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Das Wetterhorn vom Urbachthal aus über das Dossenjoch

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Das Wetterhorn vom Urbachthal aus über das Dossenjoch Von H. Baumgartner, Pfarrer in Brienz.

Das vordere Wetterhorn ( Haslijungfrau, 3703 m ) ist von Grindelwald und von Rosenlaui aus schon so oft bestiegen und der Weg von diesen beiden Ausgangspunkten auf seine kühne Spitze von sachkundiger Hand ( Roth, Gerwer, Aeby, Studer etc. ) schon so hinlänglich beschrieben worden, dass es Eulen nach Athen tragen hiesse, wollte man im Jahrbuch des S.A.C. noch einmal darauf zurückkommen. Weniger begangen ist dagegen der Weg, der durch 's Urbachthal über das Dossenjoch ( eventuell Renfenjoch ) zum nämlichen schönen Ziel führt. Eine gedrängte Beschreibung dieses Weges wird vielleicht desshalb da und dort einiges Interesse erwecken. Denn nachdem einmal für alle Hauptgipfel unserer Alpenwelt bewiesen ist, dass sie genommen werden können, wird das « Wie » dieser Möglichkeit um so mehr zur Sprache kommen müssen. Dadurch wird nämlich unserem Jahrbuch eine nicht so bald versiegende Quelle des interessantesten Stoffes eröffnet, und zugleich dafür gesorgt, dass das, was früher nur von einzelnen Pionieren vollbracht werden konnte, jetzt immer mehr für Alle möglich gemacht wird.

Doch Vorerst einige Mittheilungen über die Motive meiner Wetterhornbesteigung.

Dieselben lagen nämlich für mich nicht sowohl in einem nicht näher bestimmten Gelüste nach einer Hochgebirgstour — da wäre vielleicht eine andere Spitze gewählt worden, auch nicht im Streben nach Tou-ristenruhm; denn solchen gibt 's auf dem alljährlich so viel bestiegenen Wetterhorn nicht mehr zu holen. Aber wer je, wie Schreiber dieses schon mehrmals, von Brienz aus über die Axalp die Höhen des Wildgerst erstiegen und von da aus über den sogenannten blauen Gletscher in südöstlicher Richtung in 's Rosenlaui hinab marschirte, wer auf dieser Tour, von gutem Wetter begünstigt, namentlich auf der herrlichen Breitenbodenalp den vordem Theil der Wetterhorngruppe gesehen hat, wie er schöner, imposanter, herrlicher nicht gesehen werden kann, der ist entweder kein Freund der Alpenwelt, oder dann zieht 's ihn hinauf an allen Haaren und lässt ihm keine Ruhe mehr, bis er droben gewesen und vom Sehnen zum Schauen gelangt ist. Wo wären die Siege im Hochgebirge alle geblieben ohne jene seltsame und gewaltige Anziehungskraft, die es auf das Gemüth seiner Verehrer ausübt?

Freilich, wenn ich für die endliche Ausführung meines Planes anfangs den letzten Septembermonat gewählt hatte, so ward ich da übel angeführt. Denn dieser Monat brachte mir wohl einige Reisegefährten und gelegentlich auch den Entschluss, nicht von Rosenlaui, sondern durch 's Urbachthal hinauf zu wandern. Aber welch'garstig Wetter dazu! Wohl vereinzelte schöne, aber keine warmen Tage, dazu Schnee oft bis in den See hinab und an Unbeständigkeit das im Haushalt der Natur nur Mögliche.. Doch wie sonnig und warm und klar und beständig dafür der Oktober! Darum jetzt aufgeprotzt. Am 4. Oktober, Nachmittags 3 Uhr, stunden wir an jenem bekannten Scheideweg in Innertkirchen, wo es östlich nach Gadmen, südlich gegen die Grimsel geht. Wir aber schlugen uns südwestlich in 's Gebirge dem Urbachthale zu. Unsere Zahl war jetzt 6, d.h. 4 Kameraden von Brienz, welche für ihr Vorhaben den bekannten tüchtigen Führer Demüer aus dem Grund und dazu den noch in der Führei'lehrzeit stehenden jungen Heinrich Zwald von Hasleberg engagirt hatten. Allerdings nach sonstigem Wetterhornbrauch etwas wenig Führerei. Kaum hätte man uns in Rosenlaui oder Grindelwald so aus-fliegen lassen. Aber wir wollten 's einmal gerade so probiren, damit Punktum.

Jetzt aber das Urbachthal! Grossartig, wild, überraschend öffnet es sich von Unterstock an unsern Blicken, und während wir seine unterste, wohl eine Stunde lang fast ganz ebene Stufe durchwandern, habe ich reichlich Musse, mich seiner lang gewünschten Betrachtung hinzugeben. Zum Theil finde ich meine Erwartungen übertroffen. Denn die grauen Engelhörner, deren spitze Zähne rechts so himmelhoch ragen und deren Felsen so furchtbar senkrecht in 's tiefe Thal hinabstürzen, machen allerdings einen gewaltigen Ein- druck. Matter dagegen ist das jenseitige südliche Thal-ufer, das sich etwas monoton und von unten gar zu verjüngt zu den Gollauihörnern aufschwingt. Ueber den niederen Vorbergen des Hintergrundes erhebt sich stattlich breit die stumpfe Pyramide des Hangend-Gletscherhorns. Schade nur, dass der hangende Gletscher zu klein ist, um dem Berg selbst und dem ganzen Thal die volle Macht des Farbenwechsels vom blendenden Weiss an bis zum tiefen Schwarz zu geben. Doch da bringt ja die nach rückwärts, d.h. nach Osten sich immer vergrössernde Aussicht auf die Kette des Titlis und der Gadmerflühe, sowie auf die grünen Gräte des Hochstollens Ergänzung und Abhülfe. Summa: das wenig begangene Urbachthal ist mehr als eines Besuches wohl werth; aber auch es kann sich an Mannigfaltigkeit der Scenerie, an Reichthum überwältigender Kontraste, an Fülle des Farbenwechsels, an mit höchster Grossartigkeit verbundener Anmuth weder dem Lauterbrunnen- noch dem Grindelwaldthal, diesen Kleinodien des Berner Oberlandes, ebenbürtig zur Seite stellen.

Jetzt beginnt ein ziemlich scharfes Steigen am rechten Ufer des tief unten in der Thalschlucht wild brausenden Gletscherbachs; dann wieder abwärts, zum Theil über Lawinenschnee, der sich hier ganz ausnahmsweise übersömmert hat, und nun verlassen wir an dem immer mehr nach Süden ausbiegenden Thale die Richtung nach dem Gauligletscher. Unser Weg nämlich führt in schroffer Steigung am Piédestal des Hangend-Gletscherhorns im Zickzack hinauf zu der « Fläschalp » nach der Dufourkarte, die aber von un- sera Führern beharrlich « Enzen » getauft wird. Nach mühsamem Keuchen erreichen wir sie mit Einbruch der Nacht. Glücklicherweise ist sie noch von zwei gastlichen Geisshirten besetzt und können wir uns daher sofort in das bekannte primitive und doch zur Abwechslung so wohlthuende Sennhüttenleben wälzen. Nach eingenommenem Abendbrod wird die duftende Heubrüge bereit gemacht. Doch trete ich vorher noch einen Augenblick hinaus in die stille, föhnigwarme, klare Herbstnacht. " Welch'herrlich Schauspiel! Nach Westen, hart vor uns, die riesige Wand des Hangend-Gletscherhorns, die im weichen Mondlicht mit ihren vielen weissen, matt schimmernden Schneekehlen wie ein gigantisch Wolkengebilde dasteht; nach Osten, unmittelbar vor uns, der durch die Schatten der Nacht in phantastische, unsichere Tiefen gerückte Thalgrund, den ein schwacher Lichtstreifen, der Gaulibach, der Länge nach durchschneidet; zur Seite rechts die Gol-lauistöcke, jetzt ganz andere Burschen, als von unten gesehen, hinter ihnen das kletterlustige Ritzlihorn, zur linken Seite oben, im Mondlicht falb schimmernd, die schneidigen Zähne der Engelhörner, wie riesige Gespenster; endlich ganz im östlichen Hintergrund schon in stattlicher Anzahl, mit unbestimmten, im neblichten Aether verschwindenden Umrissen die Fürsten des Gadmenthal und des Triftgletschers. Und über dem allen der mondhelle, klare Herbstnachthimmel, an welchem da und dort ein Silberwölklein auftaucht, um ebenso rasch, wie es gekommen, wieder zu verschwinden, als wäre es schmelzender Frühlingsschnee. Doch nun hinein unter das niedere Hüttendach, um dort für des kommenden Tages Arbeit Kraft zu sammeln.

Frühe, schon um 2 Uhr, machen wir Tagwacht^ packen, wie es so zu gehen pflegt, nicht ohne Mühe und vieles Gestolper unsere im engen Hüttenraum zerstreuten Kleider und Utensilien zusammen, schlürfen den zur Begründung wahrer Ausdauer unentbehrlichen Kaffee und treten dann 1!* vor 3 Uhr hinaus in die feierlich stille, schöne, fast abendlich helle Mondnacht. Um unsere Kräfte und die der Führer zu schonen, laden wir einem der breitbuckligen Sennen unsere zusammen wohl 80 Pfund wiegenden Tornister bis zum Dossenjoch auf, wie froh waren wir später über diese Vorsichtsmassregel — und nun geht 's vorwärts,, langsam, gleichmässig, meist stillschweigend und in Gedanken bereits auf dem Ziele. Noch ist uns fast eine Stunde lang ein in vielen Windungen mässig aufsteigender Pfad vergönnt. Bald aber, wie die wenigen Hütten des obersten Staffeis der Alp hinter uns liegen, verschwindet das letzte weiche Grün unter dem alles überdeckenden Steingeröll. Nur da und dort bildet ein den nahen Firnen entsprungenes kaltes Bäcblein eine Abwechslung in dieser Monotonie unter uns. Ueber uns und zur Seite von uns aber wird die Gegend immer wilder und pittoresker durch die immer näher an uns herantretenden Felsen, hinter denen die zum Westen sinkende Mondscheibe öfters verschwindet. Jetzt stehen wir an einer Wand. Doch keineswegs an einer schlimmen; im Gegentheil, es las st sich unter Dennlers kundiger Leitung rasch und leicht hinaufklettern, denn überall sind hinlängliche Stützpunkte. Nur unser arme Sack- träger muss unter seiner schweren Last arg keuchen und schwitzen und die Dossenwand offenbar mehr als lang und steil genug finden. Doch auch für ihn, wie für uns, kommt bald das Ende der Mühsal. Es ist ungefähr 5 Uhr; im Osten zeigt sich die erste bleiche Dämmerung; da stehen wir, einen kurzen Augenblick ausschnaufend, an jenem Pfrnfeld, ob eigentlich Gletscher darunter war, konnte ich während des ganzen Hinaufsteigens nie sicher erkennen — welches sich an der Ostseite des Dossenhorns oben sehr steil, dann weiter unten in sanfterer Senkung bis zu der von uns eben überkletterten Dossenwand ausdehnt. Wir meinen es in wenigstens einer halben Stunde überwandern zu können, sind doch die obersten Dossenhornfelsen jetzt so nahe zu uns herangetreten und so sehr durch unser Steigen vor uns gesunken, dass sie gar nicht mehr imponiren. Aber « ohä », Dennler munkelt so etwas von einer guten Stunde, wenn nämlich der Schnee auch gut sei, und .er behält Recht gegenüber der uns äffenden Dämmerung. Denn wohl erweist uns der Schnee die Gefälligkeit, sehr gut zu sein, d.h. fest und bei jedem Tritt nur soweit nachgebend, als für sicheren Stand nöthig ist. Dennoch will 's fast nicht rücken mit dem Sattel dort oben rechts vom Dossenhorn. Und ob wir uns auch zuletzt, wo die Steigung ziemlich stark wird, an 's Seil binden, nicht weil eigentlich Gefahr wäre, sondern nur, um unfreiwillige Rutschparthien zu vermeiden und rascher vorwärts zu kommen, so ist die herrlich aufgehende Sonne, deren Kommen wir drunten kaum noch merkten, mit ihrer Lichtfülle doch vor uns oben auf dem Horn und sogar auf dem immer- hin noch ziemlich tieferen Sattel und erst einige Minuten später, d.h. nach ziemlich l1/^ Stunden, wir. Es ist über 6 Uhr, also die Strecke von unserem Nachtquartier bis zum Dossensattel für ein vernünftiges, d.h. auf 's Weitergehen berechnetes Marschiren immerhin auf 32 Stunden anzuschlagen.

Aber nun welch'ein " herrlicher Sattel, so klein und schmal er auch ist, dieser Dossensattel! Denn jetzt uns umwendend grüsst im Osten schon fast die ganze Herrlichkeit der Urner- und Glarneralpen etc.: Vom kecken Galenstocke an bis in 's Appenzellerland hinein ein majestätisches Garderegiment von Gebirgs-fürsten mit weissen glänzenden Helmen und blanken Gletscherschwertern an den dunkeln Seiten. Und hart vor uns die Kette der Engelhörner im Profil, deren graue Riesenrippen nun schon zum grössten Theil unter uns liegen. Fast gelüstet uns, als die zweiten, auf das in so herausfordernder Nähe stehende grosse Engelhorn zu klettern, welches nach Dennler's Aussagen im vergangenen Sommer, wenn ich mich recht erinnere, zum ersten Male erstiegen worden sein soll. Wenn nur dort jener schmale, schwindlige Grat nicht aus entsetzlich glattem Kalk, sondern aus Gneis oder Granit wäre. Mehr noch lockt darum von unserem Standort aus das keck dastehende Dossenhorn, dessen letzte steile, glatte Stufensätze Dennler, und wir wollen ihm ja schon glauben, von hier aus in fast einer Viertelstunde überwinden zu können erklärte. Aber « führe uns nicht in Versuchung. » Wir haben ja ein noch schöner und edler Ziel! Denn dort aus den grünen Tiefen des Rosenlauithals zieht sich der mächtige Rosenlauigletscher vor unsern Blicken, eine Eisterasse über die andere bauend, hier am Fuss der Engelhörner, dort an den Felsen des Wellhorns brandend, allmälig hinauf bis dort zu seiner wilden Wiege, dem'Wetter-kessel. Hinter dem Wetterkessel aber grüssen wir heute zum ersten Male 3 imposante Pyramiden, die der junge Tag mit goldenem Glänze überstrahlt, als wollte er sie wieder einmal zum Besuche schwacher Menschenkinder aufs Schönste schmücken. Das sind die 3 Wetterhörner. Ungefähr wie vom Gipfel des Wellhorns ( siehe das schöne Farbenbild von Fellenberg im V. Jahrbuch des S.A.C. ) stellen sich jetzt ihre stolzen Gestalten mit einem Schlage vor uns auf. Nur bringt der verschiedene Standort es mit sich, dass vom Dossensattel aus das Rosenhorn, als das nächste, am meisten imponirt, die Haslijungfrau dagegen am wenigsten, weil am weitesten entfernt. Gleichwohl jetzt Abschied von unserem Schleppfuchs und vorwärts, der Haslijungfrau zu!

Aber nur gemach! Nur ein einziger Weg führt nämlich vom Dossensattel zu dem wohl 300 m unter uns in jäh abfallender Tiefe liegenden obern Rosenlauigletscher. Und dieser Weg ist zudem nicht etwa fester, solider Felsen, sondern eine Schneekehle, die an den steilsten Stellen wohl 50 Grad Neigung haben mag. Zudem ist der Schnee in dieser Kehle nicht nur weicher als auf dem jenseitigen Firnfeld — das wäre nur erwünscht gewesen — sondern so weich, dass er zum Weichen von seiner unsichern Unterlage, d.h. zum Lawinenbilden einige Neigung verräth. Desshalb kommandirt Dennler Vorsicht, ge- naues Treten in seine Fussstapfen, Gänsemarsch und nicht Frontmarsch und was überhaupt an solchen Stellen nöthig ist. Und als einer meiner Hinterleute, ein kühner, verwegener, aber in den Tücken des Hochgebirgs noch wenig erfahrner Turner, eben an der steilsten Stelle zum naiven Vergnügen einer Rutschpartie Anstalten trifft, hat er eine an Deutlichkeit nichts zu wünschen lassende Strafpredigt und Ordnungsmotion bald weg. Das hilft, dass nun Alles nach dem Oberkommando geht. Und so wird nach einer Viertelstunde raschen Abstiegs die etwas heikle Stelle glücklich überwunden. Immerhin reut uns die dergestalt verlorne Höhe.Verlängert doch dieser Umstand, da das Verlorne natürlich nachher mit desto mehr Steigen wieder eingeholt werden muss, den Weg aufs Wetterhorn um wohl l'ü Stunden. Dazu zeigt sich uns jetzt, dass das Renfenjoch zur Linken ganz sanft und mit unbedeutendem Fall direkt zum Wetterkessel führt. Auch Dennler kann bei diesem Anblick die Bemerkung, nicht unterdrücken, er werde in Zukunft das übrigens von ihm schon mehrfach gemachte Renfenjoch als Wetterhornweg definitiv vorziehen. Warum er uns aber gleichwohl zum Dossenjoch führte? Wohl desshalb, weil es etwas eher und leichter zu gewinnen sein mag, besonders bei vielem frischem Schnee. Aber auf der andern Seite könnte doch das Wiedergewinnen der an der Dossenkehle eingebüssten Höhe bei weichem Firn im Wetterkessel so erschöpfend werden, dass die ganze Besteigung an diesem Umstand zuletzt misslingen würde. Darum wir allfälligen Nachfolgern das Renfenjoch in allererster Linie und erst im Nothfälle das Dossenjoch anrathen.

Jetzt aber weiter auf dem rechten Ufer des Rosenlauigletschers, anfänglich fast eben, dann allmälig immer mehr steigend. Glücklicherweise ist der Schnee von ordentlicher Beschaffenheit, d.h. obschon in grossen neuen Massen vorhanden, doch so weit gefroren, dass er im Allgemeinen dem auftretenden Fusse nicht zu tief nachgibt. Verhältnissmässig rasch gelangen wir daher, uns allmälig dem linken Gletscherufer zuziehend, in die milde Gletschermulde des sog. Wetterkessels Ein eigener Anblick, dieser Kessel, wo nach vorn die ganz nahe gerückten gewaltigen Wetterhörner alle weitere Fernsicht verdecken, wo jede Verbindung mit der grünen Thalwelt dem Auge abgebrochen wird, wo es rings um uns nur blendend weiss schimmert und über uns der wolkenlose, tiefblaue Herbsthimmel der Gebirge sich ausdehnt, wo der ewige Firn, bald zur Keehten, bald zur Linken von gewaltigen Schrunden zerrissen, uns die Wiege des Rosenlauigletschers verkündet. Wie da auch das trotzigste Herz unwillkürlich vom Gefühl seiner Ohnmacht und Kleinheit ergriffen wird, und wie da oben der wahre Bergfreund so recht schwelgen kann in jenen erhabenen Genüssen, die aus der schwülen Luft des Thales ewig verbannt sind! Indess auch hier « keine Rosen ohne Dornen. » Wie Mancher wohl, der hier hinaufstieg, hat nicht geseufzt nach dem Wettersattel, der dort zwischen Mittelhorn und Haslijungfrau so nahe scheint und auf den man doch trotz steten Wanderns und Keuchens so lange nicht zu kommen scheint! In unserer Kolonne wenigstens fängt nun das Geseufze auch an, besonders weil der Schnee schwierig zu werden anfängt und wir bei jedem Schritt tief und tiefer einsinken. Fast will da die Poesie in die Brüche gehen bei diesem nie enden wollenden Schnecstanipfen, das so gefahrlos und doch so erschöpfend. Und « o wetsch », sogar unser Hauptmann bekommt 's hier zuletzt genug und überlässt das Bahn-brechen seinem Gehülfen, und auf einigen Gesichtern will es sich sogar wie Vorboten des Bergkaters lagern. Glücklicherweise kommt er nicht zum Ausbruch. Denn « wo die Noth am grössten, da ist die Hülfe am,nächsten. » Die Uhr zeigt bald auf elf. Da ist der Wettersattel erstürmt; da grüssen wir bewundernd die herrliche Gebirgswelt, die hier im Westen mit einem Schlage aus den grünen Niederungen Grindelwalds aufsteigt, Horn um Horn, Zinne um Zinne, bis dort zum Riesenbau des Schreckhorns. Nun keine lange Rast. Der kalte, starke Gletscherwind lässt ja doch hier nirgends « himmlisches Behagen » im Ruhen finden; zudem das Ziel so nahe, der Himmel so herrlich rein, kein einziges Gipfelchen in ein Nebelchen gehüllt. Darum rasch ein guter Rother zur Stärkung und Erwärmung: dann wird alles Entbehrliche in sichern Felsen versteckt; die langweiligen Hüte, die immer fortfliegen wollen, müssen, von Steinen beschwert, den Tornistern Gesellschaft leisten ( unartige Kinder machen den versprochenen Spaziergang nicht mit ), an ihrer Stelle freuen sich unsere nach Oberländerinnen-Manier um die Köpfe geschlungenen Nastücher, dass sie ganz unerwartet zum Genuss derWetterhornaussicht kommen sollen, und schon geht 's wieder vorwärts oder besser gesagt steil aufwärts. Doch er sei hier nicht weiter beschrieben, der schon so oft beschriebene Gipfel des vorderen Wetter- Wetterhorn.79} horns. Nur einige Andeutungen über unsern Weg und dessen Beschaffenheit. Ganz gut und ohne weitere Schwierigkeit gings nämlich im Anfang an der westlichen ziemlich « aberen », felsenreichen Kante der Südseite hinauf. Nur dass sich hier unser, von der Schnee-brecherei im Wetterkessel etwas geschlagene Kommandant das eigenthümliche Vergnügen machte, hart am gähnenden Abgrund zirka 10 Minuten zu schnarchen, als läge er noch d'runten auf. der sichern Heubrüge. Ich muss gestehen, dass ich an dieser Stelle jedenfalls nicht so bald in Morpheus Arme gesunken wäre. Das aber ist mir fast noch merkwürdiger, wie der bärtige Schläfer nach rechter Führerart nach den 10 Minuten wieder vollständig leistungsfähig aufspringt. Und es ist gut so für ihn und uns. Denn jetzt wird 's etwas heikel, und muss er uns, weil « kein anderer Weg nach Küssnacht führt », buchstäblich auf 's Glatteis führen und auf einer langen Strecke, welche sonst bei gutem Schnee gar keine Schwierigkeit bietet, für jeden Schritt Stufen hacken. Und zwar ganz gehörige, weil ein Ausgleiten uns hier ohne besondere Anstrengung ziemliche Verlegenheiten bereiten könnte. Kurz, wir verlieren hier, von der westlichen nach der östlichen Kante traversirend, ohne dem Gipfel viel näher zu kommen, eine ganz ungemüthliche halbe Stunde. Und schon will Dennler, als wir nach deren Verfluss einige sichere Felsen erreicht haben, auch für die letzte noch zirka viertelstündige Etappe ein bös Gesicht machen. Denn vor uns auf dieser steilsten Strecke nichts als weicher, rutschsüchtiger Schnee, dem besonders in Erinnerung an das Glatteis hinter uns nicht zu trauen ist. Und dort hoch oben die Gipfeigwächte, fast überhängend gegen uns und um ihrer Grösse willen auch von fraglicher Treue! Vielleicht jetzt noch Rückwärtskonzentration? Nein. Wenigstens vorher noch ein kühner Sturmlauf! Und der gelingt über Erwarten! Schritt für Schritt sich tief in den weichen Schnee stampfend, rückt unsere Kolonne vorsichtig aber sicher und unbehelligt wie auf einer steilen Treppe vorwärts. Noch 15 Minuten; da steht Dennler an der Gwächtwand und haut und stampft sie mit gewaltiger Kraft zum festen Hinaufsteigen zusammen, gleich nachher ist er droben '; dann gilt 's auch mir, « wer weiss, wie das geschah? » Im nächsten Augenblick ( es ist 12 Uhr 15 Min. ) liegt unter mir des Wetterhorns luftige Spitze und rings um mich in der ganzen Klarheit eines sonnigen Herbsttages seine imposante, überwältigende Fernsicht. Diese selbst zu beschreiben, unterlasse ich aber; denn bessere Federn, als die meine, haben 's schon gethan, und will ich daher nicht wiederkäuen. Und dann mag Einer immerhin sie nennen und zählen « all' die Völker, all' die Namen, die gastlich hier zusammen kamen, » den Gesammteindruck dieses ergreifenden Schauspiels zu schildern, geht ja doch über Menschenfedern hinaus. Statt Vielem daher nur eines. Wohl ist die Wetterhornaussicht nach Osten und Südosten unendlich reich; wohl lenkt nach Südwesten namentlich die majestätische Gruppe des Schreckhorns immer wieder die Blicke auf sich; aber noch mehr fesselt nach Norden die fast senkrecht d'runten liegende ungeheure Tiefe hier des grünen Grindelwaldthaies, dort des felsumkränzten Rosenlauigrundes. Und als sollte diese Tiefe dem schwindelnden Auge noch recht klar werden, erhebt sich aus ihr das vielgefurchte, runzelige Schwarzhorn: ein Riese von unten, von hier oben aber ein fast unscheinbar Zwerglein.

Indessen sind uns nur 20 Minuten Aufenthalt auf unserem luftigen Göttersitze vergönnt, nicht der Temperatur wegen; denn die würde uns noch lange nicht geniren, aber der Oktobertag ist eben so kurz als schön und der Weg nach Grindelwald weit und rauh. Darum Adieu Wetterhorn, Dank für deine freundliche Aufnahme und vielleicht auf Wiederseh'n? Unser Absteig zum Wettersattel erfolgt ohne jeden Unfall, rasch, zuletzt pfeilschnell rutschend, in fröhlichster Stimmung. Dort wieder angekommen, noch eine Flasche; denn das Böste ist überstanden, dann Tornister auf und, weil 's pressirt, halt schon wieder vveiter, abwärts dort der grünen Oase des Glecksteins zu. Nach der bekannten Kletterei, während welcher einmal ein Steinschlag in unheimlicher Nähe über meinem Kopfe vorbei saust, erreichen wir etwas nach 4 Uhr das vielgenannte « Hotel Weisshorn ». Ein Blick in seine kleinen hölzernen Räume zeigt uns aber, dass wir mit unsern Ansprüchen auf etwas Warmes hier kein Gehör finden, sondern unsere Ausdauer noch mehr anspannen müssen. Desshalb steigen wir nach kaum viertelstündiger Pause mit thunlichster Schnelligkeit die so gut und passend angebrachten Leitern hinunter ( eine stellenweise Renovation derselben dürfte übrigens zu grösserer Sicherheit in nicht zu ferner Zeit angezeigt sein ), passiren ohne Unfall die bekannten, etwas schwierigen Kalkplatten ( zu grösserer Sicherheit, namentlich für ermüdet 6 vom Wetterhorn zurückkehrende Touristen, sollten die dortigen Tritte stellenweise etwas verbessert und erweitert werden, was ja mit wenig Kosten geschehen könntedann muss uns Dennler einen nach dem andern am Seil zum obern Grindelwaldgletscher hinablassen, weil keine andere Möglichkeit ist, seine tief eingesunkenen Eismassen von der glatten Seitenfelswand aus zu erreichen. Das ist ein unwillkommener Zeitverlust bei der schon weit vorgerückten Dämmerung. Indessen traversiren wir auch so bei fast vollständig eingebrochener Nacht den ziemlich verschrundeten Gletscher glücklich und erreichen im jenseitigen Felsenloch das langersehnte Ende aller Schwierigkeit und Gefahr. Jetzt noch die steilen aber soliden Leiter-treppeu hinunter und am Fuss des Gletschers ein erquickend Flaschenbier zur Gemüthsberuhigung geschlürft; dann fühlen wir wieder breiten, sichern Weg unter den Füssen, und ihm folgend betreten wir um 8 Uhr die gastliche Schwelle des Hotel « Eiger » in Grindelwald.

Was wir dort nach des Tages Anstrengungen getrieben, kann sich der geneigte Leser wohl denken, besonders wenn er selbst schon etwas in der Höhe « gewest » ist. Jedenfalls dürfen wir es mit gutem Gewissen als grobe Verläumdung bezeichnen, wenn die heilige Gydisdorfer-Hermandad uns etwa folgenden Tages wegen Nachtlärm angeschwärzt hat. Denn erst spät am folgenden Tage schlenderten 4 sonnenverbrannte Touristen das Thal hinunter. Und dort bei Zweilütschinen nach Interlaken umbiegend, grüssten sie nach manchem freundlichen Rückblick zum letzten Male das im Sonnen- glänze eines wolkenlosen Oktobertages herrlich in 's Thal hinab strahlende Wetterhorn.

Anhangsweise notiren wir noch die Distanzen: Aufbruch von der Enzenalp Morgens 2'/2 Uhr, Ankunft in Grindelwald Abends 8 Uhr. Zeitdauer des Marsches also im Ganzen 17'/2 Stunden. Davon kommen in Abzug:

Pause auf dem Dossenjoch15 Minuten, 1.« « « Wettersattel 15 « Gipfe120 2.« « « Wettersatte115« « beim Gleckstein15« « beim obern Gletscher20« Summa 100 Minuten.

Weglänge netto also zirka 16 Stunden, nämlich bis zum Dossenjoch 3 7 », Wettersattel 4]/2, Gipfel 1, Gleckstein 3[/2, Grindelwalddorf 3'/2 — 16.

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