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Der Alpenübergang Hannibals

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VON RUDOLF FISCHER, SOLOTHURN

Mit 2 Skizzen Über welchen Pass der Westalpen zog der karthagische Feldherr Hannibal mit seinem Heer im Herbst des Jahres 218 v.Chr., um vom Rhonetal aus nach Oberitalien zu gelangen? Immer wieder wird diese Frage an den Altertumswissenschafter gerichtet. Sie hat, ein Tummelplatz für Dilettanten, schon viel Tinte und Druckerschwärze gekostet, doch darf sie heute als eindeutig gelöst gelten 1. Weil diese Lösung aber noch nicht die Verbreitung gefunden hat, die ihr gebührt, möchte ich sie - es handelt sich also nicht um neue Ergebnisse - mit diesem kurzen Bericht über den Verlauf des Hanni-balzuges all denen, die sich aus Interesse, Freude oder Leidenschaft mit der Alpenwelt befassen, in Erinnerung rufen.

Bevor wir jedoch ins Gelände gehen, haben wir auf die beiden wichtigsten Beschreibungen, die uns aus dem Altertum erhalten sind, hinzuweisen. Die eine finden wir im Werk des griechischen Historikers Polybios, der im zweiten vorchristlichen Jahrhundert zeitweise in Rom lebte und Begleiter des jüngeren Scipio war, die andere beim augusteischen Geschichtsschreiber Livius2. Für beide muss Skizze 1 1 Siehe vor allem Ernst Meyer, « Hannibals Alpenübergang », Museum Helveticum 15 ( 1958 ), 227ff ., und 21 ( 1964 ), 99 ff.; vom gleichen Verfasser stammt die Rezension des Buches « Alps and elephants » von Sir Gavin de Beer, « Die Alpen » 1956, Chronik, S. 16 f. Vgl. zudem die verschiedenen Publikationen von Marc de Lavis-Trafford, vor allem den Aufsatz « Le col alpin franchi par Hannibal », St-Jean-de-Maurienne 1956.

2 Polybios III 47-60; Livius XXI31-38. Übersetzungen: Polybios im Artemis-Verlag; Livius z.B. im Reclam-Verlag.

Die Alpen - 1%9 - Les Alpes eine gemeinsame, uns nicht mehr erhaltene Quelle angenommen werden: die Schilderung des Silenos, der selber am Zug des Hannibal teilgenommen hatte. Die Darstellung des Polybios ist ausführlicher und in vielen Teilen genauer als die des Livius. Er benutzte den Silenos-Bericht ohne Vermittlung, während Livius ihn dem Werk eines älteren römischen Historikers entnahm und zudem Stücke eines weiteren Geschichtsschreibers einfügte, die der Schilderung zwar mehr Farbe gaben, die aber reine Schreibtischerfindungen sind und mit den Tatsachen wenig oder nichts gemeinsam haben. Wir werden bei Gelegenheit darauf zurückkommen.

Erst nach Klärung der Quellenlage ist es möglich, den Weg und den Pass zu suchen ( vgl. Skizze l)1. Ausgangspunkt des Überganges ist auf jeden Fall das Isèretal, Endpunkt das Gebiet der Tauriner, d.h. die Gegend um Turin. Livius nennt vor der eigentlichen Schilderung Namen ( 31,9-12 und 32,6 ), die eine Marschroute Drômetal-Col de Cabre-Veynes-Gap-oberes Durancetal-Col du Mont Ge-nèvre-Turin angeben. Sie entspricht dem Verlauf der nach der Zeit Hannibals benutzten römischen Hauptstrasse. Die genaue Beschreibung des Zuges stimmt aber mit diesem Weg nicht überein. Die ganze Stelle ist deutlich zur « Verbesserung » des Berichtes, den wir bei Polybios ohne Namen lesen, eingeschoben worden. Der Autor, dem Livius hier folgt, hat ganz einfach geographische Angaben aus dem Bereich der Westalpen eingesetzt, die ihm und dem Leser am ehesten bekannt waren, also die der damals wichtigsten römischen Strasse in jenem Gebiet. Polybios nennt keine Namen, denn, so wird er sich gedacht haben, was würden sie einem Leser, der jene Gegend nicht näher kennt, schon sagen?

Hannibal verliess, wie Polybios berichtet, mit 38000 Fussoldaten, über 8000 Reitern, den Lasttieren und den Elefanten die Rhone und bog ins Isèretal ein. Ohne Mühe zog das Heer durch das breite, fruchtbare Tal. Erst 800 Stadien ( 142 km ) hinter der Isèremündung begann der eigentliche Gebirgsmarsch ( Polybios 50,1 ). Nach Pontcharra, das auf einer Höhe von ungefähr 250 Metern il. M. liegt, führte der karthagische Feldherr seine Leute zunächst durch das schluchtartige, dann sich weitende Gélontal ( über das heutige La Rochette ), überschritt den 1202 Meter hohen Col du Grand Cucheron und stieg ins Arctal ( über St. Alban ) ab. Dieser Übergang war nötig, um die unwegsame, enge Stelle vor der Mündung der Arc in die Isère zu umgehen. Die Gallier versuchten den Pass zu sperren. Aber da ihre Wachtposten nachts abzogen, gelang es Hannibal, die wichtigsten Punkte selber zu besetzen, um am folgenden Tag - es war der dritte seit Pontcharra -den Durchzug des ganzen Heeres einigermassen zu decken. Das stellenweise enge und steile Gelände brachte, zusammen mit den feindlichen Störaktionen, den Karthagern während des Anstieges trotzdem beträchtliche Verluste.

Nach Einnahme des befestigten Ortes unterhalb des Passes und nach einer kurzen Rast zog Hannibal drei Tage lang in der Maurienne talaufwärts. Geländeschwierigkeiten gibt es im bald breiteren, bald engeren Arctal vor Modane nirgends. Das Heer wurde während dieses Marsches nicht mehr angegriffen. Es legte dabei gegen 60 Kilometer zurück.

Am vierten Tag, d.h. am siebten seit Beginn des Alpenmarsches, bedrohten es die Anwohner des Weges erneut. Sie hatten dem karthagischen Feldherrn zuvor heuchlerisch ihre Freundschaft angeboten und ihn begleitet. Als sich das Heer aber in der Schlucht zwischen Modane und Bramans befand, benutzten sie die Gelegenheit, es im Nahkampf und von oben - sie liessen Felsblöcke hinunterrollen - am Durchmarsch zu hindern. Hannibal konnte dann den Zug von einer nackten, steilen und unangreifbaren Höhe aus decken, wahrscheinlich vom Felsriegel aus, der das Tal hinter Avrieux beherrscht; andere Stellen kommen weiter talaufwärts in Frage. Als er nachts die Reiterei und die Lasttiere durch die Schlucht gebracht hatte - auch da gab es natürlich etliche Verluste -, zog er, ohne von grösseren feindlichen Angriffen belästigt worden zu 1 Auf die Diskussion in Fachkreisen möchte ich nicht weiter eingehen, weil darüber in den erwähnten Arbeiten schon zur Genüge berichtet wird.

Skizze 2 sein, weiter bis auf die Passhöhe, die er am neunten Tag erreichte. Dieses letzte Wegstück, den Pass und die Abstiegsroute, wollen wir uns nun noch etwas näher ansehen ( Skizze 2)1.

Das karthagische Heer verliess bei Bramans, das auf einer Höhe von etwa 1250 Metern liegt, das Tal der Arc und stieg zunächst auf der linken Seite des Ambintales in die Höhe; es umging so die Mündungsschlucht des Ambinbaches. Die Marschroute entspricht ungefähr dem Verlauf der heutigen Strasse, nur wird der einstige Weg nicht die abschüssige Stelle passiert, vor der heute die Kapelle Notre-Dame de Délivrance steht, sondern vorher direkt auf das weniger steile Gelände der Chalets des Combes, die auf über 1650 Meter liegen, geführt haben. Auf einer Strecke von nur mässiger Steigung erreichte der Zug darauf Le Planey ( 1700 m ), wo der « ruisseau d' Ambin » zu überqueren war. Es folgte dann wieder ein steileres Wegstück, das von Le Planey aus über La Fesse du Haut die schroffe untere Nordostseite des Tales überwindet und auf eine weniger abschüssige Grashalde führt. Sie bildet gegen Nordosten den heutigen Col du Petit Mont Cenis ( 2182 m ), von dem aus sich ein weites, sanft geneigtes Tal zum Mont-Cenis-See hinzieht. Gegen Südosten führt sie ins Vallon de Savine, das die Karthager kurz nach jener steilen Stelle erreichten. Dieses Hochtal verläuft parallel zum unteren Teil des Ambintales. Der Aufstieg von Le Planey her wäre im übrigen auch auf der Südseite des unteren « ruisseau de Savine » möglich.

1 Vgl. dazu die Blätter XXXV 34 Modane, XXXVI34 Lanslebourg und 35 Mont d' Ambin der Carte de France 1:50000 ( oder die entsprechenden Blätter der Karte 1:20000 ) und Blatt 54II NE. Exilles der Carta d' Italia 1:25000.

Im hintersten, breiteren Teil des etwa fünf Kilometer langen, nur wenig ansteigenden Vallon de Savine liegt der Lac de Savine, von dem aus man in kurzer Zeit, fast ebenhin, bis zur Einsattelung gelangen kann. Hannibal gönnte seinem Heer hier oben zwei Tage lang Ruhe und wartete auf Nachzügler. Platz gibt es auf der französischen Seite für ein Lager mehr als genug.

Das beinahe einen Kilometer breite Joch, das heute die Grenze zwischen Frankreich und Italien bildet, hat eine östliche und eine westliche Einsenkung. Dazwischen erhebt sich ein Buckel, der vom Vallon de Savine her ohne wesentliche Steigung erreichbar ist, der aber gegen Süden steil abfällt. Von ihm aus bietet sich bei gutem Wetter ein prachtvoller Blick ins Tal des Canale di Giaglione ( Clareatal ) und ins zunächst quer dazu verlaufende Haupttal der Dora Riparia. Wendet man sich gegen Osten, so kann man das gleiche Tal, das bei Susa Richtung Turin umbiegt, weiter verfolgen. Bei klarer Sicht ist sogar die rund 2000 Meter tiefer liegende Poebene erkennbar. Auf diesen Buckel führte Hannibal seine Leute, um sie nach den erlittenen und vor den kommenden Strapazen aufzumuntern. Er zeigte ihnen Italien, das vor ihren Augen ausgebreitet lag. Die Alpen, heisst es bei Polybios ( 54,2 ), seien die Burg ganz Italiens. Livius lässt den Hannibal zu seinen Soldaten sogar sagen ( 35, 9 ), er sei mit ihnen jetzt nicht nur daran, die Mauern Italiens, sondern auch der Stadt Rom zu überschreiten. Von allen Pässen, die für den Übergang des Hannibal ernstlich in Betracht gezogen worden sind ( Petit Mont Cenis, Grand Mont Cenis, Mont Genèvre, Petit St-Bernard ), hat einzig das Jochzwischen dem Savinetal und dem Clareatal den erwähnten Bergvorsprung mit einer solchen Sicht auf die Poebene, ganz abgesehen von anderen Einzelheiten, die alle nur auf die hier skizzierte Route passen.

Wenn ich bis jetzt keinen Namen nannte, tat ich es aus dem ganz einfachen Grunde, weil es für den ganzen Pass keinen allgemein gebräuchlichen gibt. Die östliche, niedrigere Einsattelung trägt die Bezeichnung Col de Clapier ( 2482 m ). Von ihm aus führt heute ein schmaler Weg auf äusserst steilem Gelände direkt ins Giaglionetal. Einer Luftdistanz von 2,3 Kilometern entspricht dabei ein Höhenunterschied von etwa 1100 Metern. Über einen solch abschüssigen Hang konnte ein Heer, wie es Hannibal anführte, nicht absteigen. Die Karthager sind vielmehr über den westlichen Pass gezogen, dessen tiefster Punkt heute eines Bergsturzes wegen höher liegt als früher ( 2520 m ). Lavis-Trafford nannte ihn Col de Savine-Coche; offiziell heisst er seit 1961, dem englischen Forscher zu Ehren, Pas de Lavis-Trafford. Im 18. Jahrhundert spielte er unter dem Namen Petit Mont Cenis eine grössere Rolle als in unseren Tagen ( erst im 19. Jahrhundert wurde diese Bezeichnung auf den heutigen Col du Petit Mont Cenis, der früher Coulour hiess, übertragen ). Lavis-Trafford hat - dies sei nur nebenbei bemerkt - dem ganzen « Hannibalweg » entlang alte Strassenreste gefunden; einige scheinen vorrömisch zu sein, andere ziemlich sicher römisch und jünger. Heute hat der Pass wegen der Mont-Cenis-Strasse keine grosse Bedeutung mehr. Es finden sich deshalb auf der französischen Seite nur bescheidene Fusspfade. Die steilere Südseite wurde jedoch zur Mussolini-Zeit mit guten Strässchen versehen, die heute aber stellenweise bereits wieder zerfallen sind.

In einem weiten Bogen wird Hannibal seine Leute wohl von diesem Pass aus gegen Westen in einen kaum 100 Meter tiefer liegenden Talboden geführt haben1. Dann hatte das Heer auf einem fast horizontal verlaufenden Wegstück einen recht abschüssigen Hang zu traversieren. Dieser Pfad war an der steilsten und engsten Stelle wegen eines jüngeren Bergrutsches für die Lasttiere und die Elefanten unpassierbar geworden. Zuerst wurde versucht, diese Schwierigkeit zu umgehen, offenbar über weiter hinten liegende Halden und Couloirs. Doch waren gerade diese Stellen von altem Schnee angefüllt, auf dem erst noch eine frische, weiche Schneedecke lag - es war ja schon Herbst. Die Soldaten glitten auf der harten unteren Schicht aus. Die Lasttiere traten beim Aufstehen nach einem Sturz 1 Für das folgende Wegstückfehltauf der französischen Karte jede Spur eines heutigen Pfades, auf der italienischen Karte ist jedoch, den Tatsachen entsprechend, ein leicht begehbarer Weg eingetragen.

auch diese feste Decke durch und blieben stecken. Hannibal gab den Umgehungsversuch auf, liess biwakieren und den Weg ausbessern. Lasttiere und Pferde konnten bereits nach einem Tag hinübergeführt werden. Der Weg erreichte gleich anschliessend eine weite, leicht geneigte Grashalde, die diesen Tieren - vielleicht bei den Granges de Touille - als Weide diente. Für die Elefanten war der Pfad erst am dritten Tag nach dem Abmarsch von der Passhöhe genügend ausgebessert.

Livius erzählt ( 37, 2 f. ), dass bei der Instandstellung des Weges der Fels mit Hilfe eines grossen Feuers erhitzt und durch Essig, den man darüber goss, gesprengt wurde. Diese Sätze fehlen bei Polybios. Sie sind sicher eine rein literarische Erfindung, die Livius bei jenem Autor gefunden hat, dem die Schilderung des tatsächlichen Wegebaues zu wenig interessant war und der seine Darstellung deshalb mit dieser Beschreibung der Felssprengung « verbessern » wollte. Wo sollen denn Hannibals Leute hier oben, über der Waldgrenze, die riesigen Bäume gefunden haben, und wo soll denn eigentlich an dieser abschüssigen Stelle Platz gewesen sein für den gewaltigen Holzstoss?

Von den Granges de Touille an, die auf etwa 2000 Metern Höhe liegen, gibt es drei Möglichkeiten, ins Tal der Dora Riparia abzusteigen: entweder direkt gegen Osten ins Clareatal, dann der Clarea entlang und schliesslich gegen Susa, oder gegen Süden über den wenig höher gelegenen Col des Quatre Dents und direkt nach Chaumont hinunter an die Dora Riparia, oder weniger steil vom Col des Quatre Dents aus dem Berggrat entlang gegen Osten bis zur heutigen Chapelle Blanche ( 1390 m ) und dann gegen Südwesten nach Chaumont hinunter.

Man vermutet, dass die Infanterie, von der während des Abstieges nie die Rede ist, nach jener steilen Stelle hinter Le Planey auf dem wesentlich leichteren, aber etwas längeren Weg über den Petit Mont Cenis das Tal der Dora Riparia erreicht hat, während Hannibal mit der Kavallerie und den Tieren den wenig kürzeren Übergang benutzte. Die Berichterstatter erwähnen den Zug der Fuss-soldaten nicht, weil Silenos selber wohl den Feldherrn begleitete und es von jenem Marsch anscheinend auch nichts Besonderes zu erzählen gab.

Die Strecke von Susa bis an den Rand der Poebene bot keine Schwierigkeiten mehr. Grössere feindliche Angriffe unterblieben. Bedeutende Verluste hatte hingegen auf dieser Seite des Passes das steile Gelände, vor allem zu Beginn des Abstieges, verursacht.

Für den ungefähr 160 Kilometer langen Weg über die Alpen, von Pontcharra bis an den Rand der Poebene ( etwa 25 km vor Turin ), brauchte Hannibal mit seinem Heer 15 Tage ( Polybios 56, 3; Livius 38,1 ), bei all den Schwierigkeiten eine beachtliche Leistung. Allerdings überstanden nach Polybios nur ungefähr 20000 Fussoldaten und 6000 Reiter den mühsamen Gebirgsmarsch; fast die Hälfte des Heeres war den Überfällen und dem ungewohnten Gelände zum Opfer gefallen.

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