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Bergwanderung auf den Lofoten

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Mit 1 Zeichnung des VerfassersVon Günther Schärer

und 3 Bildern ( 54—56Biel ) Es soll Bergsteiger geben, die sich darüber grämen, dass in den Bergen neue Wege kaum noch zu finden, dass die meisten Gräte erstiegen, die Wände durchklettert sind. Sie sehnen sich nach « Neuland », nach Gipfelgebieten, die noch unbegangene und unerforschte Routen hüten, die noch zu « machen » wären. Das ist ihre Sache. Ihren Gram verstehen wir nicht, weil wir wissen, dass jede Bergfahrt zum Ersterlebnis werden kann, dass jede nicht gerade überlaufene Höhe dem gehört, der sie ersteigt, vorausgesetzt, dass ihn sein Weg nicht gerade über einen Schutthaufen menschlicher Rücksichtslosigkeit geführt hat. Denn freilich, wenn wir auf Zinnen und Gräten vor lauter Konservenbüchsen kaum mehr Stein und Berggras sehen, dann haben wir Mühe, über diese traurigen Reste hinweg noch den Berg in seiner nahen Ursprünglichkeit zu erleben, und sind auf den Fernblick angewiesen. Es sei darum vorausgeschickt, dass der Berichterstatter nicht auf der Suche nach alpinistischem Neuland auf die Lofoten gestossen ist, obwohl solches dort zu finden wäre, sondern von vielerlei Interessen getrieben — volkskundlichen und anderen — dorthin gelangte. Seine und seines Freundes bergsteigerische Taten haben auch gar keinen besonderen Leistungswert und sind lediglich unternommen worden aus dem Drang, tiefer in eine neuartig schöne Landschaft einzudringen, als es vom Küstensaum allein möglich gewesen wäre.

Hinfahrt Zu zweit sind wir im Sommer 1947 hingekommen, nach einer Reise von ungefähr einer Woche, obwohl das Ziel auf schnellstem Wege erreicht werden sollte. Ungefähr so viel muss man rechnen an Zeit, selbst wenn die modernsten Reisemittel benützt werden über Strecken, die die Bahn noch kaum erschlossen hat. Von der Hafenstadt Bodo, durch die Deutschen zerschlagen und jetzt mitten im Wiederaufbau begriffen, führt das Lofotboot quer über den breiten Westfjord nach den äussersten Inseln hinaus und dann östlich der ganzen Inselkette entlang, in rund zwanzig Stunden, nach der Hauptstadt Svolvaer, nahe dem Festland, die auch von den Schnelldampfern, den Hurtigrutern, auf ihrer Nord- und Südreise angelaufen wird.

Die Lofoten, eigentlich besser « der Lofot » ( die Endung -en ist der angehängte Artikel ), sind eine zur Kette gestreckte Inselgruppe, die sich vom norwegischen Festland in südwestlicher Richtung in den nördlichen Atlantik über 150 Meilen hinaus erstreckt. Durch den Raftsund von der Inselgruppe der Vesteraalen getrennt, besteht sie aus zwei grossen Inselkomplexen, einer Reihe von grossen und einer Gruppe von stets kleiner und unbedeutender werdenden Inseln oder öyen, deren letzte und äusserste nur noch ein kleines Eiland von ein paar Jucharten Fläche darstellt, Skomvaer, auf dem sich immerhin noch ein wichtiger Leuchtturm befindet, der sein Licht über das endlose Meer wirft. Trotzdem die Lofotinseln schon ordentlich weit über dem Polarkreis liegen, schenkt ihnen der Golfstrom mildes Klima, Sommerwärme und Blumen in der Zeit des wochenlangen Tages und lässt die Rauheit der Winternacht vergessen. Diese bringt dafür den grossen Verdienst für das Volk der Fischer, das die Inseln bewohnt, mit den Dorschzügen, die, regelmässig im Winter der Kontinentalplatte entlang aus dem Nordmeer streichend, den Lofot umwandern und in Tausenden von Tonnen an Land gezogen und getrocknet werden. Gegen den Westfjord hin liegen in allen Buchten und Fjorden Fischerdörfer, während die rauhe Nordwestseite so gut wie unbewohnt und oft in schweren Nebelbänken versunken ruht.

Seltsame Landschaft Es ist ein packendes und eigenartiges Erlebnis, nach vielen Stunden Meerfahrt über den Westfjord die seltsamen Berggebilde aus der weiten Wasserfläche auftauchen zu sehen. Seltsam, ja unwirklich erscheint eine lockere Gruppe von Buckeln und Köpfen steilwandiger Bergformen, die ein treffender Gedanke schon mit den Wirbelfortsätzen eines riesigen, unter Wasser ruhenden Urtieres verglichen hat. Das sind die äussersten Berge der Lofotkette, zu denen man von der letzten grösseren Siedlung Rost aus mit dem Motorboot gelangen muss, da das Lokalschiff diese unbewohnten Inseln nicht anläuft. Am besten verglichen kann ihr Anblick werden mit dem Bilde, das uns in unseren Bergen zuteil wird, wenn wir etwa beim Aufstieg durch dichten Nebel in klare Höhe stossen und über ein Nebelmeer hinwegblicken, das, auf etwa 2500 m liegend, die höheren Voralpengipfel freigäbe. Der Vergleich trifft auch darum zu, weil wir diese Landschaft als eine bis zu den Gipfelkuppen ertrunkene, ununterbrochene Kette erkennen, wenn auch zwischen den einzelnen Inseln beträchtliche Meerestiefen gelotet werden. Von diesen Gipfelinseln ( wenn der Ausdruck erlaubt ist ) hat jede ihren Namen, weil sie, abgesondert von andern, ein Wesen für sich bildet: Stavöy-Stabinsel, Vedöy-Holzinsel ( gemeint ist Treibholz aus dem Westen; da hier unter ständigem Winde kein Baum gedeihen kann ), Storfjell-Grossberg, Trenükken-Dreigipfler usw. Um diese gruppieren sich noch einige Hundert kleiner, namenloser Schären und Holme; das Archipel von Rost allein soll ihrer 365 zählen.

In Bergschuhen Auf diesen Aussenposten der Inselkette kam es ohne besondere Absichten zu den ersten Wanderungen am Berg. Manche Eilande sind sogenannte Vogel-berge, so etwa Vedöy, auf der Möven, Lummen und Alken in unzählbaren Tausenden die Felswände bevölkern. Ausserdem rupfen Schafe, natürlich von Menschen hingebootet, das recht saftige Gras felsiger Flanken und der Gipfel-triften, die sich über lotrechten Wänden als sanfte Matten erstrecken. Zu den Nistlöchern und Sitzgesimsen der Meervögel kletternd, haben wir die Berge erstiegen, zu deren Höhen meist eine Schafspur den Weg wies. Kleinere Schwierigkeiten, wie etwa eine griffarme Platte, nahm man in Kauf und gewöhnte sich auch rasch an lauterklare Tiefblicke über abschüssige Grasflanken oder nackte Wände hinab auf das Wasser. Wundervoll und immer wieder beschenkend die Aussicht von diesen Gipfeln, die keinen Anspruch auf grosse Höhen erheben ( 100 bis 300 m ü. M. ). Statt der Täler mit dunklem Waldkleid das weite, in allen Blau- und Grautönen spielende Meer. Oft war ein Fischer aus dem Dorfe Rost unser Begleiter und Führer zu den Schlupfwinkeln der Vögel, deren Eier man im Frühjahr plündert. Ein magerer, zäher Bursche, der in ungenagelten Halbschuhen selbstverständlich hinausschritt, wo wir vorsichtig unsere Nagelschuhe hinsetzten. Sonst haben wir nie einen anderen Menschen begegnet, denn die Fremden sind dort die sehr seltenen Vögel.

Der Kette entlang landeinwärts Die erste Insel von West nach Ost, die aus mehr als einem einzigen Berg besteht, ist Väröy, um deren Hafen- und weites Dorfgebiet sich eine ganze Gruppe von Bergen halbkreisförmig schart. Die Karte kennt zwei Namen und drei Höhenkoten, die um 450 m ü. M. herum liegen. Natürlich hatten wir in Oslo unten versucht, uns mit Karten gut auszurüsten, aber ohne grossen Erfolg. Vom Gebiet der Lofoten gibt es selbstverständlich ausgezeichnete Seekarten, aber nur sehr oberflächliche, d.h. mehr auf die äussere Inselform bedachte Landkarten, die uns mehr als einmal im Stich liessen oder uns Wichtiges verschwiegen. Jedenfalls gestattet eine solche Karte nur sehr ungenau die Vorstellung der Erdgestalt und kann mit schweizerischen Kartenblättern nicht verglichen werden.

Auf Väröy wanderten wir dem Hornet ( Horn ) zu, dessen steiler Gipfel keine Schwierigkeiten bot, aber einen unvergleichlichen Blick über die 450 m hohe Wand hinab an die schmale Nordküste erlaubte und darüber hinaus über die Wasser des Moskenstroms zu den folgenden Lofotinseln, die den Anblick eines geschlossenen Massivs boten.

Als Touren- und Wandergebiete weit vielseitiger und abwechslungsreicher sind die nun folgenden grossen Inselgebiete Moskenesöy, Flakstadöy, West-und Austvägöy. Das Lokalboot zieht seine Strasse der ganzen Inselkette entlang, die, wenn einmal der aus der Sage berühmte Mahlstrom Mosken durchschnitten ist, wirklich den Anschein eines einzigen vielgipfligen Grates erweckt, des Lofotveggen, d.h. der Lofotwand. Da und dort sucht das Schiff seine Spur in eine geschützte Bucht hinein, wo jedesmal sich ein neues, in sich geschlossenes Gebiet für den Wanderer öffnen würde.

Gestalt der Berge Die Fahrt dieser « Wand » entlang von Insel zu Insel, die Einfahrten in viele Häfen und Buchten der vielgestaltigen Ufer, formen den stets fester werdenden Eindruck, dass hier jedwede Berggestalt möglich ist. Erkennen wir da und dort Formen, die schweizerischen ähnlich oder gar verwandt erscheinen, so dass wir manchmal zu denken versucht sind, wir wären in die Stockhornkette oder das Alpsteingebiet oder die Bergeller Berge versetzt, so denken wir bei anderen Bergbildern eher an sagenhaft gedachte oder erträumte Gestalten von Bergen, etwa an jene in Gottfried Kellers Ossianischer Land- Schaft. Oft fehlt den Bergen jegliches Vorland; sie springen nackt und kahl als steinerne Flammen oder als kugelig geschliffene Buckel unmittelbar aus der Flut auf. Auf den grossen Inselländern von West- und Austvägöy hingegen erstreckt sich breites Vorgelände von Tundra und magerem Birkenbusch. Und schon auf der Insel Moskenesöy treffen wir unweit des Meeres tiefblaue, ausgedehnte und vielarmige Bergseen, die von ragenden Felsgipfeln umstanden sind. Am Ufer eines solchen Wassers können wir völlig vergessen, dass wir im hohen Norden unterwegs sind, und uns an einen Bachalp- oder Schwarzsee versetzt fühlen, während der Blick vom Gipfel uns stets wieder belehrt, dass nur eine kleine Senke den klaren See ermöglicht und ringsum der weite Ozean sich dehnt.

Weg und Steg So mangelhaft wie die Karten sind auch die Wege. Da es keinen einheimischen, sondern bloss einen von querköpfig gearteten Fremden ausgeübten Bergsport gibt, sind auch keine richtigen Routen und Pfade zu erwarten. Der Wanderer muss in den meisten Fällen seinen Weg zuerst selbst erschauen mit Hilfe des Fernglases und seines mitgebrachten Berggefühles oder ihn erkunden und läuft natürlich Gefahr, trotzdem nicht den richtigen, die Ersteigung ermöglichenden Pfad zu finden, da ihm selten jemand raten kann. Wenn er, den Rucksack umgehängt, auf schweren Schuhen schreitend, einem Menschen begegnet, so kann sich dieser wohl im beiläufig getauschten Gruss erkundigen, ob der Schweizer auf den « Fjell » wolle, aber gute Ratschläge sind nicht zu erwarten, da die Absicht, zu Berg zu steigen, ausserhalb seines Interessenkreises liegt. Ihn kümmert das Meer, der Fischfang, die Weide seiner paar mageren, schwarzverspritzten Kühlein, nicht der Berg. Während bei uns sozusagen jeder Hoger seinen Namen hat, sind solche auf dem Lofot recht selten und nur den wichtigeren Erhebungen eigen; alles andere ist eben der Fjell, von dem gerade die Rede ist.

Dementsprechend ist auch keine Unterkunft in den Bergen zu erhoffen. Einzelne der begüterten Kaufleute eines Fischerortes ( in sozusagen jedem wichtigeren ist ein solcher ansässig, der ungefähr den ganzen Fischhandel des Ortes leitet ) besitzen eine sogenannte « Hütte » in einer anziehenden benachbarten Berggegend, die oft mit Komfort und gutem Geschmack zu einem wahren Ferienhaus ausgebaut ist. Dann aber ist sie privater Besitz und kann nur durch die Freundlichkeit des Kaufherrn, die allerdings gross und bereitwillig ist, betreten oder benützt werden. In der Nähe der Stadt Svolvaer steht auf einem kleinen Hügel eine als « Turisthütte » bezeichnete Gastgeberei. Sie entspricht nicht dem, was wir unter einer Hütte verstehen, und ich bin keineswegs sicher, ob man dort nächtigen könnte.

Kongstinderne 613 m ü. M.

Eine Woche lang warteten wir in Svolvaer auf anständiges Wetter, liefen täglich zum Postamt zur Lektüre des Wetterberichtes, der in einförmiger Langeweile nichts als Regen und Sturm versprechen konnte. Es war die Zeit BERGWANDERUNGEN AUF DEN LOFOTEN Blick nach W von der Kongstinderne der Lofotwand entlang. Mitte: Vaagekallen der grössten Hitzemeldungen aus der Schweiz, da hier ein kalter Regen kübelweise gegen die Scheiben klatschte und die Strassen in Tümpel und Lachen verwandelte, zwischen denen die Menschen in Ölzeug und Südwester sich gleichmütig ihre Wege suchten. Austvägöy, das grosse Inselland, hätte allerdings ein reiches Mass lockender Berggipfel zu bieten, die teils gegen die Tausendergrenze sich strecken, aber was nützen solche Überlegungen in der Trostlosigkeit verdorbenen Wetters. Gleich hinter Svolvaer lagt z.B. der berühmte Berg ( Flöifjell ) mit den seltsamen Felsbildern, in denen viele die Hörner einer Geiss, andere ein steinernes Bruderpaar erkennen. Hinter Kabel-vaag, eine knappe Autostunde von der Hauptstadt, reckt sich der imposante Felskopf des Vaagekallen ( 942 m ), der jeden Kletterer locken muss. Da wir aber unsere Tage gezählt wussten und auf einen einzigen hellen unter ihnen lauerten, so lockte uns ein Berg, der einen besseren Überblick über die ver-schnörkelte Inselgruppe der Gegend versprach, und das konnte nur die Königszinne ( Kongsinderne ) sein, die als vielgipfliger Grat ab und zu aus Wolkenfetzen heraus sichtbar wurde. Schnee war immerhin keiner gefallen, wie überhaupt in diesem Sommer alle Berge des Lofot völlig schneefrei geworden waren. Kaum war also ein Tag da, der sich anständig zu benehmen versprach, rannten wir mit den stets bereiten Rucksäcken los, und fuhren auf dem kleinen Wackelbus zur Turisthütte, wo wir ihn gerne verliessen. Das.'-..«*- .*....

Auto fährt um Seen und Buchten weiter nach Kabelvaag, wir aber schauten unseren Berg von unten an und versuchten ihn zu überreden, uns seinen Anstieg zu zeigen. Das tat er, und wir erkannten, dass jedenfalls wichtig sei, den Grat zu erreichen. Auf ihm würde es dann schon hinaufgehen. Der Weg bis dahin bot natürlich kein wanderndes Steigen, sondern einen Ringkampf durch mannshohen Birkenbusch, der, in dichtem Geflecht versponnen, sich gegen uns wehrte. Er versteckte auch liebevoll die vielen Tümpel und trügerisch aufquirlenden Moosbuckel, deren Beschaffenheit wir erst merkten, wenn unsere Schuhe tief im Wasser staken. Ab und zu immerhin erreichte man einen freistehenden Felsen, auf dem sich trocken steigen liess, bis wir endlich, unten durch ziemlich nass, den von Heidekraut und kurzem Gras bewachsenen Grat erreichten. Nun ging alles leichter. Da und dort tauchte sogar eine Wegspur auf, die durch Gestrüpp, über Steinköpfe und Trümmerhalden hinan über immer neue Gratbuckel leitete, bis schliesslich nach einer letzten, recht steilen Partie der erste Gipfel der Zinne nach rund drei Stunden erreicht war. Es hatte sich gelohnt, denn der Blick über Berge und Meer war überwältigend schön. Im Südosten lag das Wirrwarr der Landflecklein, auf denen der Hafenort Svolvaer liegt, dahinter die Berginsel Skraaven ( die wir auch noch besuchen sollten ), die Eilande Store Molla und Lille Molla, und fern vom Festland her blinkte die weisse Szenerie des Svartisengletschers. Im Norden und Westen aber türmte sich Gipfel hinter Gipfel, Grat hinter Grat der vielen Einzelmassive, aus denen sich Austvägöy zusammensetzt. Die Überraschung aber waren die beiden links und rechts von unserem Gipfel liegenden Bergseen, der Grosse Königssee ( Store Kongsvan ) und der See des Berggeistes ( Nökvan ). Unser Berg selber aber bot ebenfalls Dinge, die nicht vorgesehen waren, indem sich die weiteren Gipfel des Grates als unserer Ausrüstung überlegen erwiesen. Wir hatten kein Seil. Also werweissten wir nicht allzu lange, sondern beschlossen nach Norden die Flanke hinab zum Nökvan zu steigen, dessen Bläue uns lockte. Irgendwie würden wir von dort auch einen Weg zurück finden. Landschaftlich lohnte sich der Abstieg reichlich. Er fühlte den Abstürzen und Trümmerdelten der höheren Türme entlang, deren warmroter Stein dem Grün der regennassen Moospolster eine prachtvolle Grundfarbe gab. Das sei nachgetragen: immer wieder überraschte der Stein der Lofotberge durch seine Farbschönheit. Braun, rot oder tiefglänzend schwarz gemasert, mahnte dieser sogenannte Gabbro ( eine Granitart ) oft an geschliffenen Marmor.

Quellen überrieselten Stein und moosigen Grund, und das gestufte Gelände des Hanges liess immer wieder Raum für ein kleines Hochmoor, über welchem die weissen Fähnlein des Flockengrases wehten. An seinen Rändern leuchtete roter Sonnentau.

Blumen Hier ist Gelegenheit, ein kurzes Wort über den Pflanzenschmuck der Lofotinseln einzuschieben. Er war eine der grossen Überraschungen des Nordens und der schlagende Beweis für den gewaltigen Einfluss des Golfstromes. Die kleinen Inseln am Lofotrand bei Rost bildeten im sommerlichen Lichte oft wahre Gärten, wie sie bei uns kein noch so liebevoller Gartenfreund sich schaffen könnte. Da leuchteten rot die Kuckucksnelken neben violettblauen Wicken. Daneben flammte das Gelb der kleinen Stablilie ( Narthecium ossi-fragum ), und ganze Teppiche der rosafarbenen Grasnelke ( Armeria ) bildeten lieblichen Kontrast zum Meerblau des Hintergrundes. Aus den sumpfigen Tundren der grösseren Inseln blickten immer wieder der braunrote Stern des Blutauges ( Comarum palustre ) und mit Blüten, roten und orangegelben Früchten die saftige und wohlschmeckende Multebeere. Ganz besonders schön aber waren solche kleine Moore, wie sie der Berghang unserer Zinne aufwies: eine Welt von kleinen blühenden Pflanzen, Moosen und Flechten, deren Namen unbekannt bleiben mussten. Sie verwandelten den scharfen Stein zum sanften Polster, wenn sie seinen leuchtenden Marmor nicht freiliessen.

Heimweg Übrigens, wie es sich für einen See des Berggeistes geziemt, war der Nökvan eine Falle. Für uns führte kein Weg talaus, und zu umgehen war er auch nicht, da überall glatter und nackter Fels ins Wasser abstürzte, der keinen Saum am Ufer freiliess ausserhalb des Bachdeltas, wo wir ihn selber erreichten. Also blieb nichts anderes übrig, als wieder die Grathöhe zu ersteigen und jenseits ins Tal zu gelangen. Eine Scharte zwischen dem dritten und vierten Gipfel der Zinne diente uns als Ziel. In mühsamem Anstieg erkletterten wir, Füsse und Hände gebrauchend, die steilen Grasflanken, auf sicherem Stande mit Griff am Fels ein Weilchen wartend, um neuen Schnauf zu fassen. Über uns drohten die beiden Türme, die wir nicht betreten hatten, und zeigten uns, dass der Mangel an Seil uns gut geraten hatte. Endlich standen wir, schon in abendlichem Lichte, oben im Pass und blickten von neuem auf den zuerst gesehenen Kongsvan, den Königsee, zu dem wir nun weit tiefer absteigen mussten als zum vorhin verlassenen Wasser. Steil und unzugänglich sahen auf dieser Seite die grasigen Wände zuerst aus, bis man den Fuss in die Schafspur gesetzt hatte, die sich auch da heraufstahl. Ihr war richtig und gut folgen, sie turnte um Nasen und Ecken herum abwärts durch Geröllkehlen und über vorspringende Buckel der Flanke, bis an die Grenze des Birken-buschs, den zu betreten wir allerdings zauderten. Aber was blieb anderes zu tun, der Kampf musste von neuem aufgenommen werden, und da es abwärts ging, war er leichter zu führen. Man schloff und kroch und turnte sich an schwanken Ästen über glatte Felsen und erreichte schliesslich mit zerkratztem Gesicht das Tal am Seeufer wieder, nicht ohne vorher noch einmal bis zum Knie in ein Moorloch versunken, aber gleichzeitig mit einer reifen Multebeere für den trockenen Hals belohnt zu sein. In einer Stunde war auf dem schmalen Landsträsschen Svolvaer wieder erreicht.

Zwei Tage später führte uns der Hurtigruter durch die Nebelvorhänge des Raftsundes nordwärts nach Tromsö, wo sich die Wege der beiden Ferien-freunde endgültig, d.h. bis zu einem Wiedersehen in der Schweiz, trennten.

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