Ein treuer Gefährte | Club Alpino Svizzero CAS
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Ein treuer Gefährte

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Hans Seiler, Zürich

« Ihr Berge der Heimat mit ewigemSchnee, Ihr blühenden Dörfer am heimischen See, Ihr Zeugen der Jugend, ich rufe euch zu: O Land meiner Väter, wie lieblich bistdu! » Heinrich Leuthold Unzählige Fremde aus aller Herren Ländern suchen immer wieder unsere so wundersam gestaltete Heimat auf. Berge und Seen haben es >:>> ihnen angetan; sie staunen über den reichen Wechsel in unserm kleinen Land, wo man innerhalb weniger Stunden von den Gefilden der Reben und der Edelkastanien hinauffahren kann in die Region der Gletscherwelt.

Ist es da nicht fast eine Verpflichtung, als echter Sohn einer solchen Heimat Bescheid zu wissen über unser Alpenland, in das wir das Glück hatten hineingeboren zu werden? Ist es nicht allein schon das Leuchten der befirnten Häupter, das in uns eine stille Sehnsucht erweckt?

Die Liebe zu den Bergen kommt freilich nicht ganz von ungefähr. Sie muss eingepflanzt werden, um Wurzeln zu fassen.

Dies besorgten meine lieben Eltern recht gründlich, als sie den kaum zehnjährigen Buben mitnahmen, hinauf zur damals noch alten Fridolinshütte, um anderntags über den Ochsenstock zur obern Sandalp und zur Claridenhütte hinüberzuwechseln. Das Flämmlein der Begeisterung war entfacht, und wenn es auch vorerst recht zaghaft flackerte, so konnte es doch nicht mehr ganz erlöschen.

Auch im Alpinismus gibt es ein Werden, Sein und Vergehen.

Ja, dieses Werden ist der Frühling, wo die Saat oft unsichtbar keimt, um erst mit der steigenden Sonne kraftvoll hervorzubrechen. Ich entsinne mich dabei meiner Schulzeit, als mich - zum Leidwesen meiner Lehrer - das Wissen um die Höhe unserer Schweizer Berge weit mehr interessierte als ihr Französisch. Dann folgten -die finanziell recht mageren Jahre eines Lehrbuben, der aber jeden ersparten Rappen sorgsam beiseite legte, um damit in irgendeiner Altstadtgasse antiquarisch ein Jahrbuch des Alpen-Clubs einzuhandeln. Dabei entdeckte ich auch die Büchlein des Herrn Dr. Täuber über das Berner Oberland und die Tessiner Berge, die drei Bände Studers « Über Eis und Schnee » und Weilenmanns « Aus der Firnenwelt ». An Anregung fehlte es also nicht, doch waren es vorerst nur Wunschträume. Dann aber nahm mich mein Vater mit auf den « ersten » Dreitausender, die Krönte, und kurz darauf durfte ich ihn an einem i. August über den Claridenpass begleiten, wobei uns auf der Hüfiseite ein schwerer Schneesturm überfiel. Damit lernte ich beizeiten auch die ernste Seite des Bergsteigens kennen. Wohl als Preis für mein ruhiges Verhalten erhielt ich noch im gleichen Jahr einen Eispickel, und damit begann eine lange Kette schönster Bergerlebnisse, die sich gleich Perlen an einer Schnur aufreihten.

Mit ihm, meinem treuen Gefährten und Wegbereiter, möchte ich eine kleine Zwiesprache führen. Dabei soll im voraus erwähnt sein, dass wir eigentlich nie als « Eroberer » auszogen, sondern eher als stille, dankbare Verehrer unserer unvergleichlich schönen Bergheimat.

Von Schwierigkeitsgraden wurde damals noch nicht gesprochen, und es scheint mir heute noch aus Erfahrung, es sei mit diesen Graden wie beim Wein, nämlich dass hauptsächlich das Wetter sie bestimme.

Der Glorienschein, der aber doch immer über unsern Touren lag, war folglich ganz anderer Art. Dies möge mir die junge Generation mit ihrem Hunger nach Erstbesteigungen verzeihen.

Nun aber zu meinem Eispickel!

Er war ein Geschenk meiner Mutter. Allein schon diese Tatsache löste damals da und dort Erstaunen und Kopfschütteln aus; denn soll und darf eine Mutter ihrem Sohn etwas schenken, dessen Zweckbestimmung mit Gefahren verbunden sein kann?

Meine liebe Mutter, selber für die Bergwelt begeistert, verstand eben den naturgebundenen Höhendrang ihres Buben und dachte: wenn schon, denn schon - und nur das Beste vom Besten war gut genug; ja sie liess sich bei der Auswahl vom alten Vater Fritsch persönlich beraten.

Ich aber stand an jenem Weihnachtsabend glückstrahlend vor dem ersehnten Geschenk, streichelte immer wieder Spitz und Haue, und mein Vater schnitzte mit seiner geschickten Hand mein Monogramm und zwei Edelweiss in seinen massiven Eschenstiel.

Schön im Lederfutteral verwahrt, träumte er vorerst dem Sommer entgegen. Von allem Anfang an aber betrachtete ich das Geschenk meiner Mutter nicht nur als Hilfsmittel, sondern vielmehr als Talisman. Und mein Pickel ist bis heute mein Glücksbringer geblieben, obwohl bereits fünfzig Jahre seit unserer ersten Begegnung verflossen sind. Wohl ist diese lange Zeitspanne nicht spurlos an uns beiden vorbeigegangen, und rückblickend glaube ich dabei des alten Gotthardpo-stillions Worte zu hören: « Hab'viel gesehen auf hoher Alpenwelt, hab'viel erfahren, das ihr nicht kennt. » Freilich lag nicht immer eitel Sonnenschein über unsern gemeinsamen Fahrten, und oft zer-zaustenuns Sturm und Schneegestöber. Aber nach jeder glücklichen Heimkehr war es immer mein erstes Anliegen, meinen « getreuen Gefährten » zu pflegen, und stets wurde dazu für Schaft und Haue nur das allerfeinste Leinöl verwendet.

Vorerst waren es die Gipfelzeichen der Zentralschweiz und des Glarnerlandes, mit denen er engste Fühlung nahm, so etwa die Eisschründe am Tödi, am Spannort usw. Es waren zugleich unsere gemeinsamen Lehrjahre, oft unerbittlich und hart, denn Luftseilbahnen gab 's noch nicht; der Lohn war knapp, vor allem aber die nötige Freizeit, und Nachtmärsche zu hochgelegenen Hütten waren nichts Aussergewöhnliches.

Dann, Jahre später, wurde der Kreis immer weiter gezogen, und dabei offenbarte sich mir mehr und mehr die eigentliche Zweckbestimmung meines Pickels als Wegbereiter und zuverlässiger Helfer. Manches hätte ich in Kauf genommen, seinen Verlust nie; denn allzu viele schöne Erlebnisse verbinden mich mit ihm und leuchten noch heute vor meinem geistigen Auge, als wäre es erst gestern gewesen.

Ich sehe vor mir die schmale, im ersten Sonnenlicht gleissende steile Mittelrippe der Weissen Frau. Im obersten Teil trafen wir blankes Eis. Die spitze Haue meines getreuen Begleiters schaffte uns Tritt für Tritt, gross genug auch für den sichern Abstieg, und es entstand eine wahre Himmelsleiter. Erinnert er sich wohl noch an die Ber- nina? Vom Crast'Agüzzasattel stiegen wir zum Südgrat empor und schauten über die schaudernde Tiefe der Tschiervaflanke.Vor uns lag der schmale Gipfelgrat, auf dem aber kein fester Schnee lag, in den wir hätten eine feste Spur treten können, vielmehr überraschte uns ein messerscharfer Eisfirst mit überhängenden, hahnen-kammähnlichen Harstgebilden. Unter den wuchtigen Schlägen meiner Breithaue verschwand dieser Zauber, und unter den kalten Stössen einer steifen Bise erreichten wir wohlbehalten das ersehnte Ziel. Aber auch am Wetterhorn und ebenso hinauf zum Rottalsattel war mir mein Pickel ein zuverlässiger Helfer. Unter seinen Schlägen gelang uns der Zugang zum Schöllijoch am Barrhorn. Und damals, am Matterhorn? Wir befanden uns im Abstieg, am obersten, vereisten Dach. Eine Partie hatte ihre « Werkzeuge » weit unter dem Gipfel deponiert, um freier klettern zu können. Wie froh waren sie um einen Freundschaftsdienst. Etwas Ähnliches erlebte ich dereinst am Gletschhorn. Mein Kamerad und ich liessen am Fuss des Südgrates Pickel und Steigeisen zurück und turnten in bester Stimmung über Kanten und Risse zum luftigen Gipfelturm empor, wo wir eine sonnige Siesta genossen. Beim Abstieg über die Westflanke des Berges betraten wir das jähe Firnfeld; dieses war aber von einer glasharten Eiskruste überzogen, die uns in der Abendsonne höhnisch entgegengrinste.Volle drei Stunden mussten wir im obersten Teil Tritt für Tritt mit unsern Nagelschuhen heraushobeln, und unsere Lage war wenig beneidenswert. Seither hab " ich ihn nie mehr zurückgelassen: er ist zu meinem Trabanten geworden. Auch damals, als wir, von der Silvretta kommend, über den Vereinapass zogen und im alten Vereinahüttchen nächtigten. Ein heraufziehender Gewittersturm leitete eine längere Schlechtwetterperiode ein. Pelerinenverhüllt traten wir anderntags bei Dunkelheit im wahren Bindfadenregen den Rückzug nach Klosters an. Da, plötzlich erschien mir sein Schaft so lang. Ich zog ihn aus der Dunkelheit der Pelerine ans Tageslicht und erkannte einen « Fremdling ». Meine Kameraden schritten talwärts; ich aber stieg eine volle Stunde zurück zur Hütte. Da stand er noch im Rechen, gottlob! Niemand war ausgerückt; nur ein paar verschlafene Gesichter glaubten, ich sei ein Neuankömmling. « Schlechtes Wetter bringen Sie », meinte einer. « Nein, nein », erwiderte ich, « nur den falschen Pickel bringe ich, um den meinigen zu holen ». Und schon zog ich mit kurzem Gruss wieder eilends davon durch den unvermindert niederprasselnden Regen, in bester Laune, denn zwei alte Vertraute hatten sich wiedergefunden. Noch vor Klosters holte ich freudestrahlend meine Kameraden ein.

Dann, wiederum Jahre später, standen wir frühmorgens hoch oben am Doldenhorn. Ein breiter Schrund quer über dem steilen Gletscher verwehrte uns jedes weitere Vordringen. Was nun? Vier Augenpaare spähten hinauf zu unserm Berg, dessen weisses Spitzchen, von den ersten Sonnenstrahlen umworben, zu brennen schien. Schon sprach man von einer Umkehr, als einer ganz aussen am Gletscherrand in einer Eisrinne alte Spuren entdeckte.Vorsichtig näherten wir uns dieser Schlüsselstelle. Dann trat wiederum mein Helfer in Aktion. Tritt für Tritt wurde gesäubert, und bald lag vor uns der freie Zugang zum Gipfel.

Auch mein erster Anlauf aufs Matterhorn wurde brüsk abgestoppt. In der Nacht fiel Schnee bis hinab zum Schwarzsee. Wir stiegen zum Gornergletscher ab, querten diesen aufwärts, gelangten nur dank meinem Pickel am Riffelhorn vorbei auf den obern Gletscherboden und erreichten beizeiten die Betempshütte.

Besondere Verdienste erwarb sich mein Begleiter in den Schrunden des Riedgletschers, wo er uns den Zugang zum Nadelhorn freilegte, auf dessen Spitze ich den Nordwestgrat des Domes überschauen konnte, wo einst unter seinen Hieben auch manche Scherbe über die Flanke geflogen war.

Etliche Male mussten wir auch am Berg kapitulieren, so jenes Mal am jähen Valsoreygrat des Grand Combin. Schon der Zugang zu dieser stolzen Felsenburg war für ihn harte Arbeit. Dann, bereits hoch über den Gletschern, auf gut 3900 Meter Höhe, stiessen wir erneut auf Hindernisse. Auf den sonst gut begehbaren Felsbändern lagerten meterdicke, dämonisch-grüne Eisbacken. Gleichzeitig türmten sich über dem Mont Blanc schwarze Wolkenmassen, was uns zur Rückkehr mahnte. Es braucht aber merkwürdigerweise oft mehr Mut zum Rückzug als zum Gang ins Verhängnis. Ein solcher Entschluss ist jedoch gerade ein Gradmesser für die Reife des Alpinisten.

Und noch ein Erlebnis: am Partschgrat der Tiroler Wildspitze! Hoch oben am Ötztaler Urkund überraschte uns ein Wetter, und bald « guxte » es recht ungemütlich. Im faustdicken Nebel stiessen wir auf eine Dreierpartie, alles Engländer. Einer ihrer Männer war mit zwei Tiroler Führern voraus. Wir trafen folgende Situation: Zwei hielten das gestraffte Seil; ihr Mittelmann war ausgeglitten und lag sechs Meter unter dem Grat auf dem Bauch, ohne an der hartgefrorenen Steilflanke wieder Fuss fassen zu können. Gesichert von meinem zuverlässigen Clubkameraden, hackte ich mich mit der Breithaue meines Pickels zu ihm hinab und schlug unter seinen baumelnden Füssen ein standsicheres Podest. Bald waren wir wieder auf dem Grat und stiegen nach einem kräftigen Händedruck weiter. Anderntags verabschiedeten wir uns. Als wir dann fünf Tage später in Zürich dem Arlbergexpress entstiegen, ertönte über uns ein lautes Hallo. Es waren die « Engländer von der Wildspitze », die im gleichen Zug bis nach Ostende weiterfuhren!

Auf manchen Bergen hatte es mein Trabant auch leichter als ich; er konnte nach getaner Arbeit wohlversorgt in meinem Rucksack ausruhen, so beim langen Abstieg über den Bietsch-horn-Westgrat oder beim unvergesslich schönen Aufstieg über den Weissmies-Nordgrat.

Wie oft schätzte ich seinen massiven Eschenstiel, an dem man so zuverlässig das Seil sichern konnte; ich denke dabei an die Abstiege vom Galenstock, vom Mönch oder vom Finsteraarhorn. Aber auch bei manch sausender Abfahrt war er mir Stütze und Bremse zugleich.

Dass er auch unbeschwerter die Berge erlebte als ich, dafür möge jene Zeit zeugen, da unser Schweizerland von der Kriegsfurie umbrandet war. Wir schrieben das Jahr 1943. Plötzliche Aufgebote und Rationierung verdrängten unsere Reiselust. Im August jenes Jahres stiegen wir durchs steile Val Soja zur Adulahütte des SAC empor, während die Tessiner Sonne unbarmherzig auf unsere für sechs Tage beladenen Buckel brannte. Anderntags kehrten wir in der Frühe in der Obern Adulahütte ein, um dem Hüttenwart die vom Tal mitgenommene Post, ein dickes Bündel, zu überreichen. Dabei erzählte er uns, ganze Geschwader der Royal Air Force hätten vergangene Nacht die Alpen überquert, und kurz darauf habe man die Detonationen, begleitet von hohen Feuersäulen, wahrgenommen. Es habe Mailand gegolten. In kurzen Intervallen sei der südliche Himmel taghell beleuchtet gewesen, und an der Hütte hätten die Scheiben minutenlang geklirrt.

In Gedanken versunken, stiegen wir über den harmlosen Brescianagletscher dem Rheinwaldhorn zu. Ruhe und Frieden walteten über dem strahlenden Gipfelmeer unserer Heimat, und es wurde für uns eine Feierstunde der Besinnung und der Dankbarkeit.

Ganz im Gegensatz zu solch ernster Stunde hat mein Pickel aber auch oft mitgewirkt bei humoristischen Einlagen. Es war in der kleinen Passher-berge in Santa Maria auf der Lukmanierpass-höhe, als sie ihn unter mein Unterleintuch schmuggelten und dann noch vorsorglich das Licht etwas früher ausschalteten. Dann wieder benützten wir ihn in einer dunklen Regennacht in der Kröntenhütte als Leist, um einem Kameraden sämtliche Kappennägel an Sohle und Absatz mit Silberbronce anzustreichen und ihm beim Morgenessen vorzuhalten, er treibe entschieden zu viel Luxus in den Bergen. Lachen muss ich auch heute noch, wenn ich daran denke, wie wir auf dem schmalen Grat des Monte Rosa einen hartgefrorenen « Birewegge » mit seiner Breithaue brüderlich teilten.

Zum Abschluss unseres Lobgesangs sei ihm versichert, dass er eine Art Sinnbild ist für all das Grosse und Schöne, das wir gemeinsam erlebten in einer Welt, die nicht von Menschen erschaffen wurde. Lebte meine Mutter noch, so würde ich ihr sagen: « Dein Weihnachtsgeschenk war nicht nur Holz und Eisen, nein, es war ein Teilstück vom schönsten Inhalt meines Lebens. Es war stets mit dabei, wenn es galt, die nötige Lebensfreude und Tatkraft zu holen für den oft so harten Alltag. » Trüber Ausklang oder festlicher Abschied, was nun? Durchgeht man die alpine Literatur, so nimmt man immer wieder jene Stellen der Wehmut wahr, die das Älterwerden wie die Klänge einer Totenglocke begleiten. Dies mag menschlich begreiflich sein; man kann aber auch zu

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