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Der Selbsanft

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Der Tödi, der höchste Gipfel der Glarner Alpen, dominiert das Landschaftsbild des Glarner Hinterlandes und bildet dabei den optischen Endpunkt in der Hauptachse des Tales der Linth. Je mehr man sich aber dem Talabschluss nähert, desto kühner und eigenständiger wachsen Wände und Gipfel der dem Tödimassiv vorgelagerten Berge in die Höhe: Saasberg, Chilchenstock und Muttseegruppe im Osten, Eggstock, Ortstock und Chamerstock im Westen. Dann, bei den Auengütern nach Linthal, verschwindet der eisgepanzerte Herrscher zunehmend hinter seinen Trabanten, und im Tierfed, wo der bewohnbare Talboden plötzlich zu Ende ist, hat ein anderer Berg endgültig die dominierende Position übernommen - der Selbsanft.

Als Fluchtlinien leiten die Kalkfelsen von Baumgarten und Altenoren, die den Talkessel des Tierfeds einengen, den Blick des Ankommenden zum Talschluss, wo sich über dem dunklen Einschnitt der Linthschlucht das riesige Felsmassiv der Selbsanft auftürmt. Aus den unsichtbaren Tiefen der Sandalp und des Limmerentobels wachsen senkrecht graue Wände und gelbe Pfeiler empor, von Gras-und Geröllbändern unterbrochen, schattendunkle Gräben, Rinnen und Felskamine. Im oberen Bereich folgen weitere, von Schneebändern, Couloirs und Firnflanken durchzogene Felsbastionen. Die derart gegliederten Ost-und Westflanken treffen sich in der Mitte in einem zerklüfteten Grat, dem Nordgrat, der sich als gewaltiger Bug aufbaut und zuoberst in einer dunklen Felsspitze kulminiert. Hinter ihr lässt ein gleissend heller Firnstreifen gerade noch die Region des ewigen Schnees erahnen, die, durch das Labyrinth der Felswände abgeschirmt, wie ein unerreichbar hohes Land erscheint.

Es gibt sie noch die Bergeinsamkeit, dort oben in der Gipfelregion des Selbsanft, die nur für Bergsteiger zugänglich ist oder für ein Gemsrudel, das über die Wandfluchten in die Höhe klettert; vielleicht auch für einen Bergfuchs auf der Suche nach einem Schneehasen oder einem Schneehuhn und für den Adler natürlich, der den Felsbändern entlang Beute sucht und sich im Aufwind hoch über die Gipfel hinauftragen lässt.

Erste Besteigungen und Routen Der seltsame Name des Berges lässt aufhorchen, und seine überwältigende Erscheinung kann auch beim zeitgenössischen Besucher noch Empfindungen wecken, die das Mystische früherer Beziehungen zum Berg anklingen lassen. So formulierte Ratsherr Caspar Hauser, der als führender Alpinist in der Erschliessungszeit der Glarner Alpen auch der erste Präsident der Sektion Tödi war, das romantische Naturverständnis jener Zeit angesichts des Selbsanfts:

Caspar Hauser war es denn auch, der am 15. August 1863 mit den Eimer Führern Heinrich und Rudolf Eimer erstmals die Spitze des Vorderen Selbsanft bestieg, in jenem Gründungsjahr des Alpenclubs, in dem das Kärpf-und das Tödigebiet vorherrschendes Exkursionsgebiet war. Hauser und seine Führer hatten die Nüschenalp nachts um 3 Uhr verlassen, über den Limmerenboden, den Griessgletscher und Platt Alva erreichten sie den Gipfel mittags um 12.45 Uhr. Sicher nicht allein dieser Erstbesteigung wegen, sondern aufgrund der grossen Verdienste Caspar Hausers um die Erforschung der Glarner Alpen und die Führung der jungen Sektion Tödi des SAC erhielt die Spitze des Vorderen Selbsanft später noch den Namen .

Bereits die zweite Besteigung am 5. August 1881 durch J. J. Schiesser und Führer Albrecht Zweifel erfolgte über den Nordabsturz des Massivs. Dies geschah in einem kühnen Handstreich, denn die beiden verliessen die Nüschenalp erst um 4.30 Uhr, um über den Limmerenboden und den haltlos steilen Plattengang in der Ostflanke den Luegboden zu gewinnen, von wo sie den Nordgrat erklommen und schon um 12.45 Uhr auf dem Gipfel standen. Auch heutige Bergsteiger würden mit Ausgangspunkt Nüschenalp kaum eine kürzere Kletterzeit erreichen können. Am 11. September 1887 wiederholte Führer Heinrich Schiesser mit C. Seelig und W. Treichler von der Sektion Uto diese verwegene Route, indem er erstmals den Zugang von unten her fand, nämlich von der Üelialp ins Limmerentobel, um von dort her über das abschüssige den Luegboden zu erreichen.

1895 erfolgte die vierte Besteigung durch Führer Robert Hämig, der mit seinem Gast von Hintersand aus über die Schibenrus und Platt Alva zum Gipfel gelangte. Nochmals eine neue Kombination für Auf- und Abstieg fand Führer Heinrich Schiesser am 23. September 1900: Mit seinem Begleiter kletterte er über den Nordgrat zum Gipfel und stieg durch die Schibenrus zur Sandalp ab, ein strapaziöses Unternehmen, das um 4.15 Uhr im Tierfed begann und abends um 21.15 Uhr wieder dort endete. Für die folgende Zeit haben wir nun Blick vom Auen zum Talabschluss im Tierfed, der durch den mächtigen Gebirgsklotz des Selbsanft beherrscht wird Der Vorder Selbsanft vom Eingang ins Limmerentobel ( Üeliplanggen ) aus gesehen ein Zeugnis im Original in den Händen, das in einmaliger Art fast 90 Jahre alpinistischen Erlebens festhält - das erste Gipfelbuch des Vorder Selbsanft ( auch Hauserhorn, 2750 m ü.M. ).

Das Gipfelbuch des Vorder Selbsanft -ein Dokument über 125 Jahre SAC-Bergsteigen.

Zur Geschichte des Gipfelbuches Am 25. August 1901 erklomm der amtierende Zentralpräsident des SAC, Dr. E. Bosshard, mit seinen Kollegen Dr. E. Näf und Dr. C. Forrer unter der Führung von Jakob Tschudi von der Muttseehütte her den Vorder Selbsanft. Die Besteigung dieses einsamen Gipfels mit seinem gewaltigen Tiefblick ins Tierfed führte zum gemeinsamen Beschluss, hier oben ein Gipfelbuch zu deponieren. Dies wurde unverzüglich in die Tat umgesetzt, denn E. Bosshards Vorwort im kleinen Büchlein ( 11x17 cm ) datiert nur vier Tage später:

( Vivant Sequentes> hatte der Zentralpräsident noch oben auf die erste leere Seite nach seinen Eintragungen geschrieben. Ob er sich dabei wohl die Frage gestellt hat, wie viele Bergsteiger im 20. Jahrhundert hier oben ihren Aufenthalt eintragen könnten? Nun, ein Modegipfel ist das Hauserhorn - wie auch das ganze Selbsanft- und Bifertenmassiv — zum Glück nie geworden. 87 Jahre lang sollte dieses erste Gipfelbuch hier oben die Besucher erwarten, eine unwahrscheinlich lange Zeit angesichts des Umstandes, dass auf vielen berühmteren Gipfeln fast jedes Jahr ein Büchlein vollgeschrieben wird.

Zweimal nahm in dieser Zeit die Sektion Tödi als Treuhänderin das Büchlein von der extrem dem Wetter ausgesetzten Spitze hinunter, um es restaurieren und neu einbinden zu lassen. Durch seinen guten Zustand und die Originaleintragungen seit 1901 gewann das alte Gipfelbuch zusehends an Wert als seltenes alpines Dokument.

Als Anfang der achtziger Jahre der Bergschriftsteller Herbert Maeder seinen grossen Bildband Gipfel und Grate herausbrachte, widmete er dem ausserhalb des Glarner Hinterlandes kaum bekannten Berg ein ganzes Kapitel. Natürlich wies er darin auch mit Wort und Bild auf das alte Gipfelbuch hin. Damit wurde dessen Existenz schlagartig einem grösseren Kreis von Bergfreunden bekannt. Herbert Maeder hat sicher nicht vermutet, dass diese Bekanntmachung auch ein Anreiz für einen Sammler sein könnte, sich das seltene Gipfelbuch anzueignen. Wenn auch die Wahrscheinlichkeit nicht so gross war, völlig auszuschliessen war die Möglichkeit jedenfalls nicht, wie uns einige Beispiele aus der Kunstgeschichte zeigen, wo wichtige Schlüs-selwerke aus Museen verschwanden, um im Depot eines unbekannten finanzkräftigen ( Kunstfreundes ) verwahrt zu werden. Klar, das Selbsanft-Gipfelbüchlein kann sich nicht im entferntesten mit Monets L' impression du soleil messen, aber die Vorstellung, dass dieses originelle Dokument eines schönen Tages in einem privaten Archiv verschwinden könnte, liess uns in der Sektion Tödi keine Ruhe. Anlässlich einer Nordgratbesteigung 1988 wurde das Büchlein von einigen Sektionsmitgliedern mit ins Tal genommen, wo es nun im Landes-archiv sicher verwahrt ist. So möchte ich diesen beruhigenden Umstand zum Anlass nehmen, ein wenig im alten Büchlein zu blättern, um längst vergangene Zeiten mit den Menschen, die an diesem grossen, einsamen Berg unterwegs waren, wieder aufleben zu lassen.

Aus dem Inhalt des Gipfelbuches - die ersten 50 Jahre Bergführer Heinrich Schiesser aus Linthal, der damals offensichtlich der beste Kenner des Selbsanftgebiets war, hatte also am 17. September 1901 das neue Büchlein im Auftrag des Zentralpräsidenten auf der Spitze des Hauserhorns deponiert. Im Gegensatz zu Dr. Bosshards Federschrift ist seine Eintragung mit Bleistift kaum mehr leserlich, seine zwei Begleiter waren vermutlich ein Mitglied der Sektion Uto und ein Zweifel aus Linthal. Bei der nächstfolgenden Besteigung im Jahre 1902 notieren Anton Z'berg und Friedrich Wild, dass sie hier bei schönem Wetter auch noch ein Signal aufgestellt hätten. In der Folge erhält unser Gipfel jedes Jahr einmal Besuch bis 1907. Im September 1906 haben sich dabei Emil und Walter Schaufelberger mit Paul Walder als erste führerlose Seilschaft am Nordgrat eintragen können. Emil Schaufelberger war ein hervorragender Kletterer, der am Anfang des Jahrhunderts im Tödigebiet kühne, neue Anstiege eröffnete, so auch in der Nordwand des Piz Urlaun, wo heute das Aufstiegscouloir aus dem Bifertengletscher seinen Namen trägt. Ernst Volkart und Jost Zweifel notieren 1907, dass sie um 1 Uhr bei der Fridolinshütte aufgebrochen sind, um durch die Schibenrus bei dichtem Nebel und Schneegestöber nach sieben Stunden den Gipfel des Hauserhorns zu erreichen.

Zwei informative Eintragungen stammen aus dem Jahre 1908. Am 3. Oktober schreibt sich der Geologe Dr. F. Weber ein

Wundervollerwarmer Herbsttag, wolkenlos! Auf dem Gipfel Luft- und Sonnenbad! 2 Stunden auf dem Gipfel !) Und am 1. November schreibt sich nach einer späten Begehung des Nordgrates wiederum W. Schaufelberger mit A. Spühler und H. Laparth ein:

( Üelialp 6.30 h, Gipfel an 2.20 h. Ein prächtiger, klarer Herbsttag, dessen selten warme Temperatur uns gestattet, in Hemdsärmeln die wundervolle Aussicht zu geniessen. Leider hat uns Neuschnee viel Arbeit gemacht. Abstieg über Limmerngletscher-Limmerntobel-Üelialp. ) Nach zwei weiteren Besteigungen hat der Vorder Selbsanft während des Ersten Weltkrieges seine Ruhe. Erst am 13./14. Juli 1917 erhält der Gipfel wieder Besuch durch Hans Jenny, Geometer d. L+T, SAC Uto, mit drei einheimischen Gehilfen:

In den vierziger Jahren wird der einsame Gipfel wieder etwas begehrter. 1945 taucht erstmals der Brigelser Bergführer Heini Ca- SUC-'SUC- duff, bis heute unverwüstlicher Hüttenwart auf Muttsee, als Alleingänger hier oben auf:

Vermehrte bergsteigerische Aktivitäten durch den Kraftwerkbau Während der Bauzeit des Kraftwerks Linth-Limmern wird das Selbsanftgebiet allmählich etwas häufiger begangen, wobei die primäre Das alte Gipfelbuch an seinem ursprünglichen Platz auf dem Hauserhorn Ursache im wirtschaftlich-technischen Bereich liegt. Die Bergführer Sepp Bissig und Emil Reiser sind mit Heinrich Zweifel, Bergli, im Auftrag der KLL häufig am Selbsanft unterwegs, um Vermessungspunkte einzurichten und Vermessungssignale zu kontrollieren. So steht unter dem 19. Juli 1959:

( Erste Besteigung nach der Erschliessung des Limmerenbodens. 3.45 mit Seilbahn ab Hotel Tödi. 4.30 beim Stollenausgang Limmeren, über Plattengang Nordgrat, 10.45 auf dem Gipfel. Abstieg über Plattalva, Sennhof, Gelbes Band, Limmerenboden.

Sepp Bissig, Bergführer und Manfred Aregger, Techniker, SAC Pilatus. ) Sepp Bissig, später langjähriger Hüttenwart auf Pianura, und Heinrich Zweifel, später Präsident der Sektion Tödi, sind es denn auch, die am 2. September 1959 in der Luegbodenhöhle übernachten ( was vor ihnen vielleicht schon Gemsjäger taten ) und damit die Tradition des alpinistischen Biwakplatzes einführen. Die beiden kennen den Berg bald wie ihre Hosentaschen, dessen Nordgrat sie öfters - sogar im Abstieg - begehen.

Die Jubiläumstour der Sektion Tödi ( 1963 ) In all den Jahren war das Gipfelbuch durch Blitzschlag, Regen und Frost stark beschädigt worden, und Bergführer Reiser nahm es zum Neubinden mit ins Tal. Dies war Anlass für die Sektion Tödi, nach 40 Jahren wieder einmal den Vorder Selbsanft aufs Programm zu nehmen, was mit folgenden Worten eingetragen ist:

Leiter dieser Tour, an der Sepp Bissig zwölf Mann in sein Reich hinaufführte, war David Schiesser, unser unvergesslicher . Er lebt in der Erinnerung aller Bergkameraden weiter, die mit ihm unterwegs waren in Fels und Eis; ebenso wie drei weitere der damaligen Teilnehmer, die später nicht mehr aus den Bergen zurückgekehrt sind: Kari Brühweiler, Jacques Oertli, Chäpp Schindler.

Die Zeit nach 1970: der Nordgrat rückt ins Zentrum Die Besteigungen der folgenden Jahre sind nicht zahlreich. 1972, 1973 und 1974 sind als jeweils einzige Seilschaft Robert Hösli und Heinrich Schiesser aus Diesbach eingetragen, die beide offensichtlich geworden sind. Am 20. August 1978 tragen sich Bergführer Chäpp Schindler, Otti Lindauer, Turi Schwarzenbach und Werni Landolt ein, die nach

1979 lernt der Bergschriftsteller und Fotograf Herbert Maeder mit Bergführer Fridolin Hauser den Nordgrat und die Traversierung des Selbsanft-Plateaus kennen, eine Bergtour, die ihn so beeindruckt, dass er ihr in seinem neuen Werk Gipfel und Grate ein ganzes Kapitel widmet.

1978-1980 sind es jährlich zwei Seilschaften und 1981 sogar deren fünf, die sich im Büchlein einschreiben, was für den Selbsanft schon fast Hochbetrieb bedeutet.

Der Nordgrat wird dabei zunehmend zum beliebtesten Anstieg, während von Limmeren oder der Fridolinshütte her nur noch selten Besucher eintreffen. Bei den sechs Besteigungen des Jahres 1982 ist die Sektion Tödi wiederum mit drei Seilschaften im Anstieg über den Nordgrat am Berg.

Eine Woche später kann auch ich mit Freund Kurt Stüssi endlich den Selbsanft über den Nordgrat besteigen, nachdem ich fast alle schwierigen Routen und Gipfel der heimischen Bergwelt kennengelernt hatte. Die Abgeschiedenheit dieser Tour und deren Ernsthaftigkeit beeindrucken auch mich stark, denn im Aufstieg zum Luegboden fällt ein Gewitter mit krachenden Blitzen über die Selbsanft-wände ins Limmerentobel ein. Nachdem wir uns mit einem Sturmlauf vor dem Schlimmsten gerade noch in die Biwakhöhle retten können, ist die Betrachtung dieses Naturereignisses aus dem Unterstand heraus noch eindrücklich genug. Vom Gipfel nehmen wir das vom Blitz beschädigte, feuchte und wohl von Bergmäusen angeknabberte Büchlein mit, damit es die Sektion erneut restaurieren lassen kann.

Fünf Partien besuchen den Gipfel im Jahr 1983, von denen die Nordgratstürmer Kurt Stüssi und Heiri Schmid mit fünf Stunden ab Uelialp sicher die schnellsten waren ( , hat ein neidischer Nachfolger dazu geschrieben... ). Sogar sieben Besteigungen gibt es dann 1985, und die letzte davon ist auch die aussergewöhnlichste: die erste Winterbegehung des Nordgrates am 22. Dezember durch die Bergführer Hansueli Rhyner, Hans Rauner und Ernst Marti und die Linthaler Kletterer Norbi und Michael Müller und Rico Albert. Auch 1986 erhält der Berg wieder sieben Besuche, fast alle über den Nordgrat, wobei sich ein Begeher mit weiblicher Begleitung gar mit einem ( Sternenbiwak auf dem Luegboden> einträgt! Na ja, auf Wolken oder eben auch Sternen zu schweben soll für Verliebte nicht ganz so ungewöhnlich sein...

Schliesslich erklimmen 1987 und 1988 nochmals je fünf Seilschaften die Spitze des Hauserhorns. Das letzte Jahr, in dem das Büchlein hier oben die Bergsteiger erwartet, kann auch gerade noch eine revolutionäre Neuerung in den alpinen Fortbewegungstechniken verzeichnen: die beiden ersten Gleitschirmflüge vom Selbsanft ins Tierfed. Den zweiten Flug macht dabei der junge Extremkletterer Felix Ortlieb, der gleich noch solo über den Nordgrat aufgestiegen ist. Wer je von dort oben in die Tiefe des Tierfeds hinabgeschaut hat, dem ist ohne Einschränkung klar, dass ein solcher 2000-Meter-Flug über die Wände und Schluchten hinweg ein gewaltiges Erlebnis sein muss.

Die letzte Eintragung - ein Rückblick Am 2. Oktober 1988 erfolgt die letzte Eintragung: Kari Huser, Mollis, Walter Gehrig, Mollis, Martin Bruhin, Sool, Markus Staub, Glarus. Es sind Tourenleiter und Vorstandsmitglieder, die nun das in Ehren alt gewordene Büchlein auf seinen letzten Berggang mitnehmen. Sieben Besteigungen erhielt der Gipfel des Hauserhorns bis zur Deponierung des Büchleins im Jahre 1901, genau 100 Besteigungen sind seither erfolgt! Von diesen 100 fallen fünzig auf die Zeitspanne 1902-1973, während die zweite Hälfte in den Jahren 1974-1988 anfällt. Somit zeigt sich überraschenderweise, dass der Vorder Selbsanft, der alles andere als die Attribute einer bequemen Modetour oder einer Genusskletterei aufweist, in jüngster Zeit zunehmend von den Bergsteigern geschätzt wird. Dabei stellten die Glarner etwa 90 Prozent der Gipfelbesucher, was bezeugt, dass der mächtige Selbsanft-Gebirgsstock von den einheimischen Bergsteigern als ein besonderes Stück Heimat empfunden wird. Anders und vielleicht zeitgemässer ausgedrückt liesse sich sagen: Der Selbsanft gehört zu unserem Lebensraum, den wir uns nicht nur mit den Augen, sondern auch mit Händen und Füssen, mit Leib und Seele aneignen möchten.

Der Durchschnitt der Jahre 1863-1988 liegt nun aber doch unteremer Besteigung pro Jahr - und das ist gut so. Neben berühmten und beliebten Gipfeln, die 100 Besteigungen im Tag erhalten, sind unbekannte und wie der Vorder Selbsanft um so wichtiger. Deshalb entspricht mein Beitrag allem andern als der Absicht, Werbung für diesen Berg abseits des Massenbetriebs zu betreiben.

125 Jahre alpine Geschichte, vornehmlich des SAC-Bergsteigens, sind da im kleinen Büchlein des Hauserhorns festgehalten. Gewiss, es ist keine bewegende Geschichte, die da geschrieben wurde. Der Berg mit seinem bis jetzt ungedeuteten, merkwürdigen Namen hat nie für Schlagzeilen gesorgt. Das Büchlein ist vielmehr ein Dokument menschlicher Suche nach Bergeinsamkeit in einer Welt der Betriebsamkeit, die fast bis in die letzten Winkel die Spuren menschlichen Wirkens trägt.

Die Stille, das Schweigen, die Abgeschiedenheit, Reste einstiger Ursprünglichkeit sollen auch im vielbesuchten Alpenkranz noch da und dort ihren Platz haben! Sie sollen erfahrbar sein können für die Minderheit der Menschen, die das Glück einsamer Tage in Fels und Firn suchen, diese Tage und Nächte zuoberst auf der Erdkruste, für welche Werte zählen, die bedeutender und prägender sind als die Qualität des Gesteins, der Schwierigkeitsgrad und die gemessene Zeit. Und ich denke, für viele Besucher des Selbsanft in diesen 125 Jahren hat das Gedicht von Lenau gegolten, das auf der ersten Seite unseres Gipfelbüchleins gedruckt steht:

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