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Die Markgenossen der Urschweiz

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Von Max Oedislin.

Wir stellen bewusst die Julinummer der « Alpen » in das Gedenken an die Feier des 650jährigen Bestehens der Eidgenossenschaft, denn es sind Gebirgsleute der Gotthardberge gewesen, die auf dem Rütli den Schwur taten und sich gelobten, gegenseitig einander beizustehen und keinen fremden Richter anzuerkennen. Aus der Wesensart und dem Sinnen und Denken von Menschen der Hochgebirgstäler der Innerschweiz wuchs im Verlauf der Jahrhunderte diese Einheit der Eidgenossenschaft, welche durch alle Stürme Jahrhunderte hindurch immer wieder sich siegreich zu behaupten und zu einen vermochte.

Jäger und Hirten waren es, welche die Besiedelung unserer Talschaften vornahmen, in jenen Jahrhunderten, da noch Waldbestände unsere innerschweizerischen Täler bedeckten. Nur in geringer Zahl schlugen sie hier ihr Gewohn auf, während südwärts der Alpen das Volk der Römer bereits zu höchster Staatsentwicklung gelangt war und nicht nur grosse Ortschaften besass, sondern auch Verkehrswege kreuz und quer durchs Land angelegt hatte, auf denen die Tragtiere und Karren dahinzogen, um die auf Schiffen übers Mittelmeer aus dem nahen Orient zugeführten Waren neben den eigenen Landesprodukten von Ort zu Ort zu bringen. Während somit ennet den Alpen schon eine hochentwickelte Kulturstufe erreicht war, von der uns urkundliche Überlieferungen und Ausgrabungen alter Siedelungen mit reichen Kunstwerken und Kulturhinweisen erzählen ( und die auch vereinzelte Orte unseres schweizerischen Mittellandes erfasst hatte ), lebte in unsern Talschaften ein Jäger-und Hirtenvolk, das kaum nur an die Pfahlbausiedelungen der Mittelland- und Voralpenseen und deren Nachfahren gebunden war. Wir müssen und dürfen vielmehr annehmen, dass schon zu dieser Zeit in unsern Bergtälern nicht ein undurchdringlicher Urwald die Talböden und Hänge bedeckte, sondern Hochgebirgswald, wie wir ihn noch heute in den entlegenen und vom grossen Strom des Verkehrs nicht erfassten Gebirgsgegenden treffen: Urwald, in welchen Lawinen, Steinschlag, Wildbäche und Stürme schon damals die Schneisen und Blossen schlugen, so dass wildes Weidland im Walde entstand. Wo nun die Menschen in diese Täler eindrangen, liessen sie sich anfänglich wohl kaum dauernd nieder, sondern waren Nomaden, die in stetem Wandern von Tal zu Tal zogen, für sich die Früchte und Beeren des Waldes und der Lichtungen als Nahrung sammelnd, die jagten und fischten und auch eingefangenes und gezähmtes Wild mit sich trieben und auf den Weiden hielten, um so für den Winter und für Nottage Nahrungsvorräte zu besitzen.

Wir treffen diese Lebensweise noch heute bei zahlreichen Naturvölkern fremder Erdteile, nämlich bei Volksschaften, deren Entwicklung erst vor wenigen Jahrhunderten begonnen hat und die heute gewissermassen erst den Stand erreicht haben, den unsere Altvordern vor anderthalb Jahrtausenden besassen. Das Nomadenleben, das Wandern von Tal zu Tal, aus der Ebene ins Bergland hinein und zurück zur Ebene, war durch die Nahrungssuche bedingt. Die Sippe, die sich aus einigen zusammengehörenden Familien bildete, verblieb an ein und selbem Ort, solange genügend Nahrung zu finden war oder die klimatischen Verhältnisse ein Bleiben erlaubten. Ein Ortswechsel fand erst statt, wenn die Suche nach neuer Nahrung dies erforderte, Kälte oder Wärme, Wassernöte oder andere natürliche Einflüsse eine Verlegung des Siedelungsortes verlangten. Auch die Pfahlbauer mögen Nomaden und Viehzüchter gewesen sein, deren Seeufergewohn eine Art Dauersiedelung war, von der aus sie ihre Jagdstreifzüge in die nähere und weitere Umgebung unternahmen, die sie aber auch im Frühling verliessen und mit ihrem Gross- und Kleinvieh bergwärts zogen, um die Waldweiden zu durchstreifen und bis zu den Alpgebieten zu gelangen und um mit dem Einzug des Herbstes wieder talwärts und seewärts zur Dauersiedelung zurückzukehren. In der Dauersiedelung blieb ein Teil der Sippe zurück ( wie Frauen und Gebrechliche und Kinder ), besorgte die in der nächsten Umgebung liegenden Äcker und Weiden, unterhielt die Hütten und Vorratshäuser, während der andere Bevölkerungsteil aber, vor allem die Jungmannschaft, mit dem Vieh oder allein zur Nahrungs-und Materialsuche auf die Wanderschaft zog. Von den Dauersiedelungen aus zogen sich die « Kreise der Wanderschaft », anfänglich ungeregelt, von Jahr zu Jahr in andere Gebiete, lediglich Abgangsort und Endort blieben gleich; die Orte innerhalb des sommerlichen Kreislaufs wechselten dagegen. Dies konnte ungehindert geschehen, solange sich die Wanderwege der verschiedenen Sippschaften nicht berührten und störend kreuzten oder überdeckten. Da aber, wo die einzelnen Wanderwege verschiedener Stämme einander berührten, so dass die selben Haltegebiete gleichzeitig benützt werden wollten oder dass der später eintreffende Nomade die natürlichen Früchte schon geerntet fand, ergaben sich Streitigkeiten zwischen den Sippschaften. Dabei konnte der friedliche Wettstreit entscheiden: wer zuerst vom betreffenden Gebiet Besitz erfasste, ward der Eigentümer der Früchte und Erträge, und der Nachzügler zog weiter zu anderm, noch unberührtem Halteplatz. Oder dann entschied der Kampf: der Stärkere gewann im Waffenaustrag die Oberhand, erschlug den Schwächeren oder trieb ihn in die Flucht. In allen Fällen aber entwickelte sich durch diesen Kampf um die Vorherrschaft die Neben-einanderstellung der verschiedenen Sippen, die Wanderwege fanden eine gegenseitig festgesetzte Regelung, sie wurden von der Dauersiedelung aus in bestimmte Talschaften gelegt. Verblieben dann Teile dieser Nomaden im Wandergebiet, sich in diesen wiederum in neugebildeter Dauersiedelung niederlassend, um von ihr aus die nähere Umgebung der Talschaft zu nutzen, so entwickelten sich die besondern Talleute. Auf diese Weise können wir uns das Entstehen der einzelnen Volksgemeinschaften in den Waldstätten denken und können verstehen, weshalb dann zu Beginn der Anfänge der Eidgenossenschaft die Obwaldner das Tal der Sarneraa vom Brünig bis zum See bewohnten, diejenigen Nid dem Wald das Tal von Engelberg zwischen Bergkamm und See, dass die Talleute zu Schwyz die grosse Mulde zwischen Rigi und Zugersee, Rossberg, Mythen und Fronalpstock und das Tal der Muota besetzten, während die Urner das Hochland der Reuss, vom Urnersee mit den steilen Felswänden und weglosen Ufern bis hinauf zur wilden Schöllenen, als ihren Wohnbereich erwählten. In diesen Tälern bildeten sich die einzelnen Volks-schaften als Talgemeinschaften, die mit ihrem Boden verbunden blieben als Land- und Alpwirte, deren Gemeinschaftsgedanke von diesem Talboden abhängig blieb.

Alles Land war einmal frei. Die Besiedelung der Talschaften innerhalb der Talgemeinschaft führte aber dazu, dass das engere Gewohn der Sippenglieder Eigentum wurde, Haus und Stall und Pferch. Was aber ausserhalb diesem Eigen und Eingezäunten war, das blieb Allmende und wurde gemeinsam von allen zusammen benützt. Die Allmende war gemeinsame Mark. Die einzelnen Glieder der Dorfgemeinschaft wurden die Allmendgenossen, und da, wo die Gemeinschaft alle Leute des Tales erfasste, da ward und erhielt sich die Markgenossenschaft der Talleute ( wie dies besonders im Lande Uri der Fall ist ), die gleichzeitig zur Staatsgemeinschaft wurde. So erfasste diese Talgemeinschaft das gesamte Wirtschaftsleben des Tales. Die Abhängigkeit des begrenzten Eigenbesitzes von der Allmende erforderte die Regelung der Allmendbenutzung, die Ordnung für die Gemeinschaft der Menschen, die gemeinsames Eigentum erhält zum Nutzen eines jeden Mark-genössigen. « Eigennutz » durfte nicht vor « Allgemeinnutz » gehen; der Vorrang der Gemeinschaft, bei aller Achtung der Freiheit des Einzelnen, behielt die volle Gültigkeit. Wer im Tale wohnte und Eigen besass, gehörte zur Mark-genoßsame und musste gleichfalls zwangsläufig mittun in der Regelung der Mark, im Kampf um die Erhaltung der Mark. Die Urner schlössen sich zur die ganze Talschaft umfassenden Talmark zusammen, die sich bis auf den heutigen Tag in der ursprünglichen Form erhielt; die Schwyzer trennten sich in die Oberallmeind und in die Unterallmeind, die Nidwaldner in die Urten-gemeinden und die Obwaldner in die Teilsamen der einzelnen Ortschaften. Aber überall bestand und erhielt sich der Landesgemeindering, die Versammlung der Talleute, in welchem unter Leitung und Führung eines Talammannes ein jeder Genössige Rede und Gegenrede geben und anhören konnte und die Mehrheit der anwesenden Bürger endgültig entschied. Der Ring war ursprünglich auch Gerichtsthing, und wenn gerade im Bundesbrief von 1291 gesagt wird, dass kein fremder Richter anerkannt werden solle, so entsprang dies dem freiheitlichen Verlangen der Talleute, innerhalb der Markgenossenschaft selber zu entscheiden, « was richtig und zu Recht bestehend » anerkannt sei.

Auf dem Rülli sind die Talmarkleute der Waldstätte zusammengekommen, Männer aus den Bergtälern der Urschweiz. Die Grundsätze der einzelnen Talmarken fanden hier die erste Vereinigung zu einer grösseren Einheit: zur Schweiz. Es ist das Gedankengut von Gebirgsleuten, das hier verankert liegt. Und deshalb konnte und musste es bestehen bleiben und zu dem sich erweitern, was wir die Eidgenossenschaft heissen.

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