Damentag in der Ortler-Nordwand | Club Alpino Svizzero CAS
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Damentag in der Ortler-Nordwand

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Erwii Vaiila,icn VORGESCHICHTE Wieder einmal kurve ich das schmale Strässchen vom Vintschgau hinauf nach Sulden. Wie immer, wenn ich mich diesem Tal nähere, ist « König Ortler », dessen Nordwand uns erneut angelockt hat, in Wolken gehüllt, der Himmel grau und regenverhangen. Wird es auch diesmal - wie schon so oft — nicht klappen? Heute bin ich jedoch fest überzeugt, dass die Fahrt endlich gelingen muss.

Bereits anfangs der fünfziger Jahre hin ich wegen dieser Wand hierher gekommen, zuerst mit Karl Mach und später mit Egbert Eidher. Die Route verfügte damals noch über keine zweite Begehung, und in Kennerkreisen sprach man davon nur hinter vorgehaltener Hand. Was ist das für eine Wand, die volle 26 Jahre nicht wiederholt wurde? Im Buch « Erschliessung der Ostalpen » stiess ich bloss auf die abschreckende Bemerkung: « Nur wer es über sich bringt, sein Leben und das seiner Gefährten völlig zu missachten, der wird diesen Aufstieg ernstlich versuchen. » Erst 1931 fand sich ein solcher: Hans Erti und Franz Schmid. Nachdem im gleichen Jahr zu Pfingsten Willi Merkl und Willo Weizenbach nach 600 Metern wegen Lawinengefahr umkehren mussten, gelang den beiden « Bergvagabunden » am 22.Juni der grosse Wurf in 17stündiger, schwierigster Eisarbeit. Es war die grosse Zeit der Münchner, und im « Bergsteiger » 1931/32, Seite 53fr ., schrieb Hans Erti über dieses alpine Unternehmen:

« Eine einzige 1400 Meter hohe, lotrechte Eismauer stürzt westlich des Rothböckgrates hinab zum Marltferner - die Nordwand des Ortlers.

Wer vom Tschirfeck oder gar vom Rothböckgrat hineinschaut in die irrsinnig steilen Eisflanken, in die Wülste und Überhänge, wer dem Toben und Heulen der Stein- und Eislawinen gelauscht, die von Zeit zu Zeit die Wand hinabdonnern, der wendet entsetzt den Blick weg vom schaurigsten aller Erdenwinkel.

Die Neigung der Wand ist ganz ungewöhnlich und beträgt fast durchwegs 60 Grad und steigert sich kurz unterm ersten Eisüberhang auf 70 Grad, die Grenze des mit Steigeisen allein gerade noch Gangbaren.

Zwei Seillängen sind im unteren Teil 80 Grad geneigt, im oberen Teil senkrecht und müssen unter ausgiebiger Verwendung von Eishaken überwunden werden. » Etwas eigenartig berührt mich, dass gerade Hans Erti, dem bei seinen - von mir übrigens begeistert gelesenen - Tourcnschilderungen gar manchmal die Phantasie durchging, jetzt posthum auf dem stets sachlichen Willo Weizenbach herumhackt. Er, Erti, sei im Gegensatz zum « Eis-papst » Weizenbach mit dem Neigungswinkelmesser in die Eiswand gestiegen. Vielleicht hat dieser aber Fahrenheit angezeigt, denn die von Erti angegebene Steilheit kann man fast durchwegs um I o Grad nach unten korrigieren; was übrigens noch immer saumässig steil ist.

Vielleicht trug vor allem diese abschreckende Routenbeschreibung Ertls daran Schuld, dass die zweite Begehung erst 1957, durch Josl Knoll und Pfaundler aus Innsbruck, erfolgt ist, und zwar in Anbetracht des schlechten Wetters auch gleich anschliessend im Abstieg. Eine enorme Leistung der beiden Tiroler!

Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass unsere Rückzüge anfangs der fünfziger Jahre einer übergrossen Vorsicht entsprangen, deren Ursache allerdings weniger in den eistechnischen Schwierigkeiten als in einer Überbewertung der objektiven Gefahren zu suchen war. Zu mildes Wetter und die dadurch befürchtete Steinschlaggefahr liess uns immer wieder unverrichteter Dinge abziehen. Doch vielleicht ist es nicht zuletzt dieser « Über-vorsicht » zu verdanken, dass ich heute, im Alter von mehr als fünfzig Jahren, noch immer solche Bergziele verfolgen darf.

Möglicherweise habe ich aber auch nahezu 30 Jahre auf die Erfüllung dieses Tourenwunsches warten müssen, weil wir die Wand stets « im Vorbeigehen » mitnehmen wollten. Meist betrachteten wir sie eben nur als eine Art Zwischenstation auf unserem Weg in die Westalpen. Wenn es dann nicht gleich mit dem Wetter klappte, verweilten wir nicht lange, sondern steuerten das nächste geplante Ziel, die Berner Alpen, das Wallis oder den Mont Blanc, an.

DER DURCHSTIEG Der Ortler und seine Nordwand wollen jedoch ernstgenommen werden. Das steht einer 1200-Meter-Wand in dieser Schwierigkeit gewiss zu. Im Sommer 1981, 50 Jahre nach ihrer Erstbegehung, stellt sie wieder unser erstes Ziel oder besser gesagt das Ziel Nr. i dar. Mit Heinz Regele aus Bozen habe ich bereits vereinbart, diesmal so 41Oberer Teil der Gspaltenhorn-Nordwand mit den Tara43 Quergang an der Aguija Nevada ( 5800 m ), Peru Türmen 42 Sonnenuntergang in der Cordillera Bianca, hinten Cor44 Im Aufstieg zum Pumasillo ( 6040 m ), Peru dillera Megra lange zu warten, bis das Wetter gut und der Nachtfrost streng genug ist, um die Lawinen- und Steinschlaggefahr zu bannen. Wenn es sein muss, wollen wir sogar den ganzen dreiwöchigen Sommerurlaub der Ortlerwand widmen.

Aus der Schweiz stossen dann noch Ruth Steinmann und Marianne Zimmermann zu uns, so dass wir uns am 1 I. Juli zu viert von Sulden zur Tabarettahütte hinauf begeben. Diese, am Weg zur Payerhütte und zu der Normalroute gelegene, private Unterkunft kann als idealer Stützpunkt für die Nordwand gelten. Abgesehen davon, dass man von dort einen guten Einblick in die Route gewinnt und rasch zum Einstieg gelangt, ist das Haus hervorragend geführt: sauber, preiswert und bergsteigergerecht. Wir stimmen sofort darin überein, dass sich 's hier leicht drei Wochen aushalten lässt. Nun, das Wetter stellt unsere Geduld glücklicherweise nicht so lange auf die Probe.

Während der schliesslich 3 Tage dauernden Wartezeit erhalten wir zudem Gelegenheit, uns auf die Wand einzustimmen. Immer wieder beobachten wir sie, versuchen, uns ihre zwischen vorbeiziehenden Nebelschwaden hervortretenden Konturen einzuprägen, verfolgen die Stein-schlagbahnen und legen uns eine Anstiegslinie zurecht. Am dritten Tag kann man die Wetterbesserung bereits irgendwie erahnen. Obwohl es noch in feinen Tropfen regnet, steigen wir, mit Pickel und Regenschirm bewaffnet, zum Bergschrund auf, um den Einstieg zu erkunden. Heinz und ich stapfen dann noch 100 Meter höher, bis wir die erste Engstelle der Nordwand-Rinne erreichen. Was uns von der Tabarettahütte aus noch als Problem erschienen ist, löst sich jetzt, aus der Nähe besehen, in « Wohlgefallen » auf. Befriedigt kehren wir in unsere Unterkunft zurück.

In der folgenden Nacht ist der Himmel tatsächlich sternklar, nachdem das Taschenthermometer am Fensterbrett schon wenige Stunden nach Einbruch der Dämmerung die Nullgradmarke angezeigt hat. Endlich, um 01.30 Uhr, dürfen wir uns erheben, und sechzig Minuten später treten wir in die Finsternis hinaus. Wenn unser wohlberechne- ter Zeitplan stimmt, müssen wir um 6 Uhr am Beginn der Schwierigkeiten stehen.

Die Erkundung vom Vortag gestattet es uns nun, seelisch unbelastet und zielsicher durch die Dunkelheit aufzusteigen. Etwa um 03.30 Uhr erreichen wir den Endpunkt unserer Spur und betreten damit uns noch unbekanntes Gelände. Stets links hart den Felsen des Rothböckgrates entlang haltend - denn aller Steinschlag kommt von rechts -, streben wir noch unangeseilt zügig aufwärts. Das lässt sich auch verantworten, weil die untere Rinne bis etwa 3350 Meter kaum Schwierigkeiten bietet. Ist dann der hier ansetzende Felsriegel erreicht, hat man bereits sechs-hundertfünfzig Meter, etwa eine Pallavicini-Rinne, hinter sich gebracht.

Allmählich weicht die Dunkelheit einem fahlen Grau. Die Stirnlampen können abgedreht werden. Heinz Regele, mit der Lunge eines Postpfer-des ausgestattet, ist schon ein gutes Stück voraus. Obwohl er seit Jahren lamentiert, für solche Touren bereits ein zu alter Mann zu sein, vermag man noch immer kaum mit ihm Schritt zu halten. Er wird seinem nun schon legendären Ruf, « der Pri-mararzt mit den dicken Waden », noch immer voll gerecht. Ruth, der Helmschnalle und Stirnlampe Schwierigkeiten bereiten, werkelte unten schimpfend an ihrem Kopfschutz herum. Ich lasse mich zurückfallen und warte auf sie. Gemeinsam versuchen wir nun, wieder zu Marianne und dem spurenden Heinz aufzuschliessen. Inzwischen hat das Tageslicht endgültig gesiegt. Die Hangneigung nimmt zu, doch der ausgezeichnete Firnbelag erlaubt ein angenehmes Steigen. Gegen 6 Uhr liegt die Rinne unter uns, wir haben die grosse, querliegende Felsbank erreicht. Heinz und Marianne stehen in der schmalen, zwischen Schnee und Gestein sich öffnenden Kluft und seilen sich an. Etwas weiter unten bei einem alten, verrosteten Haken, machen auch wir halt. Wir erleichtern den Rucksack, doch nur, um dasselbe Gewicht jetzt am Brustgeschirr verteilt zu tragen: Eisschrauben, Karabiner, Bandschlingen, Eishammer und Photozeug. Der Weiterweg, eine

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i.. ' 45 Laguna di Parron mit Pyramida di Garcilaso ( Peru47 «... zwei Seillängen gerader Anstieg in der jj Grad steilen l' hot. »: Krnsl Rciss. BasiiErti-Rinne... » 46 Die Ortler-Mordwand nach rechts führende, bläulich-blank herüber-glänzende 6o-Meter-Querung, lässt es angezeigt erscheinen, mit dem Sichern zu beginnen.

Etwas unterhalb des Standortes von Heinz und Marianne gehe ich die aufsteigende Traverse an. Nochmals steckt ein stark herabgebogener Haken in einer Ritze, dann gelange ich luftig über eine Art Rampe hinaus in die freie Flanke. Die Felsinsel im rechten Wandteil kann unter unseren Zak-kensohlen bald nur noch erahnt werden. Wie ein Schanzentisch bricht die Wand unter uns ab, und erst viel, viel tiefer sieht man zwischen einzelnen Nebelschleiern den Einstieg.

Nach der ersten Qucrungslänge teilen sich die verschiedenen Anstiegsmöglichkeiten. Den « grossen Eisbalkon » links umgehend, führt laut « Holl-Führer » die Route Zappa/Gilardoni knapp zwischen Fels und Eis aufwärts. Für den Fall, dass sich dort hinter der Felskulisse eine Art Rinne öffnet, wie dies bei der Erstbegehung der Fall gewesen sein soll, ziehen wir diese Möglichkeit zunächst auch für uns in Betracht. Leider lässt sich aber weit und breit keine Rinne entdecken, nichts, das uns hätte dazu verlocken können, hier einen Versuch zu wagen. Rechts dieser Route, über den grossen Eiswulst, führt die Di-rekt-Variante von Reinhold und Günter Messner. Obwohl sich die Séracs nicht ganz so jäh aufschwingen, wie das von unten aussieht, ist ihre Steilheit doch so respektabel, dass wir es vorziehen, eine Seillänge weiter nach rechts in die « Ertl-Rinnc » zu queren. Blankeis auch hier, aber die Steigeisen greifen gut. Heute verwende ich erstmals die 2ozackigen, starren Lowe-Footfang-Ei-sen und bin angenehm überrascht, welch sicheren Halt sie selbst auf dieser harten Unterlage zu geben vermögen. Was für ein Fortschritt seit 1947, als ich meine erste Eisflanke, die Nordwand des Hohen Tenn in den Tauern, mit noch schweren schmiedeeisernen Steigeisen beging! Die Verbesserung des Materials gleicht mein zunehmendes Alter immer wieder aus. Auch die « Snargs », die dünnwandigen Hohleisschrauben ( oder soll man sie Haken nennen ?), die leicht einzuschlagen und 48 » Gegen 6 Uhr früh liegt die Rinne unter uns> Photos: F.rirli Vjnis. Wien ebenso kräftesparend herauszudrehen sind, bieten auf Grund ihrer grossen Auflagefläche und Länge eine verlässlichcre Sicherung als alle Vor-gängermodelle.

Nach zwei Seillängen in der etwa 55 Grad steilen Ertl-Rinne beginnt sich das Gelände links von uns etwas mehr zu gliedern. Der kompakte Wulst der Messnerschen Direkt-Variante löst sich hier in von etwas flacheren Zonen unterbrochene Stufen auf. Das scheint sich als die beste und zugleich logischste Routenführung anzubieten, denn höher oben wirkt der sich zu einer schmalen Rinne verengende Ertl-Originalausstieg recht problematisch. Also halten wir uns gegen links und kommen damit wieder näher an die Gipfelfallinie. Standplatz unter einem Steilabbruch. Fünf Meter oberhalb der mich sichernden Ruth treibe ich nochmals einen « Snarg » in das blanke Eis, dann drängt der steile Aufschwung meinen Körper weit nach aussen. Die Knie stark seitlich verdreht, damit sie mich nicht aus dem Gleichgewicht bringen, überwinde ich dank einiger trittähnlicher Unebenheiten rascher als vermutet diese kurze 80-Grad-Stelle. Bereits 70 Grad vermitteln beim freien Eisgehen den Eindruck einer senkrechten Wand, und 80 Grad wird als überhängend empfunden.

Während ich oberhalb der eben erklommenen Steilstufe in einer Mulde den nächsten Stand einrichte, Ruth noch sichert und Heinz, als Vordermann der zweiten Seilschaft, zu ihr aufschliesst, knipst Marianne, unsere Schlussfrau, rasch eine Serie Photos. Trotz des Ernstes dieser Wand geniesse ich die Tour. Nur schade, dass sie in wenigen Stunden nicht mehr Ziel und Wunsch sein wird, sondern Vergangenheit und Erfüllung. Oberhalb der « kleinen Mulde », mit ihrer etwas geringeren Neigung ( etwa 45 Grad ), bäumt sich ein sehr steiler Sérac in die Höhe, auf dessen Kante ein mächtiger Felsbrocken, gross wie ein Mittelklassewagen, thront. Schon von der Tabarettahütte aus haben wir ihn misstrauisch zur Kenntnis genommen. Wird er sich unvermittelt lösen und die Wand hinabdonnern? Wieder äuge ich scheel zum Block hinauf und quere rasch aus seiner Fallinie nach links, wo die aus der Mulde hinausführende Steilstufe am niedrigsten ist. Ich setze einen Hohlhaken als Zwischensicherung und trete mit dem linken Fuss kraftvoll gegen den blanken Hang, um den kurzen Aufschwung in Angriff zu nehmen. Da schlägt zu meiner Überraschung bloss die nackte Schuhspitze gegen das Eis. Das Steigeisen hat sich gelöst, und mein « Footfang » baumelt nun am Ristgurt, der hier auch die Funktion eines Fangriemens erfüllt. Der Grund für diesen unangenehmen Zwischenfall liegt in dem nur knapp drei Millimeter vorstehenden Sohlenrand meiner Plastik-Bergschuhe, welcher dem Vorderbügel des Lowe-Steigeisens zu wenig Halt bietet. Daheim habe ich die Steigeisen doch noch in einen Schraubstock gespannt und an den daran befestigten Schuhen gezerrt, ohne dass diese sich deswegen gelockert hätten. Die Beanspruchung in der Praxis scheint somit unvergleichlich grosser zu sein, als das bei meinen Test-versuchen zu Hause der Fall gewesen ist.

Ein Schritt zurück bringt mich zum Eishaken, und binnen einer Minute ist der Schaden behoben. Vorsichtiger als in den vergangenen Stunden setze ich von nun an den Fuss auf. Das Vertrauen ins Material hat einen kleinen Dämpfer erhalten. Nach wenigen steilen Metern folgt jetzt der leichteste Abschnitt der oberen Wandhälfte: die nur 45 Grad geneigte Firnrippe. Laut dem neuen « Ortler-Führer » sollen hier die Schwierigkeiten aufhören. Was tatsächlich aufhört, ist aber bloss die Steinschlaggefahr. Wir stehen nun seitlich des « grossen Blocks » und können feststellen, dass er tiefer im Eis steckt, als es von unten den Anschein machte. « Der wird auch nächstes Jahr noch dort liegen. » Der Hang steilt sich jedoch nach fünfzig Metern erneut auf, und ehe ich mich dessen versehe, befinde ich mich wieder in einer blanken 60-Grad-Seillänge. Nach zehn Metern treibe ich einen Zwischenhaken ins Eis und steige weiter. Schon stehe ich ein gutes Stück über diesem letzten Sicherungspunkt, als sich das linke Steigeisen selbständig macht. Diesmal allerdings in einer be- deutend heikleren Situation, da nun auch mein rechter Fuss nur über einen dürftigen Halt verfügt. Blitzartig durchfährt mich der Gedanke, dass die Standhaken bei Ruth nur lose im dort morschen Eis stecken, ein Sturz somit höchst unangenehme Folgen nach sich ziehen könnte. Eigenartigerweise fürchte ich jetzt nicht um mein Leben, sondern mich beschäftigt einzig der Gedanke, dass sich mein ganzes Urlaubsgeld in einem nur mir bekannten Geheimversteck meines Autos befindet. Dabei bin ich mir durchaus bewusst, wie wenig sinnvoll es ist, sich in einer solch prekären Situation um ein paar tausend Schilling zu sorgen. Nachträglich lache ich mich deswegen auch insgeheim aus. In diesem kurzen Augenblick aber verdrängt die Vorstellung, dass das Geld dereinst mit dem Auto verschrottet wird, alles andere. Zugleich schlage ich jedoch meinen Hum-mingbird-Pickel mit Wucht ins Eis. Er beisst sich erfreulicherweise unverzüglich fest, und ich kann mich mit meinem Brustgeschirr an seine Handschlaufe hängen. Während ich nun mit dem Hammer eine Stufe präpariere, lastet mein ganzes Gewicht am Pickel. Entgegen meinen Befürchtungen hält der « Hummingbird » noch immer, und er hält auch, als ich in dieser mühsamen halb hängenden Stellung das Steigeisen wieder befestige. Mein Materialvertrauen hat nach dieser Episode aber so stark gelitten, dass ich für den Rest der Seillänge zusätzlich zwei Zwischenhaken benötige. Schade, dass man diesen leichten Pla-stik-Bergschuh, den ich für den derzeit besten halte, und das modernste Steigeisen nicht gemeinsam verwenden kann; zumindest nicht mit dem so praktischen Schnellverschluss, der vor allem bei kombinierten Touren die Fortbewegung wesentlich erleichtert. Es wäre deshalb zu begrüssen, wenn die Hersteller ihre Erzeugnisse aufeinander abstimmen könnten, bevor es zu folgenschweren Unfällen kommt.

Damit haben wir zugleich den letzten der Zwischenfälle erlebt, mit denen uns diese Wand aufwartet, was mir gewiss nicht ungelegen kommt, ist doch mein Bedarf an « Action » bereits weitestge- hend gedeckt. Vorsichtig und misstrauisch wie ein Tanzschüler bei seinen ersten schüchternen Versuchen spähe ich in den Ausstiegsseillängen stets auf meine Füsse und den Halt meiner Zacken-sohlc. Doch nichts ereignete sich mehr. Die Neigung nimmt nun endgültig ab, so dass wir hier auch wieder auf einen guten Firnbelag treffen, der ein müheloseres Steigen mit einer gleichzeitig weit geringeren Materialbelastung erlaubt. Nur die letzten paar Meter zum Marltgrat erweisen sich ganz überraschend als steil und blank, bieten aber trotzdem kein Hindernis. Heinz und Marianne, die nun die Führung übernommen haben, bringen diese letzten Seillängen, ohne noch auf eine Sicherung angewiesen zu sein, rasch hinter sich.

Gegen t i Uhr stehen wir oben am Gipfelplateau. Der Nebel, der den unteren Wandteil schon seit dem Morgen umspielt, holt uns jetzt ein. Bro-delndes Grau umgibt uns, als wir unser Klettermaterial im Rucksack verstauen und gierig einige Bissen verschlingen. « Ob ich denn jetzt nicht besonders glücklich bin, wenn nun, nach so vielen Jahren, ein langerstrebtes Ziel Wirklichkeit geworden ist? » Nein, eigentlich nicht; ich spüre nur eine dumpfe Leere. Traumwünsche scheinen die Eigenschaft zu haben, dass dann, wenn sie endlich in Erfüllung gehen, bloss eine Art Vakuum zurückbleibt. Diese Leere aber ist um so grosser, je länger und intensiver wir das Ziel zuvor ersehnt haben. Wirklich gross und erhaben bleibt nur das Unerreichbare.

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