Ein Alpenflug. Zürich-Mailand-Zürich | Club Alpino Svizzero CAS
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Ein Alpenflug. Zürich-Mailand-Zürich

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

( Zürich-Mailand-Zürich. ) Die Luftverkehrsgesellschaft Ad Astra in Zürich bemüht sich, unter ihrem tatkräftigen Leiter und hervorragenden Piloten Walter Mittelholzer den Luftverkehr über die Alpen zu organisieren. Auf Dienstag, den 1. September 1925, war ein erster Probeflug Zürich-Mailand-Zürich angesetzt.

Als die Morgennebel sich etwas verzogen haben, steigen die dreizehn Teilnehmer in das glückhafte Schiff. Die Motoren sind in tadelloser Ordnung und arbeiten prächtig. Um 8 Uhr 08 erheben wir uns in die Lüfte, der Sonne entgegen. Im Nu sind wir mit unserm G. H. 133, der beschwingten « Helvetia », ausser Bereich des Bodennebels. Quecksilbern leuchtet der Greifensee herauf, und in wenigen Minuten blicken wir von der Pfannenstielhöhe auf Zürichsee und Albis. Verträumt spiegelt sich unsre liebe Stadt in den blauen Fluten. Unsere Aufmerksamkeit ist ganz nach vorwärts gerichtet, wo in feenhaftem Morgenlichte die Glarner-, Urner- und Berner Alpen das Auge entzücken. Kein Wölkchen in der weiten Runde. In wunderbarer Klarheit erstrahlt der Alpenkranz von den Tiroler zu den Waadtländer Alpen, und wie ein herrlicher Gottesgarten dehnt sich das weite, grüne Land. Stetig steigend überfliegen wir 8 Uhr 17 den Zürichsee, Richtung Au. Die Voralpen rücken näher. Obschon wir schon in etwa 1500 m Höhe sind, können wir bei der klaren, durchsichtigen Luft jede Form erkennen. Die tief eingegrabene Rinne der Sihl, die wir vom Ursprung bis zur Mündung verfolgen, beschäftigt die Aufmerksamkeit für einen Augenblick. Doch schon sind wir 8 Uhr 20 auf der Höhe des Gottschalkenberges und winken den die Augen aus-reibenden Kurgästen, welche der lärmende Vogel aus dem sanften Schlummer geweckt hat, unsern Morgengruss zu. Kaum gegrüsst, gemieden, denn eine Minute später stehen wir schon hoch über dem Ägerital mit seinem herrlichen Bergsee. Doch was heisst hier « stehen », wo wir im 150 km-Tempo dahinsausen, mit Windeseile durch den blauen Äther ziehen, unaufhaltsam vorwärts getrieben durch die gewaltigen Kräfte unseres stählernen Vogels. Um 8 Uhr 25 sind wir in 2200 m Höhe, schon fast direkt über dem Mythengipfel. Mit jeder Minute wird die Rundschau umfassender, grossartiger. Tausende von Gipfeln ragen rings ins Ätherblau. Aber die markanten Gestalten unserer schönsten Berge, von denen mir die meisten von frühern Besteigungen her wohlbekannt sind, fesseln die Blicke am meisten. Säntis und Churfirsten, Glärnisch und Tödi, Hausstock, Selbsanft, Clariden, Biferten, Scheerhorn sind es, die im Osten das Gesichtsfeld beherrschen. Vor uns locken Oberalpstock, Windgälle, Bristen, Urirotstock, Wendenstöcke und erzählen von herrlichen Fahrten. Titlis, Sustenhorn, Spannort sind bezaubernd schön mit ihren gleissenden Firnen und Gletschern. Doch sie alle vermögen nicht aufzukommen gegen die unbeschreibliche Pracht der Berner Hochalpen, und da sind es für mich wieder drei liebe Bekannte, das Dreigestirn Jungfrau, Mönch und Finsteraarhorn, die mich an herrliche Tage hoher Bergeinsamkeit erinnern. Das sind keine toten, leblosen Gestalten mehr, diese Zacken und Dome und Grate, das sind Freunde fürs Leben, die dem, der ihnen vertraulich und ehrerbietig naht, Stunden höchsten Genusses schenken, die man nie mehr vergisst und die wie leuchtende Sterne bei jedem Wiedersehen in der Erinnerung neu aufblitzen.

Doch nicht nur in die Höhe und in die Weite schweift das schönheit-dürstende Auge. Auch die Tiefblicke werden immer reizender, grossartiger. Wer es weiss, wie hübsch sich Schwyz von der Spitze des Mythen aus ansieht, kann sich ungefähr eine Vorstellung machen von den herrlichen Bildern, die da in überreicher Fülle an uns vorüberziehen. Doch unendlich ist das Flugzeug dem Gipfel überlegen. Es fliegt vollständig frei und ungehemmt, keine Felsvorsprünge und Grate hindern den freien Ausguck. Man braucht nicht mehr auf rutschendes Geröll, auf trügerischen Firn zu achten. Losgelöst von aller Erdenschwere, wie ein beschwingtes überirdisches Wesen, fühlt man sich namenlos glücklich und trinkt, « was die Wimper hält, vom goldnen Uberfluss der Welt ». Jede Sekunde ändert die Szenerie, denn jede Sekunde bewegt sich das Flugzeug um 40—50 m vorwärts. Was sind das für wundervolle Ausblicke auf den stillen Lowerzersee mit der waldgekrönten Insel Schwanau, auf den Vierwaldstättersee mit dem waldumsäumten Rütli und der Terrasse von Seelisberg tief unten am Hang des Niederbauen. Und dort drüben sonnt sich unser stattliches Utohaus auf der Ibergeregg; sein glücklicher Standort kommt beim Begucken von luftiger Höhe erst recht zur Geltung. Es gilt aber, sich rasch alles, was besonders sehenswert und hervorragend ist, zu merken; denn ein Katzensprung, und wir sind schon über den Frohnalpstock hinweg-gesaust und schweben 2000 m hoch über dem lieblichen Riemenstaldertal, dessen schneelose Berge und Schutthalden sich von oben sehr bescheiden ausnehmen. Als ein kleines, schmales Fussweglein schlängelt die Klausenstrasse in vielen Windungen zur unscheinbaren Passhöhe. Eine Ameise kriecht langsam, langsam das Weglein hinauf; es ist wohl das Postauto. Rechts unten: Altdorf, Flüelen, Bürglen, Isenthal; ein rascher Blick, ein froher Gruss, und schon haftet das Auge an der vergletscherten Schlossberglücke, an der einladenden Krönte und am vielgipfligen Spannort. Glücklicherweise hat aber unser kühner Pilot auf anderes aufgepasst, denn plötzlich sehen wir senkrecht in geringer Tiefe unter uns bedrohliche Felstürme; es sind die Gipfel des hohen Faulen und der Grossen W¾dgälle, die wir pfeilschnell überfliegen. Überraschung folgt auf Überraschung.

Kaum dass wir die Reize des wunderhübschen Maderanertales mit Scheerhorn, Clariden, Düssistock und Tödi und das gewaltige Gletscherfeld dazwischen etwas gekostet, so nimmt die zum Greifen nahe Kette des Bristenstockes, zu der wir über dem Etzlital parallel fliegen, unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Keine 200 m in Luftlinie davon entfernt, enthüllt sich da das letzte Geheimnis dieses wild zerrissenen Grates, der in den Kletterbergen Sonnigwichel, Piz Giuf, Piz Ner und Crispait seine Fortsetzung findet. Und direkt 1000 m unter uns liegt auch die heimelige Etzlihütte der Sektion Thurgau, bei deren Eröffnung ich einst mitgetan. Ich gedenke der flotten Abfahrt von Anno dazumal, 800 m tief an einem Stück vom Piz Giuf herunter. Aber heute? Nichts als dunkelgraue, scharfkantige Felsen und ein bisschen Geröll bezeichnen die damalige Schlittbahn. Hoppla! Jetzt wären wir beinahe mit dem Oberalpstock zusammengestossen! Nein, keine Spur! Walter Mittelholzer kennt den Weg über den Krüzlipass. Aber der führt uns so nahe am Oberalpstock vorbei, dass man wähnt, mit einem etwas kühnen Sprung gleich die Spitze erreichen zu können.

Szeneriewechsel! Ein liebliches Gelände tut sich auf: das Vorderrheintal. Das stattliche Kloster Disentis, wo die Namen der hochverdienten Naturforscher Placidus a Spescha und Pater Hager umgehen, grüsst herauf. Bis nach Ilanz hinunter und zum Oberalpsee hinauf — welch lieblicher Reigen von Dörfern und Gehöften! Weithin lässt sich der schmale Streifen der Oberalpstrasse verfolgen. Eine besondere Augenweide bietet die Medelsergruppe mit ihren ausgedehnten Firn- und Gletscherfeldern. Wie selig war 's doch im Sonnen-jahre 1911, als ich mit ein paar Freunden dort wanderte, Piz Valdraus und Gaglianera, Piz Medel und Cima Camadra eroberte, und wie haben wir auf jenen Höhen in Firnelicht und herrlicher Fernsicht geschwelgt! Und dort drüben, das majestätische Rheinwaldhorn, was weckt es für köstliche Erinnerungen, und wie gleisst und glänzt es an seinen eisigen Hängen! Und weiter östlich, da flammt und flimmert es helleuchtend von den gewaltigen Firnen der Berninagruppe. Tief zu Füssen ein einsames, wildes Tal, von mächtigen Bergketten eingerahmt, das Val Nalps, das ich einst an einem nebligen Morgen mit einem Freunde durchwandert, um dann auf der Passhöhe zwischen Piz Blas und Rondadura plötzlich in wolkenloses Tessiner Sonnengold zu tauchen. Wir halten etwas östlich, genau über die Lukmanierstrasse, und fliegen 8 Uhr 48 nahe an den Steilwänden des Scopi vorbei. Rechts öffnen sich Val Cadlimo und Val Piora, und wie blaue Wunderblumen leuchten die vielen Bergseelein aus grauer Steinwüste zu uns herauf.

Doch jetzt, wo wir glauben, das Schönste gesehen zu haben, kommt erst noch das Glanzstück: die Walliseralpen, sonderlich die Saaser- und Zermatterberge. Wie aus blankem Gold und Kristall strahlt das gletscherbehangene Weisshorn in den azurnen Himmel hinauf. Dom, Südlenzspitze, Nadelhorn, Alphubel, Strahlhorn, Monte Rosa, Matterhorn: sie alle bauen ihre charakteristischen Gestalten in den Glanz des aufleuchtenden Tages. Ha, und nicht geringer sind im Diadem der Berneralpen Bietschhorn, Aletschhorn und Finsteraarhorn. Auch der grosse Paradiso im Südwesten darf sich zeigen.

Wir verfolgen die Bergkette, die das Tal des Ticino vom Bleniotal trennt, und gucken abwechselnd in die beiden, mit freundlichen Dörfern besäten Furchen. Um 8 Uhr 53 sind wir über Faido und gemessen einen wundervollen Tiefblick auf die obere Talstufe und das Gotthardgebiet. Wie ein Wurm kriecht ein Gotthardzug auf seiner kurvenreichen Bahn. Bergkette reiht sich an Bergkette, alle in Windungen nach südlicher Richtung verlaufend. Wer zählt die Gipfel, nennt die Namen all der markanten Punkte in den langgestreckten Graten? Die hermelingeschmückten Monarchen der Tessineralpen, Basodino und Campo Tencia, sie sind mir vertraut. Mit Wohlbehagen verfolge ich den Aufstieg von Piumogna zum Campo Tencia, nur bedauernd, dass der ebenso interessante Abstieg ins Val Prato dem Auge verdeckt bleibt. Um 9 Uhr 03 queren wir in 2600 m Höhe die Magadinoebene und entbieten dem burgenbewehrten Bellinzona. dem leuchtenden Locamo und gleichzeitig auch der Perle des Ceresio, der Stadt Lugano, die über dem Cenere herüberwinkt, guten Morgen. Entzückend schön ist der Ausguck in alle die Täler, die sich hier öffnen. Das Maggiadelta schiebt sich als grüne Halbinsel gar weit in den Langensee hinaus und droht den obern Teil abzuschneiden. Zwischen Camoghè und Tamaro hindurch flitzen wir dem Salvatore zu, der seine rassige Gestalt gänzlich verloren hat; er ist zum unscheinbaren Hubel zusammengeschrumpft. Der Blick auf Corner-, Luganer- und Langensee, die man zugleich inbeträchtlicher Ausdehnung übersehenkann,ist einzigartig. Doch auch die kleinen Seebecken von Muzzano und Origlio sind reizend. Gar stattlich präsentieren sich hier die Bergamaskeralpen und die Berge um den Comersee.

Wunderhübsch heben sich die weissgetünchten Tessinerdörfer vom bunt-scheckigen Kulturland ab. Alles ist sichtbar. Und nur allzu rasch trägt uns unsere « Helvetia » über diese paradiesischen Gefilde hinweg. Um 9 Uhr 17 überfliegen wir schon den Monte Generoso und gleich nachher die Grenze. « Chiasso! Zollrevision! » ruft einer in unserer Kabine und löst damit allgemeine Heiterkeit aus. Goldene Freiheit wohnt noch in den Lüften. Hier herrscht nur einer, der Mann am Steuer, und der ist seelenvergnügt und schickt uns alle paar Minuten einen Zettel mit Höhenangaben oder mit besondern Hinweisen auf Orte und Punkte, die wh gerade überfliegen.

Über der weiten Poebene liegt ein bläulicher Sommerdunst. Langsam taucht unser Flugzeug in tiefere Regionen, wo wir auf Millionen von Maulbeerbäumen, auf staubige Strassen und baumumränderte Kanäle, auf schmucke Städte und Dörfer und eine Unzahl von Fabriken hinabblicken können. Doch mit dem Eintauchen in diese Dunstzone, die bald nach Comò beginnt, ist der Alpenzauber verschwunden. Wir schweben über Mailand, und 9 Uhr 45 setzt sich der gewaltige Vogel artig wie ein Täubchen auf das Flugfeld.

Vom begeisterten Empfang und allem Drum und Dran lasst mich schweigen. Um 14 Uhr 50 rattern alle drei Motoren im Gleichtakt. Ein letztes Winken, und ehe wir uns versehen, sind wir schon aus dem Bereiche der Stadt. Über die Westalpen ziehen leichte, duftige Nebelschleier. Zauberhaft schön sind die Ost- und Zentralgipfel im Abendsonnenglanz.

Ich zeichne unterwegs keine Flugzeiten mehr auf, es wären ungefähr die gleichen wie am Morgen, und auch die Fluglinie ist fast dieselbe. Ergriffen und schweigend, gerührt und dankbar lassen wir nochmals die ganze Alpenwelt an uns vorüberziehen. Manches Stück, das wir am Vormittag übersehen, bringt neue Eindrücke, neue Genüsse. Die wundervollen Bilder vom Hin-fluge, von denen ich hier nur eine schwache Vorstellung zu geben versuchte, tragen eine neue Beleuchtung. Unser silberglänzender Vogel gleitet so sanft und ruhig durch die Lüfte, dass es eine unbeschreibliche Lust ist, so zwischen Himmel und Erde dahinzuschweben.

Genau 16 Uhr 30 landen wir wohlbehalten in Dübendorf. Für mich war es die glanzvollste, genussreichste Fahrt des Lebens.Emil Rüd 36

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