliesslich war das Gefecht entschieden, die Koffer kamen in unsere Hände, und die viel zu grosse Anzahl von Automobilen, die uns aufnehmen wollte, wurde unter dem Lamento der Besitzer um gute zwei Drittel reduziert.

Erste Bekanntschaft mit Delphi Aus nächtlichen Olivenwäldern fuhren wir unter sternklarem Himmel hinauf in die morgendliche Kühle der Berge. Wir sahen über weite, eintö-nig-grossartige Höhenzüge, die uns ein Empfin- den von weltoffener Unbeschwertheit schenkten. Am Berghang durchquerten wir das Dörfchen Kastri, das sich einst auf den ehrwürdigen Ruinen Delphis breitgemacht hatte und später zwangsweise unter grossem Groll der Einwohnerschaft verpflanzt wurde, um die Ausgrabungen zu ermöglichen. Bald erschien am Rande des alten Delphi das saubere Hotel « Zum pythischen Apoll », dem wir einen zunächst nur sehr kurzen Besuch abstatteten, um unsere Habseligkeiten zurückzulassen. Auf Delphi, unter dem Felszirkus der Phädriaden, konnten wir nur einen kurzen Blick werfen. Wir sahen Säulen grau in die Luft ragen und einen feurigroten Mohn blühen, dann waren die Automobile, die uns nach Arachova bringen sollten, schon daran vorbeigerattert.

Apoll besteigt den Parnass Sicherlich hat Apoll andere Besteigungsmetho-den seines Lieblingsberges gekannt als wir, sonst hätte er diesen mühsam zu erreichenden Wohnsitz bald wieder aufgegeben, dessen Monotonie auf jedes Gemüt niederdrückend wirken muss, auch wenn man ihn mit den Musen bewohnen darf. Müssten die Dichter, die so gerne und leicht den Parnass in der Poesie erklettern, die zwölf Stunden Marsch für Auf- und Abstieg in Wirklichkeit mitmachen, manch einer würde auf den « Gradus ad Parnassum » verzichten.

Unser Führer zum ersten Göttersitz war nun nicht Apoll, sondern Herr Nicolo aus Arachova, ein Mann, dem man Schweigsamkeit nicht nachrühmen konnte. Mehr Freude hatten wir am guten Geist der Expedition, am sechzigjährigen, jugendlichen Griechen Diakides aus Patras, der mit einer solchen Frische drauflosstürmte, dass er uns alle mitriss. Nicht vergebens hatten ihn seine Landsleute mit dem Ehrennamen « Olympos » bedacht, nachdem er alle namhaften Gipfel Griechenlands erklommen hatte.

Wir wollten nicht auf den Parnassi Nach kaum dreistündigem Schlaf einen Tagesmarsch von zwölf Stunden unter ungewohnten klimatischen Verhältnissen zu riskieren und dafür nachher für Delphi selbst kaum Zeit zu finden, das musste zu einer kleinen Revolte unter den Individualisten führen, weil sie den Wert der beiden Erlebnisse gegeneinander abwogen: für den unbehauenen Steinhaufen des Parnassos einen ganzen Tag, für die kunstvollen Steine Delphis -eine Stunde. War das nicht ein Frevel? Sollten wir da nicht den Parnass fahren lassen, denn selbst ein ganzer Tag Delphi wäre nicht zuviel! Was konnte der Berg mit seiner klassischen « Öde » dagegen versprechen? Und doch, das bisschen Alpinisten-ehrgeiz liess das Häuflein nicht die notwendige gemeinsame Entschlossenheit finden. Und so gingen wir etwas widerwillig den Berg an, wobei wir uns immer wieder vorsagten, dass wir in erster Linie als Bergsteiger hierher gekommen waren und nicht, um « alte Steine umzudrehen », wie sich ein Pietätloser sarkastisch auszudrücken beliebte.

Der Parnass ist ein « gefährlicher Berg » Wer es nicht glaubt, der kann es beim Verlassen von Delphi auf einer grossen Tafel schwarz auf weiss nachlesen. Worin diese Gefahr besteht, konnten wir uns vorerst nicht erklären; denn der Parnass ist kein Dolomitzinken, er hat keine Kletterstelle und keine Gletscherschründe. Er ist in der Bergsteigersprache nichts anderes als ein « Mugel ». Und dennoch bestanden unsere Griechenfreunde auf einem ortskundigen Führer. Später merkten wir, dass diese Forderung nicht unbegründet war. Denn eins steht fest: wir hätten aus diesem Meer von Gipfeln nicht den richtigen erwischt! So blieb es Nicolo vorbehalten, uns über Weiden mit grossen Schafherden und patriarchalischen Hirten durch einen wunderlichen hellgrünen Wald und durch wüste Steintrümmer zur Parnasshütte zu führen, unter einem Schwall von uns unverständlichen Gesten und Reden. Der Aufstieg zum Gipfel selbst wurde zu einer ziemlichen Schinderei; es war ein Geduldspiel ohnegleichen, immer wieder schien eine Kuppe die höchste zu sein, um zu guter Letzt wiederum den Blick auf einen noch höheren Bergzug freizugeben. So sahen wir nach einem gut sechsstündigen Marsch den eigentlichen Parnassgipfel zum erstenmal! Nicolo begleitete uns getreulich bis zum letzten Anstieg, blieb darunter stehen und leitete mit grossem Stimmaufwand den Ansturm, wobei wir immerhin so viel seinem Redeschwall entnahmen, dass er uns vor dem ihm sehr gefährlich erscheinenden Schnee warnen wollte. Es war gewiss eine neuartige Auffassung des Bergführerberufs, die uns da vorgeführt wurde.

Nach einem fast siebenstündigen Anstieg standen wir tatsächlich zuhöchst aufdem Parnass, auf der Liakura, dem Wolfsberg, in 2457 Meter Höhe, nachdem wir vor zwölf Stunden noch auf Meeres-spiegelhöhe geweilt hatten.

Die Aussicht auf viele Bergketten und auf das Meer im Süden war dunstig verhängt, aber gerade dadurch sehenswert. Der Olymp lag blass, mehr geahnt als wirklich geschaut, im Norden.

Eigentlich ist der Parnass ein Skiberg Ausgedehnte, wundervolle Hänge ohne Lawinengefahr bestimmen ihn dazu. Das war die Erkenntnis am Abend des Tages, als wir nach einer zwölfstündigen Wanderung erschöpft wieder in Arachova eingetroffen waren.

Eine Stunde für Delphi Mehr blieb uns nicht am nächsten Morgen. Rasch hatten sich die Individualisten über das grossartige Ruinenfeld verstreut. Brennend-roter Mohn und leuchtend-gelber Ginster hauchten den grauweissen Trümmern Leben und Farbe ein. Nur wenige blieben beim Dolmetscher, der alles eingehend erklärte, von der geheimnisvollen Erdspalte hinter dem Thron der Pythia bis zum Omphalos im Tempel des Apoll. Delphi galt den Alten als Mittelpunkt der Welt. Von einsamer Höhe blickten die Felsgewirre der Phädriaden, über die man einst die Tempelschänder zu Tode gestürzt hatte, auf uns nieder. Das Schatzhaus der Athener war aus den Trümmern wieder auferstanden und gab mit seinem Museum ein kleines, unvollkommenes Bild der einstigen Grösse.

Bald war es an der Zeit für den Tageszug nach Larissa. Nun, der Bahnhof von Delphi liegt gute sechzig Kilometer von der Ruinenstadt entfernt, die Strasse zu ihm führt über den voralpinen Gra-viapass, und die Leute hier in der Gegend müssen sich auf eine Tagesreise gefasst machen, um ihren Bahnhof zu erreichen.

Larissa, Licht des alten Hellas Wir waren ja, alles in allem, auf einer sozusagen offiziellen Expedition, wurden also auch offiziell empfangen mit Reden, Getränken und Festessen, und wir unterzogen uns diesen oft mühevollen Prozeduren mit gefasster Heiterkeit. In Larissa, der 1912 den Türken entrissenen Hauptstadt Thessaliens, meinte man es gleichfalls herzlich gut mit uns. Wir wurden von den Stadtbehörden im Volksbelustigungspark empfangen — zwar weder zur Volksbelustigung noch zu unserer eigenen; denn oft mussten wir wie Stockfische zwischen den Griechen sitzen, weil es nicht immer eine Verständigungsmöglichkeit gab. Später führte man uns um und durch die Stadt, die nichts verloren hat von ihrer typisch balkanisch-orientalischen Buntheit. Anhand von ein paar sorgsam zusammengetragenen Ruinentrümmern, Resten des alten Larissa, bewies man uns, dass die Stadt der Ursprung aller hellenischen Kultur gewesen sei, die sich vom Norden nach Süden ausgebreitet habe. Larissa, das Licht des alten HellasWir waren wohl nicht frisch genug, um der Beweisführung ganz folgen zu können. Scheinbar dachte ob dieser Herrlichkeit niemand daran, dass unsere Parnass-ermatteten Leiber vielmehr nach einem gedeckten Tisch als nach kunstvoll behauenen Steinen lechzten. So aber kamen wir erst um zehn Uhr nachts zu einem Essen und dann zu knappen vier Stunden Schlaf vor unserer Wanderung zum Olymp.

Litokhoro, das Zermatt Griechenlands Orientexpress und Auto hatten getreulich zusammengewirkt, um uns ins Dorf Litokhoro zu bringen. Telegrafisch hatten unsere Griechenfreunde eine Maultierkolonne samt Trägern längst vorausbestellt; doch als wir eintrafen, lag das Dorf in morgendlichem Schlummer. Kein Treiber, kein Maultier war zu sehen. So hatten die Kollegen vom hellenischen Alpen-Club alle Mühe, die Expedition auf die Beine zu bringen, während wir uns mit einem beschaulicheren Betrachten der Vorgänge befassten. Ganz allmählich und gemütlich rückten die Tiere mit ihren glücklichen Besitzern an. Es wurde gefeilscht und gehandelt, dass es eine Freude war, und der Zeitbegriff schien in weite Fernen gerückt. Wurde man mit einem Treiber über den Preis nicht einig, nahm er entweder sein Tier wieder mit, oder er versuchte, sich den tieferen Preisen mit minder-wertigeren Exemplaren anzupassen. Schliesslich aber waren Rucksäcke und Pickel ordentlich verstaut, und manch einer nahm sich gar für billiges Geld ein eigenes Reittier.

Kristos Kakalos, der Held des Olymps Kristos Kakalos war unstreitig der berühmteste Einwohner von Litokhoro. Was Jacques Balmat für den Mont Blanc und Michel Croz fürs Matterhorn, war er für den Olymp: sein Erstbesteiger -gemeinsam mit unseren Landsleuten Daniel Baud-Bovy und Fred Boissonas aus Genf im Jahre 1913. Man sieht, der Olymp hat es lange ausgehalten, bis er nach den griechischen Göttern durch die ersten Menschen Besuch bekam. An dieser um Jahrtausende verzögerten Ersteigung sind nicht zuletzt die Vorfahren des Kristos Kakalos schuld, die von Beruf meist Räuber waren und dadurch das Reisen in diesen Gegenden höchst abenteuerlich und gefahrvoll gestalteten. Denn die Ahnen von Kakalos waren sicherlich genau so forsche Kerle wie er selbst, der sich imponierend vor uns präsentierte mit seinem Falkenblick, seinem umgehängten Gewehr und seinem Jagdhorn an der Seite. Kakalos hat denn auch stets auf Wunsch mit seinem Gewehr geschossen und des öftern ganz ohne unser Verlangen dicht neben unseren Ohren gellend ins Jagdhorn gestossen, wenn ihn die Freude dazu überkam.

Die Geschichte des Götterberges Ich stellte mir in Erinnerung an die Schulzeit den Olymp als einen faden, lieblichen Berghügel vor, denn wie hätten die Griechengötter, erfüllt von bejahender Diesseitigkeit, anders wohnen sollen? Die Wirklichkeit gibt dieser Vorstellung unrecht. Der Olymp ist ein herrlicher und zugleich herrischer Berg; ein kühner Zackenkamm von Fels und Firn trägt die höchsten Gipfel, zu denen die alten Griechen nur scheu aufblickten. Im frühen Mittelalter wurde auf der harmlosen Geröllkuppe des Haghios Ilias eine Kapelle errichtet, zu der man jährlich eine Prozession veranstaltete. Seit dem Jahre 1780 beschäftigte sich die Forschung mit dem Hohen Olymp, doch lange Jahre ohne Erfolg. Noch 1911 erging es dem Deutschen Edwart Richter übel genug. Seine türkische Eskorte wurde niedergeschossen und er selbst von Räubern monatelang auf unmenschliche Art ge-fangengehalten. Dieselben Räuber liessen sich Jahre später von unserem Landsmann Marcel Kurz in Kokkinoplos friedlich photographieren. Sie verbrachten dort ihren Lebensabend als hoch-geehrte Bürger; denn waren es nicht Helden, da sie doch türkische Landesfeinde erschossen? 1913 kam es dann, wie schon gesagt, zur Erstersteigung des Olymps, und 1921 vollendeten Marcel Kurz und Hans Bickel die Erforschung des Gebiets durch kartographische Festlegung und durch eine Besteigung des « Thron des Zeus ». Bei den heutigen Anwohnern ist der Olymp unter dem Namen « Ta Tria Vrakhi », « die drei Felsen », bekannt.

Erster Anmarsch Durch dunstige und feuchte Luft, die von Nebelmassen auf uns niedergedrückt wurde, betraten wir den Reitweg zum Kloster Haghios Dionysios und kamen bald in den Bereich des Nebels selbst, den wir nach einem zweistündigen Marsch durchdrangen. Jetzt lag plötzlich ein prachtvolles Hochtal mit einem lichten Buchenwald vor uns. Im Hintergrund erhoben sich Fels- und Schneeberge. Die Maultiere gingen sicher auf dem oft steil abfallenden Pfad, wenn auch mehr als einer der « Zufallsreiter » der Sache nicht ganz traute. Leider mussten wir, um zum Kloster zu kommen, einen grossen Teil der gewonnenen Höhe wieder opfern. An und für sich hätte man den Weg ohne Höhenverlust weitergehen können; doch die Maultiere mussten getränkt werden. Das Kloster liegt wundervoll in den Talgrund gebettet; seine Kirche ist eine byzantinische Basilika mit fünf Kuppeln. Von dem grossen Reichtum früherer Zeiten war allerdings nicht mehr viel zu sehen: Haghios Dionysios war nur noch von einigen Mönchen bewohnt. Nach einem dreieinhalb-stündigen Marsch lagerten wir uns auf den steinernen Fliesen des Klosterhofs.

Nochmals Kristos Kakalos Nach der Rast wanderten wir durch das Hochtal weiter aufwärts. Leichtfüssig eilten die Griechen bergan, schwerblütiger, aber wohl etwas ausdauernder wir Schweizer. Da, plötzlich gab es Aufregung in der Kolonne. Kakalos war verschwunden, Kakalos stand nicht mehr an der Spitze des Zuges. Wie eine Herde, der man den Hirten geraubt hat, blieben die Griechen zaudernd stehen, und mit dem Rufe « Kakale, Kakale !» wurde er wieder an seine Pflicht gemahnt, den vordersten Platz in der Kolonne einzunehmen. Was aber, wenn Kakalos eines Tages nicht mehr sein würde? Ich fragte einen Hellenen. Doch seine Augen glänzten, als er antwortete: « Kakalos hat einen Sohn, der kennt den Olymp ebenfalls! » - Dann war ja alles gut, und die Zukunft des Götterberges sichergestellt!

Ein Führer in unserem Sinne war Kakalos freilich nicht. Er hatte den Instinkt eines Pfadfinders, er ging wohl voran, aber der Tourist musste für sich selber schauen. Der Eispickel war ihm unbequem. Wenn es drauf ankam, schlug er mit seinem Gewehrkolben eine Stufe in den Schnee. Man hatte ihm bei unserer Expedition ein Seil mitgegeben. Er trug es getreulich mit, ohne es allerdings auch nur einmal aus dem Rucksack hervorzuziehen. Bei der Kletterei über die Gipfelwand des « Zeus » liess er Rucksack samt Seil zurück!

Abend am Olymp Eine schönere Lage als die der Olymphütte hoch oben an einem Gratabsatz bei den letzten Wettertannen lässt sich schwerlich ausmalen. Tiefenwärts schweifte unser Blick bis hinaus ins Ägäische Meer und zu den Zacken der Halbinsel Chalkidike. In der Höhe spielte die Abendsonne mit den rostbraunen Felszacken des Hohen Olymps. In der Nacht wölbte sich ein gewaltiges Sternenmeer über uns. Unvergessliche Bilder traten aus dem Dunkel. Rundum brannten zahlreiche Lagerfeuer. Aus dem Wald klangen klagend und schmerzlich die Rufe der Maultiere. Gestalten huschten, vom Feuer bestrahlt, unter den Bäumen dahin. Es war ein Bild, wie es wohl schon vor Jahrtausenden ähnlich gewesen sein muss. Und der Olymp, undeutlich am nächtlichen Himmel, war, wie es im Mythos heisst, « von Heiterkeit umstrahlt, von keinem Orkan erschüttert und weder von Regen noch von Schnee überflutet ». In der Hütte herrschte eine drangvolle Enge, die Körperwärme der vielen Menschen konnte sich keinen Ausgang verschaffen - weil im oberen Stock die Fenster vergessen worden waren.

Olympos ( 2gi8 m ) Der Tag der Besteigung war heiter und sonnig. « Eos aber, die Göttin, erstieg den Hohen Olym- pos, dass sie das Licht ansagte dem Zeus und den andern Göttern », berichtet schon die Ilias. Der Anstieg bis zur Skala, dem Vorgipfel des Olymps, war eine leichte Sache, doch dafür ein Aufstieg hinein ins Luftmeer, wie man es sich kaum schöner hätte träumen können. Der Horizont weitete sich ungestüm nach allen Seiten, das Meer in der Tiefe schwoll immer gewaltiger an, und die drei Arme der Halbinsel Chalkidike schoben sich auseinander, an ihrem östlichsten Ende als unvergessliches Wahrzeichen den Berg Athos tragend. Etwas mühsamer war der Abstieg von der Skala in die Gipfelscharte. Dort liessen wir den kühnen Felsgrat der « Jungfrau » links liegen und stiegen durch ein geröllerfülltes Couloir an. Schliesslich mussten wir ein paar Klimmzüge mit den Händen tun, aber selbst die Schlusskletterei war leicht zu bewältigen, wenn sie auch brüchiges Gestein aufwies. Nun war nichts mehr über uns, unser Sitz der höchste weit und breit. Wieder einmal war die grenzenlose Welt unser, unser die Horizonte, die in allen Himmelsrichtungen leicht verschwammen, unser das Meer und unser der Himmel, an dem zwei Adler kreisten. Wir hatten den Göttersitz der alten Griechen erreicht. Dort, wo diese tief unten anbetend gestanden hatten, waren wir zur Höhe geschritten. Und dieses Erlebnis konnten wir voll ausschöpfen, obwohl wir so viele waren und obwohl diese Menschen gerade hier oben einige Reden halten mussten.

Der « Thron des Zjus » Ganz anderer Art ist der zweite Gipfel des Olymps, der « Thronos Dios », den wir im Verlaufe des Tages erklommen. Da gab es in einem sehr steilen und heiklen Schneecouloir Steine, die um unsere Ohren pfiffen, von unvorsichtigen Griechenfüssen gelöst, die sich aus panischer Furcht vor dem Schnee ins steilste Felsgeröll hineingewagt hatten. Es war recht ungemütlich, bis uns ein Felsvorsprung die nötige Deckung verschaffte. Die Kletterei am « Thron des Zeus » war spannend. Je nach Müdigkeit oder Wagemut lies- sen sich die Bergsteiger auf dem ersten, zweiten oder dritten Gipfel nieder, blickten über die senkrechte Westwand des Massivs, auf den damals noch unbesiegten Grat zum Hauptgipfel und in den Steilabsturz, der sich gegen die Porta senkt.

S ko lion Am nächsten Morgen gab es einen gemütlichen Bummel zum dritthöchsten « Olympier », zum Skolion, der mit seinen 2905 Metern Höhe den besten Einblick in das Hauptmassiv gewährt. Zeus hob und senkte in kunstvoller Regie seine Wolkenvorhänge. Diese wirkungsvolle Inszenierung wirkte auf unsere Photographen wie ein rotes Tuch.

« Helvetia » Nun strömte die buntgemischte Karawane ins Tal der Dhrima zur Grundsteinlegung der neuen Skihütte am Olymp - ein feierlicher Akt, der für die Griechen den Kernpunkt der Expedition bedeutete. Wir kamen ausgehungert und halb verdurstet zu dieser Stelle. Schafe, die am Spiess gebraten wurden, und ein Fass geharzten Weins erwarteten uns. Wir fielen mit Heisshunger darüber her. So wurde die notwendige Grundlage für die Zeremonie der Hüttengründung geschaffen. Noch war es aber nicht soweit, obwohl der ehrwürdige Vorsteher des Klosters Haghios Trias mit dem wallenden weissen Bart seiner achtzig Jahre bereits anwesend war. Man stritt sich noch über die Lage-begreiflich, da zwei Bauplätze vorhanden waren, die verschiedenen Besitzern gehörten. Aber schliesslich war es doch soweit, dass man die riesigen Fahnen entrollen konnte. Der Geistliche haspelte seine Segnungen in einem unheimlichen Tempo herunter. Nun-wir verstanden ja sowieso kein Wort; aber auch den Griechen ging es wohl kaum besser. Anschliessend kamen die üblichen Reden und Gegenreden, und zu guter Letzt wurde die künftige Hütte zu Ehren der Gäste « Helvetia » getauft. Ob sie je gebaut worden ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Ihr Zugang ist wahrlich nicht einfach und hur Menschen anzuraten, die dem weissen Sport eine tüchtige Dosis Idealismus entgegenbringen. Von Athen bis zum Hüttenplatz wären es: zehn Eisenbahnstunden, sechs Autostunden ( und was für welche !) und vier Stunden zu Fuss.

Automobile Stunden waren über diesen Zeremonien rasch hingeschwunden, und es wurde Zeit, noch vor Sonnenuntergang das Tal zu gewinnen. Schade, dass gerade der letzte Teil der Olympreise zu einem Hasten wurde, denn die Landschaft Richtung Sparmos ist hinreissend. Diese abendliche Stunde vor der blauen Weite der mazedonischen Berge ist meinem Herzen unvergessen geblieben. Im Dunst der Ferne verlor sich Kette um Kette, Berg hinter Berg. Da war kein Ende abzusehen.

Im Talboden warteten auf uns eine Menge neugieriger Bauern, eine Meute gefährlicher Hunde - und die Nachricht, dass die Automobile weiter vorne gestoppt hätten, da der Weg bis hierher ein Wagnis gewesen wäre. Nun, halbwegs gegen Sparmos kamen die Autocars in Sicht. Wir waren so unvorsichtig, uns ihnen anzuvertrauen. Es ging über Fusspfade, Fels und Flur; bald schien der Wagen nach der einen, bald nach der andern Seite zu kippen. Bis Sparmos hatten sich die Klügeren von uns noch zu Fuss durchgeschlagen. Halb verdurstet, bekamen wir in diesem Dorf nur einen Schnaps vorgesetzt, den wir mit Wasser verdünnten; dann wurden die drei Autocars bestiegen, und zum Teil querfeldein und durch Flussläufe ging die eher qualvolle Fahrt weiter. Unser einziges Bestreben war, nicht an die Decke oder gegen eine scharfe Kante geworfen zu werden. Die zwanzig Kilometer bis Elassona wurden in zwei Stunden zurückgelegt. Dort erreichten wir endlich die Hauptdurchgangsstrasse Athen-Larissa—Saloniki. Nach einem Sturm auf die Gasthäuser wurde die Reise auf dieser Strecke fortgesetzt. Verrostete Dampfwalzen standen zu beiden Seiten der Strasse, und geschichtete Steinhaufen warteten melancholisch und geduldig auf ihre Bestimmung — zur Strassenverbesserung. Das aber war Zukunftsmusik auf lange Sicht. Die tiefen Löcher, die den Wageninhalt wild durcheinander schüttelten, waren dagegen holprige Gegenwart. Nach sechs Stunden einer wirklich einzigartigen Automobilfahrt gelangten wir um halb zwei Uhr früh nach Larissa, einundzwanzig Stunden nach unserem Aufbruch bei der Clubhütte unter den Felsthronen des Zeus. Jetzt tischte man uns ein leckeres Mahl auf. Es gab aber welche aus unserer Schar, die darauf verzichteten und halb-entkleidet in traumlosen Schlaf versanken.

Meteora Es sind die bizarrsten Felsgebilde,die ich je gesehen habe ( die Dolomiten eingeschlossenBei Kalabaka wuchten sie aus dem breiten Talboden des Peneus auf. Manche dieser Felsköpfe sind schwer zu besteigen. Auf andern hocken gleich Adlerhorsten ausgedehnte Klosterbauten. Einst waren sie nur auf schwankenden Leitern oder mit Korbaufzügen zugänglich. Jetzt hat man sich der Zeit angepasst und Felssteige eingehauen, schon damit die Mildtätigkeit der Reisenden die bärtigen Mönche besser erreichen kann, die den Besuchern scharfen Schnaps und eigenartige Süssigkeiten gegen Entgelt vorsetzten. Die Mönche, einst Asketen, hervorgegangen aus den Glaubens-kämpfen des Mittelalters und als « Säulenheilige » auf diese Felszacken geflüchtet, leben heute ohne Kultur, ohne Tradition, ja gleichsam ohne Daseinsberechtigung. Das Bleibende der Gegend sind nicht ihre Menschen, sondern Bauten und Landschaft.

Athen Nach den Strapazen und Wanderungen kamen die Empfänge und die Festessen. Auch das kann zuviel werden, selbst wenn es von Herzen kommt. Die ergreifendste Stunde erlebten wir auf der Akropolis am Fusse des Parthenons, des steinernen Wunders des alten Hellas.

Et finit Nacht lag über dem Isthmus von Korinth. Die ewigen Sterne Homers leuchteten. In uns und um uns Stille und Frieden. Kein Berg würde mehr erklommen werden. Da war nur das Meer, das der Dampfer durchschnitt.

In der allerersten Morgenfrühe nahm Freund Diakides-Olympos bei der kurzen Landung in Patras mit einer kleinen Rede gefühlvollen Abschied von uns.

Griechenland lag hinter uns.

Was aber war das Bleibende all des Erlebten? Aus den Wassern taucht ein gewaltiger Berg mit der ungeheuren Weite und Einsamkeit seiner Gipfel: der Olymp. Aus dem Häusermeer Athens ragt wie eine Klippe der Parthenon, ein Tempel von vollendeter Harmonie, wie ihn die Menschen kein zweites Mal mehr schaffen werden. Das also waren die Höhepunkte: der Olymp, Sitz der griechischen Götter, der griechischen Seele, und der Parthenon, höchster Ausdruck griechischen Geistes. Und wir, die « Vorübergehenden », durften hier ergriffen in einem glücklichen Augenblick unseres Daseins verweilen.

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