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Die Entstehung des Luganersees

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Von Hans Annaheim. Das präglaziale Eintiefungssysfem.

An die Lösung der Frage nach der Abgrenzung von Wirkungsweise und Einflussbereich von Wasser und Eis gelangt man am nächsten heran, wenn es gelingt, die voreiszeitlichen von den eiszeitlichen, vermutlich wenigstens teilweise glazialen Formbildungen zu sondern. Von'entscheidender Bedeutung ist demnach die Bestimmung des unmittelbar präglazialen Reliefs, aus dessen Vergleich mit der gegenwärtigen Skulptur sich dann Schlüsse über den formbildenden Einfluss der Eiszeit ergeben. Dabei ist vor allem die Festlegung des präglazialen Talbodenverlaufes wichtig.

In weit höherm Masse als in irgendeinem andern Teile des schweizerischen Alpenlandes ist im Luganerseegebiet die Möglichkeit zur Altersbestimmung alter Talböden gegeben, finden sich doch vor der Ausmündung der luganesischen Täler in der Nähe des Alpenrandes mittelpliozäne marine Sedimente bei Balerna und Folla d' Induno bei Varese.Verlängert man nun das System 14 unter Annahme gleichen Gefälles nach Süden unter die pleistozänen Aufschüttungen, so würde es bei Folla d' Induno eine Bodenhöhe von ca. 240 m aufweisen, was in Analogie zu den Pliozänaufschlüssen von Balerna der vormittelpliozänen Erosionsfläche und dem Auflagerungshorizont des Mittelpliozäns entsprechen würde. Das System 14 ist demnach am Ende des ersten Pliozänabschnittes zur Ausbildung gelangt. Darunter sind nur noch zwei Eintiefungseinheiten in allen Teilen unseres Gebietes beobachtet worden, die Systeme 15 und 16.

Die beste Methode zur Fixierung des präglazialen Bodens besteht in der Verknüpfung eines Eintiefungssystemes mit der Sohle der ältesten pleistozänen Ablagerung im Alpenvorlande, des Deckenschotters. Da die Felssohle des Deckenschotters im lombardischen Alpenvorlande nur ganz vereinzelt aufgeschlossen ist, fällt leider diese stratigraphische Bestimmung des präglazialen Niveaus dahin.

Morphologische Beobachtungen sind nun ein Fingerzeig, dass die luganesische Eintiefungseinheit 16 das präglaziale Niveau repräsentiert. Unter diesem Boden macht sich nämlich an einigen Stellen besonders klar und eindrucksvoll eine starke Talvertiefung gegenüber den Seitentälern bemerkbar, welche in grösstem Gegensatz zu der fluviatilen Kraft-verteilung steht, aber auffallende Übereinstimmung mit der Anordnung der diluvialen Haupteisströme aufweist. Es sei auf einige Beispiele eingetreten.

Das Val d' Isone mündet wenig unterhalb der Ceneripasshöhe in einer 100 m hohen Stufe in die trogförmige Ceneritalung. Der Fluss Vedeggio hat eine schmale Schlucht in die Mündungsfläche eingesägt und geht heute gleichsohlig in langer Flachstrecke auf den breiten Talboden der orographischen, flusslosen Haupttalung hinaus. Während also dieser tiefer erodiert und ausgeweitet wurde, hat der Vedeggio nur eine schmale Kerbe in den altern breiten Seitentalboden einzuschneiden vermocht; weiterhin besagt aber gerade dieser heute noch in prächtigen Flächen erhaltene alte Talboden 16, dass in frühern Zeiten auch der Vedeggio eine breite Talsohle auszubilden verstand, welche eben in den Quertalboden herausstrich. Wie ist nun dieses starke Zurückbleiben der Abtragskräfte im Val d' Isone hinter denjenigen des Ceneritales in der letzten Phase der Taleintiefung zu erklären? Die Formsprache ist klar: seit Ausbildung des Systems 16 muss der Abtrag im Cenerital im Vergleich zu demjenigen im Val d' Isone ganz ausserordentlich zugenommen haben. Wo aber ist der starke Hauptfluss der Quertalung, welcher in der Zeit seit Ausbildung des Systems 16 seine erosive Kraft dermassen gesteigert hat, dass er den breiten Talboden der Ceneritalung hat schaffen können, während der Vedeggio nur eine schmale Kerbe zu bilden befähigt war? Er fehlt! An seiner Stelle irrt ein kümmerlicher Wasserfaden, die Leguana, durch die breite Talung1 ).

Die Gletscherflussverhältnisse weisen in der Gegend des Ceneripasses den Gegensatz auf, welcher für die morphologische Herausgestaltung der Mündungsstufe bezeichnend ist: einen bedeutenden Gletscherstrom in der Ceneritalung und eine stark gestaute Eismasse in der Tiefe des Val d' Isone. Dort war die Möglichkeit zur Entfaltung erosiver Kraft gegeben, hier aber war deren Auswirkung behindert. Damit ist die sprunghafte Zunahme der Erosion im Haupttale seit dem Isonesystem erklärt: sie vollzieht sich mit dem Vorrücken der eiszeitlichen Gletscher. Das System 16 ist somit das unmittelbar präglaziale Einliefungssystem, welches noch den Gesetzen fluviatiler Talbildung folgt. Es ist bezeichnenderweise auch das unterste der allgemein luganesischen Talbodensysteme.

Prächtig ist der Gegensatz zwischen präglazialer Fläche und eiszeitlicher Absenkung des Haupttales in der Terrassenbucht von Pura zu sehen: Keil-förmig greift die durch die Magliasina geschaffene Puraterrasse, nach welcher wir das präglaziale System benannt haben, in das Gehänge ein; darin eingesägt ist die enge diluviale Schlucht der Magliasina. Besonders prägnant ist der Formgegensatz wieder an den Mündungen der Seitentäler des Porlezza-Seetales, wo unter der untersten Flachstrecke des Systems 16 jeweils die Steile zum Seespiegel und endlich der gegen 300 m betragende Abschwung zum Seeboden einsetzt. Auch hier hat eine grossartige Abtiefung eines präglazial nur geringe fluviatile Kräfte aufweisenden Tales gegenüber seinen Nebentälern stattgefunden, welche in der Eintiefung beträchtlich zurückgeblieben sind, da sich in ihnen das von unten her eingedrungene Eis anstaute1 ).

Wir können demnach schliessen: Das System 14 ist prämittelpliozän, das nur 50 m tiefer eingeschnittene Purasystem 16 dagegen unmittelbar präglazial2 ).

Welche Höhenlage nimmt nun der präglaziale Puraboden in den Haupttälern ein? Im Ur-Cassaratetalzug sinkt er von 370 m bei Lugano gleich-massig bis Brenno am Alpenrande auf 230 m. Eine ganz ähnliche Höhenlage ist im Vedeggiogebiet zu verzeichnen, wo er von 500 m bei Taverne bis auf 340 m bei Ponte Tresa niedersteigt, um dann durch das Tresatal bis auf rund 300 m zu fallen. Der Betrag der diluvialen Talvertiefung ergibt sich nun einfach als Höhendifferenz zwischen dem Purasystemboden und der heutigen Felssohle der Talrinnen. Es geht daraus hervor, dass die pleistozäne Taleintiefung in der Vedeggiotalung von Taverne bis Ponte Tresa 130-170 m beträgt; etwas grössere Zahlen zeigt die Ur-Cassaratetalung zwischen Lugano und Melide, schwillt doch hier die Vertikalkomponente des eiszeitlichen Abtrages auf 260 m, während sie oberhalb Lugano nur um die 100 m und bei Morcote um 150 m misst; am bedeutendsten aber ist die pleistozäne Absenkung des Talraumes im Seetale von Porlezza, geht sie hier doch etwas über 400 m hinaus.

Eiszeitliche Talformung.

Die Art der Talformen unter dem Puraboden gibt uns einige Hinweise auf ihre Entstehung. Nur im Vedeggiogebiet sind noch eine Anzahl tieferer Terrassenniveaus angedeutet, und im Cassaratetal sind lediglich vereinzelte Leisten unter dem System 16 erhalten, während im übrigen Gebiete tiefere Reste zu fehlen scheinen. Eine Sonderung von Fluss- und Eiswerk während des Pleistozäns auf Grund von Terrassenbeobachtungen ist nicht möglich.

Der tiefste Abschnitt des Talquerschnittes ist in den Seetälern prächtig erschlossen, während er weiterhin durch Verschüttungen der Beobachtung entzogen ist. Dort aber gleiten die Böschungen beidseits steil und ungebrochen zum flachen Seeboden nieder; mehr oder weniger hohe Kasten- oder Trog-profile sind für die Seetäler typisch.

Weitere Beobachtungen weisen darauf hin, dass die Bildung der tiefsten eiszeitlichen Hohlformen aufs engste mit den Gletscherströmen zusammenhängt.

Die höchsten Mündungsstufen der Seitenbäche treten im Seetale von Porlezza auf; hier erreicht die diluviale Taleintiefung also die bedeutendsten Ausmasse.Von hier folgt der Streifen beträchtlicher eiszeitlicher Talvertiefung dem Seearme von Campione, um sich dann in die beiden Seeäste von Capolago und Morcote zu teilen, wobei der Ubertiefungsbetrag aber sofort abnimmt. Der Zug maximaler eiszeitlicher Talvertiefung folgt demnach nicht der fluviatilen Linie des alten Ur-Cassaratetales, sondern den Gleitbahnen des luganesischen Addagletschers.

Die Höhenlage des Seebodens steht in auffälliger Übereinstimmung mit der Entwicklung dieses Gletscherarmes: dort, wo sich das Addaeis als geschlossener und mächtiger Strom durch das Tal von Porlezza drängt, findet sich die maximale Absenkung des Seebodens; sobald der Gletscher aber in das breite Ur-Cassaratetal und in die Bucht von Lugano eintritt, findet das Eis ein geräumigeres Bett vor, wodurch sofort seine Fliessgeschwindigkeit und damit auch seine Erosionskraft abnimmt Dies zeichnet sich im Seeboden in prächtiger Konsequenz durch den langsamen Aufschwung desselben von 30 m auf 180 m ab; eine geringe Stufe von ca. 10 m kennzeichnet sodann bei Mareggia und Brusino-Arsizio die weitere Aufteilung des Gletschers an der Spaltecke des Monte S. Giorgio. Die zweite Hauptlinie diluvialer Taleintiefung folgt der Strömungsrichtung des Tessineises in der Vedeggiotalung, wenn hier auch nicht die maximalen Übertiefungs-beträge wie beim Addagletscher zu verzeichnen sind.

Ganz allgemein ist zu beobachten, dass diese Linien stärksten diluvialen Abtrages nur teilweise mit denjenigen maximalster voreiszeitlicher fluviatiler Tiefenerosion zusammenfallen. Täler starker Flusserosion, wie Val Cassarate, d' Isone, Magliasina und Tresatal, zeigen nur sehr geringen bis mitt- Die Alpen — 1936 — Les Alpes.35 leren Abtrag. Dagegen fallen voreiszeitlich erosionsschwache Täler durch eine mächtige, ja enorme pleistozäne Abtragsentfaltung auf, wie das Seetal von Porlezza, das Tal von Capolago, das Seetal von Brusimpiano: es sind dies Hauptbahnen der eiszeitlichen Gletscherarme. Durch diese Kongruenz von Haupteislinien und eiszeitlicher Eintiefung werden wir zur Annahme bedeutenden Gletscherabtrages im Luganese gedrängt; dieser hat zum grossen Teile die Eintiefung der eiszeitlich gegrabenen Talräume geschaffen, ihm ist die Übertiefung der Seebecken gegenüber den einmündenden Tälern zu verdanken, welche in hohen zersägten Mündungsstufen zum Seeboden abfallen.

Wie wir gesehen haben, können diese Stufenmündungen niemals durch fluviatile Kräfte erklärt werden, was besonders eindrücklich die Verhältnisse am Ceneri ( Val d' Isone ) und beim Porlezza-Seetale lehren. Wohl sind bei kleinen Bächen fluviatile Mündungssteilen geringer Höhenspannung und über eine gewisse Zeit hin möglich; aber vorherrschend ist im fluviatilen Abtrags-land doch der Typus der gleichsohligen Mündung. Auch diese Überlegung spricht deutlich gegen die Heimsche Theorie der Seebeckenbildung durch isostatische Einmuldung: ertrinkt ein fluviatil geschaffenes Talsystem, so müsste sich der Seespiegel, je grösser die Stauhöhe ist, um so mehr auch in die Seitentäler hinein verästeln. Am Luganersee beobachten wir das Gegenteil: in kein einziges kleineres Seitental greift der See; er ist durchweg an die grossem eisdurchströmten Talwege gebunden, auf welche die bis 400 m hoch hängenden Seitentäler hinauslaufen. Diese gewaltigen Mündungsstufen können nie und nimmer in einem fluviatilen Zertalungsprozesse entstanden sein.

Die Formung einiger Gehänge des Luganese spricht auch für die Wirksamkeit glazialen Seitenschur f es. Wo dieser irgendwie bedeutend gewesen ist, dürfen keine Terrassen voreiszeitlicher Eintiefungseinheiten mehr zu sehen sein. Anderseits ist klar, dass da, wo präglaziale Leisten ein Gehänge gliedern, der glaziale Abtrag nur sehr gering war und sich auf Rundhöckerung beschränkte.

Zwei Talabschnitten fehlen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, jegliche Terrassenreste: dem Talzuge Porlezza-Campione-Capolago und dem Seetale von Brusimpiano. Die Tallinie Porlezza-Capolago ist die Bahn des Addagletschers; das Seetal von Brusimpiano fasste während der Eiszeit einen stark bewegten Tessineisarm. Es ist typisch, dass sich die Orte merkbaren Seitenabtrages stets dort finden, wo auch beträchtlicher Gletscherschurf in die Tiefe griff. Dieses Zusammenfallen von Linien starken Tiefen- mit solchen beträchtlichen Seilenabtrages und beider mit den bedeutendsten Eis f luss-linien des luganesischen Eisstromnetzes ist eine eindrückliche Tatsache, welche klar für die Bedeutung der Glazialerosion spricht.

Es bleibt noch die Frage zu beantworten, warum die glaziale Seitenerosion nicht auch die Terrassen des Val d' Agno zwischen Taverne und Ponte Tresa und des Seetales von Brusino-Arsizio, welche Talabschnitte ja ebenfalls von mächtigen Eisästen durchströmt waren, vernichtet hat.

Die bessere Leistenerhaltung der Hänge des Vedeggiotales setzt dort ein, wo der Tessingletscher des Ceneri in die weite Hügelmulde nördlich Lugano hinausflutet; hier konnte er sich ausdehnen, was eine Verminderung der Fliessgeschwindigkeit zur Folge hatte, so dass der Angriff auf die Seiten- wände seines Bettes stark abgeschwächt wurde und nur oberflächliche Rundungen erzeugte. Gleiches gilt auch für den Talabschnitt von Brusino-Arsizio; während das Talstück von Campione für den durchfliessenden Gletscher ein etwas zu enges Profil besass und deshalb ausgeweitet wurde, so dass Terrassen nur hinter den schützenden Eckpfeilern des Salvatore und Monte La Sighignola erhalten blieben, genügte die Breite des voreiszeitlichen Profils des Talraums von Brusino dem durch die Diffluenz am Monte S. Giorgio-Sporn geschwächten Teilarm des Gletschers. Im präglazial weit kleinern Ur-Maratale aber fand der Gletscherzweig von Capolago nicht einen weiten Talraum vor; er musste sich bei erhöhter Fliessgeschwindigkeit durch ein enges Tal zwängen und hat sich deshalb das ihm konforme Gletscherbett durch seitlichen Abtrag selbst geschaffen.

Gerade beim Übergänge des Gletschers aus dem Ur-Cassaratetal in das Ur-Maratal von Capolago war die Wirksamkeit glazialen Abschurfes besonders beträchtlich. Während die Haupteisströme überall die vorliegenden alten Täler benützten, haben sie hier, wo der Übertritt in ein direkt zum Alpenrand führendes Tal sehr leicht über eine niedrige Wasserscheide möglich war, durch Niederschleifen eines schon voreiszeitlich stark abgesenkten Kammes eine neue Tiefenlinie geformt und dadurch das Tal von Capolago dem Seebecken ebenbürtig angeschlossen oder, wie der klassische Ausdruck der Glazialmorphologie lautet, eingefächert. Dass diese einzige Einfächerung des Luganerseegebietes gerade im Stromstrich des Addaeises liegt, kann nun nicht mehr verwundern.

Zusammenfassend können wir sagen, dass die erosive Kraft der Gletscher auf die Gestaltung der Seelandschaft von entscheidendem Einflüsse gewesen ist, sich aber nicht überall in gleicher Richtung und Intensität ausgewirkt hat. Es lassen sich vielmehr deutlich drei verschiedene Grade des glazialen Eingriffes unterscheiden:

1. Der Gletscher hat die präglaziale Landschaft nur gering beeinflusst; es tritt lediglich eine leichte Überformung des fluviatilen Formenschatzes ein.

2. Der Gletscher hat die terrassengestuften Gehänge nur oberflächlich überschliffen, dagegen die Talwege merklich ausgetieft.

3. Der Gletscher hat sowohl die Hangpartien stark abgetragen als auch einen ansehnlichen Tiefenschurf entwickelt.

Der Grossteil des Luganerseegebietes zeigt die geringen Eingriffe ersten Grades 1 ). Es handelt sich dabei überall um Talräume, in welchen die Eismassen entweder gestaut oder in ihrem Abflüsse doch merklich behindert waren. Die glazialen Eingriffe zweiten Grades sind beschränkt auf das Val d' Agno und auf das Talstück von Melide-Porto Ceresio. Den stärksten Grad glazialer Erosion finden wir namentlich auf dem ganzen Wege des Addaeises von Porlezza bis Mendrisio; er kommt da zur Auswirkung, wo die voreiszeit- DIE ENTSTEHUNG DES LUGANERSEES.

liehen Talprofile für den durchfliessenden Gletscher zu eng waren, immerhin aber schon von allem Anfange an ansehnliche Eismassen durchlassen konnten, denen ein stärkerer Eingriff in das Relief möglich war. Diese Ergebnisse sind die Bestätigung eines Gedankens, den Penck vor kurzem in klarer Form unverçletschertes Berçland Eisoberfläche in Hunderten von Metern fis mit erosiven Eingriffen ersten Safesweiten *«vi.... drittenGrenze Tessin - ûdda - Eis 2. Karte der Anordnung der Glazialerosion im Luganerseegebiet.

ausgesprochen hat: « Es wechseln in den Alpen Stellen grosser und geringer Erosion, und begreiflich wird, warum die einen von sehr starker Glazialerosion sprechen und die andern sie verneinen. Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte, sondern bald hier, bald dort. » So ergibt unsere Betrachtung, dass das gesamte Seebecken in all seinen Zweigen durch die Gletscherströme der Eiszeit ausgetieft worden ist. Aber nicht nur der eigentliche Seetrog ist ein Erzeugnis der eiszeitlichen Tiefen-exkavation; auch die terrassenfreien, steilen Hänge über dem Seespiegel sind ein Werk glazialen Abtrags. Kein Berg aber im ganzen Luganese zeigt so eindrücklich die einschneidende Wirkung des Gletscherschurfes wie der imposante Monte S. Salvatore, dessen dem Addaeisstrom zugewandte Ostseite zu prächtiger Steilheit zugeschliffen worden ist, während die andern Flanken des Berges sanfteres Abfallen zeigen. Auch das reizende Fischerdörfchen Gandria erhält ein Gutteil seiner malerischen Wirkung durch seine Lage am jähen Schurfhang, wie überhaupt vom Seearm von Porlezza die imposanteste und geschlossenste Wirkung aller Abschnitte des Luganersees ausgeht. Steil und ohne Leisten erheben sich die eintönigen Liashänge oder die verschliffen en, kahlen Dolomitwände der kühnen Zähne der Pizzoni aus der ruhigen Spiegelfläche des Sees. Es gehört zum Charakter der luganesischen Landschaft, dass die kühnen Landschaftsbilder aus dem See herauswachsen, während die seefemern Talkammern mehr die ruhigem Züge fluviatiler Tätigkeit aufweisen. Nicht nur die Umrahmung des Porlezzasees erinnert am nachhaltigsten an gewisse, von ragenden Gebirgswänden eingefasste Alpenseen, auch das Seebecken zeigt die bedeutendsten Ausmasse: es besitzt die grösste Breite von 2000 m und die beträchtlichste Tiefe, senkt sich doch der breit ausladende Seegrund bei Gandria bis auf 14 m unter das Niveau des Meeresspiegels hinab.

Die Seebildung.

Nachdem nun die Entstehung der Felswanne des Luganersees umrissen ist, sei noch auf die Entwicklung des heutigen Seebildes eingetreten.

Nach unsern Leistenbeobachtungen und Systemrekonstruktionen ergibt sich für das voreiszeitliche Purasystem 16 bei Brenno am Alpenrand eine Sohlenhöhe von 230 m. Es dürfte dies die Schwellenhöhe des rückwärtigen Felsbeckens sein. Eine noch tiefere Zerschneidung des Alpenrandes ist nicht anzunehmen. Demnach sind an der Stauung des gegenwärtigen Sees auf 274 m auch die glazialen Akkumulationen der randalpinen Zungenbecken beteiligt, welche den Seespiegel um ca. 50 m über die Höhe der verschütteten Felsschwelle emporheben; doch sind es nicht die Endmoränengürtel selbst, welche diesen Höherstau bewirken, sondern die mehr rückwärtig zur Ablagerung gelangten Serien der Grundmoränen, Glaziallehme und -schotter der Zungenbecken.

Die Ausbildung des Sees ist aufs engste mit dem Eisrückzuge verknüpft; in den eisverlassenen Felsbecken stauen sich die von den Bergen herabströmenden Gewässer sofort an, und der entstehende See folgt auf dem Fusse den sich zurückziehenden Eiszungen, deren Endmoränenwälle er bespült. Dabei machen Spiegelhöhe und Abflussverhältnisse des wachsenden See-gebildes eine recht interessante Entwicklung durch, welche bald nach dem gänzlichen Rückzuge der Eismassen aus dem Berglande zu einer relativen Konsolidierung fortschreitet.

Der Eisrückzug vollzieht sich etappenweise; wir konnten drei luganesische Rückzugsstadien feststellen und parallelisieren. Ein erster Rückzugshalt ( S. Pietro-Stadium ) schaltet sich am Alpenrande ein, wo die Moränen von S. Pietro etwas hinter dem äussersten Wallgürtel der Zunge von Genestrerio aufgeschüttet worden sind und sich bei Arcisate der prächtige Endmoränen-bogen des Porto Ceresio-Armes quer über den Talausgang legt. Bei Cantone südlich Capolago und in der Gegend von Porto Ceresio gelangen sodann die Moränen des nächsten Haltes der Addazungen zur Ablagerung ( Cantone-Stadium ); die im Tale von Brusino-Arsizio liegende Gletscherzunge teilt sich bei Porto Ceresio in zwei kurze Lappen, welche am Seeboden Wälle absetzen; der eine davon ist durch die Auslotung des Seebodens bei S. Bartolomeo festgestellt worden, während der andere unter den Aufschüttungen der Talsohle von Porto Ceresio verborgen sein muss. Die Tessineiszunge endet vollständig isoliert bei Magliaso, wo vor dem Magliasinadelta noch ein un-verschütteter Rest des Moränenwalles am Seeboden angedeutet ist.

Wie die Oberflächenformen der Zungenbecken lehren, bildet sich zur Zeit dieses Stadiums ein kleiner See im Becken von Genestrerio, dessen auf 340 m gespannter Spiegel die Gletscherzunge von Capolago bespült und bis etwas südlich von Genestrerio reicht; er findet durch eine Mulde der Moränenumwallung Abfluss zum Becken von Baierna.

Auch das verlassene Zungenbecken des Gletschers von Morcote füllt sich südlich Porto Ceresio bis in 330 m mit Wasser, welches über die Schutt-schwelle zwischen dem Inselberg Monte Useria und dem Talgehänge im Osten Abfluss zur Poebene findet; mit ihm hängt offenbar der zwischen den beiden Moränenbögen von S. Bartolomeo und Magliaso das Tal von Brusimpiano erfüllende Stausee über die Gletscherzunge von Morcote hinweg zusammen.

Am prächtigsten sind die Moränenwälle des dritten Rückzugshaltes, des Melidestadiums, ausgebildet. Sie umgürten das Becken von Lugano bis zum Dolomitklotz des Salvatore, während die im Tale von Campione vorstossende Zunge bei Melide einen breiten Wall quer über den See legt. Auffallend ist die überragende Grosse der einzelnen stadialen Addaeiszungen gegenüber den gleichaltrigen Tessineisarmen, hat sich doch der Tessingletscher damals bis Cadempino im Val d' Agno zurückgezogen; ein Seitenzweig bildet das kleine Zungenbecken des idyllischen Origliosees, der im Süden von einem ansehnlichen Moränenwall überhöht wird. Auch in diesem eigenartig gegensätzlichen Verhalten von Tessin- und Addaeis während des Rückzuges zeigt sich das früher schon betonte Übergewicht des Addagletschers gegenüber dem Tessineis.

Mit diesem dritten Eisrückgange werden weite Eisschurftalungen frei, und der Luganersee erfüllt schon die heutigen Seebecken mit Ausnahme des noch vom Eise blockierten Talzuges Porlezza-Lugano-Melide; dagegen ist sein Spiegel um 56 m höhergespannt als heute, was offenbar damit zusammenhängt, dass die tiefe Tresafurche bei Luino noch durch den Tessingletscher der Langenseetalung verstopft ist, so dass die hochgestauten Wassermassen nur über die schon genannte Schwelle östlich des Monte Useria abfliessen können. Infolge seiner bedeutenden Spiegelhöhe von 330 m besass der See eine weit ansehnlichere Ausdehnung als gegenwärtig, reichte er doch im Süden mit seinen zwei Zipfeln einerseits bis Mendrisio, anderseits im Talraume von Porto Ceresio gleich weit wie während des zweiten Rückzugsstadiums; da das Zungenbecken von Genestrerio nun durch den Seearm von Capolago mit dem Seeüberlauf südlich Porto Ceresio verbunden ist, sinkt hier der Wasserspiegel um 10 m, was mit einem Rückzuge des Sees aus dem Zungenbecken verbunden ist. Im Norden überfluten Seearme das ganze Val d' Agno bis zur Tessingletscherzunge und das Tal von Figino, an dessen Nordende unweit von Lugano im Anschluss an den Eislappen von Lugano durch Gletscherbäche ein kleines Delta auf den seichten Seegrund abgesetzt wird 1 ). Im Westen stösst ein schmaler Seearm durch das Tresatal bis in die Gegend von Luino an die Eisbarriere des Langenseegletschers vor.

Mit dem vollständigen Rückzuge der Gletscher aus dem Gebiete der insubrischen Seen werden endlich alle Hohlformen blossgelegt; der See folgt der Gletscherzunge aufwärts bis weit über Porlezza hinaus und dringt auch in das unterste Cassaratetal oberhalb Lugano ein, zieht sich aber im Süden um weniges zurück, wird doch sein Spiegel auf die Höhe von 300 m abgesenkt, da durch den Eisrückgang die Öffnung des Tresatales freigelegt wird, so dass der See nun über die etwas oberhalb Luino das Tal querende Porphyrschwelle von Fornasette Abfluss zum Langensee findet; auch diese Spiegellage wird durch Deltafunde in der Gegend von Ponte Tresa erhärtet. In dieser Zeit besitzt der See die bedeutendste Ausdehnung.

Bald aber sägt sich die Tresa in die Uberflusskante von Fornasette ein, womit eine erneute Absenkung des Seeniveaus auf seine heutige Höhe verbunden ist; ansehnliche Gebiete werden dadurch landfest; der See ist in sein rückläufiges Entwicklungsstadium eingetreten. Das Land ist auf dem Vormarsch, ein Prozess, welcher durch die Aufschüttung von grossem oder kleinern Deltas in den See bis heute ununterbrochen fortdauert. Namentlich die Magliasina schiebt ihr Delta weit in den Lago d' Agno vor und verbindet dadurch die ehemalige Insel des Caslanerberges mit dem Lande.

Die auffällige Tatsache, dass der See seine ursprünglichen Abflussrinnen im Süden nicht beibehält, zeigt, dass sich die Absenkung des Seespiegels jeweils so rasch vollzieht, dass sich der Abfluss nicht rasch genug einschneiden kann, um der Absenkung des Sees zu folgen. Durch den Eisrückgang werden eben sozusagen spontan tiefere Überflussöffnungen freigegeben, welche sofort die Funktion des Seeabflusses übernehmen; dieser Vorgang ereignet sich zweimal, wobei zunächst der Abfluss von Genestrerio verschwindet, dann aber auch derjenige östlich des Monte Useria aufgegeben wird. Der schon voreiszeitlich ausgetragene Kampf um die Flussbereiche endet nun mit einem gänzlichen Siege der Langenseetalung; nach ihr gehen heute durch die Tresafurche alle Gewässer des Sottoceneri, nicht ausgenommen diejenigen der alpenrandnahen Abschnitte, wo in den glazialen Zungenbecken zentripetal-rückläufige Entwässerung stattfindet.

Die Luganersee-Landschaft ist das prächtige Ergebnis eines langen und ereignisreichen Entwicklungsablaufes. Der Ceresio entsteht auf Grund einer uralt vererbten Talanlage, welche durch Flussverschiebungen verschiedene Abwandlungen erfährt, die namentlich eine bessere Durchgängig-keit des Berglandes und seine Aufschliessung gegen die benachbarten alpinen Talgebiete zur Folge haben. Durch drei im Laufe dieser Entwicklung geschlagene Pforten strömt das Eis der vier Vergletscherungen in das Luganese ein und sucht sich den vorhandenen Tiefenlinien entlang den kürzesten Ausweg zum Alpenrand, wobei namentlich der vom mächtigen Addagletscher abzweigende Seitenast zu starkem Vordringen nach Westen gezwungen wird, da die sich ihm zunächst bietende Abflussrinne nur eine schmale Eiszunge aufnehmen kann. Dadurch wird das schwächere Tessineis nach Westen abgedrängt und staut in der Bucht von Ponte Tresa den Tresaeisarm zurück, so dass sich nur in der Vedeggiotalung und deren orographischer Fortsetzung, im Seetale von Brusimpiano, ein stärker bewegter Tessineisstrom vorschieben kann. Dieser und der Hauptast des Addagletschers mit seiner Abzweigung nach Morcote pflügen ihre Gleitbahnen tief aus und formen die Felswannen, deren südlicher Rand durch die glazialen Aufschüttungen noch erhöht wird, so dass sich nach dem Eisrückzuge die Gewässer in der Hohlform zu einem vielarmigen See aufstauen. Die Anordnung der alten fluviatilen Talwege, die Lage der drei Gleischerpforten, die formbüdende Kraft der Eisströme und die grosse Mächtigkeit des Addagletschers vermitteln uns den Schlüssel zum Verständnis dieses zentralsten Elementes luganesischer Landschaft.

Wasser und Eis haben in wechselvoller Verzahnung ihrer Wirkungen das formenreiche Relief geschaffen, welches jeden Besucher durch seine Vielgestalt mit ihrer hier weich abgestimmten Linienführung, dort aber dramatischen Bewegtheit und Grosse gefangennimmt. Für die Schaffung des herrlichen Seebildes aber schulden alle Kenner landschaftlicher Schönheit und Harmonie den eiszeitlichen Gletschern Dank.

Erwähnte Schriften.

Aeppli, A.: Erosionsterrassen und Glazialschotter in ihrer Beziehung zur Entstehung des Zürichsees. Beiträge zur geologischen Karte der Schweiz, XXXIV, 1894.

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Annaheim, Hans: Karte zur Morphogenese des Luganerseegebietes. Mit kurzem Begleitwort. Schweizer Geograph 1935.

Annaheim, Hans: Die Landschaftsformen des Luganerseegebietes. Geographische Abhandlungen, begründet von A. Penck, herausgegeben von N. Krebs. 3. Reihe, Heft 8. Verlag Engelhorns Nachf. Stuttgart 1936.

Annaheim, Hans: Flusswerk im Sottoceneri. Boll. Soc. ticinese scienze nat. 1936.

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Flückiger, Otto: Glaziale Felsformen. Petermanns Mitteilungen, Ergänzungsheft 218,1934.

Heim, Albert: Der Zürichsee. Neujahrsblatt natf. Ges. Zürich 1891.

Heim, Albert: Die Entstehung der alpinen Randseen. Vierteljahrsschr. natf. Ges. Zürich. 1894 Heim, Albert: Geologie der Schweiz. Leipzig 1919—1921.

Nussbaum, Fritz: Die Seen der Pyrenäen. Mitteilungen natf. Ges. Bern 1934.

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Omboni, Giovanni: I ghiaccia] antichi e il terreno erratico di Lombardia. Atti Soc. ital.

scienze nat. Ili, 1861.

Penck und Brückner: Die Alpen im Eiszeitalter. Leipzig 1909.

Penck, Albrecht: Das Antlitz der Alpen. Die Naturwissenschaften, 12. Jahrgang, 1924. Rütimeyer, Ludwig: Über Tal- und Seebildung. Basel 1869. Solch, Johann: Grundfragen der Landformung in den nordöstlichen Alpen. Geografiska Annaler IV, 1922. Taramelli, Torquato: I tre laghi. Milano 1903.

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