Die Apuanischen Alpen | Club Alpino Svizzero CAS
Sostieni il CAS Dona ora

Die Apuanischen Alpen

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Mit 4 Bildern ( 171-174Von Karl Suter

Die ÀpUatliSChen Alpen ( Fortsetzung und Schiusi ) Eine natur- und wirtschaftsgeographische Skizze vZürich ) Die Marmorblöcke gelangen von den Brüchen aus mittels Hanftauen oder Aufzügen zur Station und von da mit der Bahn zu Tal. Von gewissen Brüchen aus besorgen auch Lastautos den Transport. Fast unglaublich erscheint es oft, dass ein schwer beladenes Auto auf dem steilen Geröllweg vorwärtskommen kann. Man trifft auch noch das älteste Transportmittel, das Ochsengespann. Auf besonders angelegten Wegen, die eine gute Gesteinsunterlage und ein ausgeglichenes Gefälle besitzen, lässt man den Marmor auf Karren hinunterführen oder auf Kufen, d.h. auf geseiften Balken, gleichsam hinunterschlitteln unter Verwendung der Zugkraft dieser Tiere. Ein Meisterstück wurde im Jahre 1929 geleistet, als man den grössten je gebrochenen Block, den später in Rom aufgestellten Mussolini-Monolith, aus 800 m Höhe zu Tal brachte. Um die 17 m lange und ungefähr 300 t schwere Säule unbeschädigt über allen Schutt hinweg in die Tiefe gleiten zu lassen, musste man sie vollständig in Holz einschalen.

In Carrara schneiden über 80 Sägereien den Marmor in Platten. Es geschieht in einfacher Weise. In einer Apparatur befinden sich 10—20 mächtige Stahlklingen, die parallel zueinander im Abstande der Dicke einer Platte laufen und von oben her langsam in den Block eindringen. In die Furchen tröpfelt beständig Wasser, das sich mit zugegebenem Quarzsand mischt. Viel Marmor wird in den Werkstätten von Carrara durch Steinmetzen, Bildhauer und Ornamentisten zugehauen; der grössere Teil aber geht als Rohmaterial nach fast allen Ländern der Welt. Im Dienste des Marmors stehen noch einige kleinere Industrien. Besondere Unternehmen richten das für den Transport notwendige Holz zu, andere stellen das Werkzeug, das in den Gruben gebraucht wird, her oder reparieren es; dazu kommen verschiedene Transportanstalten.

Nicht nur in der Umgebung von Carrara, sondern noch an zahlreichen Orten, sowohl auf der West- als auf der Ostseite des Gebirges, wird Marmor gebrochen. Die hell leuchtenden Bruchstellen haben das Antlitz manchen Berges verändert. Sie sind bis in bedeutende Höhen hinauf anzutreffen, z.B. am Monte Sagro bis in 1330 m. Auf den topographischen Karten des Gebietes sind sie als « cave » ( la cava = Grube, Bruch ) eingetragen. Beim Alto di Sella z.B. steht Cave Cruze, 1526 m, oder beim Monte Tambura Cava del Piastrone, 1361 m. Die Qualität des Marmors ist von Ort zu Ort verschieden. Besonders geschätzt ist der sehr feinkörnige Marino statuario, ferner der Marmo bianco chiaro und der dunkelgraue Bardiglio. Die Marmorindustrie der Apuane beschäftigt ungefähr 20 000 Arbeiter, davon die Hälfte allein in Carrara. Grosse und Wachstum einiger Ortschaften hängen mit ihr aufs engste zusammen. Ja, die Verbundenheit mit diesem Gestein ist so gross, dass das sogar in einigen Ortsnamen zum Ausdruck kommt, so in den Bezeichnungen CarraraSteinbruch ) und Forte dei Marmi.

Die meisten Siedlungen, deren Einwohner im Marmorabbau tätig sind, liegen am Rande des Gebirges, wohin der Stein aus den Brüchen befördert und von wo aus er weiter verschickt wird. Für die Orte am Südwestfuss ist charakteristisch, dass von ihnen aus schnurgerade, 8—12 km lange Bahngeleise oder Strassen durch die Küstenzone zum Meer hinziehen. Da sind Filialen entstanden, so für Carrara Marina di Carrara, für Massa Marina di Massa, für Seravezza Forte dei Marmi, für Pietrasanta Marina di Pietrasanta, für Camajore der Lido di Camajore und zum Teil auch Viareggio. Günstig sind auch die Transportverhältnisse auf der Nordostseite des Gebirges, wo eine Bahn von Castelnuovo nach Lucca und Viareggio und eine andere von Equi nach La Spezia führt. Es fehlt nur noch das sie verbindende Teilstück im Gebiete der Wasserscheide zwischen den Tälern Serchio und Aulella. Der Marmor gelangt von den Küstenorten aus mit dem Schiff nach Genua oder Livorno, den beiden Haupthäfen für die Ausfuhr. Dieses kostbaren Materials wegen wurden fast in alle Täler hinein, und zwar bis in ihre Hintergründe breite Strassen gebaut. Erst sie haben seine Ausbeute und seinen Abtransport ermöglicht. Sie haben aber auch den Lärm in diese Gebirgswelt hineingetragen. Ohne die Strassen, ohne letzten Endes den Marmor, wären es einsame, kaum bewohnte Täler geblieben. Solche Wandlungen haben sich auch in andern Gebieten vollzogen, z.B. in den französischen Alpen im Tale der Romanche, das reich an Wasserkräften ist. Diese werden dort in Elektrizitätswerken und industriellen Betrieben ausgenützt. Das Tal selber ist eine wahre Industriegasse geworden. So hat der Mensch da wie dort im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte das natürliche Aussehen einer Landschaft massgebend geändert. Immer wieder entstehen in den Apuane neue Brüche, neue Wunden. Ein unerschöpflicher, überströmender Reichtum an Marmor scheint vorhanden zu sein, noch genügend für einige tausend Jahre.

Sachkundige schätzen die Fläche des abbaufähigen Gesteins auf 200 km2 und seine Mächtigkeit auf einige hundert Meter.

Im Vergleich zum Marmor ist die Urproduktion im Wirtschaftsleben der Apuanischen Alpen weniger bedeutend. Sie ist natürlich auch hier von Boden und Klima abhängig. Man möchte denken, dass das Gebirge, das sich so nahe am Meer befindet, ein mediterranes Klima aufweise, also milde, regenreiche Winter und heisse, trockene Sommer. Dem ist aber nicht so. Mittelmeerklima besitzt nur die schmale Küstenzone der Versilia-Lunigiana, wo die Temperatur im Winter höchst selten unter den Nullpunkt fällt. Pisa z.B. hat ein Januarmittel von 6,1° C. Der Apennin schützt diese Küste gegen die rauhen, kalten Winde, die zu dieser Jahreszeit aus der Poebene wehen. Die Regenmengen, die die Meerwinde besonders während des Winters zuführen, sind gross. Das Jahresmittel von Pontremoli beträgt 154 cm, von Massa 151 cm und von Lucca 142 cm 1. Der Einfluss des Meeres reicht in die Hügelzone am südwestlichen Gebirgsrand und sogar ein Stück weit in die Südtäler hinein. An den Hügeln gedeihen bis in eine Höhe von 300 m Korn, Mais, Reben, Südfrüchte und verschiedenartige Gemüse. Die Rebe steigt in den Tälern bis auf 600 m empor, z.B. im Valle del Frigido, wo inmitten kahler Felsen kleine Weinberge vorkommen. Die Ebene selbst ist eine zu fast pausenloser Fruchtbarkeit bestimmte Landschaft. Hier wachsen alle für das Mittelmeergebiet charakteristischen Kulturpflanzen, unter anderem in den bewässerbaren Abschnitten Reis, so um den Lago di Massaciuccoli, dem grössten See der Toskana ( 6,5 km2 ), oder in der Ebene von Lucca. Von der alten imposanten Festungsmauer dieser Stadt aus, auf der heute eine prächtige Allee dahinzieht, schweift der Blick auf reich bewässerte, frucht-gesegnete Gefilde. Namentlich wichtig ist hier die Kultur der Olive. Dieser Baum geht an den Südhängen der Hügel bis auf 600 m empor. Er besetzt in der Provinz Lucca den Hauptplatz in der Landwirtschaft. Das Öl von Lucca gilt als das beste Italiens. Der Olive sagt hier, ausser dem Klima, der Boden besonders zu. Dieser besteht aus Kalkstein und dessen Verwitterungserden. Von anderen angebauten Gewächsen wird dieser Kalkboden eher gemieden, wie D. Zaccagna 2 richtig bemerkt. Die Rebe z.B. bevorzugt die Schiefer und Sande. Die höheren Teile der Hügelregion werden häufig von immergrünen Gebüschen, den Macchien, eingenommen, so von Wacholder, Erika, Myrten, Ginster, zu denen sich Zypressen, Steineichen und Lorbeer gesellen. Diese Vegetation wird durch die vordringende Rebe allmählich verdrängt. An einigen Orten hat vor dem Krieg die Weinproduktion eine zunehmende Bedeutung erlangt, z.B. bei Massa.

In den Apuanischen Alpen im engern Sinn herrscht ein ausgesprochenes Gebirgsklima. Das Jahresmittel der Temperatur nimmt mit steigender Höhe ab. Gewiss sind die Sommer auch hier noch warm, die Winter dagegen sehr kalt. Die jährliche Niederschlagsmenge ist noch viel grosser als im Küsten- 1 Diese Zahlen stammen aus: A. Mori, La Patria. Geografia d' Italia, Abschnitt Toskana. 1927.

2 D. Zaccagna: Memorie descrittive della Carta geologica d' Italia. Volume XXV. Roma 1932.

gebiet; sie verteilt sich hier aber gleichmässiger über das ganze Jahr als dort. Die Apuane und der angrenzende Teil des Apennins stellen wohl die regenreichste Region der italienischen Halbinsel dar. Im Bereiche von Ospe-daletto und des Passo del Cerreto fallen im Jahr durchschnittlich 300 cm. Auch das sich östlich an die Apuane anschliessende Gebiet, die Garfagnana, besitzt auffallenderweise ein gleichgeartetes Klima. Castelnuovo z.B. weist im Durchschnitt eine Niederschlagsmenge von 177 cm auf. Diese Landschaft ist so stark gegen das Meer hin abgeriegelt, dass sich dessen Einfluss nicht mehr geltend macht. Im Winter stürzen rauhe Nordostwinde durch die Lücken des Apennins in dieses breite Tal, sie bringen Schnee und grosse Kälte. Das Klima der Garfagnana hat, was die Temperaturen anbelangt, einen kontinentalen Charakter.

Im Gebiet der Apuanischen Alpen treffen sich also auf engem Raum grosse klimatische Gegensätze. Daran ist das Gebirge schuld. Höchst einprägsam zeigt sich auch hier, wie wichtig Bodenerhebungen, letzten Endes die tektonischen Kräfte, für den Ablauf des Klimas einer Landschaft sind.

Nach dem Klima richtet sich die Vegetation. In den Apuane und in der Garfagnana breitet sich der Laubwald aus. Er besteht in den unteren Regionen aus Edelkastanien, die überwiegend als Hochwald auftreten und das Gebirge bis in eine Höhe von 900—1000 m ziemlich zusammenhängend bedecken. Der Sommer ist für das Ausreifen ihrer Früchte lang, warm und feucht genug. Ihr Vorkommen scheint ausser vom Klima noch in stärkstem Masse von der Gesteinsunterlage abhängig zu sein. Sie hält fast ausschliesslich die Gebiete besetzt, die aus dem eozänen Flyschsandstein, dem Macigno, bestehen. Das ist so ausgesprochen der Fall, dass man umgekehrt aus der blossen Anwesenheit solcher Bäume mit Sicherheit auf diese Gesteinsart schliessen kann. In der Verbreitung gehen Sandstein und Edelkastanie offensichtlich zusammen. Gleich ihm umhüllt dieser Fruchtwald beinahe lückenlos das Gebirge. Er liebt den tiefgründigen, Feuchtigkeit aufspeichernden Boden. Der Sandstein bestimmt sogar ebensosehr als das Klima die obere Grenze der Kastanie. So überziehen ausgedehnte Kastanienselven den Macigno der Monti di Pescaglia, des Monte Volsci, Monte Umbriano ( 1230 m ), der Monti di Ugliancaldo und Monti di Marciaso im Norden und Osten des Gebirges, ferner die Sande des Monte Carbolo, Monte Bastione usw. im Süden. Sie meiden in den Apuane ausnahmslos den Kalkboden. Vielleicht ist ihnen dieser zu wenig reich an Kalium. Dagegen kommen sie, wie D.Zac-cagna bemerkt, auf den kieselreichen Schieferfelsen der ältesten Gesteine vor, so in den Becken der Edron, der Tre Turrite und der Pedogna.

Über der submontanen Gebirgsstufe mit der Edelkastanie als Charakterbaum folgt die Region der Buche, die bis auf 1600—1700 m Höhe hinaufgeht. Das Gebiet darüber wird von wenig wertvollen Weiden und kahlen Hängen gebildet.

Die Edelkastanie steht in den Apuanischen Alpen im Mittelpunkt der landwirtschaftlichen Betätigung. Überhaupt nimmt sie in der Toskana einen wichtigen Platz ein; auf diese Landschaft entfallen mehr als ein Viertel der Kastanienwälder Italiens. Im Monat Oktober sammeln die Bauern die nahr- haften Früchte ein. Damit das leichter vor sich gehen kann, brennen sie unter den Bäumen das hochgewachsene Gras einige Wochen vorher nieder. Wer im September diese weiten Selven durchwandert, kann da und dort aus ihnen eine Rauchfahne aufsteigen sehen. Nach der Ernte werden die Früchte gedörrt, um sie haltbarer zu machen. Das geschieht in den « metati » oder « seccatoi », den Rost- oder Dörröfen ( Einzahl « il metato » und « il seccatoio »; seccare = trocknen ). Es sind das kleinere, im Wald zerstreut liegende Steinhäuschen, deren Inneres in ungefähr halber Höhe von einem horizontal gelegten, losen Balkenwerk, dem Rost, durchzogen wird. Auf diesem breiten die Leute die Kastanien haufenweise aus und entfachen darunter ein schwaches Feuer. Durch die Hitze und den aufsteigenden Rauch werden die Früchte, die man oft wenden muss, im Laufe von drei bis vier Wochen getrocknet. Solange sie noch warm und ihre Hülsen spröde sind, werden sie in Säcke gefüllt und mehrere Male auf einen Holzblock geschlagen, um sie auf diese Weise zu schälen. Ganz gleich geht das Kastaniendörren an einigen Orten der Südschweiz, z.B. im Bergeil, vor sich. Dort liegen, wie Dr. Geiger l berichtet, gleichfalls kleine steinerne Dörranlagen im Walde drin. Sie heissen « essiccatoi di castagne » ( essiccare = austrocknen ) oder « casipole di sasso » ( la casipola = das Häuschen; il sasso = der Stein ) oder auch « gra » ( la grata = der Rost ). In den Apuane dauert das Dörren ein bis zwei Monate. Die « metati » sind ein besonderes Merkmal dieser Waldgebiete. Sie sind für die Bevölkerung so wichtig, dass sie ihre eigenen Namen haben und auf den grossmaßstäbigen topographischen Karten eingezeichnet sind. An die « metati » muss man sich bisweilen mangels anderer topographischer Merkmale bei der Orientierung halten. Das Wort « metato » tritt sogar nordöstlich von Camajore als Name einer Siedlung auf.

Die Bauern bringen die gedörrten Früchte nach Hause und lassen diese im Laufe des Winters in einer Mühle zu Kastanienmehl, der « farina dolce », vermählen. Für diese Arbeit wird der Müller nicht in bar entschädigt, er darf indessen eine bestimmte Menge Mehl zurückbehalten. Es ist üblich, wie uns der Mühlenbesitzer des Dorfes Gramolazzo berichtete, dass der Müller auf je 100 kg Mehl 4—5 kg bezieht. Dieser Ansatz gilt auch für das Mahlen von Weizen und Mais. Aus dem Kastanienmehl wird durch Zugabe von Wasser, manchmal noch von Salz, ein Teig gemacht, der in Farbe, Glanz und Festigkeit wie ein Schokoladepudding aussieht. Er wird gekocht und dann warm oder kalt gegessen. Diese Speise, die hier « la polenta » heisst, kommt alle Tage ein- oder zweimal auf den Tisch. Sie ist für die Bauernbevölkerung dieser Gebiete das tägliche Brot. Es sind natürlich für die Ernährung der kinderreichen Familien grosse Mengen Kastanien einzubringen. Nach den erhaltenen Auskünften braucht eine sechsköpfige Familie jährlich 1000—1200 kg. Diese Mengen sind jedoch leicht zu beschaffen, liefert doch schon ein einziger Baum unter günstigen Verhältnissen jährlich 100—200 kg. Ein paar Bäume vermögen also eine ganze Familie mit Kastanien zu versorgen. Die Leute 1 Dr. Geiger: Das Bergell. Forstbotanische Monographie. Chur 1901. Siehe auch F. Merz: Die Edelkastanie, ihre volkswirtschaftliche Bedeutung, ihr Anbau und ihre Bewirtschaftung. Bern 1919.

sammeln in der Regel viel mehr ein, als der Eigenbedarf verlangt, häufig bis zu 4000 kg. Davon wird ein grosser Teil verkauft.

Der Kastanienbaum ist den Bauern noch in anderer Weise nützlich. Die Blätter des unteren Astwerkes werden während des Sommers abgeschnitten und an der Sonne getrocknet. Sie geben Streue und Dünger, namentlich aber Winterfutter für die Schafe, Ziegen und Kühe. Die Selven sind so gross, dass noch viel Holz geschlagen und industriell verwertet werden kann. Man stellt aus ihm Fässer, Möbel und Holzkohle her oder gewinnt einen Gerbstoff, das Tannin. Eine der grössten Tanninfabriken Italiens findet sich in der Nähe von Bagni di Lucca im Valle della Lima, einem durch seine Heilquellen bekannten Kurort. Dieses Tal selber ist auf seinem Schattenhang dicht mit Kastanien bedeckt, den Sonnenhang aber nehmen Ölbäume ein.

In den Apuaner Alpen sitzen einige Siedlungen auf lichten Bergrücken, Terrassen oder sonnigen Berglehnen, z.B. Minucciano ( im Norden ) oder Pedogna ( im Süden ). Hell schimmern ihre weissgetünchten Häuser aus dem Kastaniengrün hervor. Es sind kleinere Dörfer oder auch nur Weiler und Einzelhöfe. Die guten Trinkwasserverhältnisse des Gebietes haben die Streusiedlung ermöglicht; an zahlreichen Stellen sprudeln starke Quellen hervor. Als Siedlungsname tritt bezeichnenderweise hin und wieder, wie übrigens im Kanton Tessin, das Wort Castagnola auf, z.B. im Norden von Gramolazzo oder im Süden von Massa. In der Nähe der Wohnstätten ist gewöhnlich Land für einen bescheidenen Getreide- und Gemüseanbau vorhanden. Gelegentlich ist es eine freie Kuppe eines rings von Kastanienwald umschlossenen Hügels. Auf den sie kreisartig umziehenden Terrassen gedeihen hangeinwärts Korn und Gemüse und hangauswärts Reben. Die Häuser sind auch in den Sandsteingebieten aus Kalksteinen gebaut, die aus Bachbetten und Brüchen stammen, wie bei Agliano bei Gramolazzo.

Neben den Kastanienselven nehmen die Getreideäcker eine bescheidene Fläche, ein. Das Getreide reicht auf 1200—1300 m empor, so bei Arm auf 1100 m, bei Vagli di Sotto auf 1300 m. Das ist verhältnismässig wenig. Im Wallis steigt es auf etwas über 2000 m hinauf, in den Abruzzen, etwa im Gebiete des Gran Sasso d' Italia bis auf 1670 m. In den Apuaner Bergen schrumpft die Kulturfläche oberhalb 1200 m stark ein, einerseits wegen des Klimas und anderseits wegen der zunehmenden Steilheit der Hänge. Das Getreide gedeiht in den unteren Lagen in Mischkultur mit anderen Ackerfrüchten, so mit Reben und Oliven. In den Alpen und im Zentralapennin verläuft die Grenze der ständig bewohnten Siedlungen im allgemeinen 100—200 m unterhalb der höchsten Getreidefelder. Es muss also für diese Dörfer der Anbau eigenen Korns möglich sein. In den Apuane liegt jedoch die Siedlungsgrenze häufig viel tiefer; zwischen ihr und der obern Grenze der Getreidekultur besteht kein innerer Zusammenhang. Weit mehr als das Korn beeinflusst die Kastanie die Höhenlage der Wohnstätten. Auf der Ostseite finden sich Getreideäcker bis 700 m oberhalb der Dörfer, so bei Vagli di Sotto. Die Bevölkerung sieht sich hier genötigt, solch abgelegene Flächen zu bewirtschaften, weil im Tal die Kastanienhaine für einen reichlicheren Anbau keinen Raum lassen.

Vor dem Dreschen muss das Korn in den höheren Berglagen während einiger Tage im Freien zum Trocknen ausgebreitet werden. In den abseits liegenden Höfen und Weilern drischt der Bauer noch in primitiver Weise, indem er die Garben einfach auf ein schief gestelltes oder waagrecht liegendes Brett schlägt. Die niedergefallenen Körner wirft er in die Luft, um so von ihnen die Spreue zu trennen.

Der apuanische Bauer bestellt seinen kleinen Acker auch mit Kartoffeln. Um den Hof herum finden sich in der Regel einige Obstbäume. Ihre Früchte reifen in Höhen von 800—1000 m noch ordentlich gut aus. Die Graswirtschaft liegt darnieder. Der Bauer hält nur einige wenige Schafe und Ziegen und manchmal noch eine Kuh. Dieses Vieh überwintert in freistehenden Ställen, deren steinerner Unterbau durch ein hohes Strohdach abgeschlossen wird.

Die höchsten Dörfer liegen zwischen 700 und 1000 m, so Ami in 916 m, Col di Favilla in 955 m und das höchste, Puntato, in 987 m. Kaum höher gehen die rein bäuerlichen Siedlungen im benachbarten Abschnitt des Nordapennins: Corfino 1007 m, Séstola 1020 m, Sassorosso 1089 m. Grössere Höhen erreichen nur drei Kurorte, nämlich Piandelagotti mit 1209 m, Bosco-lungo mit 1365 m und San Pellegrino in Alpe mit 1524 m, der höchstgelegene ständig bewohnte Weiler des Nordapennins. Er zählt 17 Einwohner und gehört zur Gemeinde Castiglione di Garfagnana.

Im Apennin erheben sich die Dörfer meist in festungsartiger Geschlossenheit auf einem Hügel, einem Sporn oder Abhang. In den Apuanischen Alpen dagegen fehlt ihnen meist eine solch beherrschende Lage, auch zeigen sie im Grundriss keine so strenge Anlage; ihre Häuser stehen oft frei, und mit dem Platz wird weniger gekargt. Das gilt besonders für die einst von Erdbeben heimgesuchten Wohnstätten, wie Vagli di Sopra, oder für jene, die sich in den letzten Jahrzehnten vergrössert haben. Da immer mehr Marmor abgebaut wurde, haben sich zur bäuerlichen Bevölkerung zusehends mehr Arbeiter gesellt. ' Gewisse Abschnitte des Gebirges sind reich an Einzelhöfen. In grösserer Zahl kommen sie z.B. bei Casoli oberhalb Camajore vor. Dort finden sich innerhalb der Stufe des Getreidebaus viele Häuschen, die, ähnlich wie im Wallis, nur zu bestimmten Zeiten bewohnt werden. Fast jeder Bauer besitzt deren zwei, die in verschiedener Höhe liegen. Im obern ( 600—900 m ) verbringt er den Sommer ( Juni bis Oktober ), im unteren, in der Umgebung von Casoli ( 380 m ), den übrigen Teil des Jahres. Einzelne Familien haben noch tiefer, in den Olivenhainen, ein drittes Haus, wo sie sich während der Olivenernte, die in die Zeit vom Dezember bis Februar fällt, aufhalten 1.

Im Marmorgebirge von Carrara stehen aber viele Einzelhäuser mit der Landwirtschaft in keinem Zusammenhang. Sie wurden bei der Eröffnung abgelegener Marmorbrüche zur Aufnahme der Arbeiter erstellt. Diese Kantinen und Baracken sind wegen ihrer Wichtigkeit und verhältnismässig langen Beständigkeit in die topographischen Karten eingetragen. Neben der Signatur steht gewöhnlich noch der Name des Unternehmers, dem der Buch- 1 Mitteilung von L. Bertagnolli in Rivista Geografica Italiana, 1932, auf S. 214.

stabe C als Abkürzung für « cava » beigegeben ist, z.B. C. Bonotti, C. Ricci, C. Henraux, C. Mencarello.

Im Gegensatz zum Apennin sind die Apuane eine nur wenig von Hirten und Herden begangene Kette und Alphütten darum recht selten. Auf eine einzige Hirtensiedlung sind wir oberhalb Vagli di Sopra, in 1000 m Höhe, gestossen. Sie heisst Campocatino und besteht aus einigen Hütten, die im Sommer, vom Mai bis September, von etwa 10 Familien bewohnt werden. Eine kleine Ebene, im Osten des Monte Roccandagia ( 1700 m ) gelegen, dient den Schafen als Weide. Den Winter verbringen die Hirten in der Umgebung von Pisa und Lucca.

Der wichtigste Wirtschaftszweig der Apuaner Berge ist, wie bereits erwähnt, die Marmorindustrie. Ihr ist im wesentlichen das Strassennetz und damit die Wegsamkeit des Gebirges zu verdanken. Ihr hat es fast ausschliesslich zu dienen. Der Fremdenverkehr ist so unbedeutend, dass er es nicht beansprucht. Im ganzen Gebirgsraum liegt kein einziger Fremdenort, nicht einmal ein Berghotel. Es besteht nur eine einzige bescheiden eingerichtete Klubhütte für die wenigen Touristen, die das Gebirge im Sommer aufsuchen; es ist der Rifugio Aronte in 1642 m. Trotz ihrer Schönheit vermag die Kette auf die Bewohner der nahen Städte keine besondere Anziehungskraft auszuüben. Es ist allerdings zu erwarten, dass der aufblühende Wintersport etwas Wandel schafft und die Sportfreudigen in diese Berge ruft.

Die Apuanischen Alpen können auf mehreren Pfaden überquert werden. Paßstrassen sind nur an ihren beiden Enden vorhanden. Die eine führt im Westen von Sarzana über die Foce il Cuccù ( 514 m ) nach Rometta und die andere im Süden von Camajore nach Lucca. Nichts, selbst nicht einmal der Marmor, hat bis heute zum Bau von solchen Anlass gegeben. Die Apuane sind eben kein sehr fühlbares Verkehrshindernis; sie können leicht und bequem umgangen werden. Der Hauptverkehr vollzieht sich in der Richtung des Gebirgsstreichens, also dem Meer entlang und durch die Garfagnana. Ist einmal, wie geplant, Marina di Carrara zum Hauptverladeplatz für Marmor geworden, so mag das etwas anders werden. Dann wird sich vielleicht das Bedürfnis nach einer direkten Verbindung der östlich der Wasserscheide gelegenen Brüche mit dem Meere dringender geltend machen. Es könnten verhältnismässig leicht zwei in entgegengesetzter Richtung verlaufende Quertäler durch einen Strassentunnel miteinander verbunden werden. Ein Tunnel z.B. durch den Monte Sagro, den Marmorberg von Carrara, würde nur ungefähr 2% km lang. An einer Stelle haben übrigens die morphologischen Verhältnisse eine solche Abkürzung, die allerdings verkehrsgeographisch nicht sehr wichtig ist, ermöglicht. Ein knapp 2 km langer Strassentunnel durch den Colle del Cipollajo ( 1151 m ), der in den Canale del Giardino ausmündet, schliesst das an der Ostflanke gelegene Marmortal von Arni an das Verkehrsnetz der Südseite an. Der Bau einer langen Bergstrasse von Arni aus nach der Garfagnana, nach der sich das Tal entwässert, wäre unlogisch und unwirtschaftlich gewesen.

Im Raum der Apuane waren die wechselseitigen Einflüsse zwischen Gebirge und Vorland in verkehrsgeographischer Hinsicht sehr verschieden.

Das Vorland war für das Gebirge, selbst wirtschaftlich, fast bedeutungslos. Es hat deshalb die Anlage von Bergstrassen nicht angeregt und mitbestimmt. Umgekehrt hat aber das Gebirge seinen Einfluss auf die Gestaltung des Verkehrsnetzes im Vorland ausgeübt. Denn die Marmorindustrie veranlasste den Bau von Strassen und Bahnen, namentlich nach dem Meere hin. Ohne diesen Stein wären einige Hafenorte weniger wichtig geworden, zumal sie sich für eine Großschiffahrt nicht eignen. Das Meer ist längs dieser Küsten dafür nicht tief genug und leidet unter ständiger Versandung. Die Flüsse des Apennins und der Apuanischen Alpen führen ihm riesige Schuttmengen zu, im nördlichen Teil die Magra, im südlichen der Arno und Serchio. Die Versandung schreitet in ihren Mündungsgebieten stark fort. Sie ist im dazwischenliegenden Abschnitt geringer und erreicht ein Minimum bei Forte dei Marmi. Aus dieser verschieden starken Schuttzufuhr erklärt sich in erster Linie die gleichmässig bogenförmig verlaufende Uferlinie zwischen Arno und Magra. Immer wieder, seit Jahrhunderten, müssen die Häfen an dieser Schwemmlandküste ausgebaggert werden. Längst schon sind Hafenorte, die im Altertum bedeutend waren, landfest geworden, so Pisa, das heute rund 11 km vom Meer entfernt liegt. Da ist das Land, jährlich durchschnittlich um 6 m vorgestossen. Bei Marina di Carrara beträgt nach den Angaben von D. Zaccagna 1 der Landzuwachs dagegen bloss durchschnittlich 1,5 m im Jahr.

Die Küste eignet sich in diesem Abschnitt ausgezeichnet als Badestrand. Ein Ort ist sogar zu einem weltbekannten Badeplatz geworden: Viareggio. Diese kleine moderne Stadt, die ungefähr 33 000 Einwohner zählt und im Sommer von rund 100 000 Feriengästen aufgesucht wird, hat sich zum ersten Badeort Italiens entwickelt. Ihr Strand ist auf eine Länge von 3 km mit Badehäuschen besetzt.

Die Apuane bilden einen Glanzpunkt landschaftlicher Schönheit. Verwitterung, Wasser und Eis haben ihnen ein kühnes und stolzes Antlitz gegeben. In Aussehen und Entstehung stimmen sie mit den Alpen aufs innigste überein, ja, sie sind überhaupt nichts anderes als ein Teil der Alpen selber. Beide Gebirge sind durch die gleiche Urkraft im selben geologischen Zeitabschnitt zu gewaltigen Falten aufgetürmt worden.

Feedback