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Bergsteigen einst und jetzt

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Von Hans Koenlg

( Zürich ) Nun noch ein letztes Wort zum Verhalten der militärischen Führer. Wohl sind in den neunziger Jahren am Gotthard und in St. Maurice in beschränktem Masse Ski verwendet worden. Ein Berner, Geelhaar, hat sie im Februar 1893 eingeführt. Nur allmählich entwickelte sich das Skifahren der Gott-härdler, und erst ihre Erfolge an den Skirennen in Bern und am Pragellauf in Glarus machten sie bekannt. Aber darüber hinaus wollte man von der Verwendung der Ski in der Armee nichts wissen. Der Gründer des Skiklubs Glarus, Christoph Iselin, hat als Generalstabsoffizier auf die Verwendbarkeit der Ski im Gebirge hingewiesen, aber seine ausführliche Eingabe vom Oktober 1898 blieb in irgendeiner Schublade der Generalstabsabteilung. Wir wussten nichts davon, es schien uns jungen Offizieren von damals nur, es liesse sich etwas mit den Ski machen, und es sollte auch etwas gemacht werden, aber wie? Wir hatten vor allem die Erkenntnis, dass ohne gründliche Einführung in das Skifahren nichts zu erreichen sei. Deshalb Lehrkurse. Ein erster alpiner Skikurs wurde 1902 von Victor de Beauclair und Albert Weber, Bern, den Führern von Zermatt gegeben, mit gutem Erfolg. Der Kurs zeigte, was mit berggewandten Leuten erreicht werden kann, dass sie nämlich nach fünf bis sechs Tagen kleinere Touren, wie zum Beispiel die Cima di Jazzi, machen konnten. Sollte das mit jungen Offizieren nicht möglich sein? Wir gewannen den Offiziersverein der Stadt Bern für unsere Sache. Aber auf allen Abteilungen des Militärdepartementes wurden wir abgewiesen. Die Festungsabteilung hatte ihre Skifahrer und wollte keine weiteren. Die Abteilung für Infanterie — damaliger Chef Oberst Hungerbühler — beurteilte das Skifahren als eine sportliche Spielerei, die niemals für eine Truppe in Frage kommen könne; die Kavallerie lachte uns aus, und einzig auf der Generalstabsabteilung hatte Oberst Egli einiges Verständnis für uns, während alle damaligen Instruktions-offiziere aller Waffen unisono gegen das Skifahren eingestellt waren. Da kamen uns merkwürdige Zufälligkeiten zu Hilfe. Im Februar 1904 war der Schreibende von der Schweiz zum deutschen Feldbergrennen abgeordnet und hatte dort Gelegenheit, in die Winterausbildung des deutschen Armeekorps der Westfront ( Vogesen ) Einblick zu erhalten. Es fanden bei Anlass des Feldbergrennens auch Wettkämpfe der Armee statt, indem Patrouillen von vier Mann zu Fuss, vier Mann mit norwegischen Schneereifen, vier Mann zu Pferd und vier Mann per Ski die gleiche Aufgabe zu lösen bekamen, und dann verglich man die Resultate. Es lag damals durchschnittlich im Feldberg ein halber bis ein Meter pulvriger Schnee. Die Ergebnisse waren verblüffend. Die vier Mann zu Fuss kamen mit grosser Verspätung und gänzlich erschöpft ans Ziel. Der Patrouille mit Schneereifen ging es besser, doch war auch sie erschöpft. Die Kavallerie kam mit ihren Pferden im freien Gelände und im Wald überhaupt nicht durch; nur die Skifahrer erreichten in guter Verfassung das Ziel und — das war wichtig — durchschnittlich im Tempo eines trabenden Pferdes. Der deutsche General Daimling, der die Übungen leitete, hatte die Freundlichkeit, mir auf mein Ersuchen hin die sämtlichen Resultate der Militärgruppen zur Verfügung zu stellen. Mit diesen reiste ich nach Bern zurück und schrieb einen entsprechenden grossen Bericht in den « Bund ». Der Zufall wollte es, dass der damalige Vorsteher des Eidgenössischen Militärdepartements, Herr Bundesrat Müller, mit meinem Vater befreundet war. Wir wohnten alle in der Länggasse, und eines Morgens begegneten wir ihm, und er fragte mich? « Heit Ihr da Skiartikel im „ Bund " gschribe? » Als ich das bejahte und bemerkte, ich könnte ihm die sämtlichen Resultate der deutschen Truppen geben, sagte er: « Chömet dermit zu mir ufs Bureau. » Es war meine erste bundesrätliche Audienz, und glücklicherweise eine der erfolgreichsten, denn entgegen der Ablehnung sämtlicher Waffenchefs wollte der Vorsteher des Militärdepartements wenigstens einen Versuch machen. Er begrüsste es, dass wir in Verbindung mit dem Offiziersverein der Stadt Bern einen Skilehrkurs für Offiziere aller Waffen nach Zweisimmen einberiefen. Der Bund übernahm die dienstliche Militärreiseentschädigung und den Offizierssold. Dagegen mussten die Teilnehmer für ihre ganze Ausrüstung sorgen, der Bund lehnte jede Verantwortung und Haftpflicht ab. Nach langen und sorgfältigen Vorbereitungen durch Hauptmann Albert Weber — den späteren ersten Präsidenten des Schweizerischen Skiverbandes — fand am 3. Januar 1905 in Zweisimmen der erste Offiziers-Skikurs statt. Als militärische Vertreter des Generalstabes waren Hauptmann Frey, der nachmalige Oberstdivisionär, und als Vertreter der Kavallerie Hauptmann Ziegler von der Regieanstalt in Thun anwesend. Der Erfolg war durchschlagend. Nach acht Übungstagen konnten die siebzehn eingerückten Offiziere ordentlich fahren und ganz interessante Patrouillenaufgaben lösen. Damit war das Eis endlich gebrochen. Das Militärdepartement unterstützte fortan alle solchen privat organisierten Kurse, deren mehrere in Andermatt, in Graubünden und im Jura abgehalten wurden. Ist es nötig, auf ihre Auswirkung hinzuweisen? Heute heisst es: « Das ganze Volk fährt Ski », und was seither von der Militärseite geleistet worden ist, braucht nicht hervorgehoben zu werden; man kennt es allgemein, und es verdient auch alle Anerkennung.

Die weitere Entwicklung des Skiwesens ist bekannt. In ganz ungeahnter Weise wurde die technische Vervollkommnung der Bindungen, und vor allem das Skifahren selbst ausgebildet. Nicht nur gibt es überall Skischulen, überall Ski- und Sesselilifte, man lässt sich hinaufziehen und saust die Piste hinunter, dass es eine Freude — aber auch ein Graus ist. Das Skifahren, das durch seine Anfänger als Mittel zum Zweck — eben für die Erschliessung der Berge im Winter — gedacht war, ist Selbstzweck und ein Sport für sich geworden.

Nur ein Bruchteil der Heerscharen, die im Winter unsere Sportplätze beleben, macht Touren. Das Jahrbuch des SSV weiss wenig mehr zu berichten von schönen, einsamen Fahrten, dafür um so ausführlicher von Skifesten und Rennresultaten, die nach Zehntelssekunden bewertet werden. Ob die ersten Förderer des Skifahrens — sofern sie heute noch leben — nicht hie und da erschauern vor den Geistern, die sie riefen, lasse ich dahingestellt. Aber glücklicherweise gibt es immer noch eine allerdings kleine Zahl Skiläufer, die abseits der Pisten im winterlichen Hochgebirge mit seiner ergreifenden Stille und Abgeschiedenheit als Alpinisten dem Skilaufen als dem erhabensten Sport huldigen. Dass das meistens gute Alpenklübler sind, wissen wir. Freuen wir uns darüber, dass der Ski uns den Genuss der Alpenwelt erweitert hat. Der umsichtige Bergsteiger und Skifahrer wird darnach sein Jahresprogramm einrichten und im Sommer nur Gipfel und Aufstiege wählen, die er im Winter nicht machen kann, den Brettern aber alles vorbehalten, wo sie ihn leichter und beschwingter ans Ziel bringen; auch das muss gelernt werden.

Der Werdegang des Skifahrens in der Schweiz ist aber auch für die Entwicklung des Bergsteigens von entscheidender Bedeutung geworden, und zwar nach zwei Richtungen. Vorerst hat man erkannt, dass man alles lernen muss, deshalb Kurse. Sodann kann man alles vervollkommnen, deshalb Ausbildung der Technik. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass die akademischen Alpenklubs in Zürich, Bern und Basel sich zur Aufgabe machten, ihre Jünger systematisch in den Bergsport einzuführen, sie anzulernen und zu erziehen. Aber eigentliche Bergsteigerschulen gab es noch nicht. Da erging 1922 eine Anfrage des Kurvereins Klosters, durch Direktor Hew vom Vereina-hotel, ob man nicht für die Kurgäste so etwas wie eine « Bergsteigerschule » einrichten könnte. Ich besprach mich mit unserem lieben, leider seither verstorbenen Emil Kern, der sich bereit erklärte, diese Aufgabe zu übernehmen. In den Jahren 1922/23/24 hat er in diesem Sinne in Klosters mit bestem Erfolg gewirkt und mir kürzlich noch bestätigt, er habe nie so viel Bergsteigen gelernt als beim Unterrichten anderer: docendo discimus. Das Beispiel hat gewirkt. Nach und nach haben die Sektionen des SAC sich dieser Aufgabe angenommen und Kletter- und Eiskurse eingeführt, die wesentlich zur Verbesserung der Qualität der Bergsteiger beigetragen haben. Auch die Armee hat durch ihre Gebirgsausbildungskurse das Bergsteigen wesentlich gefördert. Parallel dazu ging die Entwicklung der Technik. Die Sektion Uto hat viel dazu beigetragen. Nach den tragischen Unglücksfällen, die im Jahre 1915 binnen kurzer Zeit elf Klubgenossen dahingerafft hatten \ herrschte die 1 Unglücksfälle der Sektion Uto SAC im Sommer 1915: 2 Herren Frick an der Jungfrau 2 Herren Thomann am Allalinhorn 1Dr. Armin Müller \ 2Gebrüder Meyer \ an den Glarner Tschingelhörnern 1 Sepp Wyss1 A. L. Meyer 1 1 Paul KöchU j am Dom 1 Dr. Pfeiffer am Kletterblock Airolo 11 Opfer Meinung, es müsse etwas geschehen, um diesen schrecklichen Bergunfällen vorzubeugen. Präsident Prof. Dr. C. Tauber kam auf den Gedanken, den jungen und alten Bergsteigern Rat zu erteilen. So entstand der « Ratgeber für Bergsteiger », in dessen Rahmen mir die Aufgabe « Technik » zukam. Das war eine schöne und interessante Arbeit. Aber schon damals widerstrebte es mir, bloss eine abstrakte Technik zu dozieren. Das Ganze hatte ja nur Sinn, wenn es seinen Zweck erfüllte, die Leute vor den Gefahren zu warnen. Nun kann man nicht als Prediger auftreten; das nützt nichts. Wenn aber zu jeder « technischen Frage » ein oder mehrere Beispiele gegeben werden, dass Bergsteiger wegen Unterlassung einer Forderung der Technik ihr Leben verloren haben, so sollte das doch Eindruck machen. Und diese Darstellungsweise hat auch Eindruck gemacht, wie Urteile aus England, Frankreich, Deutschland und Österreich bewiesen. Leider hat dann die Sektion Uto doch noch den Weg der « reinen Technik » beschatten durch die Herausgabe des an sich vorzüglichen, handlichen technischen Beraters, bearbeitet von Emil Kern.

Die kritische Würdigung und Auswertung der Unglücksfälle ist dann in der Folge in den « Alpen » durch Dr. Sigfried erfolgt und wird jetzt durch Dr. Rudolf Wyss in vorzüglicher Weise besorgt. Doch sollte alles vorhandene Material noch besser ausgewertet werden.

Wenn nun die Entwicklung den Weg des Technischen gegangen ist, so sei man sich bewusst, dass man auch ein Quentchen schuld daran ist, dass die Technik gegenüber dem reinen Berggenuss, wenigstens bei einem Teil der jüngeren Generation, die Oberhand gewonnen hat. Nun, was versteht man denn unter « Technik »? Eben alle die Hilfsmittel, die es uns erleichtern, beim Bergsteigen unser Ziel zu erreichen. Fangen wir an mit den Steigeisen. Vom Dreizack in den Absätzen der Älpler bis zu den fein angepassten zehn-bis zwölfzackigen Eckensteinsteigeisen liegt ein weiter Weg. Ein Schweizer, Jacot Guillarmod, hat sich im Jahrbuch des SAC XLV, S. 344 ff., zum erstenmal mit der Technik des Gehens mit Steigeisen befasst und ausgezeichnete Ratschläge erteilt. Seine Lehren sind dann noch weiter ausgebildet und verfeinert worden. Was früher das Gefürchtetste war — schwarzes Eis — ist heute für den echten Eckensteiner ein Genuss. Nicht nur spart er Zeit und Kraft; auf seine Steigeisenzacken vertrauend und mit dem Gefühl absoluter Sicherheit begeht er die Eishänge. Soll man ihn tadeln, dass er sich dieses modernen technischen Hilfsmittels bedient, statt stundenlang kräfte-vergeudend und unter grossen Gefahren zu hacken? Und vergessen wir nicht die Modernsten: Diese haben an ihren Steigeisen nicht nur zehn Zacken nach unten, sondern noch zwei bis vier Zacken nach vorne umgebogen an der Fussspitze. Damit können sie senkrechte Eiswände direkt hinaufgehen. Die Bezwinger der Eigernordwand hatten solche, und sie leisteten ihnen ausgezeichnete Dienste. Warum sollte man sich solcher nicht bedienen?

Gehen wir über zu den modernen Kleüergeräten: Mauerhammer, Mauerhaken, Fels- und Eisstiften, Ringen, Karabinern, Schnappringen, Abseilschlingen, Laufseil und Reepschnur, so steigt vor uns eine neue Welt auf, die man heute als Bergschlosserei bezeichnet. Was bieten sich da nicht für technische Entwicklungsmöglichkeiten! In Verbindung mit einer raffinierten Seiltechnik, mit Tritt- und Laufschlingen, Flaschenzügen, Prusikknoten, Dülfersitz, kann man die schwersten Wände « obsi und nidsi». begehen, ja selbst Überhänge bezwingen, und zwar — was sehr wichtig ist — in absolut gesicherter Stellung. Das muss aber gelernt und verstanden sein, und die Seilschaft muss aufeinander eintrainiert werden, damit es klappt. Seitdem sich Leute aus dem Handwerk dem Bergsteigen zugewandt haben, ist durch sie die Technik raffiniert ausgebildet worden. Viele junge Leute sehen darin den Gipfel der Bergsteigerei. Soll man sie tadeln? Soll man ihnen das verwehren und sagen: « Bis hierher und nicht weiter? » Aber wer « a » gesagt hat, muss auch « b » sagen. Technik ist eben Technik und lässt sich verfeinern und ausbilden. Und je raffinierter und verwegener, desto besser. Das alles wird dann bemessen — nicht nach Zehntelssekunden wie beim Skifahren — sondern nach Graden I bis VI. Im VII. ist man schon im Himmel!

Sollen wir die jungen Leute verdammen, die über den Sonntag an Peter und Paul am Mythen herumnageln und turnen und pendeln? Wir haben früher auch allerlei gemacht, das andere als « verrückt » bezeichnet haben. Lassen wir doch die Jugend sich austoben!

Wenn man gerade beim « Raffiniertesten » ist, warum soll sich der Bergsteiger nicht auch die Fortschritte der Aviatik zunutze machen? So hat uns 1932 einmal Walter Mittelholzer, unser grosser Flieger, als wir erwartungsvoll zu einer Rundtour ins Ötztal verreisten, im Zug mit Flugaufnahmen aus dem erwählten Tourengebiet überrascht, die er zwei Tage vorher vom Flugzeug aus aufgenommen hatte, um festzustellen, wo Spalten zu befürchten waren. Das haben wir in der Folge weiter dahin ausgebildet, dass wir vor Touren, für die man die Verhältnisse kennen musste, am Freitag abend vorher noch so rasch nach Bureauschluss das betreffende Gebiet überflogen und die Schnee- und Eisverhältnisse rekognoszierten. Eine solche Rekognoszierung der Monte-Rosa-Ostwand, die in zwei Stunden ab Dübendorf hin und zurück durchgeführt worden war, hat uns anhand der Bilder gezeigt, wo der beste Durchstieg durch die Eisbrüche und der Einstieg in die Felsen der Dufourspitze gesucht werden mussten. Leider ist durch die Wetterungunst diese sorgfältig vorbereitete Tour ins « Wasser » gefallen, und ich habe diese ersehnte Tour nie mehr nachholen können. Auch bei Rettungsaktionen ist die Mitwirkung von Flugzeugen sehr wertvoll.

Wenden wir uns zum Schluss noch den Objekten zu, die man sich heute für seine Bergtouren aussucht. Heisst es da nicht in Variation des Gedichtes von der Teilung der Erde:

Was tun? sprach Zeus, die Welt ist weggegeben — Was tun? sprach Zeus, die Berge sind bestiegenl Was ist den Jungen übriggeblieben? Ist es da nicht begreiflich, dass diese Art « Kunst des Bergsteigens » sich auch Objekten zuwendet, an die frühere Generationen nie gedacht haben? Seien wir ehrlich: Ist nicht die Erstbesteigung des Matterhorns als verrückt erklärt worden, und später alle Erstbesteigungen von Gipfeln, die man für unbezwinglich hielt? Was blieb daher den Heutigen übrig? Ausgefallene Routen und die berüchtigten Nordwände.

Darf man sie deswegen verurteilen, weil ihnen alles andere vorweggenommen ist? War es richtig, dass die Berner Regierung das Angehen der Eigernordwand polizeilich verboten und mit Bussen belegt hat? Glücklicherweise konnte verhindert werden, dass das CC des SAC in diesen Streit eingriff und selbst öffentlich dagegen Stellung nahm. Das Geschrei haben übrigens nicht die Bergsteiger verursacht, die durchwegs bescheidene, aber verwegene Kerle waren, sondern die Zeitungsschreiber und Reporter, die mit dem Zeilengeld ihr Geschäft machten. Dass dabei leider Menschenleben zum Opfer gefallen sind, liegt in der Natur der Dinge.

So stehen wir inmitten einer Entwicklung des Bergsteigens, die uns vielleicht nicht ganz gefällt und an der wir auch keine rechte Freude haben. Aber, ob wir sie in Bausch und Bogen ablehnen und sogar verurteilen dürfen, ist eine andere Frage. Wer sich in die Probleme dieser Extremisten, seien es nun Deutsche, wie Heckmair, oder der Italiener Cervasuti mit seinem Buch « Ma vie », oder der Österreicher Kasparek « Vom Peilstein zur Eiger-Nordwand », vertieft, muss anerkennen, dass es sich hier um aussergewöhnliche Leistungen handelt und um den mutigen Geist des Draufgängertums, der vor nichts zurückschreckt. Was diese Leute an Ausdauer, Willenskraft und Aufopferung geleistet haben, ist beinahe übermenschlich. Dazu sind es unbemittelte Leute, die mit bescheidensten Mitteln sich durchschlagen müssen. Sie rücken auf dem Motorrad heran, kennen nur den Schlafsack und das eigene Kochgerät — kein Hotelbett und keine Table d' Hôte —, ernähren sich spartanisch, aber rationell. Das muss man geradezu bewundern. Was man ihnen vorwerfen kann, ist das rücksichtslose Einsetzen ihres Lebens. Sie wollen aber trotz aller Gefahren die Palme des Sieges erringen, um die sich Seilschaften aus Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich bemühen. Dabei verbergen sie sorgfältig ihre Pläne, und misstrauisch beäugen sie ihre Konkurrenten. Geradezu abstossend wirkt auf uns ihre Verachtung des menschlichen Lebens. Die Darstellung Heckmairs über die Trainingstour Drusenfluh-Südwand in seinem Buche « Die drei letzten Probleme der Alpen » ( S. 10 ff. ) hat in der Schweiz Anstoss erregt und ist in den « Alpen » scharf kritisiert worden. Um was handelt es sich? Heckmair stellt fest, dass die Wand vor ihm neunmal begangen worden war und dass seine Vorgänger auf der Route fünf Tote gefunden hatten. Alle Partien mit gerader Zahl waren von der Wand verschlungen worden. Er wollte ausgerechnet die zehnte machen. Dabei stiess auch er wieder auf drei Leichen, die ihm wie Steinmannli vorkamen und den Weg wiesen. Mir hat es den Atem verschlagen, als ich dies las, und nach unserem Empfinden ist das etwas zu starker Tabak.

Nur nebenbei sei hier gesagt, dass die Südwand der Drusenfluh schon in den neunziger Jahren von den Gebrüdern Emil und Walter Schauffelberger von der Alpina Turicensis zum erstenmal bezwungen worden ist, allerdings noch ohne Mauerhaken. Sie machten davon kein Aufsehen und haben es auch nirgends publiziert. Es sei lediglich hier festgestellt.

Um die heutigen extremen Alpinisten verstehen zu können, muss man tiefer schürfen. Der Berner würde sagen: « Ja, das isch e ganz anderi Sorte Hüener. » Diese Leute sind durch den Weltkrieg 1914/18 gegangen und kann- ten das Gruseln entweder selbst oder durch Schilderungen ihrer Väter oder älterer Kameraden. Sie kennen das Warten im Schützengraben auf die befohlene Stunde des Angriffs. Rücksichtslos mussten sie ihr Leben einsetzen. Neben ihnen lagen Verwundete und Tote zu Hunderten. Das musste abstumpfen. Aber auf der anderen Seite hat sie der Krieg zur Kameradschaft und zur gegenseitigen Hilfsbereitschaft erzogen. Es war für mich, als ich Heckmair « Die drei letzten Probleme der Alpen » ( S. 48 ff. ) las, geradezu bewegend, wie die Partie Harrer-Kasparek — die Österreicher — von den Deutschen Heckmair-Vörg eingeholt wurden. Da standen sie einander gegenüber, die beiden grössten Konkurrenten, im Kampf um den Sieg über die Eigernordwand. Und was machten sie? Sie schauten sich in die Augen, drückten sich fest die Hände und beschlossen, gemeinsam den Weiteraufstieg zu versuchen. Das ist Kriegskameradschaft. So muss die Mentalität dieser Kraftnaturen gewürdigt werden und ihnen, selbst wenn man ihr Draufgängertum nicht billigt, Gerechtigkeit widerfahren.

Wenn diese Art Bergsteigerei auch bei uns aufkommt und in Aufsätzen in den « Alpen » sich kundtut, so sind das eben Erscheinungen der Zeit, denen sich die Redaktoren der « Alpen », nicht wohl widersetzen können. Immerhin müssen wir feststellen, dass in der Schweiz nur eine Minderheit von Jugendlichen der « Bergschlosserei » verfallen und die grosse Mehrzahl der Bergsteiger der alten Schule treu geblieben ist.

Nachdem die grossen Probleme der Alpen und des Kaukasus gelöst sind, kommt der Himalaya an die Reihe. Dort kämpfen Expeditionen aus allen Ländern: Engländer, Franzosen, Deutsche, Schweizer, Norweger und Russen, alle mit Hilfe der Tibetaner und Sherpas, um den Thron der Götter. Schon viele Menschenleben hat dieser Kampf gekostet und wird noch weitere fordern, aber man darf diese kühnen Leute nicht verurteilen; sie sind beseelt von Pioniergeist wie jene Eroberer der Alpengipfel vor hundert Jahren. Ich persönlich bin überzeugt, dass es gelingen wird, den höchsten Berg unseres Planeten zu bezwingen. Wann und wem es gelingen wird, ist unwesentlich. Wetter und Glück werden dabei eine Rolle spielen.

Eine Himalayaexpedition mit dem Ziel Mount Everest ist wohl das Vermessenste, was Alpinisten sich denken können. Und doch bewundern wir diese unablässigen Bemühungen und verfolgen mit Interesse die wertvollen Orientierungen, die Prof. Dyhrenfurth jeweilen in der « NZZ » gibt. Da eine schweizerische Expedition im Frühjahr 1952 in den Himalaya ging, sollte sich der SAC dieser Frage ebenfalls annehmen. Auch die Erschliessung fremder Gebiete, und nicht nur diejenige unserer Alpen, liegt in der Aufgabe unseres Gesamtklubs.

Diese Aufzeichnungen geben einen gewissen Überblick, wie sich das Bergsteigen, seine Ziele und seine Mittel im Laufe eines Jahrhunderts gewandelt haben. Der SAC ist nicht immer an der Spitze der Entwicklung gestanden; er war eher konservativ eingestellt. Anfänglich verhielt er sich den Neuerungen gegenüber skeptisch, ja ablehnend; er hat sich dann aber mit ihnen befreundet und sie sogar unterstützt. Das ist die Bestätigung des alten Grundsatzes: navra gel — Alles ist in steter Bewegung —.

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