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Chateaubriand in der Schweiz 1832

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Von Albert Brückner.

Ein illustrer Schweizerreisender des Jahres 1832: Chateaubriand!

Der bedeutende Staatsmann und grosse französische Vertreter der Romantik wählte damals die Schweiz zum Exil: « mehr als je war ich entschlossen, wieder ins Exil zu gehen », und an anderer Stelle seiner berühmten « Mémoires d' Outre-Tombe » schreibt er: « Schauen wir, ob ich jenseits der Alpen die Freiheit der Schweiz und die Sonne Italiens geniessen kann, die für meine Ansichten und Jahre notwendig sind. » Schon früher hatte Chateaubriand die Schweiz besucht. Bereits 1804 kam er in der hohen Charge eines bevollmächtigten Gesandten des Ersten Konsuls in das Wallis. Zwanzig Jahre später, 1824, traf er in Neuenburg seine Frau, die, ihn erwartend, ein Haus am Ufer des Sees gemietet hatte. Hier entrollt sich vor seinen Augen das prächtige Bild der sich weithin ziehenden Berge: « Die Kette der Alpen breitete sich nord- und südwärts in einer grossen Entfernung vor uns aus; wir lehnten uns an den Jura an, dessen dunkel bewaldete Hänge steil über uns aufstiegen. Der See war verlassen; ein Gehölz war mein Spazierweg... » 1826 hielt er sich in Lausanne und Gex auf. 1833 durchkreuzte er in raschester Fahrt die Alpen auf dem Wege von Paris nach Venedig. Dazu notierte er in seinen Erinnerungen die philosophischen Worte: « Ich war damals an meinem zehnten Übergang der Alpen; ich hatte ihnen alles gesagt, was ich ihnen zu den verschiedenen Zeiten und Umständen meines Lebens zu sagen hatte. Immer bedauern, was man verloren hat, immer sich in den Erinnerungen verlieren, immer dem Grabe zueilen, weinend und einsam: das ist der Mensch. » Die Schilderung der Reise von 1832 in dem persönlichen, pointierten Stil Chateaubriands, der dem ganzen Récit so viel Charme leiht, stellt sich neben den früheren Skizzen als ein einigermassen abgerundetes, künstlerisch wertvolles Reisebild jener Zeit dar. Im August 1832 kam er nach Basel. Mitte des Monats traf er sodann in Luzern ein, nahm wenige Tage später das Schiff nach Flüelen, fuhr von da in der Kutsche auf den St. Gotthard, eilte nach Bellinzona, Lugano. Hier angekommen, kehrte er, ohne den folgenden Tag abzuwarten, den gleichen Weg zurück. Von Luzern aus machte er einen Abstecher nach Zürich, Winterthur, Konstanz, Arenenberg. Nachdem er dann Luzern wieder erreicht hatte, begab er sich mit Mme de Chateaubriand, die er in der alten Stadt an der Reuss getroffen hatte, über Bern nach Genf. Das Ganze spielte sich in nicht viel mehr als einem Monat ab. Ein paar Seiten interessante Bemerkungen in seinen Memoiren darüber, originelle Ideen, bunte Croquis mit entzückendem Kolorit, Leben und Farbe.

Einzelne Bilder von der Gotthardreise:

« Der neue Weg des St. Gotthard, von Amsteg weg, geht und kommt im Zickzack während zwei Meilen, bald die Reuss berührend, bald sich von ihr entfernend, je nachdem sich das Bett verbreitert. An den senkrechten Reliefs der Landschaft nackte oder mit Buchenschösslingen bewachsene Halden, spitze Gipfel, mit Schnee bedeckte Bergköpfe, kahle Spitzen, an denen vielleicht noch einige Streifen von Schnee hängen wie Flocken von weissen Haaren. Im Tal Brücken, Nussbäume und Obstbäume, die an Luxus der Äste und Blätter gewinnen, was sie an Üppigkeit der Früchte einbüssen...

Etwas höher am linken Ufer der Reuss wechselt die Szene. Der Fluss eilt in Kaskaden in einem steinigen Bett, unter einer doppelten und dreifachen Allee von Tannbäumen. Am Fusse des Berges gedeihen die Lärchen über den lebendigen Felsgraten, auf ihre Wurzeln gestützt, widerstehen sie dem Sturmstoss.

Der Weg, einige Kartoffelfelder, sie allein bezeugen den Menschen in dieser Gegend. Er muss essen und gehen: das ist der Inhalt seiner Geschichte. Die auf die Weiden höherer Regionen zurückgeführten Herden erscheinen nicht, Vögel ebensowenig, auch keine Adler: davon ist keine Rede mehr.

Der grosse Adler stürzte auf seinem Wege nach St. Helena in den Ozean: es gibt keinen noch so hohen und so starken Flug, der nicht in der Unendlichkeit der Himmel zunichte ginge...

Wenn man die Brücke beim Pfaffensprung überschritten und den rundlichen Hügel, auf dem Wassen liegt, umgangen hat, ergreift man wieder das rechte Ufer der Reuss. Da und dort glänzen sprudelnde Bäche weiss durch die Matten, die sich wie Teppiche über den Weg der Reisenden ausbreiten. Durch einen schmalen Durchblick sieht man den Dammagletscher, der sich mit den Gletschern der Furka verbindet. Endlich stösst man in das Tal der SchöUenen vor, wo die erste Rampe des St. Gotthard beginnt. Dieses Tal ist ein Einschnitt von zweitausend Fuss Tiefe, in den Granitblock eingehauen. Seine Wände bilden gigantische, überhängende Mauern. Die Berge zeigen nur noch ihre Flanken und feurigroten Kämme. Die Reuss donnert in ihrem von Steinen ausgepflasterten steilen Bett. Der Überrest eines Turmes ist ein Zeuge aus früherer Zeit; wie die Natur hier ungezählte Jahrhunderte bezeugt. Gestützt durch Mauern läuft der Weg längs den granitenen Massen wie ein starrer Bergstrom parallel zum beweglichen Strom der Reuss. Da und dort verschafft ein gemauertes Gewölbe dem Wanderer Schutz gegen Lawinen. Noch wendet und dreht man sich einige Schritte in einer Art gewundenem Trichter, und plötzlich — an einer der Windungen der Muschel — befindet man sich gegenüber der Teufelsbrücke. Sie schneidet heute den Bogen der neuen, erhöhten Brücke hinter ihr. So gleicht die alte Brücke nur noch einem kurzen Aquädukt mit zwei Stockwerken. Kommt man von der Schweizerseite, so verdeckt die neue Brücke den Wasserfall, so dass man sich darauf begeben muss, um die Regenbogen und Spritzer des Falles zu sehen. Doch wenn man die Niagarafälle gesehen hat, so ist das hier kein Fall mehr. Meine Erinnerung vergleicht unaufhörlich meine Reisen mit meinen Reisen, Berge mit Bergen, Flüsse mit Flüssen, Wälder mit Wäldern, und mein Leben zerstört mein Leben. Dasselbe begegnet mir bei der Gesellschaft und den Menschen...

Nach Verlassen der Teufelsbrücke und der Galerie des Urnerlochs gewinnt der Reisende die Matten des Urserentales, die in ihrer stufenförmigen Anordnung den Steinsitzen einer Arena vergleichbar sind. Friedlich eilt hier die Reuss inmitten des Grüns, der Gegensatz befremdet: so erscheint die Gesellschaft vor und nach der Revolution ruhig, Menschen und Reiche schlummern zwei Schritte vom Abgrund, in den sie fallen werden.

Beim Dorf Hospenthal beginnt die zweite Rampe, die bis zum Gipfel führt, der von Granitmassen übersät ist. Diese zusammengerollten, zerrissenen, an ihrem Gipfel mit einigen Schneegirlanden geschmückten Haufen gleichen den starren und schaumigen Wogen eines steinernen Meeres, auf dem der Mensch die Wellenlinie seines Weges gelassen hat.

Zwei Seen auf dem Plateau des St. Gotthard geben dem Tessin und der Reuss das Leben. Die Quelle der Reuss ist niedriger als die des Tessins, so dass man beim Schaffen eines Kanals von einigen hundert Metern den Tessin in die Reuss ergiessen könnte. Würde man diesen Vorgang für die wichtigsten Zuflüsse dieser Gewässer wiederholen, so würde man seltsame Verwandlungen in den Gegenden am Fusse der Alpen hervorbringen. Ein Bergbewohner könnte sich das Vergnügen machen, einen Fluss zu unterdrücken, ein Land fruchtbar oder unfruchtbar zu machen. Welches Mittel, eine stolze Macht zu demütigen!

Es ist wunderbar, wie sich Reuss und Tessin ein ewiges Adieu sagen und ihre entgegengesetzten Wege auf den beiden Seiten des St. Gotthard ergreifen. Ihre Wiegen berühren sich, ihre Schicksale sind getrennt. Sie suchen andere Regionen und andere Sonnen auf. Aber ihre Mütter, immer vereint, hören nicht auf, von der Höhe ihrer Einsamkeit ihre entzweiten Kinder zu nähren.

Lugano ist eine kleine Stadt von italienischem Aussehen. Säulenhallen wie zu Bologna, Strassenleben wie in Neapel, Renaissancearchitektur... Ich verliess Lugano ohne hier zu schlafen, kehrte über den St. Gotthard zurück, sah, was ich gesehen hatte: nichts habe ich an meiner Skizze mehr zu ändern. In Altdorf war alles seit vierundzwanzig Stunden verändert, kein Gewitter mehr, keine Erscheinung in meinem Zimmer. Jenesmal hatte ich in der Herberge zu Flüelen übernachtet, nun hatte ich zweimal die Strecke durcheilt, deren Enden an zwei Seen stossen und von zwei Völkern gehalten werden, die nur ein politisches Band zusammenhält, während sie sonst alles trennt. Neuerdings durchquerte ich den Luzerner See, doch er hatte in meinen Augen einen Teil seines Ruhmes verloren; ist er doch zum Luganersee was die römischen Ruinen zu jenen Athens, die Felder Siziliens zu den Gärten der Annida... » Gewissermassen eine Wiederholung und Vertiefung, Weiterführung seiner Ideen über die Bergwelt, die er in seinem « Voyage au Montblanc » ( 1805 ) geäussert, sind seine in der Schweizerreise von 1832 gegebenen Ansichten über die Alpen. Wie er dort darauf hinweist, dass man in den Beschreibungen der europäischen und amerikanischen Alpen gerne über die Wahrheit hinausgehe, und er dabei eine Kritik der Schönheit der Alpen entwirft, so führt er hier diesen Gedanken stark ins Persönliche. Da wird ihm die « Bergbegeisterung der alpinen Schriftsteller » beinahe zum Gespött. Er verneint, dass die « jungfräuliche und balsamische Luft, die unsere Kräfte belebt, unser Blut reinigt, unsern müden Kopf enträuchert, uns einen unstillbaren Hunger und einen Schlaf ohne Träume » gibt, für ihn diese Wirkung habe: « Ich atme nicht besser, mein Blut eilt nicht schneller, mein Kopf ist nicht weniger schwer unter dem Himmel der Alpen wie zu Paris. » Ebensowenig empfindet er ein höheres und reineres Gefühl beim Klettern und alpinen Training. Und wiederum der alte Gedanke wie anno 1805, hier ganz deutlich geprägt: « Die Berge sind nicht so vorhanden, wie man sie zu sehen glaubt. Es geht einem mit den Bergen wie mit den Leidenschaften: das Talent und die Muse haben von ihnen die farbigen Linien gezogen, die Himmel, den Schnee, die Abgründe, die glitzernden Sturzbäche, die weiche, unklare Atmosphäre, die zarten und leichten Schatten,... die Landschaft ist auf der Palette eines Claude 1e Lorrain, nicht auf dem Campo-Vaccino... Doch genug über die Berge. Ich liebe sie als die grossen Einsamkeiten, als Rahmen, Bordüre und Hintergrund eines schönen Gemäldes, als etwas Unendliches für die Leidenschaften einer Seele; gerecht und vernünftig beurteilt, ist das alles, was ich von ihnen sagen könnte. » Diese Einstellung gegenüber den Bergen, die in dem Gedanken der « grossen Einsamkeiten » beinahe an Friedrich Nietzsche gemahnt, hat Chateaubriand die Verurteilung als eines « grand antagoniste des montagnes », als eines « grossen Widersachers der Berge » durch keinen Geringeren als den berühmten zeitgenössischen Kritiker Sainte-Beuve eingebracht, zum Teil nicht mit Unrecht. Einen grossen Einschlag in seinem literarischen Oeuvre suchen wir denn auch umsonst. Nur wenige Stellen in seinen Denkwürdigkeiten sind den Alpen gewidmet, wir nennen das Gedicht « Les Alpes ou l' Italie » ( 1822 ) und verweisen auf die paar Bemerkungen über die Schweiz oder über Amerika und ihre Alpen da und dort in seinen sämtlichen Werken. Der Ertrag ist klein. Man glaubt nicht, einen so guten Kenner der alpinen Welt und einen der führenden französischen Romantiker — jener Mitentdecker der Bergschönheiten — vor sich zu haben.

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