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Erschliessung der Tschingelhörner ob Elm

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Von Caspar Loetsdier.

Vom stillen, kleinen Elm im Sernftale führt uns ein steiler Pfad durch die Tschingelschlucht empor. Die Sonne wirft für heute die letzten Strahlen in die dunkle Tiefe. Fliegen summen mit einer Geschäftigkeit, als hätten sie noch viel Versäumtes nachzuholen, und sonnensatt duften Gras und Sträucher. Schweren Schrittes schreiten Wildheuer an uns vorbei, Jäger tragen mit Waidmannsstolz frischgeschossene Hochjagdbeute zu Tal. Der Weg ist gut. Die Höhendifferenz zwischen uns und Ziel ist gegeben. Keine Schleifen und Kurven vermögen sie zu verringern; darum lieber gleich in frischem Anstieg bergan. Schon platten sich die gegenüberliegenden Schieferfelsen steil in die Schatten der Schlucht. Der Bach brummt und schimpft über die Enge, die seinen Weg begrenzt und seinem Freiheitsdrang Schranken setzt. Er wühlt und wühlt. Jahrtausende schon hat er einen Ausweg gesucht und dabei sich nur immer tiefer in das dunkle Gestein eingefressen.

Fast unvermutet sind wir der Schlucht entronnen. Der Blick weitet sich. Vor uns liegt der Talkessel der Tschingelnalp, flankiert vom nördlichen Gratausläufer des Mittaghorns im Westen, vom Ofen und den Tschingelhörnern im Osten und vom Ausläufer des Mörderhorns im Norden. Das einzige offene Tor bildet die Tschingelschlucht.

Stiller Friede liegt über dem kleinen Hochtal. Nichts stört die feierliche Ruhe. Behaglich breiten sich die Hütten der Niedern vor uns aus. Der Brunnen plätschert sein altes Lied, das abends besser zur Geltung kommt als am sonnig leuchtenden Tag, wenn alles lebt und jubelt. Der Maadbach, der ewig junge, stürzt sich in mutigen Sprüngen über die Felsenbänder. Er jauchzt und singt, und der Abendwind verteilt seinen Jubel in abwechslungsreichem Crescendo und Decrescendo. In den Tschingelhörnern spielen die letzten Strahlen, und der Bergfirn leuchtet im müden Glänze des scheidenden Tages.

Die Tschingelhörner! Stolz streben die schroffen Zacken zum Himmel empor, senkrecht fallen sie ab, und ein grosses Kar umlagert ihren Fuss. Schon von jeher bannten die wilden Türme die Blicke der Bergwanderer, wenn sie durch die Niedern schritten. Grüner Verrucano, zerfetzt vom Zahn der Zeit, lagert über eozänen Schiefern. Eine helle Malmbank, die durch die ganze Gruppe zieht, bildet ein deutlich sichtbares Band. Bei keinem andern der vielen Tschingeln unserer Alpen ist die Ableitung des Namens von cingulum = Gürtel oder Band so erklärlich und fassbar wie bei den Tschingelhörnern ob Elm, die in grossem Bogen die Tschingelnalp umsäumen.

Dieser stolze Zackenkranz geniesst aber seit jeher einen schlechten Ruf. Wenn wir im Hüttenbuch der Martinsmaadhütte einige Jahre zurückblättern, so finden wir die Tschingelhörner als Ziel höchst selten verzeichnet, und früher vergingen Jahre, ohne dass sie nur einen einzigen Besuch bekamen. Der ungewöhnlich lange Zugang mit viel Gegensteigung und die anormal schwer zu findende, steinschlaggefährdete Route schreckten ab, und die Überschreitung galt als sehr schwierige, exponierte und des brüchigen Gesteins wegen sehr gefährliche Kletterei.

Der schlechte Ruf der Tschingelhörner ist infolge der Opfer, die sie schon gefordert haben, auch etwas gerechtfertigt. Am 29. August 1915 unternahmen Armin Müller aus Zürich und J. Wyss aus Wetzikon eine Überkletterung vom Ofen zum Segnespass. Den Abstieg zu letzterem wollten sie durch Abseilen überwinden. Dabei fiel Müller und riss seinen Kameraden mit in die Tiefe. Im Geröll, unweit des Wildhüters Feitscher, der ihnen die Rucksäcke dorthin gebracht hatte, blieben sie tot liegen. Am gleichen Tage hatten sich die Brüder Otto und Emil Meier, zwei junge Turisten aus Zürich, zum Versuch eines neuen Aufstieges in der Westwand des Gross Tschingelhorns aufgemacht. Auch sie kehrten nicht mehr zurück. Ihre Leichen konnten erst am 18. September im bisher noch unerstiegenen « Knie-Kamin » in der Mitte der Hörnerreihe gesichtet und darauf geborgen werden. Einige Jahre später soll noch ein Alleingänger in den Tschingelhörnern verunglückt sein. Nähere Angaben über diesen Fall sind aber nicht bekannt.

Für die Begehung der Tschingelhörner kamen bisher drei Routen in Frage:

1. Die normale Route führt vom Martinslochfirn auf der bündnerischen Seite durch Lawinen- und Schuttkegel in die Mulde zwischen Klein Tschingelhorn und Ofen ( Muldenegg ) und von da rechts über ein Band zum zweitletzten Turm. Dort erst aufwärts und dann hinunter in die Rinne vom Gross Tschingelhorn bis zur Scharte.Von hier gewinnt man den Gipfel über den Südgrat in anregender Kletterei.

2. Die zweite Route begann am Segnespass, indem der erste Absatz erklettert wurde, um darauf die einzelnen Zähne zu überwinden und von der Schulter aus über den Grat das Gross Tschingelhorn zu gewinnen. Diese Route, auf der im Abstieg Müller und Wyss den Tod fanden, ist seit 1929 infolge eines Gratausbruches weder im Auf- noch im Abstieg begehbar. Der Versuch, das Gratstück zu bewältigen, wurde zwar von Th. und Fritz Zimmermann in Schwändi, zwei gewandten Kletterern, unternommen, und zwar sowohl vom Segnespass wie von der Schulter her. Aber die Lösung des Problems steht noch aus.

3. Die dritte Route führt links neben dem Martinsloch direkt durch die Wand zur Schulter. Die Wand wurde erstmals am 17. August 1913 durch die Brüder Louis und Emil Meier aus Zürich begangen. Es war das der gleiche Emil Meier, der dann 1915 in den Tschingelhörnern verunglückte, und dessen älterer Bruder, der ebenfalls in den letzten Augusttagen des Jahres 1915 in der Mischabelgruppe sein Leben endete. 1934 wurde der Aufstieg durch Th. und Fritz Zimmermann aus Schwändi wiederholt. Im Abstieg ist diese Route bis zur Erschliessung durch die Sektion Randen nie benützt worden. Der Aufstieg ist sehr schwer und nicht zu empfehlen, denn die sogenannte Kardinalsecke ist fast senkrecht und beinahe grifflos, das Gestein brüchig.

Die Besteigung der Tschingelhörner lohnte sich eigentlich auf keiner der drei genannten Routen. So fehlte der Martinsmaadhütte das pikanteste Stück seines Turengebietes. Darum befassten sich schon 1921 der damalige ERSCHLIESSUNG DER TSCHINGELHÖRNER OB ELM.

Tschingelhörner ob EJm.

Hüttenchef der Sektion Randen und ein unternehmungslustiger Kamerad mit dem Gedanken, die Tschingelhörner für gute Berggänger geniessbarer zu machen und enger in das Tätigkeitsgebiet der Martinsmaadhütte einzubeziehen.

Bis jetzt war der Übergang von der Martinsmaadhütte über Ofen und Tschingelhörner mit direktem Abstieg zum Segnespass ausserordentlich schwer oder dann so lang, dass der Abstieg nach Elm mehr Zeit erforderte als der Aufstieg von der Hütte zum Gross Tschingelhorn. Das Stück Mulden-egg-Gross Tschingelhorn musste auf dem Rückweg wiederholt und von da ein langer Umweg mit grosser Gegensteigung überwunden werden ( Abstieg zum Martinslochfirn und Aufstieg zum Segnespass ).

Also galt es, den Abstieg vom Gross Tschingelhorn zum Segnespassweg zu ermöglichen. Dazu standen nur zwei Möglichkeiten offen: der direkte Abstieg zum Segnespass und der Abstieg über die Nordwestwand zum Martinsloch und Segnespass. Durch den Gratausbruch im Jahre 1929 fiel die erste Möglichkeit ausser Betracht, und es blieb nur noch die Erschliessung der Nordwestwand übrig.

Anfänglich befassten sich A. Meyer und A. Frank mit der Absicht, in der Nordwestwand ein permanentes Drahtseil von 75 m Länge und 14 mm Durchmesser anzubringen, womit auch die Möglichkeit der Überwindung der Wand im Aufstieg erleichtert worden wäre. Nach reiflichen Erwägungen des Vorstandes der Sektion Randen mit dem Zentralvorstand wurde dieses Projekt fallen gelassen und von den Initianten eine andere Lösung gesucht und gefunden.

Heute ist oben auf der Schulter zur Überwindung der überhängenden Abseilstelle ( 25 m Seil genügen nicht ) ein Abseilring angebracht worden. Einige Schnecken, Fuss- und Mauerhaken ermöglichen den weitern Abstieg. So wurde, ohne den Berg zu verschandeln, für sichere und geübte Bergsteiger die Abstiegsmöglichkeit über die Nordwestwand — die « Schaffhauser Wand », von Einheimischen getauft — geschaffen, und heute darf die Überschreitung von der Martinsmaadhütte aus über Ofen und den Grat des Klein und Gross Tschingelhorns mit Abstieg nach dem Segnespass und Elm als eine der schwierigsten, aber auch lohnendsten Klettereien in den Glarner Alpen bezeichnet werden. Aber auch die Traversierung über Muldenegg und die Bänder bietet Abwechslung an reichlichen Schwierigkeiten. Vor allem erfordert diese Route für die Einhaltung der Richtung grosse Erfahrung oder einen kundigen Führer. Führer Fritz Schaub in Elm macht darüber folgende Angabe:

Von der Einsattelung auf dem Ofenmassiv wird der Firnhang in nördlicher Richtung leicht ansteigend gequert. Man erreicht so nach etwa 20 Minuten die obere Kante der Ofen-planke, wo die ganze Hörnerreihe sichtbar wird. Hier steigt man durch brüchiges Gestein und steile Platten gegen den Grat zur Linken ab. Der Grat wird bis zur Schulterrinne verfolgt. Durch diese Rinne abwärts, unter den untersten Felsen querend, gewinnt man die Muldenegg ( Geröllhang ). Der Einstieg in die Hörner erfolgt von hier aus. Zuerst steil über einen Felssporn in der « Faulen Runse s, welche gegen das Klein Tschingelhorn führt. Nach Überwindung von 50 Meter Höhe verlässt man diese Runse in östlicher Richtung und erreicht über Felsabsätze ein gutes Schuttband, welches über der grossen Wand hinführt. Durch ein kleines Felsentor, gebildet von einer anlehnenden Platte, leitet ein schmales Gesims um eine scharfe Ecke zum grossen Schuttfeld am Ostfusse der Grattürme. Diesen Schutthang in nördlicher Richtung leicht ansteigend erreicht man nach rechts wiederum ein schmales Gesims über kleine Absätze und durch zwei Kamine endlich die Nadel vor dem grossen Horn. Über einige Felsbarrieren steigt man durch ein plattiges Kamin etwa 60 m ab und verfolgt nach rechts ein Gesimse.Von hier aus links über Platten gewinnt man das meist mit Schnee oder Eis bedeckte Couloir zwischen Nadel und grossem Horn. Über einer senkrechten Wandstufe gegen den Ostabsturz des Gross Tschingelhorns ansteigend, gelangt man auf einen rasendurchsetzten, plattigen Steilhang unter der obersten Wandstufe. Durch einen Riss, abwärts geschichtete Platten und ein kleines Kamin zum Gipfel. Zeit vom Ofen zum Gross Tschingelhorn etwa 3 Std. Über den rasendurchsetzten Nordgrat hinab kommt man zur Abseilstelle an der Schulter und von hier, die angebrachten Hilfsmittel benützend, die Nordwestwand hinunter zum Martinsloch. Der Steinschlaggefahr wegen ist beim Abstieg äusserste Vorsicht geboten und eine Aufeinanderfolge mehrerer Partien zu vermeiden. Vom Martinsloch schreitet man über einen grossen Geröllhang und von dessen Ausgang nördlich haltend in den Segnespassweg.

Im Vorgefühl einer genussreichen und ernsten Kletterei streben wir von der Niedern in abendlicher Kühle der Martinsmaadhütte zu. Unser Bergheim ist uns nun noch lieber geworden. War es bisher Ausgangspunkt für manche leichte und mittelschwere Bergfahrt, so ist sein Gebiet heute durch die Erschliessung der Tschingelhörner so erweitert worden, dass auch der Anspruchsvolle sich sättigen kann. Es bietet dem beschaulichen Bergwanderer schöne Ziele ( Mittaghorn, Piz Grisch, Vorab ), der Hochturist findet Betätigung in Fels und Eis und die Möglichkeit für weite Gänge ( Vorab-Hausstock, Piz Segnes-Sardona ), und der gewandte Kletterer kann in den Tschingelhörnern und am Zwölfihorn seine Kräfte erproben.

Möge der Berggeist in alle Zukunft seine schützende Hand über die Kletterer an der « Schaffhauser Wand » halten und sie vor Unglück bewahren!

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