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Die photogrammetrischen Aufnahmen der schweizerischen Himalaya-Expedition 1939

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der schweizerischen Himalaya-Expedition 1939

Mit 2 Bildern und einer Karte.Von Ernsf Huber ( Zürich, Sektion Uto ).

Die Himalaja-Expedition 1939 stellt das erste schweizerische Unternehmen dieser Art dar. Sie war gekennzeichnet durch kleinen Einsatz im Vergleich zu deutschen oder englischen Expeditionen; die Kosten wurden, der Zeit angemessen, so niedrig als möglich gehalten und die Teilnehmerzahl auf ein Minimum beschränkt, nämlich auf die drei bestbekannten Bergsteiger: André Roch, David Zogg und Fritz Steuri, sowie den Verfasser in seiner Eigenschaft als Vermessungsingenieur und Photogrammeter. Als Expeditionsergebnisse sind zu nennen: drei Erstbesteigungen ( ausführlich geschildert in dem Buche « Schweizer im Himalaja » ), ein Expeditionsfilm, ein Farbenfilm und eine photogrammetrisch erstellte Karte, über die hier näher berichtet werden soll.

Die Stereophotogrammetrie: Erläuterung der Methode und Überblick über den Arbeitsvorgang.

Für den Nichtfachmann seien zuerst einige Angaben über das Wesen der Stereophotogrammetrie vorausgeschickt. Diese bildet heutzutage das wichtigste topographische Aufnahmeverfahren und hat den Messtisch nahezu verdrängt. Die Grundlage für die Methode bildet unser Vermögen, plastisch zu sehen, d.h. mit unseren beiden Augen Tiefenunterschiede wahrnehmen zu können. Ohne diese erstaunlich fein ausgebildete Fähigkeit wäre die Stereophotogrammetrie undenkbar. Wie der Name sagt, handelt es sich um die Vermessung mit Stereoaufnahmen. Von dem Gelände werden zwei, womöglich parallele Aufnahmen von ungefähr gleich hohen, aber seitlich verschiedenen Standpunkten hergestellt. Die Strecke zwischen den beiden Standpunkten nennt man Basis, ihre Länge beträgt etwa 1/lo der mittleren Aufnahmedistanz. Die beiden Photographien in einem Stereoskop betrachtet, ergeben dann ein räumliches Bild des Geländes. Eine einzelne Photographie ist, geometrisch gesprochen, dasselbe wie eine Zentralprojektion; Projektions-zentrum ist der Objektivmittelpunkt und Bildebene die Schichtseite der Platte. Ein stereometrisches Aufnahmepaar stellt also zwei Zentralprojek-tionen des gleichen Baummodells dar. Dieses ist eindeutig bestimmt, wenn die beiden Aufnahmen im Baume festgelegt ( orientiert ) sind.

Man unterscheidet zwei Arten von Stereophotogrammetrie; je nachdem, ob von der Erde oder aus dem Flugzeug photographiert wird, spricht man von terrestrischer Photogrammetrie oder Luftphotogrammetrie. Letztere wird vor allem für flacheres Gelände angewendet, ist jedoch prinzipiell für jedes Gebiet geeignet. Terrestrische Photogrammetrie zur Kartenherstellung kommt dagegen nur in gebirgigem Gelände zur Anwendung.

Das Aufnahmegerät der terrestrischen Photogrammetrie ist eine Kombination von Präzisionskamera und Theodolit, der sogenannte Phototheodolit. Mit diesem Instrument und seinen Zusatzgeräten ( Basislatte, Stative, Kassetten ) erfolgt die gesamte Feldarbeit, umfassend Winkelmessungen und Höhenwinkelmessungen nach bekannten, schon vermessenen Punkten, Basismessung und photographische Aufnahme. Bei jeder Aufnahme muss die Lage der Kameraachse durch Kippung und Verschwenkung gegenüber der Basis angegeben werden. Nach der Feldarbeit erfolgt die Berechnung der Stationen ( Lage und Höhe ) und Basislängen, das Aussortieren der Negative und schliesslich das Auftragen der gegebenen Punkte und berechneten photogrammetrischen Stationen auf das Auswertungsblatt.

Die Auswertung, d.h. die direkte Herstellung eines Kartenabschnittes entsprechend dem photographierten Gebiet, geschieht am sogenannten Stereoautograph. Das Plattenpaar wird in die Auswertungskammern eingelegt und erhält mittels der errechneten Daten genau die gleiche Orientierung wie im Moment der Feldaufnahme. Der Auswertende erblickt nun im Doppelfernrohr des Autographen ein vergrössertes stereoskopisches Bild des Geländes. Zudem sieht er das räumliche, gleichsam in der Luft schwebende Bild einer T- oder punktförmigen Marke, welche er mit zwei Handrädern und einer Fuss-scheibe nach den drei Koordinatenrichtungen im Baume bewegen kann. Mit dem Autographen gekuppelt ist ein Zeichnungstisch, auf welchem ein Stift in einem beliebig festzusetzenden Maßstab genau die gleichen Horizontal-bewegungen ausführt, die der Auswertende mit der Marke vornimmt. Wird diese z.B. längs einer Moräne oder eines Baches geführt, so zeichnet der Stift direkt die gewünschte Linie ( Horizontalprojektion ) im eingestellten Maßstab. Bei jeder beliebigen Stellung der Marke kann die Höhe an einer Trommel abgelesen werden. Wird sie auf einen runden Betrag, z.B. 4500 m. fixiert, so kann die Marke mittels der beiden Handräder für die Horizontalbewegung dem Gelände entlang bewegt werden, und man erhält auf dem Tisch auf Zeichnungsgenauigkeit die Schnittlinie des Geländes mit einer Ebene in 4500 m Höhe. Es entstehen naturgetreue Höhenkurven von einer Genauigkeit, wie sie ein punktweises Aufnahmeverfahren ( Messtisch ) niemals liefern kann.

Vorbereifungen.

Schon einigemal haben Topographen in höheren Gebirgen als unseren Alpen photogrammetriert. Die grösste bisherige Leistung dieser Art stellen ohne Zweifel Dr. Finsterwalders Aufnahmen am Nanga Parbat dar. Im Falle unserer Schweizer Expedition, die schon unter erschwerten Bedingungen startete, handelte es sich darum, mit bescheidenen und teils improvisierten Mitteln etwas Brauchbares hervorzubringen. Bei der Wahl des Expeditionsgebietes gaben politische Faktoren und bergsteigerische Erwägungen den Ausschlag. Der Gharwal-Himalaja, ein Teil des zentralen Himalaja, hat einen relativ kurzen Zugang und liegt zudem auf britischem Hoheitsgebiet. Wohl findet man dort keine Achttausender, dafür aber eine Reihe kühner sechs-und Siebentausender, die schon verschiedenen Angriffen getrotzt hatten.

Um uns über den Stand der neuesten indischen Vermessungen zu orientieren, besuchten André Roch und der Verfasser das britische Vermessungsamt von Indien in Derah-Dun. Major Osmaston, ein englischer Vermessungsingenieur, zeigte uns in zuvorkommendster Weise die neuesten Messtischaufnahmen und die Herstellung der daraus entstehenden neuen Karten. Von grösstem Interesse war für uns das Gebiet um den Kosagletscher mit den Gipfeln Hathi Parbat, Ghori Parbat und Rataban, wohin uns der zweite Teil der Expedition führen sollte. Teils schlechte, teils lückenhafte Messtischaufnahmen bewogen mich, dieses Gebiet für photogrammetrische Kartierung zu wählen.

Nach zehntägigem Anmarsch befanden wir uns am 10. Juli im Bergdörflein Lata ( ca. 2000 m ) unweit der Einmündung des Rishiganga ins Dhaulital. Dort verliess unsere Route das Dhaulital, wo der gut unterhaltene Weg weiter talaufwärts über Kosa, Gamsali und den Nitipass ins Tibet führt. Das erste Expeditionsziel, welches noch vor Monsuneinbruch erreicht werden sollte, war die Eispyramide des Dunagiri.

In beschwerlichem, sechstägigem Marsch längs den exponierten Abstürzen der Rishigangaschlucht gelangten wir zum Ramanigletscher, hinter dessen Seitenmoräne das Basislager aufgeschlagen wurde. Alles unnötige Material und ein grosses Nahrungsmitteldepot hatten wir in Lata zurückgelassen.

Schon eineinhalb Wochen später, nach dem ersten misslungenen Versuch der Besteigung des Dunagiri, verliess ich meine Kameraden am Ramani- gletscher. Der Sherpa Angdava war von nun an mein Begleiter, persönlicher Diener, Koch, Vermessungsgehilfe und Träger in einer Person. In Lata zurück, traf ich mit dem Transportoffizier, Mister Ghabar Singh, zusammen, den uns die Britische Regierung in zuvorkommender Weise nachgesandt hatte. Mit seiner Hilfe wurden die letzten Vorbereitungen getroffen, wie Verpackung der Instrumente, Auswahl des Gepäckes und der mitzunehmenden Nahrungsmittel. Nicht leicht war das Finden wirklich erstklassiger einheimischer Träger, deren ich drei bis vier benötigte.Vorerst stellte mir Mr. Singh zwei seiner ausgezeichneten Kulis zur Verfügung. Ein bescheiden aussehender Bursche aus Lata bot mir seine Dienste an, indem er ein schmutziges Papier aus der Rocktasche hervorklaubte. Dieses entpuppte sich bei näherer Betrachtung als ein Zeugnis von Major Osmaston, worauf ich Murkulio, wie sich der Jüngling nannte, engagierte.

Photogrammetrische Tätigkeit im Gebiet des Kasagletschers.

Am 5. Juli verliessen wir Lata Richtung Kosa. Noch war der Monsun nicht hereingebrochen; aber es galt in höchster Eile die zunächst gelegenen Stationen in den wenigen restlichen Schönwettertagen zu erledigen. Nach einem anfänglichen Misserfolg gelang am 10. Juli Station Nr. 1 ( Aufnahme gegen das untere Kosatal, von dem mit « Malari » bezeichneten, 4700 m hohen Berge südlich vom gleichnamigen Dorf ). Drei Tage später, am 13. Juli, erfolgte bei wunderschönem Wetter die Erledigung der Station Nr. 2, östlich von Malari, eine Fernaufnahme in die Hathi- und Ghori Parbatgruppe. Diese Aufnahme war ganz besonders von Glück begünstigt, denn zwei Tage später brach der Monsun unerbittlich und endgültig herein. Schon am 13. Juli abends erreichten wir wieder unseren Ausgangspunkt, das Dorf Kosa, um anderntags für längere Zeit ins Gebiet des Kosa- und Ratabangletschers zu ziehen. In diesen Hochtälern wirkt sich der Monsun für den Topographen weniger ungünstig aus als in tiefer gelegenen Gegenden, und es war deshalb zum voraus geplant, die Zeit von Mitte Juli bis Mitte August dort oben zu verbringen.

Am 14. Juli, nach langem, besonders für die Träger sehr mühsamem Aufstieg, bezogen wir ein Lager am Südhang des Kosagletschers in ca. 4500 m Höhe, neben einer wasserspendenden Schneerunse. Am anderen Morgen sollte anderthalb Stunden weiter oben auf exponiertem Felsgrat der gewaltige Gletscherabbruch photogrammetriert werden, doch setzte in der Nacht zum 15. Juli ein so hartnäckiger Landregen ein, dass diese Station ( Nr. 3 ) erst am 20. Juli erledigt werden konnte. Die folgenden zwei Regentage benützten wir, um ins Ratabantal zu dislozieren und dort seitlich vom Gletscher ein kleines Basislager aufzuschlagen. Der Lagerplatz richtete sich nach dem Vorkommen des höchsten Holzes, das von einem Strauch, ähnlich unserem Wacholder, geliefert wurde. Es war ein denkbar günstiger Zufall, dass wir solche Sträucher hier oben, auf 4600 m, einer selbst für die Himalajavegetation erstaunlichen Höhe, antraf en. Der obere Teil dieses Tales vermittelt dem Beschauer einen mächtigen Eindruck. Die Südflanke bildet eine 2000 m hohe, unnahbare Felsmauer, gekrönt durch den Nordgipfel des Ghori Parbat, und auf der weniger steilen Nordseite imponiert der Rataban mit seinen tief eingefressenen Seitengletschern. Dieses interessante Tal zu photogramme-trieren, war eine selten reizvolle Aufgabe. Bei dem dauernd ungünstigen Monsunwetter kam uns der glückliche Umstand zu Hilfe, dass auf einzelne nächtliche Aufheiterungen auch einige klare Morgenstunden folgten, während die Nebelbildung talabwärts schon viel früher einsetzte.

Die drei im obersten Talabschnitt nötigen Stationen gelangen am 24., 25. und 26. Juli. Sie sind mir besonders lebhaft in Erinnerung geblieben, weil jede von ihnen etwas Besonderes bot. Station Nr. 4 erforderte die Ersteigung und Querung eines steilen Firncouloirs; zu meinem Erstaunen zogen die Kulis hier ihre Gummischuhe aus und folgten mir barfuss in den Stufen, auf meine besorgten Blicke nur mit einem Lächeln antwortend. Nr. 5 war nur auf Schnee möglich, der Theodolit drehte sich langsam mit der ganzen Unterlage ( wie aus der Satzmessung ersichtlich war ), und über uns, fast senkrecht zum Schauen, drohte hängendes Eis aus der 2000 m hohen Wand. Nr. 6 wiederum war die höchste überhaupt angelegte Station ( 5506 m ) und schenkte uns eine Aussicht von seltener Schönheit ( Abb. 1 ).

Den 27. und 28. Juli, zwei zum Vermessen ungünstige Tage, verwendete ich zu einem Besteigungsversuch am Rataban. Am 1., 2. und 3. August beendigte ich die Stationen Nr. 7 und Nr. 8, die Aufnahme des unteren Ratabantales, und traf danach glücklich mit den Bergsteigern im grossen Basislager am Kosagletscher zusammen. Sie hatten unterdessen im zweiten Ansturm den Dunagiri bezwungen und standen hier vor einem neuen Problem: Hathi und Ghori Parbat. Am 5. August startete ich mit meinen Gehilfen Nima und Murkulio erneut zu einem Versuch am Rataban, dessen Gipfel, 6156 m, wir zwei Tage später betraten. Roch, Zogg und Steuri bezogen am 11. August Hochlager 1 seitlich des Kosa.gletscherabbruches und tags darauf nach langer, harter Arbeit Hochlager 2 auf dem 5900 m hohen Plateau oberhalb des Abbruches. Am 18. August gelang ihnen dann die Eroberung des Ghori Parbat ( 6712 m ).

Ich hatte gehofft, in dieser Zeit mit den restlichen fünf Stationen im Kosatal fertig zu werden. Um die vorhandenen Platten möglichst gut auszunützen, plante ich danach für die vorgesehene graphische Triangulation eine zweite Fernaufnahme in die Hathi- und Ghori Parbatgruppe aus Südosten, und zum Schluss stand die Photogrammetrierung des Bhyundartales mit den mächtigen Westabstürzen dieses Gebirges auf dem Programm. Ich sah mich aber arg enttäuscht, denn in der Zeit vom 12. bis 25. August erlaubte das Wetter nicht eine einzige Aufnahme. Am 24. war grosser Aufbruch; meine drei Kameraden verliessen mich, um über Kosa, Joshimat und den Pilgerort Badrinath an den Fuss des gleichnamigen Siebentausenders zu ziehen, dem letzten grossen Expeditionsziel. Endlich, es war bereits der 26. August, hatte der Wettergott ein Einsehen und liess Station Nr. 9 gelingen. Am 28. folgte Nr. 10, am folgenden Tag gleich Nrn. 11 und 12 zusammen, und mit Station Nr. 13 konnte die Arbeit im Gebiet des Kosagletschers am 31. August abgeschlossen werden.

Von Kosa nach Badrinath.

Zwei strenge Tagesmärsche, vorerst längs dem heissen Dhaulital, dann wieder steil aufwärts durch eine wilde Schlucht, brachten uns in ein Standlager für die geplante Fernaufnahme. Doch glückte diese — aufgenommen vom Gipfelgrat eines Fünftausenders südlich dem Dorf Dunagiri — erst beim dritten Versuch, am B. September. Bei keiner andern Station hatten wir eine ähnliche Schinderei erlebt; nicht genug, dass wir jeden Morgen um 2% Uhr aus dem warmen Schlafsack kriechen mussten, um den 5000 m hohen Felsgrat bei Sonnenaufgang zu erreichen, zwangen die Wetterumstände bei den Aufnahmearbeiten stets zu grösster Hast. Die Basis ( Nr. 14 ) war mit 1,5 km die grösste aufgenommene, und der luftige Weg vom einen zum andern Standpunkt, ein « besserer » Gemspfad, nahm 1% Stunden in Anspruch.

Am Abend des 9. September waren wir wieder zurück in Kosa und trafen Vorbereitungen für eine grosse Dislokation. Um ins « Valley of flowers » zu gelangen ( die Engländer nennen das Bhyundartal Blumental ), muss in vier Tagesmärschen über Bampa und Gamsali ein 5100 m hoher Pass auf der Nordseite des Rataban überstiegen werden. Dieser Weg wird im Sommer hie und da von Schafhirten begangen, so dass ich hoffte, ohne Schwierigkeit die nötigen zusätzlichen Träger engagieren zu können. Leider täuschten wir uns; trotz aller Überredungskünste liess sich weder in Kosa noch in Gamsali, dem letzten Ort auf der Ostseite des Passes, ein einziger Kuli auftreiben. Man erzählte in Gamsali Schauermärchen von sieben Gletscherspalten, die den Weg zwischen glatten Felswänden beidseitig des Tales sperren würden, was sogar auf meine sonst nicht furchtsamen Leute Eindruck machte. Glücklicherweise gelang es aber dem Vermessungsgehilfen Murkulio, drei Kulis aus Bampa für uns zu gewinnen, so dass wir schliesslich mit leicht vergrösserten Lasten starten konnten. Wie vorgesehen, schlugen wir unser Lager am 12. September abends auf, 400 m unterhalb des Passes, vor dem letzten Steilaufschwung. Zwar war es bis dahin nicht ohne Zwischenfälle abgegangen; denn das unfreiwillige Vollbad im reissenden Gletscherbach stand sicher nicht auf dem Programm, ebensowenig die darauffolgende « Freinacht » auf einer Gletschermoräne ohne Wasser und ohne Zeltlager. Der folgende Tag bescherte uns dafür einen Morgen von seltener Klarheit, und so liess sich vor der Überquerung des Passes noch die Rataban-Nordseite photogrammetrieren ( Abb. 2, vergleiche mit Karte ). Die Sache mit den sieben Gletscherspalten erwies sich nicht als halb so schlimm, wie erwartet, allerdings mussten zwei meiner Leute, die nur über Turnschuhe verfügten, stellenweise buchstäblich am Seil heraufgezogen werden. Das Glück blieb uns auch im Abstieg auf der steilen und felsigen Westseite des Passes treu, und unsere kleine Expedition, bestehend aus neun Mann ( Sherpa Nima II, vier permanente und drei vorübergehend eingestellte Träger, der Verfasser ) und einem Schaf, welches wir in Gamsali für 6 Rupien ( ca. 7 Schweizerfranken ) erstanden hatten, erreichte bei einbrechender Dunkelheit einen sehr günstigen Zeltplatz, wo wir in wenigen Minuten unser Standlager für die Aufnahmen im obern Bhyundartal erstellt hatten.

Tags darauf waren die Instrumente auf 4900 m wieder « klar zum Gefecht », als gegen Mittag erneut ein Wetterumschlag einsetzte. Bereits lagen 14 wertvolle Septembertage, von denen wir uns so viel versprochen hatten, hinter uns, ohne dass meine Arbeit nach Wunsch fortgeschritten wäre. Wohl waren diese Tage reich gewesen an Erlebnissen und kleinen Abenteuern. Mancherlei liesse sich erzählen über die grotesken religiösen Tänze der Eingeborenen in Kosa, die uns mehr als die halbe Nacht den Schlaf raubten, von der Wallfahrt meiner Kuli zum Nanda Kun, dem heiligen Bergseelein, von einem feudalen Gastmahl beim reichen Dorfhäuptling in Gamsali oder von einem nächtlichen Angriff der halbwilden « Himalajakühe » auf unser Zeltlager, der zwar, abgesehen von der gestifteten Unordnung und dem auf-gefressenen Speziaireisgericht, harmlos verlief.

Das Ende kam nun rasch und unerwartet. In der Frühe des 16. September — es regnete in Strömen — sichteten meine Leute talabwärts einen Burschen, der sich auf der Moräne mit raschen Schritten unserem Lager näherte. « Aha, der Postbotel » war der erste Gedanke, aber jäh verschwand die freudige Spannung beim Lesen des Briefes von André: « Sofort mit dem Boten nach Badrinath zurückkommen, in Europa Krieg ausgebrochen! Grosses Lawinenunglück, zwei Träger tot! » — Da gab es kein Zögern mehr, schnell holten zwei Kuli die am Berg oben deponierten Instrumente, und um 11 Uhr zogen wir mit dem ganzen Lager abwärts. Das Blumental erschien jetzt trostlos, alles grau in grau, gleich wie meine Stimmung. Während ich sämtliches Gepäck meinen Trägern anvertraute und mit ihnen einen Treffpunkt vereinbarte auf den 19. September, liess ich mich in Begleitung des Sherpa Nima von dem Boten auf dem kürzesten Weg nach Badrinath führen. Nach einem 12stündigen Bergauf und -ab, das bei dem miserablen Wetter jeglichen Reizes entbehrte und an hinterhältigen Stellen nichts zu wünschen übrig liess, traf ich am Abend des 17. in Badrinath mit meinen Kameraden zusammen. Glücklicherweise fand ich sie, von geringfügigen Verletzungen abgesehen, alle gesund, aber es war ein Wiedersehen unter schlimmen Umständen. Sämtliche Pläne mussten begraben werden, galt es doch, so schnell als möglich den Rückmarsch anzutreten, bevor der unerbittliche Krieg uns neue Schwierigkeiten in den Weg legte.

Praktische Erfahrungen.

Das Gelingen eines vermessungstechnischen Unternehmens, wie es anlässlich einer Expedition durchgeführt werden kann, hängt vor allem von folgenden Voraussetzungen ab: 1. zweckmässige Ausrüstung, 2. Wahl der richtigen Jahreszeit, 3. klares Arbeitsprogramm.

Den wichtigsten Teil, gewissermassen die Seele der Ausrüstung, bilden für den Vermessungsingenieur die Instrumente; auf sie muss absolute Verlässlichkeit sein, wenn sie weitab von jeder Reparier- oder Ersatzmöglichkeit verwendet werden. In dieser Beziehung erfüllten die von der E. T. H. zur Verfügung gestellten Wild-Apparate auch hier wieder alle in sie gesetzten Erwartungen. Sowohl grosse äussere Beanspruchung beim Transport als auch Witterungseinflüsse, wie Nässe, Hitze und Kälte, vermochten die Zuverlässigkeit des Photo-Theodoliths nicht zu beeinträchtigen; dazu ist seine Handhabung bekanntlich denkbar einfach im Vergleich zur Präzision, die erreicht werden kann. Ein einziger bedeutender Nachteil besteht für Expe-ditionszwecke in dem hohen Gewicht, wiegt doch die ganze Feldausrüstung nicht weniger als 60 kg, gleich zwei Trägerlasten.

Die persönliche Ausrüstung entspricht derjenigen des Hochtouristen; von ihr sei hier nichts weiter gesagt, dafür kurz etwas über die Ausrüstung der einheimischen Träger, welche als permanente Kulis verwendet werden. Diese Leute sind ebenso genügsam wie abgehärtet und beanspruchen keine komplette europäische Bergausrüstung, wie dies bei der Trägergilde der Sherpas der Fall ist. Bis gegen 4000 m Höhe können sie ohne weiteres im Freien nächtigen; in grösseren Höhen reicht ein europäisches Zweierzelt für drei bis vier von ihnen aus, und mit einer einfachen Zeltplane kann das Zelt so verlängert werden, dass sieben Mann drin Platz finden. Um mit der Kleider- und Schuhfrage nie in Verlegenheit zu kommen, wie es uns gelegentlich passierte, empfiehlt es sich, während des Anmarsches 2-3 Paar Träger-bergschuhe für die Vermessungsgruppe und ein halbes Dutzend Turnschuhe anzuschaffen; diese sind billig, leicht mitzutragen und versehen ihren Dienst verblüffend gut, da die Einheimischen gewohnt sind, solange als möglich barfuss zu gehen.

Mit der Wahl der Jahreszeit hatten es die Bergsteiger relativ gut getroffen. Vor allem sind im Gharwal-Himalaja die Schneeverhältnisse in grossen Höhen während des Monsuns für Besteigungen günstig, und die Kälte ist noch weit erträglicher als in der Schönwetterperiode nach dem Monsun. Dagegen ist die Witterung von Anfang Juli bis Mitte September für den Topographen so unvorteilhaft, dass sich vermessungstechnische Unternehmungen in dieser Zeit selten lohnen. Es zeigt sich, dass für gewisse Gegenden die Schwierigkeit besteht, Expeditionen bergsteigerischer Natur mit topographischer Arbeit zu verbinden. Jede solche Expedition verlangt vorher eingehendes Studium der Wetter- und Klimaverhältnisse, um den günstigsten Abreisezeitpunkt zu bestimmen. Für eine grössere Vermessungsaufgabe wäre es von Vorteil, diese zeitlich unabhängig von sportlichen Unternehmungen durchzuführen.

Bei der Aufstellung des Programmes, d.h. Festlegung von zu photo-. grammetrierendem Gebiet, einzuschlagenden Routen und ungefährem Sta-tionsplan, erwiesen sich die uns vom britischen Vermessungsamt zur Verfügung gestellten Unterlagen von grossem Nutzen. Vor allem waren es Photokopien der neuerstellten englischen Messtischaufnahmen im Maßstabe 3 inches: 4 miles ( 1: 84 480 ), welche viel Rekognoszierungsarbeit ersparten, sowohl für die Identifikation der im Gebiet vorhandenen Triangulationspunkte wie für eine provisorische Festlegung der Stationen. Die Reihenfolge, in der diese aufgenommen wurden, musste sich natürlich den Witterungsumständen anpassen nach dem Prinzip: bei gutem Wetter das Nächstliegende erledigen, bei schlechtem Wetter mit dem Lager dislozieren. Im ganzen gelangen von 20 geplanten Stationen 15 mit zusammenhängenden Aufnahmegebieten, nämlich 2 Fernaufnahmen mit Basen von Die Alpen — 1941 — Les Alpes.24 1256 und 1496 m und 13 weitere Stationen mit Basen von 150 bis 500 m Länge. Die 5 restlichen Stationen hätten der Aufnahme des Bhyundartales mit den gigantischen Westflanken von Hathi und Ghori Parbat gedient. Sie fielen zufolge des vorzeitigen Expeditionsendes ins Wasser.

Die Durchführung der Feldarbeiten begegnete den grössten Schwierigkeiten zu Beginn, wo es galt, einen der einheimischen Träger als Vermessungsgehilfen anzulernen. Bei der Verständigung war ich allein auf Zeichen und mir in Kürze angeeignete, sehr bescheidene Kenntnisse der hindustanischen Sprache angewiesen, so dass es viele Mühe kostete, zu instruieren, wie ein Stativ an den verschiedensten Orten solid und mit waagrechtem Kopf aufgestellt wird. Glücklicherweise verfügte ich in meinen dauernd angestellten Trägern nicht nur über treue, sondern auch aufgeweckte Kerle, die sehr rasch erlernten, was man ihnen deutlich erklärte. Besonders der 19jährige Murkulio aus Lata brachte es schnell zu einiger Fertigkeit, so dass ich bald nie mehr den gleichen Stationsstandpunkt bei der Aufnahme mehr als einmal zu betreten brauchte.

Die Bestimmung der provisorischen Standorte und der notwendigen Basislängen geschah anhand der englischen Messtischaufnahme und die Festlegung der Basis im Gelände mit Hilfe der F'romilleteilung des Feldstechers und des Vermessungsgehilfen. Entsprechend der geplanten Auswertung im Maßstab 1: 25 000 mit anschliessender Reduktion auf 1: 50 000 wurde für die Fernaufnahmen aus 20 km Distanz das Basisverhältnis ( Verhältnis Basis-länge: Aufnahmedistanz ) ca. 1: 15 gewählt; bei näheren Stationen mit Aufnahmedistanzen unter 10 km wurde hingegen bis 1: 30 gegangen, sofern das Gelände keine längere Basis erlaubte oder dadurch Zeit gespart werden konnte. Während die grösseren Basen trigonometrisch eingemessen wurden, erfolgte die Bestimmung derjenigen unter 400 m direkt mit der Wild-Basis-latte, einem Instrument, das seines geringen Gewichtes wegen die Mitnahme mehr als lohnte.

Sehr grosse Sorgfalt muss selbstverständlich auf das Plattenmaterial verwendet werden, weil von ihm schliesslich das Gelingen der Auswertung abhängt. Einen der heikelsten Punkte bildet die Belichtung in grossen Höhen. Um Versager auszuschliessen, machte ich auf dem Anmarsch vom Kuaripass ( 3800 m ) aus zwei Probeaufnahmen, wozu ich jeweils den Skalenwert des Belichtungsmessers notierte. Kurz darauf entwickelte ich diese Platten in Lata; die eine von ihnen war gelungen, so dass ich von nun an mit dem so geeichten Belichtungsmesser arbeiten konnte. Trotzdem gerieten später auf zwei Stationen die Platten nicht nach Wunsch. So war eine der Fernaufnahmen mit zwei Sekunden Expositionszeit im Hintergrund bereits über-, im Vordergrund dagegen stark unterbelichtet, weil letztere im Schatten der aufgehenden Sonne lag. In diesem Falle hätte nur eine starke Überbelichtung des Hintergrundes, verbunden mit Ausgleichsentwicklung, oder dann eine Doppel-aufnahme zu einem guten Ergebnis geführt. In einem anderen Falle, einer Nahaufnahme morgens um 8 Uhr gegen eine im Schatten liegende Felswand, ergab der Belichtungsmesser eine Exposition von 2-3 Sekunden; es resultierte dabei ein schwarzer Himmel und eine unterexponierte Felswand, weil etwas Licht vom hellen Morgenhimmel in den elektrischen Messer geraten war. Man lernt aus solchen Beispielen, dass wohl allgemein die Regel gilt, je höher desto kürzer belichten, dass aber bei klarem Himmel in erster Linie die starken Licht- und Schattengegensätze zu berücksichtigen sind.

Die Auswertung.

Die Auswertung der Aufnahmen erfolgte durch die Schweiz. Luftver-messungs-AG. unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. M. Zeller an der E. T. H. in Zürich. Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass die Sache im Strudel der Zeit nicht einfach liegen blieb und später stark an Interesse eingebüsst hätte.

Die geodätische Grundlage aller Berechnungen bildeten die vorhandenen, von den Engländern vermessenen Punkte. Im ganzen wurden 15 solche verwendet, 2 Triangulationspunkte ( minor stations ) und 13 vorwärts eingeschnittene Punkte ( intersected points ). Im Triangulationsverzeichnis der Survey of India ist deren Lage auf 1/loo " in Länge und Breite angegeben, die Höhe der Triangulationspunkte auf 1 Fuss und diejenigen der vorwärts eingeschnittenen auf 10 Fuss.

Zuerst wurden nun die geographischen Koordinaten der gegebenen Punkte in rechtwinklige Bonnesche Koordinaten umgerechnet unter Benützung einer Gradlängentabelle. Als Nullpunkt des Koordinatensystems wurde ein zentral-gelegener Punkt gewählt: Breite 30° 40 ', Länge 79° 50 '. Das photogramme-trierte Gebiet besitzt eine ungefähre Ausdehnung von 200 km2, so dass seiner relativen Kleinheit wegen Näherungsformeln angewandt werden konnten, die die Umrechnung einfach gestalteten.

Ebenfalls in rechtwinkligen Koordinaten erfolgten dann die Stations-berechnungen. Aus ihnen erhält man Aufschluss über die Genauigkeits-verhältnisse. Die Kontrollvisuren bei Rückwärtseinschnitten weichen im Mittel y2'—1'von der berechneten Visur ab, was auf den anvisierten Punkten einer mittleren seitlichen Abweichung 2-3 m entspricht. Diese Fehler können sowohl von Ungenauigkeiten in den Koordinaten der gegebenen Punkte, vor allem der « intersected points », wie auch von kleinen Identifi-kationsunstimmigkeiten beim Anzielen dieser Punkte herrühren. Als Grundlage für die Höhenberechnung dienten die beiden benützten Triangulationspunkte. Die Höhen der « intersected points », die ja nur auf 10 Fuss angegeben sind, wurden lediglich zur Kontrolle verwendet. Sie ergaben Abweichungen von durchschnittlich 1 m, d.h. Werten, die innerhalb der Genauigkeit der benützten Kontrollhöhen liegen.

Sieben Stationen, darunter die beiden Fernaufnahmen, liessen sich direkt aus Rückwärtseinschnitten berechnen und in das Auswertungsblatt eintragen ( Maßstab 1: 25 000 ). Die beiden Fernaufnahmen erlaubten eine ideale Kontrolle der im photogrammetrierten Gebiete liegenden und ebenfalls aufgetragenen gegebenen Punkte. Anschliessend wurde durch Vorwärtsein-schnitt aus den beiden Fernaufnahmen eine Reihe weiterer Punkte gewonnen, die dann zum graphischen Einpassen der restlichen Stationen dienten. Bei einer einzigen Station war infolge Nebelbildung weder Rückwärtseinschnitt noch Basismessung möglich, doch konnte diese Station als Luftaufnahme eingepasst werden.

Bei der Ausarbeitung des autogrammetrischen Resultates zum fertigen Kärtchen wurde die neue schweizerische Landeskarte 1: 50 000 zum Vorbild genommen, nur wählte man in Anbetracht der mächtigen Steilwände die Äquidistanz 50 m anstatt 30 m. Die entstandenen Lücken liessen sich anhand von Aufnahmen mit einer 6x9 Kamera ausfüllen, wozu vor allem einige Photos, welche meine drei Kameraden auf dem Hochplateau des Ghori Parbat herstellten, sich als sehr nützlich erwiesen.

Die Fels- und Gletscherzeichnung entstand anhand photogrammetrischer und übriger typischer Aufnahmen, uni sie baut sich in den Details ( Bergkämme, Rippen, Couloirs etc. ) streng auf dem autogrammetrisch gewonnenen Kurvenbild auf. Es wurde in dieser Darstellung trotz den verhältnismässig grossflächigen Felspartien auf Felskurven verzichtet, um eine grössere Anschaulichkeit zu erhalten; denn das Kärtchen soll nicht nur für die photogrammetrische Aufnahmemethode sprechen, sondern darüber hinaus dem Beschauer einen Eindruck vermitteln vom Charakter eines winzigen Ausschnittes Himalajagebirge.

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