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Der Berg

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VON MAX OECHSLIN

Aus Urwelttiefen stieg der Berg empor und steht nun mit seinen breiten Flanken hinter dem Tal. Hoch ragen die Felszinnen hinein in den Himmel, die im Lauf der Jahrtausende von der Verwitterung mit Furchen und Rillen gezeichnet wurden. Burgen und Bastionen gleich stehen die Wände, in denen die Abendsonne mit purpurnem Lichte spielt und im Regentag ein Orgeln ertönt, wenn der Talwind von den Gletschern niederbraust. Die Geröllhalden zeichnen ihre Füsse und greifen in die Weiden hinunter, die Menschen im Laufe ihrer Zeit Schritt um Schritt überall da schufen, wo nutzbares Gebiet gefunden werden konnte. Wald schliesst sich an, dieser ewige Wald mit seinem Buschwerk und dem Knieholz zuerst, dann immer geschlossener und wuchtiger werdend, voller Kerzen-bäume der Rottannen, an denen die Flechtenbärte hängen, Lärchen, jeder ein selbstsicherer, eigen-geformter Baum. Schutzwald dem Tal, das sich in der Tiefe breitet mit grünen Wiesen und fruchtbaren Äckern, mit Weilern und Dörfern, Wegen, Stegen und Strassen.

Und da und dort durchfurcht ein Graben die Flanke des Berges, durchschneist ein Lawinenzug den Bergwald. Zeichen der Urgewalten im Bergland, die, wie die Brandung des Meeres die Küste ruhelos bespült, immer wieder die Schriftzüge der Gewalt der Berge bleiben: Wildbäche und Lawinen.

Und eine Terrasse liegt im Hang, mitten drin, die Menschenhände mühsam gerodet und dem Walde abgerungen haben, während Jahrzehnten, um im Schutz einer Hangrippe oder eines Felsblockes das Heimetli zu bauen und Dach und Gmach für die Familie zu finden, den Stall für das Vieh, die Wiesen als Futterland, ein Stück Acker für Brot. Sie stehen im Schutz des obliegenden Waldes, zu beiden Seiten gleichfalls eingegrenzt von den Tobein, durch die bei Unwetter der Wildbach tobt und im schneereichen Winter die Lawinen niederdonnern. Mühsam ist der Saumweg, der steil vom Tal hinauf zum Bergheimwesen führt. Nur die Kinder müssen ihn täglich nehmen, wenn sie zur Schule gehen und wieder Heimkehr halten; sonst geht man ihn nur, wenn es sein muss. Kommt der Abend, ist die Arbeit getan und liegt das stille Leuchten über den Bergen und flutet noch einmal ins Tal, dann verweilt der Bergbauer eine Spanne vor seinem Haus: vor Jahren war es, dass die Rüfi mitten im Sommer durch das hintere Tal sich schob, als ein Gewitter sich hoch am Berg in den Wänden ballte und entlud. Donnerschläge liessen das Haus erzittern. Der Blitz schlug in die grosse Weidtanne und zersplitterte sie. Und dann schwoll der Bach zum wilden Ungetüm an, riss Hänge ein und schleppte zuletzt eine alles überschüttende Rüfi zur Tiefe, die beim kleinen Acker das Ufer überbordete, den Schutt über das eben im Reifen stehende Korn trug und den Kartoffelacker zerstörte. Knietief lagen Steine und Schlamm. Und wochenlang hatten Bauer und Bäuerin und die Buben und Maitli zu schaffen, bis das Feld wieder geräumt war, Karren um Karren, Korb um Korb voll Wildbachgeschiebe in die Wuhr und auf den Wall getragen waren. « Aber wir bezwingen ihn immer wieder », meint der Bauer. « Schon der Vater hat 's vermocht. » - Und dann war ein schneereicher Winter. Schnee fiel, immer wieder Schnee. Schnee. Schnee! Hoch lag er auf dem Scheunendach. Zerriss Bäume. Es hellte erst Ende Jänner auf. Aber der warme Bergwind fiel ein. Die Kinder durften nicht zur Schule ins Tal. Bangen lag ringsum. Im ersten Tage donnerten die Lawinen. Auch in der Steilweide ob des Bauern Heimetli rissen die Schneemassen los, und glitten zur Tiefe. Erst ganz breit. Dann, glücklicherweise, dem Tobel zu. Aber sie rissen Wald mit, schönen, alten Tannwald. Die Stämme wurden wie Zündhölzer zersplittert und ins Tal getragen, stopften ob dem Heimetli den Durchgang, so dass ungeheure Lawinenschneemassen übers Wiesland fuhren. Harte Schneeknollen, voll Steine und Dreck. Es brauchte lange Regentage und viel Frühlingssonne, bis die Schneehaufen weg waren, viel Arbeit, bis die Räumeten im Tobel lagerte. Erst im Juni schmolz das letzte Häuflein Schnee. « Auch damit wurden wir fertig », sagte der Bergbauer vor sich hin. « Wir sind immer wieder damit fertig geworden, und es hat immer wieder Gras gegeben und Korn. » Ja, das ist es eben, was den Bergbauern ausmacht, was ihn gegenüber dem Talbauer zeichnet, vielleicht sogar auszeichnet: dass er immer wieder mit den Dingen fertig wird, mit den Gewalten des Berges fertig zu werden weiss, mit Wildbächen und Lawinen, mit dem Steinschlag, mit allem, was Not bringen wird. Er wird fertig damit, weil er weiss, dass hernach wieder gut zu leben ist, frei, schollenverbunden, abseits der Unrast und vom Lärm des Unterlandes. Hier oben unterm weiten Himmel, im Licht und Schatten der Urberge. Schon der Vater war hier, der Urgrossvater auch und noch früher die Väter der Sippe mit den Müttern und Frauen, die auch am altüberlieferten Boden festhielten. Ein Stück Eigen! Wird's der Bub auch behalten, er, der ab und zu voll Sehnsucht ins Tal hinunter blickt und meint, es wäre dort viel schöner, viel bequemer... Vielleicht... Aber da oben am Berg ist die Weite. Man ist näher dem Himmel!

Gewaltigen Trutzmauern gleich steht der Berg ob dem Tal, ob dem Heimwesen des Bergbauern, das auf freier Terrasse liegt. Am frühen Morgen spielt die Sonne mit ihrem goldenen Licht auf den Graten und Rippen und kriecht wärmend in die Rinnen und Mulden, bis in der Mittagsstunde der gleissende Glanz auf den Firnen ruht. Und ist Regentag mit ziehenden Nebeln, dann hält man das Warten, bis wieder sonniger Tag ist. Immer kam er wieder, mit dem Abend, der das purpurne Licht als letztes Leuchten über den Berg trägt und die Schatten ins Tal und die Ruhe und Stille breitet.

Die Urwelt der Berge ist die Ewigkeit!

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