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Die Tücke des Objekts

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stellen wir an die warme Hüttenwand. Ernst und still stehen die noch winter-dunklen Tannen im kalten Schneehang unserer Abfahrt. Am Flimserstein drüben liegt praller Sonnenschein, und fallende Lawinen orgeln Frühlings-musik. Vom Piz Riein steigt im goldenen Abendlicht eine duftige Nebelwolke empor und schwebt zerfliessend in den blauen Äther. Vor der armseligen Hütte hat das Märzenlicht dem harten Winter schon ein Stück grünbraunen Wiesenboden entrissen, und bunte, zarte Krokus feiern ihr lenzfrohes Erwachen. Wie ein Baldachin überspannt ein seidenblauer Himmel die unsagbar friedliche Ruhe dieses weltfernen Erdenwinkels. Aus der nahen Schneedecke hervor springt ein klares Bächlein und verschwindet zwischen grünenden Grasnarben wieder im langen Schatten des nahen Winterwaldes. Lange betrachten wir sinnend das muntere Spiel, und fragend horchen wir seinem geheimnisvollen Rauschen. Dürstend trinken wir von der lebendigen Quelle, die dem Berge entströmt und lauschen ihrem Lied, das uns Seele und Heimat bedeutet. Und am jenseitigen Sonnenhang, beim Heimwärtsschreiten, leuchten uns unter harzduftigen Lärchen und aus Polstern von Heidelbeer- und Wacholderkraut rotglühende Erika entgegen. Wir eilen und pflücken fast mehr als schicklich, denn wir möchten davon hinunter tragen ins Tiefland und allen, allen von den Blumen bringen, die unsere Höhenstrasse säumen.

Die Tücke des Objekts.

Eine Guglia-Besteigung.

Von Irma Bernhard

Mit 1 Bild.Chur ).

Spät nachts sind mein Mann und ich mit unserem « Ford » in Madonna di Campiglio angelangt und haben oberhalb des mondänen Kurortes im Albergo « Panorama » Quartier bezogen. Wir wählten dieses Hotel wegen seines vielversprechenden Namens in der Erwartung, bereits beim Erwachen unser erstes Ziel in den Dolomiten, die Guglia di Brenta, zu erblicken.

Auf eine Gewitternacht folgt ein strahlender Morgen und unsere Erwartung wird nicht enttäuscht. Schroff recken sich die stolzen Felstürme der Brentagruppe zum Himmel, am kühnsten die 300 m hohe Säule der Guglia, auch Campanile Basso genannt, deren schlanke Gestalt es uns von jeher angetan hat.

Da der Weg zum Ausgangspunkt für deren Besteigung, die Capanna Brentei, zunächst einige Kilometer weit ziemlich eben durch den Wald führen soll, nehmen wir auf den guten Rat eines Einheimischen hin den Wagen mit. Schon nach einigen hundert Meter aber müssen wir einsehen, dass dies mit unserem breiten « Ford » keine gute Eingebung war. Doch ein Zurück auf diesem engen, gewundenen Wege, der überdies nach der einen Seite steil in Die Alpen — 1941 — Les Alpes.37 den Wald abfällt, dürfte noch schwieriger sein, und so bleibt uns nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beissen und « unsern Weg nach Canossa » zu Ende zu fahren, wo ein Kehrplatz sein soll.

Bald stehe ich auf dem Trittbrett, bald auf der vorderen Stoßstange, um Hans durch die Engnisse dieses Saumpfades zu lavieren. Es ist dies keineswegs ein dankbarer Posten, und manch unverdienter Vorwurf entströmt dem Wagen, wenn wieder ein neuer Kratzer die Kotflügel ziert; doch schliesslich nimmt auch diese mehr anstrengende als genussvolle Autofahrt ein Ende, und auf einer kleinen Waldlichtung gelingt es Hans, vermittelst einiger kräftiger Verwünschungen über unsern optimistischen Berater, den Wagen zwischen Baumstrünken und Wurzeln zu kehren.

Der Weg zur Brenteihütte ist lang und steil. An der Waldgrenze geraten wir in das Mittagsbiwak einer Kompagnie Alpini. Wir rasten eine Zeitlang in der Nähe und sehen dem fröhlichen Treiben zu.

Am späten Nachmittag erreichen wir schwitzend die Capanna Brentei. Diese ist für unseren Geschmack etwas zu hotelmässig eingerichtet. Jedoch versöhnt uns die herzliche Freundlichkeit der « Direktion » mit der Enttäuschung, dass wir unsere traditionellen Hüttenspaghetti mangels eines Tou-ristenraumes nicht einmal selbst zubereiten können. Nichtsdestoweniger schmeckt uns das ebenfalls hotelmässig üppige Essen ausgezeichnet, und besonders Hans betreibt heute geradezu « Frass und Völlerei », wie es in der Bibel steht. Zu allem Überfluss verschlingt er zum Schluss trotz meines Protestes noch eine Büchse Thon, welche mir nicht ganz einwandfrei scheint. Dafür beklagt er sich beim Einschlafen dauernd über einen Betonklotz, den er im Magen verspüre, was mich zu schadenfrohem Lächeln reizt. Dieses soll mir jedoch bald vergehen... Mitten aus schönen Träumen ( ich hatte bereits die höchsten Zinnen der Guglia mühelos erkommen ) werde ich herausgerissen durch ein dumpfes Stöhnen. Ahnungsschwer taste ich nach der Schlafstätte von Hans. Leer. Nun erblicke ich seine Silhouette, die kraftlos am Fensterkreuz lehnt. Wie ich herbeieile, sinkt Hans plötzlich in sich zusammen und schlägt lang auf den Boden hin. Erst als ich ihn auf das Bett geschleppt und sein Gesicht mit kaltem Wasser abgewaschen habe, kommt er wieder zu sich. Es ist ihm sterbensübel. Bis zur Tagwache muss ich ihn mit Wermut und kalten Umschlägen behandeln, und als die andern Partien zur Tour aufbrechen, fühlt sich Hans immer noch so elend, dass ein Aufbruch für uns gar nicht in Frage kommt. Erst im Laufe des Vormittags erholt er sich wieder so weit, dass uns der sonnige Tag zu reuen beginnt. Nach einem letzten stärkenden Wermut brechen nun auch wir, wenn auch reichlich spät für eine Gugliabesteigung, auf. Gegen Mittag klimmen wir im prallen Sonnenschein mühsam über die lange, aber dafür steile Geröllhalde und ein kleines Firnfeld zur Gugliascharte empor. Dort wird Hans von einem neuen « Cholera-anfall » ergriffen, und wohl oder übel müssen wir für heute trotz des prächtigen Wetters auf die Guglia verzichten, so sehr uns deren schlanke Gestalt auch reizt. Während wir noch missmutig am Einstieg sitzen, kommt zu allem Überfluss ein Jochbummler über den bequem an der Scharte vorbeiführenden Höhenweg gewandert und stellt uns die teilnehmende Frage: « Na, die Tour schon erledicht? » Unsere wenig freundliche Antwort: « Hat sich schon von selbst erledicht! » scheint er nicht recht zu verstehen und geht sinnend seines Weges weiter.

Am nächsten Tag hat sich Hans wieder ganz von diesem Zwischenfall erholt, welcher, dies muss ich zu seiner Rechtfertigung einflechten, wohl mehr auf die schlechte Büchse Thon als lediglich auf das üppig genossene Mahl zurückzuführen ist. Wir brechen diesmal schon bei Morgengrauen auf. Doch dafür lässt uns nun das Wetter im Stich. Bis zum Einstieg ist es noch zweifelhaft. Dort angelangt, lässt es hingegen keinen Zweifel mehr übrig, indem sämtliche Schleusen des Himmels sich über der Guglia zu öffnen scheinen. Wieder sitzen wir missmutig am Einstieg und können es kaum glauben, dass uns die Guglia auch heute wieder entgehen soll. Triefend treffen wir schon am Mittag wieder in der Brenteihütte ein. In unserem zwar keineswegs angeborenen, aber nunmehr aufgezwungenen Pessimismus glauben wir, aus den Blicken der dort Anwesenden lesen zu müssen, dass diese unsere geplante Gugliabesteigung nicht mehr so recht ernst nehmen, zumal wir ja « nicht einmal einen Bergführer engagiert haben! » Doch beim dritten Angriff, welcher am nächsten Tage unverdrossen wieder auf die Guglia angesetzt wird, scheint die Sache zu klappen. Die ersten Sonnenstrahlen entdecken uns bereits oben an der Bergerwand. Diese erscheint mir für den Anfang reichlich schwierig zu sein, so dass ich Hans hier nicht um die Führung beneide. Eine ganze Seillänge geht es an senkrechter, griffarmer Wand empor ohne irgendwelche Sicherungsmöglichkeit. Eigentlich eine gute Idee der Guglia, alle Unberufenen schon hier zurückzuweisen.

Nach dieser Stelle kommen wir flott vorwärts bis auf ein breites, bequemes Band, das « stradone provinciale ». Die Route führt von der an der Südseite aufstrebenden Ampfererwand spiralförmig sich emporschraubend um die Guglia herum, so dass das « stradone provinciale » uns wieder bis an die Südwestkante bringt. Diese Originalität der Guglia gestaltet deren Besteigung erst recht interessant.

Durch eine Folge von Kaminen erreichen wir eine geräumige Plattform, den « albergo al sole ». Nachdem man hier aus den schattigen Kaminen wieder in das Sonnenlicht taucht, ist diese Bezeichnung sehr treffend.

Eine halbe Seillänge höher liegt die Garbarikanzel. Bis hieher haben wir die Route mühelos gefunden, indem immer wieder ein Riss oder Band uns weiterleitete.Von dieser Felskanzel aus ist dies jedoch nicht mehr der Fall, und wir müssen unsere « Gebrauchsanweisung » zu Rate ziehen. Nach dieser soll es direkt um die Kante wieder in die Nordwand zurückgehen. Hans späht, von mir gesichert, um die exponierte Kante. Doch was er dort drüben erblickt, scheint nicht sehr einladend zu sein; denn kopfschüttelnd klettert er wieder zu mir zurück und versucht den direkten Aufstieg in einem schmalen Riss, senkrecht oberhalb der Garbarikanzel. Bereits nach einer halben Seillänge werden die Schwierigkeiten jedoch so gross, dass auch hier nicht der richtige Durchstieg sein kann. Also muss es doch in die Nordwand hineingehen. Äusserst langsam verschwindet das Seil um die Kante. Als ich endlich nachkommen kann, verstehe ich, warum Hans zuerst kaum glauben wollte, dass hier die richtige Route hinausführt. In furchtbarer Ausgesetztheit führt eine knapp fussbreite, in der Mitte unterbrochene Leiste in die glatte Wand hinaus. Darunter schiesst der Fels in die gähnende Tiefe. Die lotrechte Wandflucht wird nur unterbrochen von dem etwa hundert Meter tiefer verlaufenden « Stradone provinciale ». Nach diesem luftigsten aller Quergänge geht es senkrecht die sogenannte Ampfererwand hinauf bis unter einen Überhang, welcher wieder nach rechts auf die Kante hinauszwingt. Diese Kletterei ist, wenn auch schwierig, doch etwas leichter als das heikle Wandstück unten am Einstieg, und nun verstehe ich den Ausspruch eines alten Bergführers: « Wenn das Bergerwändle war, wo isch das Ampfererwändle, so wären net alle auf der Guglia oba gwea, wo schon oba gwea san! » Unschwer erreichen wir nach einer weiteren Seillänge den Gipfel, welcher durch seine Geräumigkeit überrascht. Dazu ist er fast topfeben, so dass er geradezu prädestiniert wäre als Ziel für Sektionstouren grösserer Vereine. Dies kommt jedoch seines « interessanten » Zuganges wegen kaum in Frage.

Unsere wohlverdiente Gipfelstunde können wir nicht voll auskosten. Der Himmel hat sich schon während des Aufstieges stark bewölkt, und nun dräuen dunkle Gewitterwolken rings am Horizont. Schon nach kurzer Rast treten wir die luftige Rückreise an, welche uns diesmal direkt der Nordwestkante entlang auf die Garbarikanzel bringt. Das Seil lässt sich, trotz der langen Abseilstelle, so willig einziehen, als ob dies gar nicht anders möglich wäre. Auch der weitere Abstieg verläuft trotz der Hast, mit welcher er wegen des drohenden Unwetters vollzogen wird, ohne irgendeinen Zwischenfall, so dass es den Anschein macht, unsere Pechserie der letzten Tage habe mit heute ein Ende gefunden. Nach glücklich durchgeführter Tour nehmen wir schliesslich auch den jetzt kräftig einsetzenden Regen in Kauf. Es trennt uns ja nur noch die Bergerwand von der rettenden Gugliascharte. Doch gerade diese letzte Abseilstelle soll uns nochmals eindringlich zum Bewusstsein bringen, dass uns die Guglia trotz der vorangegangenen Ärgernisse auch jetzt noch nicht geschenkt wird. Bereits sind wir beide glücklich unten am Einstieg gelandet und Hans macht sich daran, das Seil einzuziehen. Schon ist das eine Ende nach oben verschwunden und ich ducke mich vor dem nieder-klatschenden Seil. Doch vergeblich, das Seil kommt nicht. So sehr Hans auch daran zieht, es gibt keinen Zentimeter mehr nach. Nun versuchen wir « s beide, bald mit Liebe und bald mit Gewalt, indem wir das Seil bald schlenkern, bald uns mit vereinten Kräften daran hängen. Erfolglos, es tut keinen Ruck.

Hans will nochmals die Bergerwand hinauf, um das tückische Seilende, welches sich irgendwo eingeklemmt haben muss, zu lösen. Doch halte ich ihn von diesem Vorhaben ab, da dieser exponierte Gang über die regentriefende Wandstufe ohne jegliche Sicherung zu gefährlich wäre.

Schliesslich beschliessen wir wohl oder übel, den morgigen Tag zur Einholung des Seiles zu opfern; denn unseren schönen neuen 45-Meter-Strick wollen wir auf keinen Fall entzweischneiden, und ihn einfach hängen lassen können wir schon aus volkswirtschaftlichen Gründen nicht. So legen wir die herabhängenden 30 Meter in eine Nische und decken sie sorgsam mit einer Steinplatte zu, damit das Seil nicht noch mehr durchnässt wird.

Zum drittenmal stapfen wir im triefenden Regen resigniert vom Einstieg hüttenwärts, wo wir teils zu unserem Erfolg beglückwünscht, teils wegen unseres Pechs bedauert werden.

Am nächsten Tag ist wiederum strahlendes Wetter, so richtig geeignet für eine währschafte Felsfahrt, wie dies unsere geplante Crozzonbesteigung wäre. Doch eben leider wäre; denn vorerst gilt es, unser treuloses Seil zu holen.

Da dieser Tag für uns ohnehin dahin ist, machen wir uns erst spät auf den Weg zur Gugliascharte. Schon von weitem sehen wir unser Seil noch richtig am alten Platz hängen, so dass sich unsere bisher gehegte Besorgnis erübrigt; führt doch ein viel begangener Höhenweg am Fusse der Guglia vorbei.

Bald sind wir bei unserem Seil oder, besser gesagt, bei dessen traurigem Überrest: schön sauber ist der Strick abgehauen! Nur ein schäbiger Schwanz baumelt noch in die Nische, wo wir gestern die 30 Meter sorgsam verwahrten. Diese sehr einfache Lösung hätten wir allerdings auch selbst treffen können. Unsere Wut über den ruchlosen Täter kennt keine Grenzen. Hans ist so zutiefst empört und erschüttert über diese Gemeinheit, dass ihm darob selbst die befreienden Verwünschungen im Halse stecken bleiben.

Wortlos stapfen wir nun zum vierten Male über die endlose Geröllhalde zur Hütte. Der sonnenhelle Himmel, der über uns blaut, vermag uns höchstens zu ärgern; denn das kurze Andenken, welches wir von unserem einst ach so langen Strick abgehauen haben, langt für keine rechte Klettertour, ja kaum für eine anständige Brustschlinge.

Verärgert verlassen Hans und ich noch gleichentags das so schöne Gebiet der Brenta. Vom goldenen Abendlicht Übergossen, grüsst uns noch lange die schlanke Guglia. Ihr Anblick ist so schön und ihre trotz allen Tücken doch noch glücklich durchgeführte Besteigung freut uns so sehr, dass wir einstimmig beschliessen, unseren würgenden Ärger wieder abzulegen.

So wechseln wir, beim Auto angelangt, auch mit stoischem Gleichmut ein plattfüssiges Hinterrad und regen uns auch auf der Rückfahrt über einige weitere Kratzer nicht weiter auf, welche Wurzeln und Strünke dieser fragwürdigen Autostrada unserem Wagen zufügen.

Auch dass uns ein hübscher Porzellanaschenbecher, welchen wir wegen der darin kunstvoll eingebrannten Guglia in einem Bazar um teures Geld erstehen, noch am gleichen Abend aus dem Auto gestohlen wird, lässt uns kalt, und wir finden es sogar ganz in den Rahmen dieser Gugliabesteigung passend. Doch wenigstens diese kann uns trotz aller Tücken niemand mehr stehlen. Und die eindrucksvolle Felsfahrt erfüllt uns mit solcher Freude und Genugtuung, dass darob alle Mühsale und Widerwärtigkeiten verblassen, so dass in kurzer Zeit wohl nur noch das Schöne in unserer Erinnerung haften bleibt.

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