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Der Zauber des Eiger

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Nicolas Zambetti, Tavannes ( BE )

Blick auf die Eigernordwand ( im Spätsommer ). Die klassische Aufstiegslinie verläuft im zentralen Wandteil; rechts der Pfeiler, über den sich die Route ( Chant du cygne> emporzieht.

Eiger, ein Name der Angst macht und der fasziniert. Dieser gewaltige Berg ist von vielen Orten aus zu sehen. Er ist der Traum zahlreicher Bergsteiger, aber an ihm ist nichts leicht, und nicht wenige beissen sich an ihm die Zähne aus. Ich möchte hier von meinen Erlebnissen mit diesem Gipfel und von dem Weg, der mich zu ihm geführt hat, berichten.

Meine Kinderträume Mein Vater war Alpinist, ich habe die Welt der Berge sehr früh kennengelernt. Schon als Vierjährigen hat er mich auf die Arête des Somêtres ( Jura ) mitgenommen. Sehr bald habe ich von den grossartigen Gipfeln geträumt, vom Eiger und Matterhorn, von den Grandes Jorasses und dem Pilier de Frêney am Montblanc. Ich war sicher noch zu klein, aber doch schon begeistert.

Mit vierzehn Jahren habe ich begonnen, ernsthaft zu klettern. In der Wand von Plagne, am Schilt und in Moutier habe ich begriffen, dass diese herrlichen jurassischen Felsen mich meinen eigentlichen Träumen näher bringen würden.

Plötzlich geht alles sehr schnell: Mit 16 Jahren begehe ich, fast im T-Shirt, am Seil meines Vaters die Cassin-Route am Badile. Eine Woche später bin ich mit Christophe in der Schmidt-Route am Matterhorn. Das war meine erste Tour in kombiniertem Gelände, ich zittere immer noch. Ein Jahr später kann ich, zusammen mit Toto und Christophe, den Frêney-Pfeiler am Montblanc zu meinen Erinnerungen zählen. Das bleibt die schönste der Touren, die ich gemacht habe. Am folgenden Freitag, nach vier Tagen in der Fabrik, um mich , brechen René und ich zum Walker-Pfeiler an den Jorasses auf. Abgesehen von einem Sturm und der Tatsache, dass die Müdigkeit spürbar zu werden begann, ist die Tour gut gegangen. Dank jenes Sturms waren wir wirklich allein in dieser doch vielbegangenen Route.

So musste nur noch der dritte aus diesem berühmten Dreigestirn gelingen, und das war nicht der geringste. Der Kampf um den Eiger hatte begonnen.

Ein hartnäckiger Kampf Sehr schnell habe ich erfahren, dass der Eiger trotz unserer Erfahrung von vielen grossen Touren nicht leicht zu erobern sein würde. Wir haben an der Wand fünf Versuche unternommen, sowohl im Sommer als auch im Winter. Tatsächlich sind wir nicht sehr weit gekommen. Wir waren uns sicher, dass diese Route im Winter begangen werden müsste, sie ist dann schwieriger, aber wieviel weniger gefährlich!

Am 26. Dezember 1992 kommen wir mit Raphaels 2CV schwerbeladen in Biel an. Wir wollen Christophe guten Tag sagen. In Wirklichkeit ziehen wir ihn aus dem Bett, und nach vielen Kaffees und Aufmunterungen ist sein Sack fertig. Das ist geschafft, er geht mit uns. Als wir in Grindelwald ankommen, trauen wir unsern Augen nicht: Die Bedingungen in der Wand scheinen, für einmal, gut zu sein. Wird der sechste Versuch gelingen? Raphael lächelt nicht mehr: Seit einem Jahr hat er keine Bergtour mehr gemacht! Aber es wird klappen, ich hoffe es...

Alles ist gut in der besten aller möglichen Welten Unmöglich, ein Auge zu schliessen, ich bin zu angespannt. Und doch ist das Ziel meiner Träume so nahe. Meine beiden Freunde scheinen zu schlafen, die Glücklichen. Ich spüre jene Leere, die allen grossen Touren vorangeht, die Zeit steht still, ich habe Angst vor dem nächsten Tag, was wird er bringen?

Plötzlich erlöst mich das Bip-Bip meines Weckers aus meiner Spannung. Alle drei machen wir automatisch unsere Säcke bereit.

In der Route lassen sich keine Spuren ausmachen. Einige Passagen scheinen einen rechten Kampf zu versprechen. Mich freut das, Raphael weniger. Wir klettern gelöst; auf jeden Fall wird das Wetter gut sein, sie haben es in den Nachrichten gesagt. Die berühmten Passagen folgen einander, aber sie sind noch nicht allzu schlimm.

Der zweite Tag gilt der Rampe, der Schlüsselstelle, die uns einige Sorgen bereiten wird. Ich im berühmten Kamin, der voller instabiler Schneewächten ist. Beim zweiten Versuch gelingt mir die Passage. Eins steht für mich fest: Nie wieder ein Sturz mit Steigeisen an den Füssen, da tut man sich zu sehr weh!

Am nächsten Morgen ist uns klar, dass wir gezwungen sind, den Ausstieg zu erreichen, zum Aufgeben ist es zu spät. Und tatsächlich schweben wir buchstäblich diesem so sehr ersehnten Sieg entgegen. Der Ausstieg ist wirklich zauberhaft. Ich gehe Schritt für Schritt auf dem Gipfelfirn voran, unten im Tal sind die Lichter angezündet, hier ist es gerade noch hell. Ich spüre mich selbst nicht mehr, die Pickel knirschen im Schnee, wir nähern uns dem Grat. Als ich mein Bein auf den andern Hang setze, rittlings auf der Kante sitze, schnürt es mir die Kehle zu, und heftige Bewegung überkommt mich. Ich sehe, wie dieser schöne Tag nach und nach erlöscht, ohne ganz zu begreifen, was mir geschieht. Christophe und Raphael kommen jubelnd zu mir. Wir graben unser letztes Biwak und bereiten unser letztes Festmahl, zwei Rationen für jeden; das Eigerstübli verdient mindestens fünf Sterne! Dann müssen wir ans Schlafen denken. Ein grosses Wort: Wir schlafen nur zwei oder drei Stunden, so beissend ist die Kälte. Aber das macht nichts, wir haben unser Ziel erreicht.

Der Morgen kündigt sich grossartig an. Der Sonnenaufgang ergreift uns zutiefst. Es muss dazu gesagt werden, dass wir die Sonne ein wenig vergessen hatten, denn im Dezember herrscht am Eiger ausschliesslich Schatten. Wir gehen zum Gipfel und steigen dann über die unangenehme Westwandroute ab.

Zurück in Grund, ist der Champagner gefroren und springt der 2CV nicht an!

Eine Zeit des Nachdenkens Meine Wünsche haben sich erfüllt. Nicht wenige meiner grossen Träume sind Wirklichkeit geworden. Ich klettere wie ein Wilder, ebenso in Kletterfinken wie mit Steigeisen. An keinem Wochenende mit schönem Wetter verzichte ich darauf, meiner Leidenschaft in den geliebten Bergen nachzugehen. Sie haben mir zwar sicher zu meinen grössten Leiden, aber auch zu meinen grössten Freuden verholfen. Ich will in den Bergen leben, aber auch -wenn ich vielleicht einmal achtzigjährig bin - dort sterben. Wir wissen nicht, was uns bestimmt ist.

Wir haben den Eiger in einer herrlichen Stimmung bestiegen. Wir waren drei und haben viel gelacht. Wir waren nicht die Schnellsten, aber wir haben jeden Augenblick genossen. Geschwindigkeitswettbe-werbe im Gebirge lassen uns kalt. Wir wollen gute Augenblicke fern vom alltäglichen Trott erleben und uns daran erfreuen.

Man muss stets Verhältnisse und Gefahren gut abschätzen. Sicherlich war es diese Überlegung, die zu unsern sechs Versuchen am Eiger geführt hat. Es macht den Reiz der Touren in kombiniertem Gelände aus, dass man sich niemals einer Sache sicher ist. Die Vorsicht muss an erster Stelle stehen, man darf keinesfalls mit gesenktem Kopf vorwärts stürmen. Doch manchmal, wenn man sein Fell wirklich retten muss, lässt die Tat den Geist hinter sich, man macht sich nicht mehr bewusst, was man tut. Das ist ein wenig der Zustand der Gnade, von dem der grosse Bonatti spricht. Bei dieser Art Touren erlebt man die grösste Freude, sobald einmal der Gipfel erreicht ist. In reinem Fels ist dagegen die Motivation ganz anders: Die technisch richtige Bewegung, die Ausgesetztheit oder die Leere sind Faktoren, die den Gipfel auf den zweiten Rang zurückdrängen. Wie oft habe ich mir diese letzten mit Rasen bedeckten und holperigen Meter erspart, um eine gute Abseilroute zu finden. Aber die Besteigung mancher Berge gleicht eher einer Pilgerfahrt als einem begeisternden Rausch, warum also auf den letzten Steinhaufen des Gipfels verzichten?

Der Zauber ist immer noch lebendig Juli 1993. Julien, mein vierzehnjähriger kleiner Bruder, begleitet mich. An den Wendenstöcken kommen wir in ein ordentliches Gewitter, das Wetter scheint wirklich schlecht zu werden, wir vertreiben uns die Zeit mit Top-Rope-Klettern.

Mein Bruder hat wenig Bergerfahrung, ich versuche, ihn einzuführen, damit er sich nicht den Hals bricht. Er ist der Sportkletterer, er tut sich sogar in den Wettkämpfen, in der Kategorie im Swiss Cup, hervor, doch er interessiert sich lebhaft fürs Gebirge. Er ist ein Kleiner, ( der es wissen will>. Aber man muss gut aufpassen, er ist erst vierzehn Jahre alt, seine körperliche Widerstandskraft ist schliesslich begrenzt, man darf nichts erzwingen.

Mir geht jedoch ein Plan im Kopf herum. Ich weiss nicht, ob ich wagen kann, ihm davon zu erzählen, denn er wird sofort einverstanden sein, und ich könnte dann nicht mehr zurück. Schliesslich verrate ich den Plan: Es handelt sich um die neue Piola-An-ker-Route Chant du cygne. Natürlich begeistert ihn das Projekt. Ich eile ans Telephon für den Wetterbericht, es besteht endlich Aussicht auf gutes Wetter. Dann rufe ich meinen Freund Christophe an. Merkwürdigerweise gleichen sich unsere Wochenend-pläne.

Zuletzt sind wir bei dieser neuen Reise zum Herzen des Eiger zu viert. Gino Merazzi und Christophe Germiquet bilden die eine Seilschaft, Julien und ich die andere. Nachdem die traditionelle ( letzte warme Mahlzeit auf der Kleinen Scheidegg ) verzehrt ist, steigen wir in dickem Nebel zum Eigergletscher.

Ein immer wieder starker Eindruck Wir gehen ruhig über friedliche Weiden. Man könnte meinen, am Fuss eines bedeutungslosen Felsens zu sein, spürt aber doch das Vorhandensein einer anderen Welt ganz in der Nähe.

Die schwierige und abdrängende Verschneidung ( 6cder 16. Seillänge ( anlässlich der Erstbegehung durch Daniel Anker und Michel Piola ) Julien fragt mich, ob wir wirklich unter dem Eiger sind, denn man sieht keine zehn Meter weit. Ich sage ihm, dass wir ins Heiligtum eintreten. Im selben Moment erzittert der Boden, ein gewaltiges Getöse stoppt uns auf der Stelle. Dann wittern unsere Nasen einen komischen Geruch. Julien hat keine Zweifel mehr. Dieser Steinschlag war der Gruss des Eiger.

Wie durch einen glücklichen Zufall entdecken wir plötzlich einen neuen Bohrhaken und eine Reepschnur. Wir sind am Einstieg von Chant du cygne. Da es noch nicht Nacht ist, schlägt Gino vor, zum ersten Stand aufzusteigen und dort zu schlafen. Er nimmt eine herrliche kompakte Platte in Angriff, aber nach einigen Metern ist er nicht mehr zu sehen. Schliesslich ruft er ; Christophe macht sich mit dem Sack auf. Ich folge ihm dichtauf, denn das Verhältnis

Das Biwak an diesem ersten Stand ist beinah bequem. Jeder in seinen Überlebens-sack

Im massiven Fels der ersten steilen Seillängen des , oben erkennt man den grossen überhängenden Pfeiler.

Ohne Kommentar Bei Tagesanbruch ist das Wetter schön. Wir machen uns schnell fertig. Christophe und Gino beginnen zu klettern. Wir beide versuchen, unsere Kletterschuhe anzuziehen, eine echte Strafe nach den weichen Wollsocken. Julien lächelt gequält, er hat Angst, ohne Socken in den Kletterschuhen zu frieren.

Die erste Hälfte der Route steigt über prächtige kompakte Aufschwünge, die immer wieder durch schöne Bänder, die gute Stände bieten, unterbrochen sind. Manche der Bänder sind vereist, Klimmzüge erweisen sich darum oft als heikel. In einer diagonalen Seillänge müssen wir sogar einen kleinen Wasserfall traversieren. Kurz, der Eiger wird heute seinem Ruf gerecht.

Wir klettern in einem guten Rhythmus, aber es ist kühl. Die ganze Wand ist frei. In der ( klassischen ) Route folgen sich die Steinschläge, ich lächle...

Julien setzt sich voll ein, zieht es jedoch ( mit einer Ausnahme ) vor, als zweiter zu klettern. ( Das ist sicherer ), meint er dazu. Eine kleine Pause benutzen wir, um einen Schluck zu trinken und die grünen Weiden zu bewundern. Man hört sogar die Glocken einer Herde Kühe. Die Stimmung ist ausserordentlich. Wir sind in der Mitte der Strecke. Jetzt kommen wir in den grossen überhängenden Pfeiler. Der Fels ist weniger gut, manchmal sogar wirklich schlecht. Ich erinnere mich an einen grossen wackeligen Block, an dem man unbedingt vorbei musste. Oder weiter oben an eine grosse überhängende Verschneidung mit zwei brüchigen Schuppen, die nur mit grossem Abstand und mit Hilfe von Friends zu überwinden war.

Gino und Christophe in der heikelsten Seillänge, die uns noch einige Schwierigkeiten bereiten wird.

Gino am Beginn des grossen Pfeilers, wo der Fels wirklich schlecht ist.

Wir gewinnen an Höhe; bereits sind 700 m geklettert, die Route ist 900 m lang. Die Tiefe unter uns ist eindrucksvoll. Gerade über uns kämpft Christophe in einer üblen Seillänge; seiner Meinung nach ist es die mit dem schlechtesten Fels. Eine mächtige labile Schuppe bereitet ihm Sorge. Aber er wird gut damit fertig. Die Müdigkeit macht sich bemerkbar, wir halten uns alle drei an dem fix belassenen Seil. Die Schlüsselstelle, drei oder vier Seillängen vor dem Ausstieg, ist jetzt erreicht. Gino nimmt diese herrliche überhängende Schrägtraverse in Angriff. Kurz darauf hören wir ihn fluchen, ein- oder zweimal

Wir bilden jetzt nur noch eine Seilschaft. Es steht fest, dass ich es bin, der die Route beenden muss. Gino und Julien folgen mir direkt. Julien sichert mich, Gino kümmert sich um Christophe und zieht die Säcke nach, die jetzt vier oder fünf Meter vom Felsen entfernt hängen.

Kurz ehe sie untergeht, scheint die Sonne einen Augenblick. Als ich aus der Wand aussteige, ertönt ein Kanonenschuss, dann höre ich die Blasmusik von Grindelwald. Es ist der 1. August. Meine drei Gefährten haben mich erreicht. Herzliche Händedrücke und Glückwünsche. Wir essen einen Bissen, während wir die Landschaft und das Feuerwerk betrachten; wir haben dafür den besten Logenplatz. Julien ist noch voll in Form und schlägt vor, uns am Fest zu beteiligen. Dieser kleine Schlingel hatte noch drei Feuerwerkskörper in seinem Sack versteckt! Der Abstieg kann binnen.

Glückliche Rückkehr Oft gleicht die Rückkehr von einer grossen Tour einem Alptraum, aber an diesem Tag war sie ein reines Vergnügen. Der Abstieg über den Firn hat uns zwar einige Löcher in der Hose eingetragen, aber welche Zeitersparnis!

Auf dem Eigergletscher feiert eine sehr sympathische Gruppe rund um ein grosses Feuer. Sie haben Juliens Feuerwerk entdeckt. Wir werden herzlich aufgenommen, erhalten einige Erfrischungen angeboten. Wir beginnen zu trocknen.

So geht ein sehr schönes Erlebnis zu Ende. Eins ist sicher, wir werden wiederkommen. In dieser so besonderen Wand, in einer Umgebung, die verzaubert, fühlt man sich der Welt der Menschen zugleich sehr nah und sehr fern. Ich beglückwünsche die Seilschaft Piola/Anker zur Erstbegehung dieser grossartigen Route, die man andern Bergsteigern nur empfehlen kann, das heisst jenen, denen die Tiefe unter ihnen, die Schwierigkeit und der schlechte Fels keine zu grossen Probleme bereiten.

Aus dem Französischen übersetzt von Roswitha Beyer, Bern

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