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Ein Stück Pioniergeschichte

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Georg Budmiger, Bern

Franz Josef Hugi und seine Begleiter im Rottal, 1830 Das wertvolle Gemälde des Solothurner Künstlers Martin Disteli ist in doppelter Hinsicht interessant: Zum einen gehört die dargestellte Reisegesellschaft Hugis einer forschungsgeschichtlich sehr wichtigen Zeit an, zum andern stammt das Bild aus einem kurzen und nur wenig bekannten Schaffensbereich des Malers Disteli.

Die aktivsten Jahre des Naturforschers Hugi ( 1793-1855 ) und des Malers Disteli ( 1802-1844 ) fielen in die Umbruchszeit der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts. Es waren die Jahrzehnte, wo die Naturforscher in den Alpen die grundlegenden Erkenntnisse zur Eiszeittheorie und zum Deckenbau gewannen, wo man aber auch politisch zu den neuen Formen der Regeneration aufbrach. Der naturwissenschaftliche wie der politische Umbruch prägten - mit unterschiedlichem Schwergewicht -den Forscher Hugi und den Maler Disteli.

Franz Josef Hugi war als Forscher und Mensch eine schillernde Persönlichkeit. Als auflüpferischer Liberaler bereits 1814 aus seiner Vaterstadt Solothurn geflüchtet, oblag er in Deutschland theologischen und naturwissenschaftlichen Studien. Nach seiner Priesterweihe 1819 wurde er Lehrer für Naturkunde an der Realschule Solothurn und widmete die ganze freie Zeit dem Studium der Alpen. Er gründete ferner das Naturhistorische Museum und die Naturforschende Gesellschaft in Solothurn. Die Resultate seiner ausgedehnten Al-penforschungen legte er u.a. in seinem berühmten Buch « Naturhistorische Alpenreise » ( 1830 ) nieder und trat in seiner Publikation « Die Gletscher und die erratischen Blöcke » ( 1843 ) der aufkeimenden Eiszeittheorie eines Charpentier und Agassiz scharf entgegen. Die frühe Alpenforschung verdankt Hugi eine Unmenge minutiöser Beobachtungen und im Gebiet der Eisphysik I auch bleibende Erkenntnisse. Andere Schlussfolgerungen wiederum hatten keinen Bestand oder waren im Bereich der Eiszeittheorie dem wissenschaftlichen Fortschritt sogar hinderlich. Der unbändige Forscherdrang verband sich bei Hugi mit einer bewundernswürdigen körperlichen Leistungsfähigkeit. Davon zeugt etwa der Tagesmarsch vom Lötschental über Lötschenlücke, Konkordiaplatz, Märjelensee bis Fiesch oder die Besteigung des Finsteraarhorns 1829. Letztere musste er zwar mit einem verletzten Fuss auf dem nach ihm benannten Hugisattel abbrechen; zwei seiner Führer erreichten aber den Gipfel. Mit seiner ihm eigenen Kritiklust entfachte Hugi in der Folge eine jahrelange Polemik um die Erstbesteigung des Finsteraarhorns, indem er die Besteigung durch die Führer der Gebrüder Meyer von 1812 in Zweifel zog.

Brachte ihm seine liberale Haltung vor 1830 Schwierigkeiten, so erregte er 1837 im zwar liberal gewordenen, aber stark katholischen Solothurn Anstoss wegen seines Übertritts zum Protestantismus und seiner Heirat. Hugi verlor deswegen die Lehrstelle und musste fortan seine wachsende Familie mit dem schmalen Gehalt eines Museumskonservators über Wasser halten. Unentwegt aber ging er seine Richtung, die er selber einmal so formulierte: « Auch auf meinem Lebenswege erschreckte mich das kleinliche Getriebe der Menschen ebenso wenig, als ich den Hindernissen, die meinen Forschungen sich entgegensetzten, zu weichen gewohnt war. » Es war sicher kein Zufall, dass der Maler unseres Bildes, Martin Disteli, zu Franz Josef Hugi fand. Der aus reicher Oltener Familie stammende Disteli studierte in Deutschland Geschichte und Naturwissenschaften, musste aber wegen seiner liberalen Opposition den Studienplatz verlassen.

Nach seiner Rückkehr nach Olten, 1824, nutzte Disteli sein starkes zeichnerisches Talent zum Broterwerb. Historische Szenen und vor allem politische Karikaturen wurden zu seinem bevorzugten Arbeitsgebiet. Nach dem liberalen Umschwung fand Disteli ungeteilte Anerkennung und erhielt 1834 eine Zeichnungslehrerstelle in Solothurn. Im Militär avancierte er schnell bis zum Obersten, erntete aber mit seinem Haude-gennaturell nicht nur Anerkennung.

Von 1839 bis 1847 ( also drei Jahre über seinen Tod hinaus ) erschien der « Schweizerische Bildkalender », im Volk kurz « Disteli-Kalender » genannt, in welchem Disteli seine pointierten Zeichnungen, meist politischen Inhalts, an Gegner und Freunde herantrug.

Es konnte nicht ausbleiben, dass sich die beiden streitbaren Liberalen, Hugi und Disteli, fanden. 1830 begleitete Disteli als Zeichner Hugis Expeditionsmannschaft in die Alpen. Diese Reise blieb in Distelis Werk eine einmalige Episode, sind doch das Gruppenbild aus dem Rottal mit seinen Vorstudien und einige weitere Geländeskizzen die einzigen Landschaftsdarstellungen Distelis. Das Rottalbild gehört zudem zur kleinen Gruppe der 30 bis 40 Ölmalereien, während das gesamte Œuvre weit über 2000 Zeichnungen umfasst.

Zum Rottalgemäldc bestehen Studien, die einen recht interessanten Werdegang des Bildes dokumentieren. Von der Personengruppe gibt es im Kunstmuseum Olten eine schwach lavierte und im Kunstmuseum Solothurn eine kräftige, kör-perhaft lavierte Federzeichnung. Der Hintergrund mit der Gipfelreihe findet sich auf einem separaten Aquarell im Kunstmuseum Olten. Zu einzelnen dargestellten Personen bestehen ebenfalls Skizzen. Aus dem genau übernommenen Inhalt der Vorlagen entstand schliesslich im Atelier unser Rottalbild. Es befand sich im Besitz der Familie Hugi, vorerst bei Pfarrer Hugi in Arch, ging vor 1927 an Prof. Emil Hugi in Bern über und gelangte aus dem Nachlass seiner Tochter 1976 ins Alpine Museum Bern.

Das Gemälde gehört zur Gruppe der eher diskreten, aber ungemein wertvollen Sammlungs-stücke des Museums. Es entstammt einer Epoche, die man angesichts der anstehenden naturwissenschaftlichen Probleme und des gefahrvollen Eindringens ins unbekannte Gebirge geradezu als heroisch bezeichnen möchte.

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