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Eine Geschäftsreise zu den Japanischen Alpen

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Hans-Richard Sliwka, Trondheim ( N )

Kawaguchiko mit dem Fujisan im Hintergrund Ein Blick auf Nippons Bergwelt Mit allein alpinistischen Zielsetzungen eine Reise dorthin zu unternehmen lohnt sich eigentlich nicht, das sei vorweggenommen. Denn in gleicher Richtung und über geringere Entfernung fliegt man für weniger Geld zu Gebirgen, die weitaus mehr an Höhe und bergsteigerischer Attraktivität zu bieten haben. Doch nach Nepal trampen meist Leute mit sehr viel Zeit, und das sind nicht viele. Die Zahl europäischer Geschäftsreisender nach Japan misst sich hingegen in Jum-boeinheiten. Leider verlassen viele Handels-vertreter dieses Land allzu voreilig nach Abschluss der Geschäfte, die vielleicht gerade Platz gelassen haben für einen Tempelbe-such oder eine Geishashow. Neben Business und Kultur bietet das dicht besiedelte und hochindustrialisierte Land jedoch mehr Natur als sich die meisten Japanreisenden vorstellen.

Bei gutem Wetter grüsst den gestressten Manager beim Anflug auf Narita - so er für einmal aufschaut von seinen Papieren - am Flugzeugfenster der Fujisan. Bedauerlicherweise ist dieser weltbekannte heilige Berg zu einer Massentouristenattraktion herabgewürdigt worden, weshalb seine Besteigung in steter Begleitung hunderter Gleichgesinnter eine gewisse soziale Überwindung erfordert. Der aufmerksame Flugpassagier erblickt aber noch eine Vielzahl weiterer Gipfel, die sich besonders Ende Mai schneebedeckt vom grünen Unterland abheben: die Japanischen Alpen. Die Bezeichnung mag ein wenig übertrieben erscheinen. Ca. 200 km nordwestlich von Tokyo, in der Mitte Japans, erheben sich Gipfel, die 3200 m nicht übersteigen. Obgleich sich Ähnlichkeiten mit unseren Alpen feststellen lassen, haben die Japanischen Alpen eine eigene interessante Ausstrahlung.

Während fast jedem japanischen Bergsteiger die europäischen, besonders auch die Schweizer Alpen bekannt sind, wissen Europäer oft kaum etwas von ihrem fernöstlichen Gegenstück. Grundlegende Informationen muss sich der Bergfreund daher unbedingt vor der Reise bei den japanischen Fremden-verkehrsbüros holen. Man erhält dort im allgemeinen umfassende Auskünfte, so dass dann im Lande selbst kaum noch Vorbereitungen notwendig sind.

Empfehlenswert ist der Zeitpunkt Ende Mai/Anfang Juni, am besten nach einem Winter mit geringem Schneefall. Im Sommer sollte man die Japanischen Alpen meiden. In der kurzen regenarmen Sommersaison sind die bereits grosszügig dimensionierten Hütten dermassen voll, dass die Mitnahme eines Zeltes obligatorisch erscheint. Im Vorsommer oder auch im Herbst jedoch bieten die Japanischen Alpen ein faszinierendes Erlebnis.

Zur Anreise: Selbst Zeitgenossen, die sich in Mitteleuropa für die kleinste Strecke hinter das Steuer setzen, werden in Japan kaum je einen Wagen mieten. Überfüllte, enge und teure gebührenpflichtige Strassen bei Linksverkehr mit fremden Verkehrszeichen veranlassen selbst westliche Autofanatiker, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, die in Japan hervorragend funktionieren.

Unterwegs zu den Japanischen Alpen Um in die Japanischen Alpen zu gelangen, fährt man vom Tokyoter Shinjuku-Bahnhof in knapp drei Stunden nach Matsumoto, einer sehenswerten Kleinstadt. Hier steigt man um in die Privatbahn nach Shin-Shimashima, von wo aus ein Bus nach Kamikochi ( 1500 m ) fährt, dem klassischen Ausgangspunkt einer Japanalpen-Besteigung. Ähnlich wie in Zermatt ist auch in Kamikochi die Anfahrt mit Privatwagen verboten. Einige Kilometer vor Kamikochi werden deshalb die Autos an beiden Strassenrändern parkiert, wobei für den Bus oft kaum mehr genügend Raum zum Durchkommen bleibt. Zutiefst erschrocken ist der natursuchende Tourist, wenn er in Kamikochi die unzähligen Reisebusse erblickt, aus denen sich wahre Menschenmassen ergiessen. Für die meisten Japaner ist Kamikochi jedoch nur das Ziel einer Kurzreise, bei der man sich nicht weit vom Restaurant entfernen muss. Nach wenigen hundert Metern in Richtung Berge ist man somit bereits allein oder zumindest unter Gleichgesinnten. In Kamikochi bietet sich übrigens die letzte Gelegenheit, eine Detailkarte ( 1:25000 ) der Japanischen Alpen zu erwerben und Informationen über die Hütten einzuholen.

Viele, die erstmals hier sind, unternehmen noch einen kleinen, wallfahrtähnlichen Abstecher zu einem Relief von Reverend Walter Weston. Wie in der Schweiz so sind auch in Japan die Berge von Engländern alpinistisch entdeckt und bestiegen worden. Es war dann auch Weston, der die Gebirge im heutigen Chubu-Sangako-National park ( Japanische Alpen> nannte.

Erreicht man Kamikochi nachmittags, so empfiehlt es sich, nicht im möglicherweise überfüllten Ort zu übernachten, sondern etwas ausserhalb in einem der japanischen Hotels ( Ryokan ) am Myojin-Teich. Hier bietet sich die Möglichkeit, in einem echt japanischen Interieur den Abend zu verbringen. Will es der Zufall, dort gleichgesinnte Japaner zu treffen, erfährt man in solch einer Umgebung mehr über das Land als beim Besuch aller möglichen Sehenswürdigkeiten.

Der Gipfel des Yaridake Auf dem Yaridake Die gemütliche Stimmung im Ryokan kann unsere Sorgen nicht ganz vertreiben, denn draussen entladen tiefhängende Wolken ihre nasse Last. Es ist der 1 .Juni, und die Japaner befürchten schon, die sommerliche Regenzeit könnte bereits angefangen haben. Pünktlich zum Frühstück klart es jedoch auf, und die Sonne erwärmt uns etwas später auf dem zunächst flachen, dann immer steiler ansteigenden Pfad in Richtung Ooyari-, Sesho- und Yarigadake-Hütte. Zwischendurch überholen wir schwerbeladene, bestens ausgerüstete japanische Gruppen, die sich mit rhythmischen Rufen die letzten steilen Meter bis zur Yarigadake-Hütte empor-schreien. Die Unterkunft ist nicht gerade komfortabel und verfügt etwa über den Standard französischer Alpenclubhütten. Den relativ hohen Übernachtungstarif versuche ich, in der Hoffnung auf Gegenrechtsan-erkennung, durch Vorzeigen des SAC-Aus-weises noch etwas herabzusetzen. Billiger wird es leider nicht, doch behandelt man meinen deutschen Kollegen und mich von nun an als

Von unserem Stützpunkt aus lässt sich in 20 bis 30 Minuten der Gipfel des Yaridake erklimmen. Der dritthöchste Berg Japans ( 3180 m ) bietet uns bei untergehender Sonne ein wunderbares Panorama. Wieder in der Hütte, kommen wir abends nach dem Essen ins Gespräch mit japanischen Alpinisten. Auf unsere provozierenden Fragen, ob denn ein gewöhnlicher Japaner überhaupt Zeit zum Bergsteigen finden kann, regen sich Unmut und Widerspruch. Doch die Japaner können uns Europäer nicht überzeugend erklären, wie bei einer Sechstagewoche mit überlangen Arbeitszeiten eine aktive Freizeitgestaltung und ein harmonisches Familienleben möglich sind. Am nächsten Tag bewegt der viele Schnee die meisten Gäste, die Hütte auf gleichem Weg talwärts zu verlassen.

Eine lange Gratwanderung Wir versuchen die Gratwanderung nach Süden, die sieben Dreitausender einschliesst. Die Luft ist klar, und weit hinten am Horizont entdecken wir den Vulkankegel des Fujisan. Wohl sind heikle Stellen mit Leitern oder Drahtseilen gesichert, doch auf dem oft recht exponierten Grat bietet der tiefe, weiche Schnee dem Fuss nur wenig Halt. Trotzdem kommen wir voran, lassen die noch fast vollständig im Schnee vergrabene und verschlossene Minamidake-Hütte hinter uns, um weiter zur kleinen, schön gelegenen Kitahodake-Hütte auf 3100 m zu gelangen. Hier müssen wir feststellen, dass der weitere Weg über den Grau zum Okuhodake ( 3190 m ) infolge des Schnees zu unsicher ist, so dass wir uns zum Bleiben entschliessen. Die freundlichen Hüttenwirte haben keine anderen Gäste, und die von ihnen zubereitete Miso-Suppe schmeckt vorzüglich. Leider ist die Verständigung nur mittels Zeichensprache möglich.

Am nächsten Tag beginnt ein 800 m langer Rutsch auf dem Hosenboden. Ein schneebedeckter Hang mit idealer Neigung macht den Abstieg damit zu einem seltenen Genuss. Am Ende der Rutschpartie steht die Kara-sawa-Hütte. Sie ist gut besucht, nicht zuletzt, weil gerade ein Gebirgskurs durchgeführt wird.

Letzte Tour und Rückkehr 700 m tiefer, im Tal des Azusaflusses, wird es sehr warm. Wolken ziehen auf. Der Aufstieg auf die 2600 m hoch gelegene Choga-take-Hütte gelingt eben noch, bevor der Regen einsetzt. Hier erweist sich, dass auch in Japan den Informationen nicht immerzu trauen ist. Die Hütte ist geschlossen. Glücklicherweise kommt eine junge Hüttenwirtin, die die Hütte für die offizielle Öffnung zwei Wochen später herrichten will. Ein weiterer Wanderer trifft ein, und gemeinsam verzehren wir das einfache, wohlschmeckende japanische Abendessen. Die Diskussion auf Englisch ist mühsam, aber doch herzlich. Wiederum bin ich erstaunt, wieviel die Japaner von Europa wissen verglichen mit unseren bescheidenen Kenntnissen von Asien.

Nebel und Regen am nächsten Morgen lassen die Wanderung zum Jonen Dake ( 2857 m ) nicht ratsam erscheinen. Deshalb geht es jetzt wieder zurück nach Kamikochi. Im dichten Nebel verliere ich jedoch den markierten Pfad und brauche sehr viel Zeit, um mich zu orientieren. Zum Glück verirrt sich ein Japaner ebenfalls an derselben Stelle, und gemeinsam finden wir endlich den rechten Abstieg. Im Tal angekommen, lädt mich der japanische Wanderer zum Essen in die Tokuzawa-Hütte ein und begleitet mich anschliessend bis nach Kamikochi zum Bus, der zurückfährt nach Matsumoto, in das hochzivilisierte japanische Stadtleben. Gerne werde ich bei einem nächsten beruflichen Anlass wieder zurückkehren in die Japanischen Alpen.

Winterkurs bei der Kawasake-Hütte

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