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Das Lied von den Bergen

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Von Gustav Renker.

Die schöngeistig alpine Literatur ist in den letzten Jahren unheimlich angewachsen. Wir wollen über ihren Wert oder Unwert nicht rechten. Tatsache ist, dass die Versuche nach dem alpinen Dichterwerk, sei 's nun Roman, Epos oder Drama, ebenso häufig wie erfolglos sind.

Merkwürdigerweise aber ist die grosse ethische Bewegung, welche das Bergsteigen darstellt, fast ohne Einwirkung auf die Musik geblieben. Man kann die Tonwerke, welche sich mit den Bergen befassen, nahezu an den Fingern herzählen: Liszts « Ce qu'on entend sur la montagne », verschiedene Stellen in Wagners Nibelungen, Richard Straussens farbenglühende Alpensymphonie und — Julius Biltner. Ja, dieser Bittner, der mit seinem Musikdrama « Bergsee » vor etwa zwanzig Jahren nicht allein eine der schönsten deutschen Opern, sondern auch ein Hohelied der Alpen geschrieben hat. Unnötig zu sagen, dass ein solches Werk nur schwachen Widerhall fand und äusserst spärlich auf den Spielplänen der Theater erscheint. Wo Jonny dudelt und Makie Messer seine Dreigroschen-Moritaten erzählt, ist für einen Hymnus der reinen, menschenfernen Natur kein Platz. Das hätte Bittner bedenken müssen, hätte etwas praktischer sein sollen als er nun, zwei Dezennien nach seiner nicht für die Gegenwart, sondern für eine anständigere Zukunft geschriebenen Bergoper wieder ein Lied von den Bergen schuf.

Es scheint mir zweifellos Aufgabe eines alpinen Blattes, nicht allein von Erstersteigungen und Abseilmethoden Kenntnis zu nehmen, sondern auch und nicht zuletzt das zu registrieren, was dem Alpinismus an Kunst entspriesst. Es ist ja leider spärlich genug.

Recht interessant ist es, die beiden alpinen Werke des Komponisten Bittner miteinander zu vergleichen. Die Oper « Der Bergsee » und die symphonische Dichtung « Das Lied von den Bergen ». Als das Musikdrama geschrieben wurde, war Bittner ein junger Mann, am Beginn seiner unterdessen steil emporgekurvten Laufbahn, war Bergwanderer, ohne grosser Kletterer oder Eisgeher zu sein. Wie ja überhaupt Höchstleistung im Sportlichen das Geistige langsam ertötet. Auch Albrecht von Haller, auch Heinrich Federer haben keine Erstbesteigungen gemacht, dafür aber dem Schrifttum das Schönste geschenkt, was es über die Berge zu sagen weiss. Kurzum, Julius Bittner war damals Bergwanderer und schrieb in seiner Oper das Epos von der geistigen, der über alles kleine Menschliche hinaustragenden Kraft der Berge. Nichts vom Weg auf den Berg, sondern nur die aus dem Gebirge strahlende, sittliche Kraft.

Heute ist Bittner über die Zeit des Bergwanderns hinaus, weil ihm sein Gesundheitszustand selbst den kleinsten, steilen Weg verbietet. Er sieht die Berge von mondänen Sommerfrischen, von den Fenstern des D-Zuges aus. Sieht vielleicht junge Menschen mit Pickel und Seil dem Zug entsteigen, sieht dunkle Gräben, die sich in das Herz der Berge ziehen, Grate, welche Anstiege vermitteln. Sieht das alles wie einen fernen Traum von etwas Schönem, das einmal war. Und heute schreibt er das Lied vom Bergsteiger. Das ist merkwürdig, aber vielleicht nicht unerklärlich.

Was Bittner über den inneren Gehalt des Berges zu sagen hatte, das birgt sich in der Partitur des « Bergsee ». Der alternde Meister aber sehnt sich nach der Jugend und ihrem frischen Wagen — da schreibt er eine symphonische Dichtung für Männerchor und Orchester, ein gewaltig hinbrau-sendes Lied der kampflustigen Jugend, ein Lied von leuchtenden Gipfeln und flammenden Firnen, von Stufenschlagen und Griffesuchen, von ewig-keitsnahem Ziel, von tatenmüder, zufriedener Heimkehr und Ruhe. Das Lied also von einer Bergbesteigung, diese Symphonie, die kürzlich in Wien ihre freudig aufgenommene Uraufführung fand. Beifall von einem Konzert-hauspublikum, wo so und so viele Mister Snob und Madames Schmock im Parkett sitzen. Wie müsste das Werk erst vor einer Gemeinde von kunst-begeisterten Bergsteigern und Alpenschwärmern wirken!

Eine Bergwanderung hat schon Richard Strauss in seiner grandiosen, aber auch viel angegriffenen Alpensymphonie geschildert. Es ist unnötig, ein Werk zu loben und das andere zu schmähen. Straussens und Bittners Werke haben, jedes in seiner Art, ihre Berechtigung in der alpin-musika- lischen Literatur. Strauss ist rein illustrativ, der unermessliche Reichtum seiner musikalischen Schilderungskunst lebte sich an Eis und Gletscher, Wald und Wasserfall, Alp und Gipfel aus. Bittner verlegt die alpine Handlung in die Seele junger Menschen, welche einen Berg stürmen. Aus ihrem Schauen erwächst die Schilderung des Berges in der Musik. Bittner, der grosse Musikdramatiker, braucht auch hier das dramatische Element in Gestalt des erlebenden Menschen. Mit hinreissendem Schwung setzt im Orchester der Entschluss zur Tat ein; nur wenige Takte reiner Instrumental-sprache, und der Kampf beginnt schon. Fast kein betrachtendes, schon gar kein lyrisches Element — weder Morgenstimmung noch Ersterben der Nacht auf dem tiefer sinkenden Bergsee zwingen der Handlung ein verzögerndes Träumen auf; brausend und stürmend geht es zur Höhe, das Thema des Wanderns reckt sich empor, greift höhensehnsüchtig nach dem Gipfel, der sich aus diesem drängenden Allegro in einem von Orchester und Orgel getragenen C-Dur aufbäumt. Das Ziel! Nur ein kurzer Blick, ein grüssender Gedanke, aber kein Verweilen — in einem dunkel stampfenden, mühenden, zäh ringenden Satz geht es weiter, in den Bässen hört man den eintönigen, jedem Bergsteiger so bekannten Rhythmus der gleichmässig pochenden Füsse, strömender Waldquell ist nur ganz kurz glitzerndes Intermezzo einer Rast — Bittner musste als Meister von Geschmack nach dem Spektral-wunder des Wasserfalles in Straussens Alpensymphonie auf die Darstellung irrlichternder Bergwasser verzichten. Es liegt ihm auch nichts an der minutiösen Einzelschilderung, das Werk steilt in einer fanatisch emporgetriebenen Kurve nur der Grenzenlosigkeit, dem Gipfel und seiner Einsamkeit zu. Alles ist hier Tat, nichts Betrachtung — das Eisfeld, in das der Pickel den Tritt schmettert, die Wand, das Band, die eisenhart um den Griff gepresste Faust, die wilde Herrlichkeit der letzten Schlucht, die den Gipfelaufbau durchreisst.

Wir erleben wirklich eine Bergbesteigung, wir kennen das aus eigenem Erleben, was ein grosser Meister hier in den Reichtum seiner Töne gebannt hat. Während bei Strauss der Berg zum strahlenden Gemälde wurde, ist er bei Bittner Kämpfer gegen den Menschen, enthüllt nicht seine landschaftliche, sondern seine geistige Art, welche er dem Ansturm des Herrn der Erde entgegensetzt.

Und dann — die Höhe, das Ziel. Ein feines, flirrendes Vibrieren der Geigen, Fanfaren von drei Trompetenstössen, tiefe, ruhevolle Breite der-Orgel — jetzt aber der Hymnus. In Wagners « seliger Öde auf wonniger Höh ' » äussert sich der Gipfel in einer unwirklich schwebenden Melodie der Solo-geige, bei Strauss verklärt sich das Erlebnis zur Vision — Bittner betet dort oben. Bei ihm wird er Gipfel zum Hymnus, zum Dank an den Schöpfer für Schönheit und Kraft:

Nichts höher, kleiner Mensch, als du Und alles unter dir. Gott sieht aus seinem Himmel zu, Der Nächst'bist du ihm hier.

Es hängt nun von der Anschauung des einzelnen ab, welche Gipfelstimmung er am intensivsten miterlebt — die Schwerelosigkeit und Erd-gelöstheit Wagners, die Vision Straussens oder die Gottnähe Bittners. Man kann kaum dem einen oder anderen Hauptwert zusprechen, weil ja auch jeder Bergsteiger dort, wo es kein « Höher » gibt, anders empfindet.

Das ist der Adagioteil dieser Symphonie, um in ihrer freien Gestalt der alten Form nachzuspüren — ein breit hinflutender Satz von Gotteslob und Dankbarkeit. Was nun folgt, ist ein stiller Abstieg, über dem noch der Glanz des grössten Erlebens liegt, ein ruhiges Wandern, das mit dem wilden Stürmen des ersten Teiles kaum etwas zu tun hat. In einer unsagbaren Ruhe, welche an den Abend in kleinem Bergdorfe gemahnt, klingt das Werk aus. Traumhaft erinnern die nun verklärten, vergeistigten Motive des Wanderns noch an den Morgen, an Kampf und Sieg, aber man merkt — nun ist alles innerlich geworden, ist geistiger Besitz bis in spätes Alter, ist Köstlichkeit, die uns niemand mehr rauben kann. Genau so, wie sich jede wirklich tief erlebte, nicht rein sportlich gewollte Bergfahrt auch in uns und unserem Erinnern widerspiegelt, die wir die Berge als Gottesgnadentum lieben. Für uns Bergsteiger hat Bittner sein neues Werk geschrieben. Die Menschen der Salons und Bars werden es kaum achten — wer anders sollte ihm dafür danken als wir Geschöpfe der einsamen, reinen Höhen?

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