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Der rätische Jägerfürst Gian Marchet Colani

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9Von W. E. Aeberhardt

Mit 2 Bildern ( 172, 173Arch, Bern ) Der Schreibende darf voraussetzen, dass Jakob Christoph Heers viel-gelesener Roman aus dem schweizerischen Hochgebirge « Der König der Bernina » bekannt ist. Heers Verdienst um die Schaffung und Einführung des guten schweizerischen Gebirgsromans in die Weltliteratur ist nicht hoch genug zu bewerten. « Der sittliche Atem », der in den Werken Heers weht ( wie sich Prof. Rud. Hunziker in seiner Gedächtnisrede auf J. C. Heer am 23. Juni 1928 ausdrückte ), ist es, welcher die Bücher des Dichters dem Volk lieb macht und den zahlreichen Auflagen rief. Der Leser nimmt innigen Anteil am Schicksal des Romanhelden Markus Paltram und seiner Geliebten Cilgia Premont. Weniger wird den mit den Örtlichkeiten der Handlung und vollends mit dem Volkscharakter der Oberengadiner vertrauten Leser das unheimliche, mysteriöse, ja dämonische Element, das Heer der Gestalt Colanis andichtet, befriedigen können. Sicher ist, dass Colani über seine Darstellung in J. C. Heers Roman seelisch furchtbar gelitten hätte. Wie meisterhaft auch der Aufbau der Erzählung ist, wie gewählt die Sprache des Dichters, wie flüssig die Diktion und psychologisch fein die Motivierungen durchdacht sind, Heer tat dem grossen Bündner Jäger ein schier unentschuldbares Unrecht dadurch an, dass er ihn nicht befreite von den Verleumdungen und ehrenrührigen Verdächtigungen, die schon zu Lebzeiten des Romanhelden in Deutschland erhoben wurden und bis in seine Heimat drangen, wodurch Colanis letzte Lebensjahre getrübt und sein Charakterbild entstellt wurde. Beim Erscheinen des Romans « Der König der Bernina » vor etwas mehr als fünfzig Jahren waren denn auch viele Bündner, die das Urbild des Markus Paltram besser kannten als Heer, ungehalten über die Zeichnung, die der Dichter von seinem Helden entworfen hatte. Diesen Engadinern, unter ihnen z.B. Landammann Saratz, bei dem der Dichter Erkundigungen über Leben und Charakter Colanis eingezogen hatte, war Colani nicht « der düstere Jäger, als Mörder verschrien ».

Es liegt dem Schreibenden fern, dem Dichter das Recht freier Gestaltung abzuerkennen; doch ist es unverständlich, dass ein J. C. Heer der Fama, die so lange den Namen des einzigartigen Nimroden verunstaltete, Glauben schenken konnte. Es standen ihm doch damals bereits neben der mündlichen Tradition seriöse literarische Zeugnisse zur Verfügung. In erster Linie Victor von Scheffels Reisebriefe « Aus den rhätischen Alpen » ( 1851 ). Der Dichter des « Ekkehard » und des « Trompeters von Säckingen » liess sich vom Sohne Jan Colani in Pontresina, der ein geschätzter Bergführer war, auf seinen Wanderungen begleiten. Scheffel schreibt: « Als Führer zum Gletscher stellte sich Jan Colani von Pontresina ein, der Sohn des grossen Nimrod Jan Marchiett Colani, der 1837 das Zeitliche segnete, nachdem er von seinem 20. bis 65. Jahr, nebst mehreren Bären, Steinböcken und Hirschen, mehr als zweitausend Gemsen das Lebenslicht ausgeblasen hatte. Jan Marchiett, dem Alten, hat die deutsche Literatur das Schlimmste angetan, was einem Graubündner seit Sebastian Münsters, Cosmographey'passieren kann - er kam noch bei Lebzeiten gedruckt in deutsche Blätter. War so im Jahre 1830 ein deutscher Reisender in die Engadiner Berge gefahren, der ihm so lange zusetzte, bis er ihn auf die Gemsjagd nahm, allwo er aber mit vornehmem Jägerhumor den fremden Sonntagsjäger also postierte, dass er nicht zum Schuss kam, während Jan Marchiett ihm die Gemsen vor der Nase wegpirschte. Zum Dank hiefür hat ihn dann jener unberufene Gemsentöter im ,Morgenblatt'verewigt ( Nr. 168, ,Die Gemsenjagd in den Schweizeralpen ' ) und, wahrscheinlich im Glauben, dass in diesen Bergschluchten die Gesetze historischer Treue zugunsten des Mythus unbeschadet verletzt werden dürfen, dem alten Jan Marchiett ein so romantisches Bild gegeben, dass er, nach den Begriffen des gewöhnlichen Lebens, die im Engadin noch sensibler sind als anderwärts, als eine zwar sehr interessante, aber auch sehr zuchthausreife Persönlichkeit abkonterfeit war. Da wurde erzählt, dass er bereits einen Tiroler erschossen und dessen Jagdwaffen als Trophäe zu Haus aufgehängt habe; wie er in Bigamie lebe, ihm jedoch der Versuch, beide Frauen unter einem Dache zu haben, weniger als dem frommen Grafen von Gleichen geglückt sei; wie er, ein zweiter Freischütz, sich dem Teufel verschrieben und sonst noch erkleckliche Schandtaten begangen haben solle. » Scheffel berichtet weiter, wie die Redaktion des « Morgenblattes », zur Rede gestellt, stumm blieb und wie die zuständige Kriminalobrigkeit Colani in Schutz nahm usw. Übrigens wurde Colani der Erschiessung vieler fremder Jäger bezichtigt.

Diese Angaben Scheffels sind zwar formell etwas ungenau. Einmal konnte nicht Dr. O. Lenz ( Gymnasiallehrer in Marienwerder ) der Verfasser des Artikels im « Stuttgarter Morgenblatt » sein ( das « Morgenblatt für Gebildete » brachte öfters recht sonderbare Korrespondenzen aus der Schweiz, scheint eine besondere Vorliebe für Skandälchen gehabt zu haben und hat manchen biederen Schweizer, sogar unsern Jeremias Gotthelf, recht bösartig verunglimpf lichtDie'Alpen - 1951 - Les Alpes34 sodann fand die von Scheffel zitierte Jagd erst 1837 statt. Doch schon vorher im Jahre 1830 hatte ein Engländer Schlimmes über Colani in einem Artikel im « New Monthly Magazine » geschrieben, wobei er ihn des Mordes an Tirolern bezichtigte. In seiner Naturgeschichte der Säugetiere ( « Gemeinnützige Naturgeschichte », 1834-1839 ), in der Dr. Lenz leichfertig die Anschuldigungen des Morgenblattes weiterverbreitete, wurde der schlechte Ruf Colanis im Ausland erst recht begründet. Für den Leumund Colanis wurde die Sache erst mit dem Moment fatal, als der hochverdiente Friedrich von Tschudi in seinem berühmt gewordenen Buche « Das Tierleben der Alpenwelt » ( 1853 ) die Colani von Dr. Lenz vorgeworfenen Grobheiten und Verbrechen kritiklos aufnahm. Tschudis klassisches Werk erlebte bis 1875 immer wieder Neuauflagen. Wie Friedrich Schiller in seinen « Räubern » ( 1781 ) Graubünden das « Athen der Gauner » bezeichnen konnte und der oben von Scheffel zitierte Sebastian Münster 1550 in seiner Cosmographie die Engadiner schlimmere Räuber als die Zigeuner schalt, so war es lange Zeit eine ausgemachte Sache, dass Colani ein Erzschelm, ein Rohling und Mörder sei.

Nun hat es aber nicht gefehlt an Versuchen, die Ehre des « Königs der Bernina » zu rehabilitieren. Es ist geradezu rührend, wie Männer des Volkes und die geistige Elite des Engadins mit Wort und Schrift für die Ehrenrettung des grössten rätischen Jägers kämpften. Victor von Scheffel haben wir bereits einvernommen Kurz, aber klar nimmt Dr. Jakob Papon in seinem Werke « Engadin. Zeichnungen aus der Natur und dem Volksleben eines unbekannten Alpenlandes » ( St. Gallen, 1857 ) Stellung zu unserer Frage. Er schreibt ( S. 121 ): « Unter den Führern und Trägern befand sich der als kenntnisreicher, tüchtiger Führer bekannte Colani, Sohn des berühmten Gemsjägers, über welchen mit Unrecht so viel Unheimliches und Nachteiliges gefabelt wird. » Prof. G. Theobald widmet in seinen « Naturbildern aus den Rhätischen Alpen » ( Chur, 1862, 2. Auflage ) der Ehrenrettung Colanis viel Raum. « Was die Erschiessung fremder Jäger betrifft, so ist dies unstreitig ebenso wenig wahr als die Geschichten von seinen Zauberkünsten. Colani widersprach solchen Albernheiten, wie es scheint, selbst am wenigsten, hielt er doch dadurch die Leute von seinen Gemsen fern. » Der Historiker und Literat J. A. von Sprecher schreibt in seiner « Geschichte der Republik der drei Bünde », Chur, 1875, Seite 105: « Colani hat die Jagd, streng genommen, nicht als Professionsjäger betrieben, sondern ging seiner Landwirtschaft nach, war eine Zeitlang Gastwirt und liess sich allsonntäglich in der Kirche zu Pontresina als taktfester Vorsänger hören er war der schreckliche Mann nicht, als welchen Dr. Lenz und andere nach ihm ihn geschildert haben. » Landammann Saratz, der 1877 im « Allgemeinen Engadiner Fremdenblatt » über Jagdsitten schrieb und öfters Colanis Jagdgefährte gewesen war, hat wohl am meisten zur Ehrenrettung seines Freundes beigetragen. Warm trat für Colani Dr. Girtanner ein in « Drei rhätische Jägergestalten », Trier 1879 Dann hat Redaktor Gian Bundi, der geistreiche Feuilletonist und Pfleger bündnerischer Art und Kunst, öfters zur Feder gegriffen, um seinen Landsmann gegen die unwahren Behauptungen einer sensationslüsternen Welt zu verteidigen. 1924 gab Dr. Chr. Tarnuzzer ein dünnes Bändchen, « Der rhätische Jägerfürst Gian Marchet Colani, von einem Touristen im Engadin gesammelt », heraus, mit drei Bildnissen ( Chur ), in dem der Verfasser sehr geschickt aufzeigt, welches die Gründe waren, die Gestalt Colanis im In- und Ausland in Verruf zu bringen. Sicherlich haben sich auch Colanis Nachkommen bemüht, Wahrheit und Dichtung im Leben dieses Mannes auseinander zu halten, der auf dem stillen Bergfriedhof unter einem schlichtschönen, steinernen Grabmal neben dem mit mittelalterlichen Fresken reich geschmückten Kirchlein Santa Maria schläft.

Nun gelang es jüngst eine lange Zeit vergessene, gleichsam verschollene Landeskunde des Engadins wieder auf den Büchermarkt zu bringen, ein Schriftlein von grösster Seltenheit, das seltsamerweise in bedeutenden schweizerischen bibliographischen Werken nicht aufgeführt ist. Es hat den etwas umständlichen Titel: « Das Engadin und die Engadiner. Mitteilungen an den Sauerbrunnen bei St. Moritz im Kanton Bünden, aufgefasst für die, welche sich über dieses schöne Thal und seine Bewohner nähere Kenntnisse verschaffen und das dortige Sauerwasser mit Erfolg gebrauchen wollen, nebst einem Titelkupfer. » Freiburg im Breisgau, 1837 ( VIII und 278 Seiten; die Titellitho-graphie zeigt die Juliersäulen; Herder'sche Kunstbuchhandlung ). Der Verfasser, der sich im Vorwort mit den Initialen M. F. zeichnet, Franz Johann Friedr ( 1775-1855 ), von Schleiz ( Sachsen-Thüringen ), war Pfarrer in Mogels-berg ( St. Gallen ) und weilte damals als Kurgast in St. Moritz, wo er die Bade-verhältnisse gut kennen lernte und der sich in seinem Büchlein als guter Kenner von Land und Leuten des Engadins ausweist. Er hat Colani persönlich gekannt Das Werklein wird J. C. Heer, der mit seinem Stoffe rang und während der Niederschrift öfters daran war, sein Vorhaben aufzugeben, « weil ihn der Stoff überwältigte, und er glaubte, sich Übermässiges zugetraut zu haben », ( Gotti. Heinrich Heer: « Jak. Chr. Heer », 1927, Seite 45 ), unbekannt geblieben sein.

Franz weiss u.a. folgendes über den damals noch lebenden Colani zu berichten: «... beim Berninagletscher steht man gleichsam in einer erstorbenen Natur, indem das sterbliche Auge weiter nichts als eine unermessliche Wüstenei von Alpengipfeln, Hörnern, Spitzen, Zacken und Pyramiden erblickt, zwischen denen entsetzliche Abgründe, bald mit weiten Schnee- und Eisfeldern, bald mit den Trümmern niedergestürzter Felskuppeln angefüllt sind.

Auf dieser Einöde, in einem der dortigen Wirtshäuser, lebte vor mehreren Jahren der berühmteste unter allen jetzt lebenden Bündner Gemsjägern, Johann Marchiet Colani, der sich aber seit einiger Zeit mit seiner Familie in seine Geburtsgemeinde Pontresinazurückgezogen hat. Er ist ein Mann von festem Körperbau, mittlerer Grösse, gegen 50 Jahre alt, von gutem Aussehen und in seinem Umgang angenehm. Da er in den Gebirgen Engadins eine Menge der auffallendsten Erfahrungen gemacht hat und mehrere Le-bensgefahren bestanden hat, so sind seine Erzählungen besonders für Jagd-liebhaber höchst anziehend, belehrend und unterhaltend. Ich lernte ihn in Gesellschaft des eidgenössischen Obrist Buchwalder, der sich bei seinen Höhenmessungen in den Engadinergebirgen seiner Führung bediente, zu St. Moritz näher kennen, und fasste ihn um so stärker ins Auge, weil ich in einer deutschen Zeitschrift höchst nachteilige und ehrenrührige Berichte von ihm gelesen hatte ( wo Y ), die ihn als einen für die bürgerliche Gesellschaft höchst gefährlichen Menschen schilderte. ( Es folgt eine Beschreibung von Colanis Jugendzeit und Jagderfolgen. )... er meint vielmehr, in seiner Umgebung das Jagdrecht für sich ausschliesslich in Anspruch nehmen zu dürfen und leidet seine Kollegen nicht. Nicht leicht wagt sich ein fremder Jäger in die hohen Alpen des Engadins, weil man sich nichts Gutes von ihm verspricht. Daher mag auch kommen, dass man in hiesiger Gegend behauptet, er habe schon mehrere fremde Gemsjäger, die sich in sein Revier gewagt, heimlich weggebüchst, was ich aber nimmermehr glauben, sondern für schändliche Verleumdung halten möchte.Vernimmt er aber, dass ein fremder Jäger in der Nähe, d.h. in den Gegenden jage, wo er sein ausschliessliches Recht zu besitzen vermeint, so lässt er ihn freundschaftlich warnen, diese Gegend ferner nicht mehr zu betreten, wenn er sich daraus keine Unannehmlichkeiten zuziehen wolle. Es ist ganz falsch, wenn man sagt oder sogar schriftlich über ihn ausstreute, er begebe sich nie allein, sondern gewöhnlich in Begleitung seiner erwachsenen Tochter auf den Anstand, weil er die hinterlistige Nachspürung der Tirolerjäger fürchte. Wohl begleitete ihn dieselbe in Manns-kleidung, aber sie folgt dem Vater nicht als Beschützerin, sondern als Liebelei in der Jagd, weil sie, trotz dem besten Jägerburschen die Büchse führt und in der Erlegung der Gemsen wie ihr Vater glücklich ist. Da er selten fehlt, hat man die Sage verbreitet, er schiesse mit verhexten Kugeln, und der Aberglaube spricht sogar, er habe sich dem Teufel verschrieben und sei kugelfest. Solche und ähnliche lächerliche Reden benutzt er zu seinem Vorteil, weil er weiss, in welchem Rufe er steht, und gibt sich vielleicht auch bei dem gemeinen Volke Mühe, denselben zu erhalten, da solche Reden seinen Absichten förderlich sind.

... jetzt aber, wie es scheint, hat ihm die veränderliche Göttin Fortuna den Rücken gekehrt. Ich sah ihn im Sommer 1830 an einem gesellschaftlichen Scheibenschiessen in Samedan, wo er nur selten einmal ins Schwarze traf. Immerhin ist er ein gescheiter Kopf, ein angenehmer Gesellschafter, dem aber die Pontresiner nicht recht trauen. Will man auf den Engadinerbergen einen kundigen, sicheren Führer, so wird Jan Marchiet jedesmal empfohlen. Noch muss ich erwähnen, dass er in mehreren Professionen arbeitet und nirgends als Pfuscher eintritt. Er verfertigt seine Büchsen selbst, ist ein guter Uhrmacher und Tischler und liefert alles nur nötige Geschirr in jede Haushaltung. Das Auffallendste an diesem Gemsjäger ist, dass er seit seinem Aufenthalt in Pontresina in der dortigen Kirche das Vorsingeramt bekleidet, da man doch glauben sollte, dass sich dasselbe mit dem unstäten Leben eines so gewaltigen Nimroden keineswegs verbinden lasse.

Im, Morgenblatt'erschien ein Aufsatz ( Jahrgang 1830 ). Derselbe ist auch bei den, Stuttgarter Erheiterungen'bei Macklot, 1830, Heft 16, zu lesen, welcher ihn als einen höchst gefährlichen Menschen und offenbaren Verbrecher bezeichnet... Da der anonyme Einsender jenes verleumderischen Aufsatzes nach Jahr und Tag der an ihn ergangenen Aufforderung nicht entsprochen, so geht daraus hervor, dass er ein schändlicher Verleumder, Jan Marchiet Colani hingegen in seinen Ehren verwahrt sei. » Nach sorgfältiger Prüfung aller Literatur über Colani ergibt sich etwa folgendes Bild:

Gian Marchet Colani, geboren 1772 in Camgask, verheiratete sich 1794 in erster Ehe mit Margaretha Ambas und zog mit seiner Frau in deren Heimat Bevers. Die Ehe, unglücklich wie es scheint, wegen der Verschiedenheit der. Charaktere der beiden Ehegatten, wurde nach ein paar Jahren gerichtlich aufgelöst. Bereits 1796 ging Colani nach Frankreich, arbeitete in einem Con-fiseriegeschäft und erlernte nebenbei die Büchsenmacherei. Das Heimweh zwang diesen echten Sohn Bündens bald wieder zur Heimkehr. In der Heimat betätigte er sich zunächst als Schlosser. An seiner einläufigen Jagdflinte brachte er eine eigene Erfindung an: die Konstruktion der Doppelladung, dadurch ward es ihm ermöglicht, zwei Schüsse nacheinander abfeuern zu können, ohne zum für die Jagd schweren Doppellaufgewehr greifen zu müssen ( siehe Colanis Jagdgewehr im Engadiner Museum in St. Moritz ). Der gewesene Pfarrer von Silvaplana, Tschumpert, Gatte einer Enkelin Colanis, der liebevoll viel Andenkengut an den König des Bernina gesammelt und aufbewahrt hatte, besass ein solches von Colani abgeändertes Gewehr.

1808 nahm Colani in Pontresina Wohnsitz, wo er sich mit Maria L. Branger verheiratete und eine schlichte Inschrift sein Haus noch immer kennzeichnet. Dieser zweiten Ehe entsprossen fünf Kinder. Einige Jahre war Colani Pächter und Wirt eines der Berninahäuser. Sein eigentlicher Beruf war aber der eines Landwirtes. Bei den Heuernten im Rosegtal - er soll ein guter Mäher gewesen sein - hat er sich im Alter von 65 Jahren eine Lungenentzündung zugezogen, der er erlag.

Er war von mittlerer Statur, kräftig und untersetzt gebaut, muskulös, mit gebogener Nase, feurigen Augen und schwarzen Haaren ( Tarnuzzer ). Spra-chenkundig wie die meisten Engadiner, kühn, verwachsen mit der Natur, äusserst dienstbar und sich aufopfernd, kannte er, wo Menschen sich in Bergnot befanden, keine Gefahr. Dass er, der naturverbundene Mann, die Heilkraft der Bergkräuter kannte, braucht nicht weiter zu verwundern. Einerseits sehr kinderliebend, anderseits jähzornig, ungestüm, gesprächig, ein guter Gesellschafter, gegen unberufene Freunde und Aufdringlinge verschlossen und ablehnend: der stolze Sohn der Berge!

Unglaubwürdig aber ist es, dass er, der seinen Gemsen im Winter Futter brachte, über das übliche Mass der Jägergilde grob gewesen sei. Seine grossen Jagderfolge ( er soll gegen 3000 Gemsen erlegt haben, wobei zu beachten ist, dass die Gemsjagd auch für die Einheimischen auf drei Monate und elf Tage jährlich beschränkt war; J. K. von Tscharner « Der Kanton Graubünden », Chur, 1842 ) sowie seine vielseitigen Fertigkeiten, trugen ihm viel Neid ein, ja seinen Zeitgenossen erschien er deswegen rätselhaft. Sein suggestiver Blick, sein oft sonderbares Benehmen und nicht zuletzt die Volksphantasie machten ihn noch zu Lebzeiten in vieler Augen zu einem Zauberer und liessen einen Legendenkranz um ihn spinnen. Kommt hinzu, dass er Händeln nicht auswich und gar Lust an Lumpereien an den Tag legte. Die ihm zur Last gelegten Weibergeschichten werden zwar nicht rein erfunden sein, aber auf welcher Seite die Verführerrolle zu suchen wäre, ist eine andere Frage.

Seine Verfehlungen sind jedoch viel harmloserer Art als die ungeheuerlichen Beschuldigungen, die man ihm nach- und aufdichtete. Auf alle Fälle ist Colani mit seiner stolzen, ungebrochenen Urwüchsigkeit kein Heuchler und Doppelspieler gewesen. Den Kirchendienst als Vorsänger tat er, wie ihm nachgerühmt wird, mit Ernst und gläubiger Hingabe. Man soll, sagt einmal der kluge fromme, spitzbübische und liebe Heinrich Federer, den nicht vermale-deien, « der sich selbst auf opfert und aus dem Gänsemarsch der Philister her-austrottet ».

Darum bedauern alle Bewunderer Colanis und der schönen Dichtkunst Heers, dass letzterer den rätischen Jägerfürsten nicht befreit vom Makel und der Verfemung, die zu Unrecht den Namen des Königs des Bernina belasten. Bedauerlich ist es ebenso, dass die Verfasser neuerer und neuster Werke über das Engadin immer wieder zu jenen verhängnisvollen Berichten über den herrlichen Mann greifen. Jedesmal, wenn ich am Grabe Colanis stehe, tut es mir weh um diesen sonderbaren, aber trefflichen Menschen, dem über den Tod hinaus unrecht geschah.

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