Bilder und Bräuche aus dem Lötschental | Club Alpino Svizzero CAS
Sostieni il CAS Dona ora

Bilder und Bräuche aus dem Lötschental

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Mit 9 Bildern.Von Emil Balmer.

Nun können wir bald zusammen silberne Hochzeit feiern, nicht wahr, liebes Lötschental? Im nächsten Sommer sind es fünfundzwanzig Jahre, seit ich dich zum erstenmal sah. Aber du willst vielleicht gar nicht mit mir « verheiratet » sein und weisest stolz mein Ansinnen zurück. Nun denn, Freund Schröter von Ried, nimm aus deinem Felsenkeller eine Flasche feurigen Malvasier, bringe zwei feingeschliffene Gläser, ich will mit dem Lötschen anstossen und unsere langjährige treue Freundschaft neu besiegeln — denn als Freund wirst du mich sicher anerkennen, das weiss ich! Ja ja, wir gehören doch zusammen fürs ganze Leben, und ich zähle mich schon halb zu deinem Talvolk. Im Winter spinnen deine Frauen die feine schwarze und weisse Wolle deiner Schafe — daraus weben sie ein gutes, starkes Tuch. Wie war ich doch stolz, als ich einmal in einem Lötschergewand zu dir hinaufkam. Aber auch die Mutter Johanna in Wiler teilte meine Freude:

« Jetz isch der Balmer eine wie van ysch ( von uns ), » sagte sie strahlend unter der Türe — « jetz isch er vellig en Talmann! » Viel hat sich geändert in dem Vierteljahrhundert. Die alte Johanna schläft längst bei der Kirche in Kippel — der romantische holperige Saumweg der rauschenden Lonza entlang ist zerfallen und übergrünt von Gras und Gebüsch; eine breite Strasse hat ihm den Rang abgelaufen und ihn zum Sterben verurteilt — kaum sieht man im Sommer noch die letzte Spur deines unglücklichen Kohlenbergwerksdas grobgesponnene Hirten-hemd deiner Sennerinnen kommt aus der Mode; fremde Stoffe erobern sich allmählich das Tal — dein schwarzes, kuhfladenartiges, aber chüstiges Kornbrot wird ersetzt durch weisse Semmel und Stecken — die paar Dorf Wirtshäuser mit den Trinkstuben genügen nicht mehr; Hotels und Pensionen erstehendoch, im Grunde des Herzens bist du dasselbe geblieben, liebes Lötschen! Und du hast noch viel, viel Unverfälschtes und Altüberliefertes — du pflegst sorgsam noch manch jahrhundertealten schönen Brauch, feierst noch immer deine farbigen, tiefsinnigen Feste — halte sie hoch, diese Traditionen, trage Sorge zu diesen kostbaren Gütern der Kultur, dir zum Heil und Segen und deinen unzähligen Freunden und Bewunderern zur Freude!

Es ist eine ganz heikle Sache, über die Lötscher zu schreiben — das haben schon andere vor mir erfahren. Rühmt man sie, so ist es nicht recht, rührt man an ihre Fehler und Schwächen, so gibt es begreiflicherweise auch böses Blut. Ich schrieb vor vielen Jahren einmal einen längern Aufsatz über das Lötschental und war dabei so unvorsichtig, die Leute bei ihrem richtigen Namen zu nennen. Mit flammendem Zorn empfing mich das nächste Mal die alte, lahme Kathri.

Die Alpen — 1938 — Les Alpes.42:, BILDER UND BRÄUCHE AUS DEM LÖTSCHENTAL.

« Jetz isch denn vil gnua! » drohte sie mir mit erhobenem Finger — « es isch e Korrespondenz gegangen, was gar nid scheen isch! » Und wenn ich noch mehr ins Tal kommen wolle, so solle ich aufhören mit dem verdammten dummen Geschreibsel! Ja, so böse hat sie mich abgeschrotet!

Nun, so lasst es euch wissen, liebe Lötscher ( denn ihr werdet diese « Korrespondenz » sicher auch zu sehen bekommen ): Wenn ihr euch in den nachfolgenden Begebenheiten irgendwo wiederfindet, so seid mir nicht böse. Ihr wisst es nun, es geschieht nicht, um euch zu « antru » ( nachäffen, verspotten ), nein, im Gegenteil, ich möchte euren Miteidgenossen nur sagen und zeigen, wie ihr trotz eurem harten Ringen ums tägliche Brot treu zusammenhält, wie ihr uns in vielen Sachen ein Vorbild sein könnt, wie kraftvoll, traf und bilderreich eure Sprache ist — und wie ich euch in mein Herz geschlossen habe!

Und nun noch ein Wort an euch, liebe wackere C. Mannen! Die meisten von euch kennen ohne Zweifel das Lötschental, und ihr findet es vielleicht überflüssig, darüber noch Worte zu verlieren. Ihr seid sicher schon über den Lötschen- oder Beichpass gegangen, habt den Petersgrat überquert, seid an Ostern, von der Lücke herkommend, durchs Tal gewandert, habt vielleicht sogar das königliche Bietschhorn bestiegenaber ihr habt wohl nicht Zeit gefunden, mit den Leuten zu plaudern oder in ihre niedern und säubern Stuben zu gehen, euch von ihnen erzählen zu lassen oder sie bei ihrem mühsamen Tagewerk zu beobachten. Wenn es mir deshalb gelingen sollte, euch mit den folgenden Schilderungen noch mehr für das wirklich einzigartige schöne Tal zu begeistern und euch zu Freunden der biedern Lötscher zu machen, so will ich herzlich zufrieden sein!

Jahreswende.

Wenn in den letzten Tagen des alten Jahres die Spalten der Zeitungen sich füllen mit Anpreisungen opulenter Silvester-Menus, wenn es einem schon beim Lesen all der unmöglichen Namen der fremden Gerichte fast « gschmuech » wird, da nehme ich hurtig meine Ladli und löse am Schalter: Goppenstein! Fort, nur fort aus dieser von Vollfresserei, Dancings und Jazz-Musik verseuchten Welt! Was habt ihr davon, die ihr drunten bleibt? Im besten Fall einen verdorbenen Magen und einen stürmen Kopf! Ich bin aber auch nicht einer von denen, die den Smoking und die Glanzlederschuhe im schwarzen Köfferchen mit in die Berge schleppen, um in einem Hotel den Silvesterball mitzumachen, wo unser schöner, gesunder Sport oft durch verrückte Modetorheiten verhöhnt wird, wo man mit den Skimeistern und Sportkanonen einen blöden und verderbnisbringenden Kult treibt und wo der Champagner in Strömen fliesst — nein, das überlasse ich den reichen Fremden, die hieher kommen, um sich ein wenig auszutoben.

Wie viel hundertmal schöner und sinniger als im glänzendsten Ballsaal kann doch eine Feier in der einfachen Berghütte werden! Um das Sterben des alten Jahres und die Geburt des neuen zu erleben, ist mir die weisse Einsamkeit des Lötschentales eben gut genug.

BILDER UND BRÄUCHE AUS DEM LÖTSCHENTAL.

In gleichmässigem Rhythmus steigen wir in einer langen Einerkolonne schwerbeladen durch den Bergwald hinauf. Kein Wort fällt, es hat ein jeder mit sich selbst zu tun. In Kippel ist eben der Englische Gruss verklungen — starre, eisige Kälte schleicht die Hänge empor. Die Lücke aber brennt noch im Abendfeuer, und das Bietschhorn gleicht einem glühenden Amboss. Bald kommt die schwarze Winternacht... Warmrotes Licht strahlt aus unserer Hütte — gottlob, der Wernu ist oben, hat wohl schon den Giltsteinofen geheizt und den heissen Tee bereit.Bald sitzen wir droben um den grossen Tisch, packen aus und räumen weg, denn saubere Ordnung muss sein in der Hütte, wenn die Gäste anrücken! Der Kaspar kommt vom Tillggi, bringt die Milch und den Tannenbaum. « Seh, Chaspi, bist ja ganz erfroren, nimm einen tollen Schluckund, ist sie gut, die geläuterte Härdöpfelröschti? » — « Wohl- appa » schmunzelt das kleine Lötschermännchen und setzt sich zu uns. « Vergalt es Gott hunderttuusigmal, geb'uch Gott den ewigen Lohn! » — Einer schmückt den Baum, nur mit roten Kerzen und roten Äpfeln; so ist er am schönsten in seinem frischen harzduftenden Grün. Es poltert draussen — die Kameraden von der Arbeggen und vom Gitsch kommen — die Stube füllt sich — die Pfeifen werden gestopft. Und später fangen sie an zu singen — alte, schöne Lieder, eines nach dem andern. Es ist ein Viertel nach 11 — höchste Zeit, dass ich in die Küche verdufte — der Glühwein muss gebraut sein! Wisst ihr, was ich alles damit koche, ausser Zucker, Zitronen, Zimtrinde und Nelkenköpflein? Eigentlich ist es mein Geheimnis, aber ich will es euch verraten: also viel, viel Orangen und Mandarinen müssen hinein und zuletzt noch der Saft eines sauren Apfels! Darum wohl rühmt alles meinen Glüh-weinGedämpfter Gesang tönt aus der Stube:

« Unser Leben gleicht der Reise Eines Pilgers in der Nacht... » Ich benütze die Stille, die dem ersten Liede folgt und trete unter die Türe: « So, und jetzt, liebe Freunde, seid ein paar Minuten ganz still! Bald ist das Jahr dahin — denkt an alle lieben Menschen, die euch der Tod entrissen hat — vergebet denen, die euch Böses getan, sehet aber auch die eigenen Fehler und Sündelein ein und versprecht euch selber, besser zu werden im neuen Jahr — haltet stumme Zwiesprache mit dem eigenen Ich.»Und wirklich, es wird ganz feierlich still in der Stube... « So, und jetzt noch einen Psalm — ich bin kein Frömmler, aber es schadet uns nichts. » Und schon stimmt das Reesi an:

« Grosser Gott, wir loben dich... » Der Glühwein ist fertig — die Gläser werden gefüllt — es... ist... Mitternacht!

« Stosst an, stosst an, stosst alleweil an, Wir lebens ja nur ein einziges Mal... » « Es guets NeusProscht, RuediEs soll der gälte — Es Glück- haftigs. » Das Chaspi schnellt plötzlich auf: « Gheeret der? Ds Neujahrross chunnt!»Alles fliegt an die Fenster! Pechschwarz ist die Nacht — eiskalt blinkt der Orion über dem Wilerhorn — die drei Nonnen an der Hohgleifenkette, gebildet aus den dunklen Wäldern und den weissen Runsen der Lawinenzüge zeichnen sich deutlich ab — die schwarzweissen Riesengestalten scheinen auf uns zuzukommen und uns zu erdrücken...

« Seid doch einmal still! » befiehlt einer. Totenstillenein, ganz leise, wie aus weiter, weiter Ferne, hört man aus der Talfurche die Glocke von Kippel. Doch, jetzt flackern Lichter auf — vom Tillggi her hört man ein helles Klingeln.

« Das Neujahrross! » jubelt der Chaspi. Das Läuten wird deutlicher — verworrenes Gemurmel — Geschrei! Der gelbe Schein einer Laterne beleuchtet bald einen gespenstischen Aufzug — durch den hohen Schnee watend und immer wieder einsinkend, kommen in langem Zuge die Lötscher, voran das prächtig geschmückte Ross. Zwei Burschen stecken in dem weissen Leib, vorn der Hals und Kopf, hinten ein langer Schweif — und wie es sich bäumt und wiehertI Die Mathild lacht laut auf! Neben dem Ross schreitet stolz ein ganz in Weiss gekleideter König aus Morgenland ( er ist auf der Rückreise von Bethlehem ) mit goldener Krone und reichfunkelndem Schmuck, hinten folgen die Diener und das Volk. Jetzt sind sie vor unserer Hütte und stellen sich auf. Laut und herb, aber im scharfen Rhythmus des gregorianischen Gesanges erschallt nun das alte Neujahrlied laut in die stille Bergnacht:

Ein glückseliges neues Jahre Wünschen wir euch von Herzensgrund, Gottes Gnad viel Jahr bewahre Euren Leib und Seel gesund!

Anstatt ein Geschenk euch seie Das geborne Jesulein In dem Kripplein auf der Heide. Drücket's in euer Herz hinein!

Unsre Jahr- und Lebenszeiten, Monat, Wochen, Tag und Stand, Soll uns Menschen dahin leiten, Bis man zum Allerhöchsten kommt!

Richtig und vorsichtig wandeln Und ohne Unterlass dabei, Was wir reden, tun und handeln, Mensch gedenk, was das Leben sei:

Nur ein Nebelein, nur ein Schatten, Nur ein Glas, das bald zerbricht, Nur ein Blümchen auf der Matten, Nur ein Rauch und weiters nicht!

Unser Leib zu Staub muss werden, Unser Leben eilt zum Grab, Keiner ist auf ganzer Erden, Dem der Tod nicht bricht den Stab!

Wer wird unser Richter werden Wohl über unsere Sünden? Merket auf, ihr Menschenkinder: Schliesst das Jesulein ins Herz hinein!

( Liebe Mannen vom S.A.C. 1 Ich habe euch früher einmal von den Walsern hinter dem Monte Rosa erzählt. Wisst ihr, dass in Gressoney im Lystal noch heute das gleiche Neujahrslied gesungen wird? Sollte es deshalb nicht wahr sein, was mein verstorbener Freund in Gressoney, der Valentino Curta, immer behauptete, nämlich, dass die Walser im Lystal aus dem Lötschen stammen ?) Das mit Inbrunst vorgetragene ernste Lied ergreift uns alle — keiner klatscht Beifall, wortlos stehen wir an den Fenstern. Doch das Neujahrsross stampft ungeduldig, und plötzlich kommt Leben in uns:

« Kommet alle herein, ihr lieben Lötscher, und feiert mit uns das eben geborene neue Jahr — wir danken euch herzlichSo, Meieli, tifig hole Gläser und Tassen! Du, Köbi, bringe den Fendant, ich habe ihn unter meinem Bett versteckt im äussern Stübchen! Reesi, fülle die Platten mit Rosinen und Güetzi — nimm die guten von Muttern nur auch, heute darf uns nichts reuenGlühwein hat 's auch noch — so, kommet alle! » Sechsunddreissig sind wir nun in der Stube! Die Kerzen am Tannenbaum, der Glühwein, der feurigheisse Giltsteinofen, die vielen Menschen — Herrgott, wie gibt das eine Hitze! Vor Schweiss triefend schlüpfen der Stephan und der Josi aus dem Pferdeleib.

« Zuerst gebt dem Ross zu trinken; seht doch, wie es dampft und dürstet! Schnell, Köbi, schenk ein — der Leokadia gib vom Glühwein — soo — und nun nochmals: » « Stosst an, stosst an, stosst alleweil an, Wir lebens ja nur ein einziges Mal... » « Aber Josi, jetzt haben sie ja drunten in Wiler kein Neujahrross, weil ihr zu uns hinaufgekommen seid, oder? » « Puja, die haben schon ein Ross — in jedem Dorf macht es jetzt den Kehr und das Neujahrlied wird von den Fenstern der sieben Ratsherren ( Gemeinderäte ) und vor dem Haus des Talrichters oder des Präfekten gesungen! » Ein Stündchen noch bleiben die Lötscher bei uns und singen uns alte Lieder vom Tale. Dann brechen sie auf. Auch wir gehen bald in die Federn — das letzte Lichtlein erlöscht auf Lauchern — die drei grossen Nonnen stehen einsam am Berg und halten Wacht...

Fastnachtszeit.

Wir ziehen auf unsern Ski die Lonzaschlucht hinauf. Stiller noch als im Sommer ist es jetzt im Tale. Warm und farbenfroh leuchtet das samtene Lärchenholz aus all dem Weiss. Meterhoch liegen die weichen Schneekissen auf Stafeln und Häusern. Menschen stapfen durch tief ausgehöhlte Gässlein hinauf zu den Hütten; nur der hölzerne Milchtuitel am Buckel und der Kopf sind sichtbar. Oben auf den Alpen winzig schwarze Pünktlein — es sind die Hütten von Hocken und Lauchern — die Nasenspitze bloss haben sie noch frei und strecken sie in die Luft, um zu atmen das herrliche Sonnenlicht. Auf dem Platz in Ferden steht eine Kinderschar im Kreise herum — eines zählt:

« Anni — Pfanni — Topitee Davi — Divi — Domine! Hack und Brot — Zimmernot, Pfing — Pfang — Gloribus, Schenschter Engel — du bisch duss! » Mit lautem Gekreisch stieben sie auseinander wie aufgescheuchte Vöglein, flattern davon und verstecken sich in den schmalen, braunen Gässlein hinter mächtigen Holzbeigen und aufgetürmtem Schnee.

Auf dem Brücklein beim Ferdenbach vor Kippel stehen zwei schreckliche, übergrosse Ungetüme — grausig grinsen uns die fürchterlichen Holzfratzen an! Gelbweisse Kuhzähne im weiten Rachen, feurige Augen, Ziegen- und Schaffelle um die Brust — ein roter Lappen hängt zum wüst verzerrten Maul heraus — um den Leib ein breiter Ledergurt und daran eine Treichel. Sind's Menschen, Tiere — oder Geister? Wie ich über die Brücke will, heben sie ihre mächtigen Knüttel und verstellen mir den Weg. Jetzt kommt 's mir in den Sinn: es sei dann gerade Fastnachtszeit, wenn wir kommen, hat ja die Maria geschrieben. Also « Maschgeni » sind es, oder « Tschäggätä », wie die Lötscher sagen. Vierzehn Tage lang treiben sie sich herum, erschrecken die Leute, brämen die Mädchen oder tanzen mit dem Jungvolk in den Ge-meindehäusern.

« So, jetzt lasst mich durch », sage ich und rücke noch ein wenig näher an die Ungeheuer heran. « Bin ich denn nicht ein Lötscher wie du, so schau doch nur mein Gewand! » und ich deute wichtig auf meine Lötscherkutte. Aber die Tschäggätä schütteln ihre mächtigen Häupter und heben die Knüttel zum Schlag. Der Hansli hinter mir bekommt bald Angst.

« Und als ich krank war auf den Tod, » fahre ich fort, « da hat eine Sennerin von Lötschen alle Tage für mich ein Vaterunser gebetet — ist das genug, und lasst ihr uns jetzt durch? » Jetzt weichen sie einen Schritt zurück, senken die Stecken, und wir ziehen singend weiter. Kupferrot glimmt es droben am Bietschhorn und hinten am Ahnengrat — das Tal ist bereits erstarrt in blauen, kalten Schatten. Mächtig holen wir aus und fliegen durch die eisglatten Gässchen von Kippel. Eine Port geht auf — Bellwalds empfangen uns, und hinein geht 's in die Stube, in der auch der Kleinste von uns nicht aufrecht stehen kann.

« Und, Mutter Johanna, wie geht 's? » « Pu, hab'etwa nichts zu rühmen, ist ein grimmleider Winter für mich! » « Und die alte Theres, ist sie zweg? » « 0 ja, der ist 's jetzt wohl — vor etlich Wochen haben wir sie in Kippel begraben. » Immer mehr Leute kommen in die Stube — Burschen und Mädchen vom Dorf. :'Fürstlich werden wir bewirtet, und immer wieder heisst es: « Jetz nähmet doch! » — Die Opportuna und die Maria spinnen — Lötscher- und Bernerlieder tönen aus der Stube; das Fenster ist offen, und herrlich kühle Luft strömt hinein.

« So, jetzt, Balmer, » meint die Opportuna schelmisch, « jetz miesst ihr en Erratnäsche ( Rätsel ) leesen! » « So sagt denn! » « Puja, und jetzt passt nur auf:

Ist ein Stecklein wohl beladen, Zehn gute Tschinggen muss es haben — Sind die zehen Tschinggen resch, So schwynt bald der ghaaret Besch! » « Das kann ich doch nicht erraten! » « Ja, das glaub ich auch — und ist doch so leicht, nn... » Wie sie lachen und necken kann, die lustige Opportuna mit den herrlichen Zähnen und den braunen Zöpfen — nicht aufhören kann sie.

« Also, ich will es Euch sagen: Das ist doch der Kunkelstecken — das weiss denn aber ein jedes Kind in Lötschen! Und die zehn reschen ( flinken ) Tschinggen sind die Finger, die man zum Spinnen braucht — und der ghaaret Besch, puja, das ist die Wolle an der Kunkel — und das will ein halber Lötscher sein und kann das nicht einmal erraten — gschämtschu nit? » Die Spende von Ferden.

Grüne Ostern gibt es in Lötschen nicht. Gewaltige Massen Schnee liegen noch oben auf den Bergen, und das « Lauitier » duckt sich heimtückisch zusammen — bereit zum Sprung ins Tal, wenn es ihm in der Runse zu eng wird.

Wie waren sie doch wieder wundervoll, die Ostertage auf Lauchern! Sämtliche Hütten waren besetzt — an die zweihundert Berner tummelten sich dort oben. Und doch merkte man nichts von einem Massenbetrieb — jede Hütte hat ihren Chef und kocht für sich. Zum « Osterfrass » hatte zwar der Wernu, genannt Lauchernvogt, etwa vierzig eingeladen — aber vorher machte er wohlweislich die Runde in den verschiedenen Küchen und liess hier ein gebratenes Huhn und dort ein Laffli mitlaufen! Heute aber liess er uns durch seinen Buben herrlich duftenden Käsekuchen zukommen. Ein früherer Kranzschwinger und Kraftmensch, der auf über zweitausend Meter sorgsam Teig knetet und Kuchen bäckt — köstlich!

Am Ostermorgen schlug ich vor der Henzenhütte mit einer eisernen Kelle auf eine alte Pfanne. Das war das « Ostergeläute »! Doch siehe, von allen Hütten kamen sie herbeigeströmt und bildeten zuletzt eine grosse Runde auf dem schönen Platz. Dann musste ich ihnen etwas erzählen — etwas Ernstes wünschten sie. Hierauf wurde ein Psalm gesungen, dann ein Vaterlandslied und zuletzt ein Schnadahüpf eri! « Und jetzt noch ein paar lustige Musterehen! » reklamierte einer. Auch das sollten sie haben. Zum Schlüsse noch ein Lötscherlied — und alle gingen wieder in ihre Hütten zurück. Das ist von jetzt an unsere Osterfeier auf Lauchern, und sie soll es bleiben. « Wann ist morgen die Predigt? » fragte mich am letzten Karsamstag ein Ski-häsi, das zum erstenmal auf der Alp war. « Aha, Ihr meint wohl... o, Ihr werdet es schon läuten hören! » Aufbruch! Wir sausen durch den Sulzschnee hinab und kommen in den Grund zu den Menschen, den hochgewachsenen, wortkargen und doch so « gmögigen » Lötschern. Der Heinrich und die Aloysia haben jetzt in Wiler ein Gasthaus bauen lassen — « Lonza » habe ich es getauft —, dort wartet unser ein leckeres Mahl. Denn ohne Nidel und Grummle ( eine Art Küchlein ) lässt uns die Sennerin nicht heimziehen.Weg und Steg sind noch begraben im Schnee. Eine tiefe, schmale Rinne nur schlängelt sich von Dorf zu Dorf bis hinab nach Goppenstein. Aber, was ist nur da los? Seht ihr denn nicht, wie es sich wie ein langer schwarzer Faden hinaufwindet durch die Rinne — wie es wimmelt darin von Volk! Da kommt der Eligius mit seiner Familie, alle im Gänsemarsch — eine wackere Schar schöner Menschen. « Guten Abend! » — « Gueten Abe geb e'Gott und glücklechi Rreis! » — Immer und immer wieder grüssen wir Bekannte — ganz Kippel und Wiler scheint auf den Beinen zu sein. Was tragen nur die Frauen so sorgsam unter der weiten seidenen Schürze? Jetzt kommt die Förster-Cresilia. Die frage ich aber sicher, was eigentlich los ist.

« Guten Abend, Cresilia — wo kommt Ihr denn alle her? » « Von Fer den, denk ich! » « Haben sie dort ein Fest? » « Jesses, jetzt kommt der schon so lange nach Lötschen und weiss noch nicht einmal, dass heute Spendsonntag ist! Da nehmt und tiet choren ( versuchen ) » — und jetzt nimmt sie unter der Schürze ein Paket hervor, öffnet es, und wir müssen alle von der bröckelnden, weissen Masse versuchen.

« Gut ist 's — Schabzieger oder so etwas, nicht? » « Puja, das mein ich, dass es gut ist — aber Schabzieger! Jesses nein — Käse ist es — Spendkäse von Ferden! » « Cresilia, wir haben noch viel Zeit bis zum Zug — setzt Euch hier auf die sonnige Platte und erzählt uns von diesem Rrauch! » « Der Hilarius ist krank, und ich muss hirten heute abend — aber meinetwegen will ich 's schnell sagen, so gut ich kann. Denn das ist doch zum Lachen — Ihr wisst nicht einmal noch, was es ist, mit der Spende von Ferden! » Und sie beginnt zu erzählen:

« Das ist denn keine neumodische Geschichte, die ich da sage — etlich hundert Jahre ist sie alt. Da geschah es zuweilen, dass die Kühe von den Ferdener Alpen, also von Kummen, Resti und Faldum, auf merkwürdige Weise plötzlich verschwanden; Hirten wollten eine Stimme hinter den Kühen gehört haben — ganz furchtbar habe die gerufen: „ Loba, loba, loba — schwarzi, bruuni Chua — gang dem Mutzlihore zua !" Ein unschuldiges Kind hat einmal gesehen, wie die Kühe von Faldum, von einem schwarzen Hund i«jwfcl|ftm|j>,q getrieben, rechts vom Mutzlihorn verschwanden. Nach drei Tagen kamen sei wieder zurück, aber ganz mager, krank und elend — sie hatten Ähren zwischen den Klauen — aber, was das Schrecklichste ist, sie gaben alle rote Milch — ja, das ist denn positiv wahr — rot wie Blut war die Milch! Was doch die armen Ferdener gelitten haben — und alles Beten und Jammern und Messelesen war umsonst! Da sagte ein alter, weisshaariger Mann: „ Ihr müsst den Mitmenschen eine Guttat erweisen, eine Spende ausrichten, dann wird Gott euch von dem Übel befreienSo kam denn die Ferdener Spende zustande. » « Und, wie machen sie denn diesen sonderbaren, schmackhaften Käse? » unterbrach ich die Lötscherin und brach ein weiteres Stück ab.

« So seid doch einmal still und lasst mich fertig reden », fährt die Cresilia scharf darein und erzählt weiter:

« Also, vom 23. bis 25. Heumonat wird die Milch von allem Nutzvieh auf den Ferdener Alpen zu Fettkäse verwendet. Da gibt 's denn in diesen Tagen kein « trockenes Mahl » ( ein Gericht aus süsser Ni die, Butter, Salz und Zucker ) auf Faldum, dass Ihr's nur wisstDamit der Milchertrag an diesen drei Tagen besonders gross werde, sparen die Hirtinnen die besten Weidplätze für diese Zeit. Acht Tage später kommt der Käse nach Ferden. Dort wird er im Gemeindekeller zu einem Brei verstampft und eingesalzen. Nach einem Monat wird er nochmals gestampft. Die Spendherren haben vorher im Walde eine glatte Tanne geschält, ausgehöhlt und die Rinde in Formen geschnitten. „ Rümpfe " sagen wir diesen Formen. Nun wird der Brei in diese Rümpfe eingeknetet, und alles wird mit Baststreifen zugenäht. Die Nähte werden mit Kletten besetzt, damit die Mäuse nicht dazukommen In den folgenden Monaten werden die Rümpfe fleissig angezapft, damit alle Feuchtigkeit abfliesse. So wird nun der Käse bis zu Ostern aufbewahrt. Am Ostersonntag lassen die Spendherren von Ferden durch den HH. Prior auf der Kanzel alle Pfarrangehörigen zur Spende von Ferden einladen. Die Rümpfe werden geöffnet, der Käse wird mit Schnüren zerschnitten, zuerst in grosse Stücke, dann in schöne kleine Würfel. Am Ostermontag wird für die verstorbenen Wohltäter der Spende ein Gottesdienst abgehalten. Gegen Mittag gehen die Leute von Kippel und Wiler nach Ferden, um die Spende zu holen. » « Dürfen die von Blatten nicht auch kommen? » « Früher schon, als Blatten noch keine eigene Kirche hatte, aber jetzt nicht mehr — aber halt, Ihr bringt mich immer aus dem Geleise — wo bin ich jetzt geblieben? Beim Spendsonntag, glaub'ich. Also, nur an Anwesende wird die Spende abgegeben. Man trägt daher ganz kleine Kinder auf den Armen herbei ins Gemeindehaus nach Ferden. Jeder bekommt ein schönes Stück, eine Portion Brot und die Erwachsenen noch einen Becher Wein. Die Kinder bekommen dafür das doppelte Brot — ja, und die Leute, die über sechzig Jahre zählen, die erhalten zwei Becher Wein — und dann guten Muskateller, dass Ihr's nur wisst. Alle danken den Spendern und wünschen den abgestorbenen Wohltätern die ewige Ruhe. » « Und die Ferdener selbst, bekommen die nichts? » « Aber sicher bekommen die auch — und zwar zuerst die Frauen, dann die Männer. Aber alle erhalten genug, denn der Segen liegt auf dieser Gabe—zuletzt kommt noch die hochwürdige Geistlichkeit, und alle, alle werden satt. Und, was das Schönste ist, seit der Spende bleibt das Vieh auf den Spendalpen gesund. » « Wisst Ihr, wie lange die Spende schon besteht? » « Das ist denn schon lange her — meine Mutter hat gesagt, vor mehr als fünfhundert Jahren sei sie errichtet worden — aber, jesses Maria, jetzt muss ich heim, es schlägt schon halbsechs — dass man sich nur so dumm ver-plappern kann! » Husch, ist die Cresilia von der Platte herunter und glättet den weiten, schafwollenen Rock.

« Ich danke Euch vielmals, Cresilia, für die schöne Erzählung — das ist aber ein ganz prächtiger alter Brauch! » « Bhiete Gott! » sagt sie munter und streckt uns ihre braune, verwerkte Hand zum Abschied dar. Wir schnallen unsere Ladli an und fliegen hinab, gegen die Finstertelli — drunten gurgelt und singt die Lonza ihr uraltes Lied...

Frühling.

Nicht überall wird es dem Frühling so leicht gemacht wie drunten in der Ebene. Mit Schalmeien und Kosen, mit Vogelgezwitscher und Kirsch-blust umgarnt er hier meist den hinfälligen Winter und wirft ihn nach kurzem Hosenlupf zu Boden. Ganz anders ist das Ringen, das ihm droben in den hohen Bergen wartet, und geteilt bleibt zuweilen der Sieg.

Als wilder, trotziger Geselle, kampfbereit und sturmbewehrt, schleicht er sich eines Nachts von der schwülen Rhone-Ebene durch den öden, kahlen Krachen bei Gampel hinauf, mühsam schreitend auf schlüpfrigen Pfaden. Droben in der Finstertelli erwartet ihn sein grimmiger Feind mit einem weissen Speerwald. Mutig und wild schlägt der junge Lenz um sich! Schäumend springt die erlöste Lonza aus dem eisigen Panzer — krachend und klirrend stürzen die zerschlagenen Orgelpfeifen in die tiefe, schaurige Schlucht. Heiss fällt der Föhn ins Tal — dumpf und unheilvoll grollt es droben am « Roten Turm ». Der Lötscher springt entsetzt aus dem Bett: « Maria und Joseph — das Lauitier kommt! » Es donnert und tost und knattert und heult die ganze Nacht. Weisse Lavaströme ergiessen sich durch die Runsen hinab ins Tal — lautlos, wie von der tödlichen Kugel getroffen, fallen die Tannen in die Lawine — Opfer der Frühlingsschlacht!

« Grimm leid sind die „ Wilere " und die „ Tennere " gekommen diesmal, » sagt der alte Naz und faltet fromm die Hände, « doch ist kein Menschenleben zu beklagen — dem Heinrich hat es einen Stadel weggefegt und der Josepha eine Matte überschüttet — es ist noch gnädig gegangen — gelobt sei Jesus Christ! » Der Lenz hat gesiegt! Soweit er hier überhaupt siegen kann. Bis halb hinauf an die Talwände weht sein warmer Atem — weiter oben gibt er den Kampf auf. Weiss wie immer schimmert der Dom des Bietschhorns. Im Tal aber geschehen Wunder. Aus seinem reichen Füllhorn schüttet er über Nacht weisse und blaue Krokus, rote Orchideen und gelbe Schlüsselblumen auf die Mättelein. Kräftig spriesst die veronesergrüne Saat, um die Lärchenkerzen weht ein feiner, goldener Hauch, auf dem rosaroten Geästel der Sträucher schmettert der Fink sein Präludium und in den warmgrünen Bergtannen ertönt, zaghaft und unsicher noch, der Kuckucksruf.

Die dunkeln Augen der Opportuna bekommen wieder ihren schönen Glanz. Mit aufgestecktem Rock hantiert sie emsig auf ihrem steilen Äckerlein. Sie setzt die Kartoffeln. Mit dem Rechen verebnet sie nachher die braune Erde — und siehe, sie macht es wie ihre Walser-Schwester hinter dem Monte Rosa — sie zeichnet mit der Hand ein Kreuz in die Ecke des Ackers und betet dazu: « Gsegne's Gott denen, die 's erschaffet und erhuisut hein! » Das Tal erwacht aus dem Winterschlaf! Beim Robert Bellwald in Kippel gibt 's grosse Hauswäsche — das Gasthaus Lonza in Wiler sonnt seine Betten — es soll alles bereit sein, wenn die Fremden kommen Der Maler Albert mustert mit kritischem Blick sein Winterschaffen — er darf zufrieden sein — seine Bilder sind bestechend schön. Der Heinrich nimmt seinen zinnoberroten Rock aus der Truhe hervor und hängt ihn an die Luft — wie wird er leuchten auf dem Grün der Wiesen am SegensonntagDie alte Kathri beir Kapelle hat sich vor'n Haus tragen lassen. Mit fünfundsechzig Jahren ab einem Muil ( Maultier ) fallen und dreimal das Bein brechen, das ist Unglück genug, glaub ich. Manchmal ist sie fast verzweifelt in diesem langen Winter. Als sie genug geweint und gebetet hatte, liess sie sich die Nähmaschine ans Bett bringen, ein Kind musste ihr treten, und so hat sie genäht und geschafft bis zum Abend. Der Lebensmut und der Schalk sind wiedergekommen, und heute, da sie sich mit ihrem gekrümmten Beinlein an der Scheiterbeige wärmt, glüht ihr immer noch frisches Gesichtlein wie eine Pfingstrose.

Ich gehe weiter durch den herben, schönen Frühling. Hinten, bei den Wüstenmatten, begegnet mir die Anna mit dem Tuitel am Rücken.

« Was macht Ihr da? » « Hirten, denk ich! » « Warum habt Ihr denn die Kühe so weit weg vom Dorf? » « Warum? Das Vieh muss, denk ich, dem Heu nach! Am Neujahr sind wir doch oben im Tillggi und im Frühjahr an der Schattseite! » Ja, das hätte ich wissen sollen. Drei, viermal im Winter wandern die Lötscher mit ihrem Vieh, von einem Heustafel zum andern, trotz Kälte und Schnee. Und wenn der Schnee meterhoch liegt, so kommen die Nachbarn und helfen den Weg bahnen.

Eine Kolonne Skifahrer rückt an — sie kommen vom Langgletscher. Rot und schwarz gebrannt sind sie. Einer kann die Glieder nicht mehr bewegen und stöhnt vor Schmerz. Wir ziehen ihm den Rock aus. Herrgott, habt ihr schon so etwas gesehen? Faustgrosse, gelbe Blasen bedecken die Arme.

« Wo ist der nächste Arzt? » « In Brig oder Kandersteg! » « Bis wir dort sind, kann er uns sterbenI » « So eine Dummheit — den Rock ausziehen im Sonnenbrand! Jetzt schnell zur Aloysia nach Wiler — dort legen wir ihn auf ein Bett und schaben ihm rohe Kartoffeln auf die Glieder! » — Der arme Kerl hat mir am Abend in Goppenstein für mein gutes Rezept herzlich gedankt.Lötschen ist erwacht! Es rüstet sich zum grossen Fest. Und wenn am nächsten Sonntag die Talfahne und die alten Dorfbanner flattern und rauschen, wenn die rotweiss uniformierten Lötschermannen und die schwarzen Frauen mit dem Goldspitzenhut feierlich über die Felder schreiten — wenn der Choral ertönt und an den Felsen widerhallt — wenn das Messglöcklein klingt und weisse Mädchen wie Blütenschnee ins Gras sinken zum Gebet — dann ist eben Segensonntag — und dann wird das Tal ein einziger Blumentempel sein!

Sommer.

Kurz nur, aber herrlich ist der Sommer in Lötschen. Jetzt gelben schon die winzigen Kornäckerlein, im Bergwald reifen die duftenden Beeren, glühen die Nelken am Rain. Bleibe aber nicht im Talgrund, sondern steige hinauf, auf die Alpen. Da wird jetzt geheuet. Riesige Heuburdinen schleppen Frauen und Männer auf ihrem Nacken herbei, ohne zu seufzen unter der schweren Last. Geschäftig klappern die tausend Bächlein, die sich kunstvoll der Berglehne nach ziehen — kaum ist das Heu im Stafel, wird wieder gewässert. Wandere über die Alpen — von Hocken nach Lauchern, dann weiter über die Arbeggen nach Weritz, durch den Wald nach Telli und neben dem Schwarzsee vorbei bis hinein nach Fafler. Oder lieber noch bis ganz hinauf nach Guggistafel. Von allen Seiten lecken da die Gletscherwasser am letzten Grün. Ein selbst den Lötschern fremdes Geschlecht haust im Sommer da oben. Von irgendwo im Rhonetal kommen sie her und ziehen zur Nachtzeit durchs Tal hinauf auf ihre Alp. Und geheimnisvoll, wie sie gekommen, gehen sie zur selben Stunde wieder talwärts, wenn die obersten Lärchen goldig werden und die ersten Ahornblätter fallen. Fremd ist ihre Sprache, düster ihr Blick und scheu ihr Wesen. Und ihre Hütten sind nicht freundlich und wohnlich wie die der Lötscher.

Kennst du das Spaliseelein, fast oben am Petersgrat? Von grünem Firneis tut es sich nähren — seltsam blau ist sein Spiegel. Doch nur an den schönen Hochsommertagen kannst du in sein unergründliches Auge schauen — sonst ist es getrübt und bedeckt von schwerem, klumpigem Schnee...

Das Schönste aber sind die mondhellen Nächte auf den Alpen — viel zu schön, um sie zu verschlafen.

« Du, wir gehen noch in die Gläguheit ( Süssholz raspeln ) », schlägt der Max vor — « drüben auf Hocken sind sie noch auf, man hört sie singen. » Und wirklich, durch die Sommernacht tönt es ganz deutlich:

« Einen Gruss aus meinem Eden, Wo mein Gott in Donnern spricht, Wenn die Wetter sich entladen Und der Sturm die Tanne bricht... !» „ Der Chalbertruich. "

Der Cletus ist gestern abend von Rom auf Urlaub heimgekommen Zwei Jahre schon dient er in der Schweizergarde — voll Freuden hat er die schwüle Hitze der ewigen Stadt mit der reinen Luft seines Alpentales vertauscht. Und herrlich geschlafen hat er wieder einmal in seinem alten harten Bett. Nicht einmal die Sonne, die sich durch die kleinen blanken Scheiben brach, vermochte den Siebenschläfer zu wecken — da musste schon seine Mutter, die resolute Kreszenzia, kommen und ihren grossen flotten Buben wachrütteln. Festlich und reichlich ist der Morgentisch gedeckt — die Mutter setzt sich zu ihm und fängt an zu berichten:

« Dass Josisch Treesi gstorben isch, das weisch, oder? » « Nei, das han i nid gwissen — was hedsch denn ghabe? » « Nyd aparti — die isch afen alti gsi. » « Jetzt git 's denn Platz im Huis, jetz chan denn der Chasper heirate! » « 0, dar will noch nid — dar will zersch es nyws Huis buiwen — ds Holz tiendsch jetz grad reisu im Wald. » « So, so! Wen er virigs Gäld hed, soll er umme huisu ( Haus bauenund d'Mathild und der Xander, schind 's bald am heirate? » « Die wissend nid, wa'sch wellend — dene isch appa noch lang guet eso! » Bedächtig schlürft der Cletus die warme Geissmilch — seine Gedanken aber wandern von Haus zu Haus. Anscheinend gleichgültig nimmt er den Faden wieder auf:

« Und d'Cäcilia — was macht schi? » « 0 die isch appa prächtig gsund — die tuet hirtu em Barg. » Jetzt weiss der junge Gardist genug. Er verlässt das Haus, geht die Nachbarn grüssen und ist bald umringt von einer Schar neugieriger Dorfgenossen. Er muss erzählen! Im spätem Nachmittag aber hält es ihn nicht mehr im Tale. Ganz wie von ungefähr durchschreitet er bedächtig die Kar-toffel- und Getreideäckerlein am sonnseitigen Hang, prüft mit Kennermiene das bald reife Korn, nimmt den dünnen Halm einer Karthäusernelke in den Mund — und schon ist er ausser dem Bereich des Dorfes und schaut hinab auf die gleichförmigen, eng ineinander geschachtelten heimatlichen Dächer, aus denen als einziger Neugieriger das weisse Türmchen der Kapelle herausragt. Auf einmal hat er es eilig — hastig ersteigt er die heisse Geröllhalde, erst droben im Bergwald mässigt er seinen Schritt. Oh, welche Lust — wieder einmal daheimIn tiefen Zügen atmet er den würzigen Duft der Lärchen ein — das Steigen wird ihm so leicht, nur hie und da schüttelt er den hervorquellenden perlenden Schweiss von seiner weissen Stirne. Zwischen den dunkeln Stämmen und dem feinen Grün hindurch flimmern und schimmern weiss und blau die Firnen und Gletscher. Vor der Kapelle betet er ein kurzes Vaterunser. Jetzt ist er schon bei der Quelle oben im Walde — er liegt auf den Boden, stützt sich auf seine starken Arme und trinkt vom herrlich kalten Wasser. Jugenderinnerungen wachen in ihm auf. Er sieht sich als kleinen Buben mit der Mutter zum erstenmal auf die Alp gehen. Was musste er doch schwitzen — noch mehr als heute! « Mutter, Mutter — Wasser! » schrie er, als er die Quelle sah. Doch das Wasser lag zu tief im Gestein. Da bückte sich die Kreszenzia, fasste das Wasser in ihre gestärkte, blaue Schürze und reichte sie ihm. War das ein köstliches Labsal — ein Trinken wie aus einem Bergseelein!

« Jetz hesch der Chalbertruich! » sagte die Mutter und lachte.

« Was ist das Mutter, der Chalbertruich? » frug er.

« Das verstehst du noch nicht — komm jetzt! » Aber heute weiss er es, und mit neuer Kraft und frischem Schwung erobert er das letzte steile Stück des Bergwaldes. Nun ist er auf der grünen, samtweichen Alp. Unter dem Arvenknubel ducken sich die braunschwarzen Hütten — in der zweitobersten hirtet — die Cäcilia!

Die Sonne steht schon tief über dem Nivengrat — lange, dunkle Schatten werfen die Rothörner hinab ins Tal. « Gerade recht », sagt der Cletus zu sich selber — « bald ist Melkenszeit!»Gemütlich schlendert er über die wellige Alp, setzt sich dann auf einen übermoosten Steinblock — erlebt wieder einmal das Erröten und Verglühen der Gipfel — scheinbar ruhig ist er — aber in seiner Brust, da hämmert es unbändig und wildRasch verglimmt das Licht des Hochsommertages — die Dämmerung kommt — er steht vor der zweitobersten Hütte, schleicht sachte zur Stalltür und streckt den Kopf hinein.

« Gueten Abend — bisch am Mälche? » Das ist eine unnütze Frage, denn laut surrend fährt der dünne weisse Strahl in das Kessi. Doch jetzt schiesst ein glatter, hellblonder Scheitel, ein schwarzes Samtband und ein gesundbraunes Gesichtlein hinter der « Lercha » hervor.

« Ini — der Cletus! Wa anne chuisch du? » « Va Rrom! » « Han gmeint, du chemed ersch morn! » « Ha nid lenger mege gwarte — bisch toibs, dass i scho da bin? » Keine Antwort — der Kopf verschwindet wieder — man hört nur das Surren der Milch. Der Cletus muss warten — die Lercha muss zuerst gemolken sein. Aber etwas muss er doch sagen:

« Heid der ds Heiw ( Heu ) guet ingetan? » « Wohlappa! Vil Heiw hei mer gmacht — churz isch 's, aber dicks. » « Mich duicht 's, i schmeckes. » — Der Cletus seufzt und fährt fort: « Wen i numme hätti chenne mithälfe — Burdine hätti scheen megen! » « Wie lang willt jetzt noch blyben bim heilige Vatter? » « Vilicht chumen i scho ds nechscht Jahr heim. » « Das gloib i no nid! Du chuischt appa nimmeh zerrugg — wirsch wohl en andri gfunn'ha, ze-r-Rom! » « Cäcilia! » So, jetzt ist die Kuh zum Glück fertig gemolken. Die Cäcilia stellt Milch-kessi und Melkstühli beiseite, kommt nach vorn und gibt dem jungen Mann die Hand:

« Griessti, Cletus — griess di Gott! » « Griessti — Cäcilia! » — Stumm tauchen jetzt zwei Augenpaare ineinander — fragende Blicke des Mannes — Erröten des Mädchens — dann — dann richtet sie endlich an Cletus die von ihm so sehnlich erwartete Frage: « Willt den Chalbertruich? » « Gäre — ja! » sagt er freudig und mag kaum warten, bis sie ihm die « Melchgebsa » hinhält. Und nun trinkt er die schaumige warme Milch — eben wie das Kalb sie auch läppt: gerade aus dem Kessil So, das ist jetzt der Chalbertruich. Was er bedeutet, das weiss aber nur der Lötscher. Die Milch aus der Gebsa reicht die Sennerin nur einem Burschen, dem sie gewogen ist — bietet sie ihm den Trunk nicht an, wenn er sie beim Melken grüsst, so braucht er sich nicht ein zweites Mal vor ihrer Hütte zu zeigen. Darum die Freude beim CletusNach getaner Stallarbeit macht ihm die Cäcilia noch ein « trockenes Mahl » und nachher dorfen sie noch eine gute Weile drinnen im Stübchen. In grossen Sprüngen geht der Cletus bergab. Sein Herz schwelgt im Glück! Bei der obersten Lärche jauchzt er ein letztes Mal — hoch und schrill kommt von der Hütte die Antwort. Der Mond scheint taghell. Bei der Kapelle macht er einen kurzen Halt und zieht das Bildchen aus der Busen-tasche, das ihm die Cäcilia eben geschenkt. Zwei verschlungene Hände sind es, darum ein Kranz von roten Rosen und ein Sprüchlein — ei, wie die Gold-buchstaben glänzen im Mondlicht — er liest:

Die Rose blüht, Der Doren sticht, Die Liebe spricht: Vergiss mein nicht I Das Sprachen.

So sagen die Lötscher dem Kiltgang. Auf ganz sonderbare Weise wurde ich mit diesem Brauch bekannt. Wir waren einst im Sommer unser vier in der Gitschhütte einquartiert. Da gab es zwei Stuben, die eine bewohnten wir, die andere die Opportuna, damals die schönste und lustigste Sennerin der Alp. Einmal wurden wir in tiefer Nacht jäh aufgeschreckt. Ein furchtbares Krachen und Poltern erschütterte die Hütte, und ein unheimliches Stimmen-gekreisch tönte an unser Ohr. Wir glaubten, die Hütte brenne, und flogen an die Fenster. Seltsam vermummte Gestalten schwirrten im bleichen Mondlicht um die Hütte herum, schlugen mit Fäusten und Stöcken an Tür und Wand und riefen die sonderbarsten Dinge. Jetzt wussten wir es gleich: das war das « Sprachen »! Die jungen Burschen klopfen an die Hütten der Sennerinnen an, sagen mit verstellter Stimme ( mit eingezogenem Atem ) schöne Verse und begehren Einlass. An der Sennerin ist es dann, zu erraten, ob der Richtige dabei ist. Wir nahmen ohne weiteres an, dass es diesmal der Opportuna gelte, verhielten uns ganz still, um einen bösen Krach mit den Lötschern zu vermeiden. Jetzt rief eine schaurige Stimme hinter einem Felsblock hervor:

« Müde von der langen Reise Klopf ich an diesem Hüttlein an, Klopfe aber nur ganz leise — Weiss Gott, ob mich mein Engel hören kann! » Gehört musste es die Opportuna auf jeden Fall haben, denn das Klopfen war nichts weniger als leise gewesen — aber merkwürdigerweise blieb es in. ' " i .'ihrer Stube totenstill. Ob ihr wohl die Spracher nicht genehm waren? Wir wurden aus der Geschichte nicht recht klug. Es ging dann noch eine gute Weile, bis der letzte Spracher sich unter Fluchen und Verwünschungen davonmachte. Am Morgen sollte uns die Sennerin Auskunft geben. Das tat sie aber nicht, sondern lachte nur immer. Nun kam der Max und berichtete: Eben, als er beir Martha Milch geholt, habe er auf dem Tisch ein Paar Mannshosen gesehen. Jetzt musste die Opportuna beichten. Also, die Muhme Kathri in Wiler sei an allem schuld. Sie habe die jungen Mädchen der Alp angestachelt, uns zu « sprachen », damit der gwundrige Balmer von Bern auch wisse, was das sei. Ja, das wusste ich nun allerdings, obwohl die Rollen hier verkehrt gespielt wurden. Ob die Sennerin wohl auch so mäuschenstill geblieben wäre, wenn einer ihrer Verehrer vom Tal angeklopft hätte«Opportuna, i gloib es nit! » Das Holztragen.

« Morgen müsst ihr dann früh aufstehn auf der Alp, » sagt die Kathri zu mir — « der Naz ist krank, und da könnt ihr für ihn Holz tragen! » « Und was ist das? » « Puja, was ist das? Also, der Stephan Henzen will eine Hütte bauen auf der Lauchernalp, das Holz dazu ist gerüstet oben im Wald, und das tun sie dann morgen hinauftragen! » « Und muss ich da auch mithelfen? » « Wohlappa! Das wird Euch einmal nichts schaden — die ganze Gemeinde Wiler hilft tragen — um 2 Uhr in der Nacht tun sie Tagwacht blasen, und um 3 Uhr gehen sie im Tale fort — und jetzt gute Nacht! » Tiefblaue Morgendämmerung liegt noch über den Gletschern und Alpen, als ich von der Hütte hinabschreite nach dem Bergwald. Nur der Gipfel des Weisshorns, fern über dem dunstigen Rhonetal, glüht bereits im Frührotschein. Drunten aber am waldigen Hang krabbelt und wimmelt es gleich Ameisen hin und her, mit Hölzern beladen alle, wohl an die hundertzwanzig Mann. Und wie beim Ameisenhaufen ein jedes Tierchen genau weiss, was es zu tun hat, so ist auch hier trotz dem scheinbar planlosen Durcheinander-schwirren alles wohl geordnet. Die Leute werden in verschiedene Gruppen oder « Schürten » eingeteilt — jede Abteilung hat ihren Chef oder « Schortenmann » — aber auch der muss tragen wie alle andern. Das Holz liegt an verschiedenen Stellen im Walde an Haufen oder sogenannten « Tischen ». Ich melde mich sofort beim Schortenmann der untersten Holztische an. « Habt Ihr ein Kissen? » fragte er mich. « Ohne Kissen könnt Ihr nicht tragen, da macht Ihr Euch bald kaputt! » Wie ich umschaue, sehe ich, dass richtig alle dicke, epaulettenartige Kissen um die Schultern tragen. Der Pius springt herbei und bindet mir ein Kissen um. Jetzt ladet mir der Schortenmann einen Balken auf. Kaum bin ich damit zehn Meter weit gegangen, da nimmt mir ein anderer das Holz ab — ich mache es ebenso und so geht es staffelweise bis hinauf auf die Alp. An schweren Balken tragen zwei Mann, an ganz grossen vier Mann. Fest haben sie die Arme ineinander verschränkt — langsam rücken sie vor. Und immer kommen andere, die sie ablösen. Der Isidor und der rote Naz nehmen die schwersten Stücke, und doch jauchzen sie in einem fort unter dem Joch. Freudiger Glanz liegt überhaupt auf allen Gesichtern.

Ich selbst bin überglücklich, an diesem herrlichen Fest der Arbeit mitzuhelfen. Was für eine prächtige Auslegung findet doch hier der Spruch: « Einer trage des andern Last! » Und eben dieses gemeinsame Tragen, dieses Zusammenspannen aller Kräfte macht die schwere Arbeit zur hellen Lust.

« Helft nur brav tragen! » ermuntert mich der Longinus, « bedenket wohl, das Lagel ist dann auch gut! » — Das Lagel ist nämlich eine Kufe Wein von etwa sechzig Liter. Und drei solcher Lagel muss der Stephan der Gemeinde spenden für das Tragen. Und guter Wein muss es sein, versteht sich, das ist Ehrensache.

Die ersten Strahlen der Morgensonne brechen sich am Ostgrat des Bietschhorns und fallen schräg in den Lärchenwald. Jetzt kommen die Sennerinnen von der Weritzalp und bringen labenden Trunk. Herrlich schmeckt mir der lauwarme Kaffee, den mir die Agatha im Holztuitel darreicht.

Schau dort, das wunderbare Bild! Vier junge Mädchen tragen ein langes Firstholz — schwer liegt die Last auf ihren Schultern. Vier Burschen eilen herbei und wollen ablösen. Aber nein, die Mädchen wehren sich — sie wollen das Holz bis ganz hinauf tragen, und lachend schreiten sie weiter.

Die harzduftenden blanken Trämel glänzen im Licht der Sonne. Schon um 11 Uhr ist alles Holz auf dem Bauplatz, wo bereits die Grundmauern der Hütte stehen. Die Frauen und Kinder kommen vom Grund und bringen das Mittagsbrot, Schinken und Küechli. Die Aloysia hat schon am Vorabend einen ganzen Korb voll Grummle gemacht — jetzt muss sie in aller Strenge Kaffee und Milch anrichten. Befreundete Familien hocken auf der Alp zusammen. Die jungen Leute vertreiben sich die Zeit bis zum grossen Trunk mit allerlei Spielen. Eine ganze Reihe von Sennerinnen steht hintereinander — die Cresilia ist zuvorderst, breitet schützend die Arme aus und sagt schnell zum Josi: « Schlauer Fuchs, nimm ein Hühnlein, wenn du kannst! » Und der arme Josi läuft um sie herum, lange, lange, und erwischt keins. Plötzlich hat er die Anna beim Kittel erfasst. Laut kreischend stiebt die ganze Schar auseinander!

Ein wohlbeladenes Saumrösslein kommt gemächlich vom Wald herauf. Endlich! Die Lagel sind angekommenNasse Tücher werden darum geschlagen, dass der Wein schön frisch bleibe. Die Schortenmannen schenken ein. Eine Stille kommt plötzlich über das Volk — die Geistlichkeit erscheint und nimmt an einem improvisierten Tische, auf dem Berge von knusperigem Gebäck aufgetischt sind, Platz. Der Herr Prior erhebt sich und spricht laut zu seiner Gemeinde. Er preist das Zusammengehörigkeitsgefühl, das in diesem uralten Brauch so schön zum Ausdruck kommt, und wünscht dem Hüttenerbauer Glück und Segen. Ein donnerndes Hoch erschallt und tönt wider in den Flühen. Der Muskateller löst vertrocknete Kehlen — alte Lieder erklingen und über dem unvergesslichen, farbigen Bild brennt die Sonne und Die Alpen — 1938 — Les Alpes.43 gleissen die Firne und Gletscher. Auf dem wunderbar gelegenen Bauplatz ist plötzlich ein Tanzboden entstanden — der Battist spielt auf — es wiegen sich die Paare auf der hohen Warte — JuhuhuhuiWie das Abendrot auf den Bergen erstirbt, nimmt auch das schöne Fest ein Ende. Die Leute gehen hinab ins Tal — der Joseph und die Maria wandern selbander über das Kuhweglein zum Lauchernkreuz — es wird wieder still auf der Alpdie Wildwasser rauschen — und eine Sternennacht kommt, wundersam und zaubervoll...

Herbsttage.

In strahlender Schönheit sterben sie dahin, die letzten goldenen Tage. Schwelende Feuerglut brandet über deine Hänge empor, ewig schönes, einsames Lötschen! Wie die Kerzen am Hochaltar, so lodern still und heilig deine Lärchen bis hinauf in den Schnee. Weggezogen ist der Strom der Fremden — ungesehen flimmern deine Firnen, ragen die Gipfel, blauen die Gletscher — ganz nur dir allein lebst du jetzt — liebes LötschenIch hocke stundenlang auf dem sonnigen Arvenknubel und träume. Ist es nicht, wie der Maler Albert mir einst gesagt, das Bietschhorn gleiche einem hohen deutschen Dom? Wie bei jenem, türmen sich auch hier auf die Strebepfeiler und Stützen die gotischen Bogen und Spitzen... nur viel gewaltiger noch!

Verlorenes Läuten tönt aus dem Mühlebachtobel. Dort hüten jetzt die Sennerinnen gemeinsam ihre Kühe, stricken dazu und erzählen sich Geschichten. Der Abend sinkt — kobaltene Schatten wirft das edelgeformte Faldum Rothorn hinab in die Mulde. Dämmerblau steigt aus der Talfurche empor und löscht den roten Brand. Die Betglocke tönt silbern aus dem Tale — sanft und rein wie ein Schlummerlied. Hoch über dem Rhonetal ragt in visionärem Leuchten das Spitzengewebe des Weisshorns in den gelbgrünen Himmel. Morgen gehe ich von Lötschen fort, wandere über Berge und Täler hinab ins welsche Land!

Die Lötscher auf Besuch in der Stadt.

Die stolze, schöne Lötschbergbahn war schon seit geraumer Zeit eröffnet worden. Da fasste ein Lötscher, der Talfender-Josi, eines Tags seinen Entschluss. Warum auch nicht einmal auf dem glänzenden Schienenstrang sich führen lassen, durch den Berg hindurchfahren und die Welt anschauen, die jenseits liegtEr zog sein schönes schafwollenes Sonntagsgewand an, nahm einen grossen blauen Wetterparisol und ein gutes Alpkäslein unter den Arm — und kam so in die Stadt. Dort suchte er seine Freunde, die Skifahrer auf — die hatten alle eine grosse Freude an dem Besuch, und alsbald war ein gemütlicher Hock angereiset. Der Lötscher aber hatte es nicht eilig und hegte den Wunsch, einmal eine grosse Stadt und alle ihre Sehenswürdigkeiten anzusehen; die Kirchen und Brücken, die Denkmäler und Paläste, die schönen Kaufläden und feinen Wirtschaften. Und erst der Verkehr in den Strassen und Lauben! Das erstemal sah er ein elektrisches Tram, ein Auto, ein Motorrad — wie musste er da staunenWillig führte ihn bald der eine, bald der andere seiner Freunde umher — und so blieb der Josi gerade zehn Tage — bis das Billett ausgelaufen war. Alle Bekannten waren zum Abschied am Bahnhof erschienen, und jeder brachte ihm ein Päcklein mit. Schwerbeladen, aber mit jubelndem Herzen und leichtem Gemüt kehrte er in seine Heimat zurück. Dann aber ging das Rühmen los! Was wusste er doch seinem Dorf zu erzählen von der paradiesisch schönen Stadt — und wie wundersam war ihm zu lauschen! Nichts vergass er, ja, er tat das Seinige noch dazu. Was wunders, wenn in manchem Lötscherherz der heisse Wunsch erwachte, auch einmal in die herrliche Stadt zu den reichen und glücklichen Menschen zu fahren und die vielen Kostbarkeiten anzustaunen. So geschah es, dass die Berner hie und da Besuch aus dem Lötschen bekamen — und alle fragten: « Hat das der Talfender-Josi auch gesehen? » Sie wollten ebensoviel gesehen haben wie er und wenn immer möglich noch mehr dazul Einmal — ich arbeitete damals noch im Bundeshaus — läutete mir der Aufseher des Parlamentsgebäudes an und rief mich in die Loge — es seien zwei alte Leutchen da, die mich zu sprechen wünschten. Wer war es? Die Kathri und der Ignaz!

« So, Balmer, jetz welle mer ds Bundeshuis gseh! » erklärte die Kathri geradewegs. Ihre Pfirsichbäcklein glühten und die Spielkirsenäuglein glänz-tenIch erhielt die Erlaubnis, den Besuch persönlich zu führen. Wir treten zusammen in das Vorzimmer des Nationalrates. Der Ignaz ist ganz übernommen und bestaunt die vielen roten Bände in den Bücherschränken.

« Gugg, Kathri, was Biecher, was Biecher! » ruft er aus und faltet seine knochigen Hände.

« Da machens die Gsetzi — versteit nit! » weist sie ihn laut und scharf zurecht.Nun kommt der Nationalratssaal an die Reihe. Ich bin im Begriffe, ihnen das prächtige Wandgemälde vom Vierwaldstättersee zu erklären, aber meine Ausführungen scheinen die Kathri nicht besonders zu interessieren — plötzlich fragt sie:

« Wa isch der Xander ghocket? » « Wen meint ihr? » « Ysche Xander 11 » Aha, jetzt habe ich es erraten — sie meint den Nationalrat Alexander Seiler aus Zermatt. Ich suche auf einem alten Plan und finde den Sitz.

« Da! » Und jetzt humpelt die alte Lötscherin durch die Stuhlreihen und lässt sich ganz sachte nieder auf dem Sitz.

« Isch der Talfender-Josi oi in däm Saal gsi? » « Ja! » « Isch är oi uf Xanders Stuehl ghocket? » « Nei. » « Iiiiii, » triumphiert sie jetzt strahlend, « das gloibendsch mer nit im Leetschen, dass i uf Xanders Stuehl ghocket bin — das gloibendsch mer nit! » Wir haben die Maria und die Opportuna an unsere Bergchilbi eingeladen. Obwohl viele reiche und farbige Trachten vertreten sind, erregen die zwei Sennerinnen in ihrem schwarzen schmucklosen Sonntagsgewand die allgemeine Aufmerksamkeit. Warum wohl? Eben weil das sonnverbrannte Gesicht und die fest « getrütschten » Haare dazu passen — man spürt das Echte! Im Lötschen gibt 's noch keinen BubikopfGanz still wird es im grossen Saal, als die beiden Schwestern das Lötscherlied singen. Die lustige Opportuna unterhält sich prächtig — die ernste Maria hingegen klagt über Kopfweh. Um 3 Uhr morgens ist sie auf die Alp gegangen zum Hirten, dann hinunter gerannt nach Goppenstein — sie ist müde und möchte heim.

An einem Abend gehen wir mit den beiden ins Theater. Ihre genagelten Schuhe dröhnen auf dem Parkett des Foyers. « Es chunnt mer vellig eso a Rreeti ( Schamröte ) a », meint die Maria und folgt uns nur schüchtern.

« Warum denn? » « 0, wäg däne vile Lit u däne choschtbare Chleidru! » « Kommt nur ruhig, Maria! Ihr seid so viel wert wie die meisten dieser schön gekleideten Damen — kommt nur! » Ungern nur trennen sie sich bei der Garderobe von ihrem « Kreeshut ». Wir sitzen in der Mitte des zweiten Ranges. Die Opportuna schaut hinab in den Orchesterraum.

« Ini, » ruft sie plötzlich, « es Wybervolch, wa tuet Muisig mache, han i noch niemals gseh! » Alles schaut auf uns — zum Glück erlöschen die Lichter, und die Sennerinnen halten sich fest an mir. Man spielt « Die Entführung aus dem Serail ». Ich hatte ihnen vorher kurz den Inhalt der Oper erklärt. Es sei da ein Harem, am Portal eine Wache, die werde dann bestochen und betrunken gemacht usw. Aufmerksam verfolgen sie die Geschehnisse auf der Bühne. « Es isch no nid fertig, » sagt die Maria laut am Schluss des ersten Aktes — « är isch no nid besoff es gsi! » Einige Jahre später sitzen wir wieder mit den beiden im Theater. Diesmal wird « Ilsebill », die grosse Oper von Klose, gegeben. « Was hat Euch nun besser gefallen? » frage ich sie nach der Vorstellung — « die „ Entführung " oder „ Ilsebill "? » Ich glaubte, dass die letztere Oper mit ihrer gewaltigen Schlussszene, den Chören, dem Geläute und dem Donnern auf die Lötscherinnen viel den grössern Eindruck gemacht hätte als die graziöse Musik von Mozart. Aber weit gefehlt!

« Die „ Entfyrung " isch vil hipscher gsi, » sagt die Maria — « in der „ Ilsebill " isch z'vil Muisig, da han i fascht nyt verstände, aber in der „ Entfyrung " as jedes Wort — das isch so hipsch gsi, wa die „ Blonde " het gsungen: Welche Wonne, welche Lust, regt sich nun in meiner Brust! » « Bravo, Maria! Ihr habt aber einen „ bsinnten " Kopf, dass Ihr das noch wisst! » « Wohlappa », lacht sie und zeigt ihre weissen Zähne.

Die Aloysia ist mit dem kleinen Stephan bei uns auf Besuch. Theater, Variété und Kino hat sie bereits genossen — jetzt möchte sie noch einmals.i,i,U mit der Bergbahn auf den Gurten fahren. ( Dort war der Talfender-Josi nämlich nicht !) « Heute ist ein schöner Abend, » sage ich zu ihr — « also, Aloysia, wir gehen auf den Gurten! » — Sie willigt mit Freuden ein. Aber vorher muss der Stephan schlafen, sonst plärrt er wieder den ganzen Abend. Die schönsten Wiegenlieder nimmt sie zu Hilfe, aber dem Buben ist es nicht ums Einschlafen — er merkt wohl, der Schlaumeier, dass die Mutter noch fort will.

« Will nit schlafen, Mueter », sagt er weinerlich.

« Jetz Stephan schlaf! » befiehlt sie ihm barsch.

« Nei, will nit schlafen! » « Jetz Stephan, schlaf !! » « Will nit schlafen! » « Jetz häb der Grind nider, suscht erschlahn di! » Aber wohl, diese schreckliche Drohung bringt endlich die ersehnte Wirkung. Das hübsche Büblein duckt sich unter die Decke und macht kein Müxli mehr!

« So, jetz welle mer gah! » Lange schaut die Aloysia von der Höhe des Gurten hinab auf das Lichtermeer der Stadt.

« Es ist schön, nicht wahr, Aloysia? » « Ja, i han grad gedankt — im Leetschen hei mer d'Starne am Himmel — u z'Bääre hend schi se unne im Tal! » Die Worte der einfachen Frau zwangen mich zum Nachdenken — und ich musste wieder einmal mehr staunen über die schöne, bilderreiche Sprache des Lötschentals.

Feedback