Frühlings- und Wintertage im Oberhalbstein | Club Alpino Svizzero CAS
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Frühlings- und Wintertage im Oberhalbstein

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Dr. W. Gröbli ( Sektion TJto ).

Von Gar oft ist schon gesagt worden, die Alpen seien nachgerade so durchforscht, daß der heutigen Generation der Bergsteiger, wenn sie nicht immer in ausgetretenen Pfaden wandeln wolle, nichts mehr übrig bleibe, als zu versuchen, längst bekannte Gipfel von einer andern Seite her als der üblichen zu erreichen. In den meisten Fällen wird sich diese Seite als die falsche erweisen, wenn man nämlich als richtig nur den Weg bezeichnet, der möglichst leicht zum Ziel führt, aber die Beispiele sind doch nicht so selten, in denen sich die neue Route als bequemer oder weniger gefährlich erwiesen hat. Und wer übrigens aus reiner Freude an der Alpenwelt und am Überwinden von Schwierigkeiten aller Art in die Berge geht, der wird wenig darnach fragen, ob sein Weg leichter sei als ein anderer, oder nicht. Daß aber unsere Alpen noch nicht so erforscht sind, wie manche meinen, beweist die noch immer erhebliche Zahl neuer Besteigungen, von denen die alpinen Zeitschriften jedes Jahr zu berichten wissen, und wenn auch zugegeben werden muß, daß es sich in manchen Fällen um sehr untergeordnete Nebengipfel handelt, so kann doch nicht bestritten werden, daß recht ansehnliche Spitzen erst in den letzten Jahren ihre ersten Gäste empfangen haben. Die beiden Gipfel, der Piz Forbisch und der Piz d' Arblatsch, von deren ersten Besteigungen dieser kleine Aufsatz handeln wird, gehören nicht zu den Bergen, an denen hervorragende Schwierigkeiten zu überwinden waren, aber sie bilden doch einen selbständigen Gebirgsstock von nicht unbeträchtlicher Massenentfaltung. Es mag vielleicht nicht überflüssig sein, wenn ich mit einigen Worten auseinandersetze, wie ich dazu kam, im Frühlinge des Jahres 1893 die genannten Berge in Angriff zu nehmen. In den ersten Jahren meiner bergsteigerischen Thätigkeit war ich wiederholt in die Bergünerberge gekommen, dagegen war mir, vom obersten Teile abgesehen, das Oberhalbstein fremd geblieben. Wohl standen der Piz Piatta und die Err- gruppe auf meinem Programm, aber neben den vielen andern Dingen, die dasselbe noch enthielt, mußten sie immer zurücktreten. Einmal, es mögen sechs Jahre her sein, war ich ziemlich fest zur Ausführung entschlossen und hatte bereits einen bestimmten Plan gemacht, aber im entscheidenden Moment gewann eine andere Kombination die Oberhand. Schon damals hatte ich mir vorgenommen, dem Piz Forbisch etwas nachzuforschen. Nach Tschudi, „ der Tourist in der Schweiz ", pag. 420, der unter „ Mühlen " von Forbisch und Arblatsch schreibt: „ werden ebenfalls von hier aus erstiegen ", hätte man vermuten sollen, beide Berge seien schon besucht worden, aber aus der alpinen Litteratur war mir nichts davon bekannt. Zu Anfang des Jahres 1893 wurde ich, veranlaßt durch Herrn Ed. Imhof, von Herrn Prof. Walder angefragt, ob ich etwas über Forbisch und Arblatsch wisse. Ich erwiderte, daß ich die Berge für unerstiegen halte, und nahm daraus Veranlassung, die Jahrbücher des S.A.C. und namentlich auch das ganze Alpine Journal genau zu durchsuchen. Das negative Ergebnis bewog mich, den Versuch einer Besteigung zu machen. Ich hatte Grund, anzunehmen, daß auch andere Leute sich für diese Berge interessierten, und entschloß mich daher, sofort nach Beginn der Frühlingsferien den Angriff zu wagen.

Der kleine Piz Forlbisch, cirka 3205 m.

Am frühen Morgen des 9. April verließ ich Chur, wo ich abends zuvor eingetroffen war, um zu Fuß den Marsch nach Mühlen auszuführen. Sowie man hinter Parpan die Paßhöhe der Lenzerheide erreicht, erblickt man im Süden den Piz Forbisch und den Piz d' Arblatsch und behält diese Berge bis gegen Tiefenkastei hinunter beständig vor Augen, so daß man sich aus diesem Grunde schon wundern muß, daß sie nicht längst bestiegen worden sind. Die Straße war schon überall für Räderfuhrwerk geöffnet, für den Fußgänger war indessen die Wanderung streckenweise etwas unangenehm, und als mich bald nach Erreichung der Paßhöhe die Post einholte, konnte ich der Versuchung mitzufahren kaum widerstehen. Nach verschiedenen längern Rasten, so namentlich in Schweiningen, wo ein recht gutes Bier bei dem heißen Nachmittage willkommene Labung bot, fand die heutige Reise um halb sechs Uhr ihren Abschluß in Mühlen. Auf meine Erkundigungen wegen eines Führers ließ Herr Balzer, Wirth zum Löwen, von dem benachbarten Dörfchen Sur einen gewissen Signorell kommen, der schon wiederholt auf dem Piz Piatta gewesen war und als langjähriger Wildhüter auch in den Bergen der Errgruppe Bescheid wußte.Vom Piz Forbisch ( Scheerhorn ) war ihm aus eigener Erfahrung nichts Genaueres bekannt, doch erklärte er sich zu einem Versuche sofort bereit.

Zeitig am 10. April stellte sich Signorell ein; noch in der Dunkelheit marschierten wir ab und wandten uns der Val Faller zu. Der Weg war noch meist unter Schnee und Eis, förderte aber rasch in die Höhe, immer in unmittelbarer Nähe des Baches, dessen Wasser, unter einer Eisdecke verborgen, in raschem Laufe dem Thale zueilen. Nach drei Viertelstunden ist die kleine Ebene Igl Plaz ( 1769 m ) erreicht, und bald geht es nun steil hinan zur Alp Arnoz, auf einem Wege, der schon zum großen Teile schneefrei ist. Längst schon hatten wir die herrliche Gestalt des Piz Piatta bewundert; bei einer Biegung des Weges zeigt sich nun auch der Forbisch, der ebenfalls einen bedeutenden Eindruck macht, wenn er auch in Größe und Eleganz der Formen mit dem Piatta nicht zu konkurrieren vermag. Vor einer der zahlreichen Hütten der Alp Arnoz, cirka 2040 m, lagern wir uns, um uns sowohl leiblichen als geistigen Genüssen hinzugeben. Immer wieder richten wir unsere Blicke nach dem gewaltigen Piz Piatta, der anfängt sich zu röten und bald unter den ersten Sonnenstrahlen erglüht. Auch der Forbisch beanspruchte unsere Aufmerksamkeit, galt es ja doch, nun bestimmte Entschlüsse zu treffen. Ich hatte natürlich die Absicht, beide Gipfel zu besuchen, und glaubte, es dürfte sehr wohl möglich sein, beide heute zu erreichen. Zunächst mußten wir uns entscheiden, mit welchem Gipfel wir beginnen wollten; wir wählten den kleineren, den Signorell als den vermutlich leichtern bezeichnete. Mir war noch nicht bekannt, daß der kleine Forbisch schon einmal von einem Jäger besucht worden war, mein Führer wußte es jedenfalls und dachte, dort eher hinaufzukommen. Da die Karte den kleinen Forbisch weder durch einen Namen noch durch eine Höhenzahl auszeichnet, muß ich zunächst angeben, daß er sich etwa 250 m südwestlich vom großen Forbisch ( 3258 m ) befindet. Zur Einsattlung zwischen den beiden Gipfeln zieht sich ein großes, im Hochsommer wohl größtenteils, wenn nicht ganz schneefreies Couloir hinauf, das auf Blatt 517 des topographischen Atlas sehr deutlich zu erkennen ist. Über den einzuschlagenden Weg kann man vorerst nicht stark im Zweifel sein; es bleibt nichts anderes übrig, als möglichst direkt über die Hänge hinan zu steigen bis an den Fuß des genannten Couloirs. Dort wird es sich entscheiden, ob man das Couloir ganz hinauf verfolgen soll, oder ob man sich besser den Felsen zur Linken zuwendet. Von Arnoz weg sind wir, mit kleinen Ausnahmen, immer im Schnee, doch können wir uns über seine Beschaffenheit nicht gerade beklagen. Als wir gegen acht Uhr am Couloir anlangten, waren wir bald einig, es bis hinauf zu benutzen, denn schneller konnten wir in den Felsen kaum in die Höhe gelangen. Um 8 Uhr 50 Min. standen wir auf dem Forbischsattel, dessen Höhe nach Visuren und barometrischen Beobachtungen etwa 3080 m betragen muß. Wie mir Signorell sagte, begehen Jäger diesen Pader Abstieg in die Val Curtins hinunter scheint nicht schwierig zu sein. Nach einem Aufenthalt von 20 Minuten gingen wir an die Überwindung des letzten Stückes. Gleich im Anfang kostete uns ein Schneehang, in welchen Signorell, der selbst nur einen Bergstock besaß, mit meinem Pickel eine Reihe von Stufen zu hacken hatte, ziemlich viel Zeit; nachher ging 's etwas rascher, doch immerhin mit Vorsicht über die meist verschneiten Felsen hinan. Nach einer Stunde hatten wir das Ziel erreicht. Im Sommer wird die halbe Zeit genügen.

Die Aussicht war über Erwarten schön und ausgedehnt, leider enthielt sie für mich noch recht viele unbekannte Größen. Der große Forbisca verdeckt einen ziemlichen Teil der Fernsicht, so die Bergünerstöcke Piz Michel, Tinzenhorn und Piz d' Aela, doch ist man reichlich entschädigt durch den Anblick der imposanten Wände, mit denen er zum Sattel abstürzt. Ich hatte am Morgen gehofft, man könnte dem höchsten Forbisch vom Sattel aus zukommen, jetzt, beim Anblick der glatten und, wie man wohl sagen darf, senkrechten Felsen wußten wir bald, woran wir waren. Die Rundsicht in einer halbwegs ordentlichen Weise zu schildern, ist eine Aufgabe, der ich mich nicht gewachsen fühle, und die mir der Leser wohl erlassen wird. Um wenigstens mit einigen Namen eine Vorstellung von ihrem Umfange zu geben, erwähne ich, daß man sehr deutlich eine Reihe von Walliser Bergen sah, ebenso die Berner und die Hauptgipfel der Ortlergruppe. Sehr klar überblickte man, weil wesentlich näher, die Kette vom Tödi bis zum Calanda. Endlich braucht kaum gesagt zu werden, daß die Berninagruppe, der Piz Piatta, Piz Julier, Piz d' En- u. s. f. ein Hauptstück des Panoramas bilden. Ortschaften erblickt man nur wenige, im Oberhalbstein die Dörfer Salux und Reams, sonst noch sehr deutlich Lenz. Was endlich die Höhe des kleinen Forbisch anbetrifft, so sei bemerkt, daß sie etwa 3205 m betragen wird, vielleicht noch etwas mehr.

Nachdem wir einen Steinmann gebaut und ihm eine Flasche mit Karte anvertraut hatten, traten wir um zwölf Uhr den Abstieg an, der uns in zwanzig Minuten zum Sattel brachte, und mit einigen Rutschpartien in einer fernem Stunde nach Arnoz. Gegen halb drei Uhr rückten wir in Mühlen ein, sehr befriedigt von den heutigen Ergebnissen und mit frohen Hoffnungen für den nächsten Tag.

Versuche auf den Piz Forbisch und den Piz d' Arblatsch.

Dienstag den 11. April verließen wir Mühlen um halb vier Uhr und erreichten etwas vor fünf Uhr auf nun schon bekannten Wegen Arnoz, wo wir, wie gestern, Frühstücksrast hielten. Wir hatten gestern gesehen, daß ein großes, auf der Karte sehr gut zu erkennendes Couloir, das sich bis zu dem vom Forbisch nordöstlich ziehenden Grat hinauf erstreckt, uns ohne Schwierigkeiten in die Höhe bringen würde, und daß es sich also nur noch um den letzten Gratübergang von etwa 400 m horizontaler Länge handeln könne. Allem Anscheine nach waren aber auch keine ernstlichen Hindernisse zu befürchten, wenn wir zum Anstiege die mehr östlich gelegenen Hänge benutzten, und da wir in dieser Richtung mehr aperes Terrain erwarten durften, schlugen wir sie ein. Demgemäß war von Arnoz aus der heutige Anstieg vom gestrigen ganz verschieden. Nach anderthalbstündigem Steigen langten wir am eigentlichen Fuße des Forbisch an, und gaben uns um so eher einer längeren Ruhepause hin, als hier prächtiges Wasser die Felsen hinunterrieselte. Wir befanden uns in einer Höhe von 2650 m. Der weitere Anstieg geschah in etwa nordwestlicher Richtung, bot gerade keine Schwierigkeiten, war aber des ziemlich weichen Schnees wegen recht mühsam, so daß wir verschiedene Male an geeigneten Stellen kleinere Pausen eintreten ließen. So wurde es über neun Uhr, bis wir den Grat in einer Höhe von 3100 m erreichten, etwas nordöstlich vom Beginne des großen Couloirs, da wo die Karte eine schwache Einsenkung angibt. Ein Marsch von zehn Minuten brachte uns, meist mäßig ansteigend, zuletzt etwas über Felsen hinunterkletternd, an das obere Ende des eben genannten Couloirs, cirka 3130 m. Bis jetzt war alles vortrefflich gegangen, und da dies auch mit der Fortsetzung, die meist auf dem Grate oder in seiner unmittelbaren Nähe erfolgte, der Fall war, so zweifelte ich nicht daran, in kurzer Zeit das Ziel zu gewinnen, das uns schon verführerisch nahe vor Augen stand. Signorell, der sich wohl gestern den Berg etwas genauer angesehen hatte, schien nicht so zuversichtlich zu sein; auf eine siegesgewisse Äußerung meinerseits antwortete er, gerade wie es vor Jahren bei einer Tour in der Ringelspitzgruppe David Kohler gethan hatte, daß unser Vordringen nun gleich zu Ende sein werde. Und leider sollte er, wie damals Kohler, Recht behalten; nach wenigen Schritten standen wir an einem Absturze, über den ein Hinunterkommen nicht möglich schien. Ich war schon ziemlich resigniert, fand aber, nachdem wir längere Zeit ausgeruht hatten, es sollte doch der Versuch einer Umgehung über die Westwand gemacht werden. Wir mußten einige Schritte zurückgehen, dann stieg Signorell am Seil, das zum ersten Male zur Anwendung gelangte, an der Wand ein Stück in die Tiefe und nun sollte ich nachfolgen. Sehr bald merkte ich aber, daß die Sache etwas ungemütlich wurde: es lag zu wenig Schnee, um ordentliche Tritte zu bekommen, und doch wieder zu viel, um nicht den Stand auf den Felsen zu einem unsichern zu machen. Nach einigem Besinnen stiegen wir wieder zum Grat hinan, verweilten noch längere Zeit in der Höhe und traten erst gegen Mittag den Abstieg an. Noch will ich bemerken, daß die Höhe der Umkehrstelle 3160 m beträgt. Wir benutzten beim Rückweg das große Couloir und erreichten um ein Uhr Arnoz.

Nach den heutigen Erfahrungen schien mir der Versuch einer Besteigung des Piz d' Arblatsch keine großen Aussichten auf Erfolg zu haben, und ich trat daher am andern Tage die Heimreise an. Es ging mir aber, wie immer, wenn ich zur Umkehr genötigt worden war: kaum befand ich mich zu Hause, so machte ich mir Vorwürfe über zu frühzeitiges Verzichten auf den Erfolg. Am liebsten wäre ich gleich wieder abgereist, leider machten mir andere Dinge es erst am 20. April möglich, Zürich zu verlassen. Mit der Zeit war ich nun freilich knapp bestellt, da mit dem 23. April die Ferien zu Ende gingen. Am 21. April traf ich mittags mit der Post in Mühlen ein und verabredete mit Signorell den Arblatsch, da er diesen als leichter bezeichnete. Es stellte sich leider heraus, daß er unter Arblatsch etwas anderes verstand als ich. Der Piz d' Arblatsch, der von Mühlen aus nicht sichtbar ist, entsendet nach drei Richtungen Gräte, die alle verschiedene kleinere Gipfel aufweisen. Bei dem nach Osten gehenden kann man im Wesentlichen noch von drei Gipfeln sprechen, von denen die beiden östlichen von Mühlen aus gesehen werden können. Ich werde später ausführlicher auf den Arblatsch zurückkommen und mich daher jetzt auf wenige Worte beschränken. Über die steilen Hänge von Sblox hinan, die bis weit hinauf schon schneefrei waren, erreichten wir am 22. April in nicht ganz drei Stunden den Sattel westlich von Punkt 2728 und von da in etwa anderthalb Stunden den vordersten Arblatsch, der schon wiederholt bestiegen worden ist. Der Anstieg bietet kaum Schwierigkeiten, nur einmal hat man einige Platten zu überwinden und ganz oben folgt eine Kletterei von einigen Minuten. Die Höhe dieses Punktes kann ich nach mehreren Beobachtungen mit Sicherheit auf 3075 m angeben. Hier entspann sich nun eine Differenz darüber, welches der Piz d' Arblatsch sei. Signorell behauptete, wir seien auf dem Gipfel, denn Arblatsch nenne man das Gehänge weiter unten ( wie es die Karte angibt ); ich bestand darauf, daß der Name Piz d' Arblatsch dem höchsten Punkte dieses Gebirgsstockes zukomme. Der Übergang zum nächsten Gipfel sah nicht erbaulich aus, und da Signorell am Morgen das Mitnehmen eines Seiles als überflüssig abgelehnt hatte, blieb nicht viel anderes übrig, als umzukehren. Während des Abstieges kam mir der Gedanke, aus dem Engadin den vortrefflichen Führer Klucker kommen zu lassen, den ich bis jetzt zwar nicht persönlich kannte, aber genugsam aus der alpinen Litteratur. Wir beflügelten unsere Schritte, um es Klucker möglich zu machen, noch heute zu kommen. Noch vor Mittag konnte ich das Telegramm aufgeben, aber nach einigen Stunden kam leider der Bericht, Klucker sei abwesend. Am nächsten Tag erfolgte die Heimreise. Die Fahrten mit Signorell waren damit zu Ende. Es ist klar, daß Signorell kein bedeutender Führer ist, doch muß ich sagen, daß er einen günstigen Eindruck macht, und für die bekanntern Touren dieser Gegend darf er gewiß empfohlen werden.

Die ersten Besteigungen des Piz Forbisch ( 3258 m ) und des Piz d' Arblatsch ( 3204 m ).

Eine Reise von Zürich ins Oberhalbstein, um dort eine Bergtour auszuführen, ist ein Vergnügen, zu dem mehr freie Zeit gehört, als unsereiner sie außer der Ferienzeit auftreiben kann. Meine Hoffnungen, die ersten Besteigungen der obengenannten Gipfel auszuführen, waren sehr gering geworden, denn bis zu den Sommerferien waren mir, dachte ich, gewiß längst Konkurrenten zuvorgekommen. Ganz hatte ich die Sache noch nicht aufgegeben und deswegen verheimlichte ich in Zürich sorgfältig, wo ich in den Frühlingsferien gewesen war. Daß ich mich im Gebirge herumgetrieben hatte, war meinen Bekannten nicht verborgen geblieben und so gnig es denn ohne ein paar Notlügen nicht ab.

Anfangs Mai erhielt ich von Klucker einen Brief, worin er mir schrieb, er sei längere Zeit in Deutschland gewesen, sei aber jetzt gerne bereit zu kommen, nur solle ich keine Zeit verlieren. Um was es sich handelte, hatte er bei der Heimreise in Mühlen erfahren. Zum Glück boten die bevorstehenden Pfingstferien die Möglichkeit, ein paar Tage abzukommen. In Herrn Ingenieur V. Fynn in Baden, mit dem ich schon einige vergnügte Touren ausgeführt hatte, fand ich einen willkommenen Gefährten.

Am Freitag abend vor Pfingsten verließen wir Zürich bei etwas ungünstigen Witterungsaussichten. Wochenlang hatte man schon auf Regen geharrt, endlich schienen die Wünsche in Erfüllung zu gehen. Schon bei der Abfahrt regnete es, und wenn eine verregnete Tour uns auch nicht erwünscht sein konnte, so mußten wir doch vernünftigerweise in den Jubel einstimmen, der die Mitreisenden erfüllte, als nach kurzer Zeit das befruchtende Naß in Strömen floß. Das Gewitter war übrigens ein lokales, schon in Uster waren kaum einige Tropfen gefallen, und was im fernen Bündnerlande uns für Wetter beschieden sein sollte, ließ sich kaum ermessen. Samstag mittag waren wir in Mühlen und einige Stunden später stellte sich auch Klucker ein. Unsere Pläne umfaßten für den nächsten Tag den Forbisch und den Arblatsch, für den darauffolgenden den Piz Piatta.

Schon um halb drei Uhr machten wir uns am 21. Mai auf den Weg nach Arnoz, wo wie üblich gefrühstückt wurde. Der prächtige Morgen ließ auf einen gleichen Tag schließen, hielt aber leider nicht, was er versprach. Von Arnoz aus schlugen wir den gleichen Weg ein, den wir am 11. April beim Rückweg vom Forbisch gegangen waren, denn wir wollten wenigstens in den untern Partien das oft erwähnte Couloir benutzen. Wir verließen Arnoz um 4 Uhr 20 Min. und waren zwei Stunden später am Fuße des Couloirs, in einer Höhe von 2840 m, wo W. Gröbli.

wir bis sieben Uhr blieben. Während einer halben Stunde stiegen wir das Couloir etwas mehr als zur Hälfte hinan, und verließen es in einer Höhe von etwas zu 3000 m, um die Felsen zur Linken in Angriff zu nehmen. Ein Stück weit stiegen wir noch ziemlich gerade empor, ließen dann die Säcke zurück und wandten uns mehr links. Die Felsen waren stellenweise ziemlich brüchig, doch kamen wir rasch vorwärts.

Nicht mehr gar weit vom Grate hatten wir einen nicht ganz leichten Einstieg in ein Couloir zu bewerkstelligen, doch gelangte das Seil, wie überhaupt bei der ganzen Besteigung, nicht zur Anwendung. Nachdem wir noch unter einer Gwächte durchgekrochen waren, betraten wir um 8 Uhr 25 Min. den Grat und hatten damit die Stelle, die uns früher zur Umkehr gezwungen hatte, umgangen. Etwas mehr als 100 m war das Ziel noch über uns; wir gewannen es ohne Schwierigkeiten um 8 Uhr 45 Min.

Die Aussicht war leider sehr gering, das Wetter hatte sich allmählich verschlechtert. Anderthalb Stunden blieben wir oben, staken aber sehr häufig im Nebel, und wenn dies nicht der Fall war, so konnten wir doch nicht einmal die nächsten Berge sehen. Unvergleichlich schön war aber der Blick in die umliegenden Thäler und insbesondere erregten die smaragdgrünen Oasen von Igl Plang und Curtins immer wieder unser Entzücken. Der kleine Forbisch ist nicht zu sehen, doch genügte ein kleiner Abstecher in südlicher Richtung, um den Steinmann zu erblicken, den Signorell und ich vor sechs Wochen erstellt hatten. Nachdem auch hier ein stattliches Signal errichtet war und Herr Fynn eine photographische Aufnahme gemacht hatte, traten wir um 10 Uhr 20 Min. den Abstieg an. Wir hätten vorgezogen, möglichst in der Höhe zu bleiben, allein die zurückgelassenen Säcke zwangen uns, in die Tiefe zu gehen. Nach einer guten halben Stunde waren wir unten, stillten Hunger und Durst, traversierten dann zum Couloir hinüber und stiegen zum Grat hinan, wo wir um halb zwölf Uhr anlangten. über die weitere Wanderung machten sich verschiedene Meinungen geltend. Ich wollte auf dem Wege, den ich seinerzeit mit Signorell beim Aufstieg eingeschlagen hatte, absteigen und in der Tiefe zum Arblatsch hinübergehen, Klucker wollte oben bleiben, da er die Schneestampferei weiter unten fürchtete. Zur Ausführung gelangte der zweite Plan. Es zeigte sich, daß bei meinem Vorschlage Zeit gewonnen worden wäre, denn unten wären wir im Augenblick gewesen und der Schnee war gar nicht so schlecht, als befürchtet worden war. Trotzdem bin ich froh, daß mein Vorschlag nicht befolgt wurde, denn ungleich interessanter war der Weg, den wir nun gingen. Längere Zeit konnten wir ganz in der Höhe bleiben, allmählich aber wurden wir gezwungen, den Grat stellenweise zu verlassen, und schließlich zeigte es sich, daß wir keineswegs direkt zum Sattel, 2962 m, hinunter konnten. Wir hatten noch einige Mühe, überhaupt, ohne zu große Umwege, in die Mulde am Fuße des eben erwähnten Sattels zu gelangen, und sahen uns genötigt, während einiger Zeit das Seil anzulegen. Die Darstellung der nächsten Umgebung dieses Sattels auf Blatt 517 ist nicht ganz richtig: nach der Karte würde man glauben, man könnte hinaufspazieren, während man in Wirklichkeit ziemlich steil über Platten hinan muß. Im ganzen muß ich aber sagen, daß die Karte, soweit ich sie kenne, sehr gut ist. Zehn Minuten nach ein Uhr standen wir in der Mulde, cirka 2880 m hoch, und marschierten unverweilt, langsam ansteigend, zum Arblatsch hinüber. Gegen zwei Uhr erreichten wir einen Felsrücken, stiegen erst auf ihm und dann in einem Schneecouloir zur Rechten hinan, überschritten, etwa 3130 m hoch, einen zweiten Rücken und betraten dann das Couloir, das zum zweigipfligen Arblatsch hinan führt. Um 2 Uhr 45 Min. waren wir oben. Das Wetter hatte sich im ganzen eher verschlechtert; auf dem Gipfel, wie schon wiederholt vorher, hatten wir leichtes Schneien, gelegentlich war aber auch die Sonne durchgebrochen. Unter bessern Verhältnissen hätten wir noch die Wanderung zum vordersten Arblatsch folgen lassen, aber jetzt, wo wir des Nebels wegen nicht einmal die nächste Umgebung genau erkennen konnten, ließen wir es für heute gut sein. Um 3 Uhr 25 Min. marschierten wir ab, stiegen noch schnell zum zweiten, nur wenige Meter niedrigem Gipfel hinüber, und dann führte uns das Couloir, das wir zuletzt beim Aufstieg benutzt hatten, in die Tiefe. Zehn Minuten später wandten wir uns in eine weiter links liegende Schneekehle, in der wir mit manchen Rutschpartien rasch hinunterkamen. Um halb sechs Uhr waren wir wieder in Mühlen.

Wir waren einige Zeit im Zweifel, wozu der Pfingstmontag verwendet werden sollte. Wir entschieden uns endlich, nochmals den Piz d' Arblatsch zu besteigen, und zwar sollte die Wanderung vom vordersten zum höchsten Gipfel gemacht werden, an deren Ausführung in umgekehrter Richtung uns heute das Wetter gehindert hatte. Der Piz Piatta verdient der Aussicht wegen wohl den Vorzug, aber einmal ist unsere Tour etwas Neues und dann hätte die ziemlich lange Besteigung des Piz Piatta unserer Heimreise wohl einige Schwierigkeiten bereitet, denn am Dienstag früh mußte ich unbedingt von Chur abfahren.

Herr Fynn hatte sich auf dem Piz d' Arblatsch bei seinen Bemühungen, einem Gipfelgestein eine bequemere Form zu geben, einen Finger sehr stark gequetscht, und war am frühen Morgen des 22. fast entschlossen, mich allein ziehen zu lassen. Als der entscheidende Augenblick kam, brachte er es doch nicht über sich, im Thale zu bleiben, obwohl die bevorstehende Kletterei ihm gewiß schmerzhaft werden mußte. Etwas nach drei Uhr brachen wir auf, und erreichten nach einer starken Stunde auf den Hängen von Sblox ein auf der Karte nicht angegebenes Hüttchen, etwa 2000über Meer, wo wir ein erstes Frühstück einnahmen. Im wesentlichen auf dem gleichen Wege wie am 22. April mit Signorell stiegen wir zum Sattel bei Punkt 2728 hinan, wo wir noch vor sechs Uhr anlangten und bis halb sieben Uhr blieben. Nur wenig hatten wir bisher über Schnee gehen müssen. Um 7 Uhr 40 Min. stand ich zum zweitenmale auf dem vordersten Arblatsch. Seine Höhe ist, wie schon angegeben, cirka 3075 m, sein Platz auf Blatt 517 ist etwas unter der Ziffer 2 der Zahl 3204.

Das Wetter war, als wir Mühlen verließen, recht zweifelhaft, wurde aber zusehends besser und konnte nun schon als gut bezeichnet werden. Um 8 Uhr 20 begann die Gratwanderung, die uns zunächst über zwei kleinere Zacken wegführte. Um die tiefste Stelle des Grates zu erreichen, mußte ein Abfall von 3 m Höhe überwunden werden. Da unten Schnee war, überwand Fynn das Hindernis mit einem kühnen Sprung, ich zog vor, da wir doch schon am Seil waren, mit seiner Hülfe hinunterzukommen, Klucker ahmte Fynn nach. Um 8 Uhr 50 Min. waren wir alle unten und bald folgte nun der schwerste Teil der heutigen Tour. Der nächste Gipfel kann nur erreicht werden durch Überwindung eines ziemlich hohen Abfalles. Eine Umgehung ist auf dieser Seite nicht möglich. Erst geht 's noch ein Stück weit leicht hinan, dann kommt die schlimme Partie, die sich aber doch nicht so schwer erweist, als wir sie taxiert hatten. Immerhin ist fast eine halbe Stunde vorüber, als wir uns vom Seil wieder losmachen können. Ein leichter Anstieg von zehn Minuten bringt uns zum ersten Zwischengipfel, den man von Mühlen aus noch sieht. Die Höhe ist nach zwei gut übereinstimmenden Beobachtungen 3157 m; von der Scharte aus mögen es gegen 120'° gewesen sein. Nachdem der unerläßliche Steinmann erbaut ist, gehen wir um 10 Uhr 5 Min. weiter, und sind nach einem Spaziergang von zehn Minuten auf dem nächsten Gipfel, 3183 m, der vom vorigen nur durch eine mäßige Einsenkung getrennt ist. Jetzt muß man wieder ziemlich viel an Höhe verlieren, auch ist noch nicht recht zu beurteilen, welche Schwierigkeiten ein größerer Felsturm uns bereiten wird. Wir verbinden uns wieder durch das Seil, erreichen nach vierzig Minuten ohne große Mühe den Vorgipfel und um 10 Uhr 55 Min. zum zweitenmale den höchsten Gipfel des Arblatsch. Das Wetter ist nun ganz gut, die Aussicht, mit Ausnahme der Berninagruppe, eine ungetrübte; doch will ich Namen hier nicht aufzählen. Der Blick ins Oberhalbstein ist wesentlich freier als vom kleinen und gewiß auch vom großen Forbisch aus. Wir blieben nicht ganz eine Stunde oben, schlugen beim Abstieg den gleichen Weg ein wie gestern, brauchten aber vom Gipfel bis Mühlen nur eine Stunde und 26 Minuten. Auf diese Weise erreichte Klucker noch die Mittagspost ins Engadin; uns brachte mit Einbruch der Dunkelheit eine Extrapost nach Chur. Gar oft schauten wir mit Gefühlen der Befriedigung nach unsern neuen Bekannten zurück, als wir langsam die Lenzerheide hinanfuhren.

Eine Winterbesteigung des Piz Forbisch.

Seit mehreren Jahren schon war ich nicht mehr dazu gekommen, während des Winters eine größere Bergtour auszuführen. In der Absicht, wieder einmal das Gebirge im Winterkleide zu sehen und zugleich das Gebiet des Forbisch und Arblatsch noch etwas vollständiger zu erforschen, begab ich mich, nachdem Klucker seine Bereitwilligkeit zu kommen ausgesprochen hatte, am 31. Dezember nach Chur und folgenden Tages bei prächtigem Wetter nach Mühlen, wo ich von Klucker ein Telegramm vorfand, daß er erst am 2. Januar eintreffen könne. Das Wetter schien leider umzuschlagen, am Morgen des 2. Januar schneite es, wenn auch nicht gerade stark, und statt Kluckers traf ein Bericht ein, er komme vorläufig nicht wegen schlechten Wetters; wenn ich ihn auf den Ahend wünsche, so möge ich telegraphieren. Lange war ich unentschlossen, was zu thun, denn ich konnte mir nicht verhehlen, daß unter obwaltenden Umständen die Aussichten, irgend etwas zu erzielen, sehr gering seien. Eine kleine Aufheiterung im Laufe des Vormittags bewog mich dann doch, an Klucker zu berichten, er möge nur kommen. Um sieben Uhr abends traf er ein, nach einer Fahrt, die um so weniger angenehm gewesen war, als der Postillon es fertig gebracht hatte, den Schlitten umzuleeren. Klucker hatte eine ziemlich starke Kontusion des einen Armes davongetragen, die ihm während einiger Tage erhebliche Schmerzen bereitete. Wie das Wetter ag, war kaum daran zu denken, schon morgen eine längere Tour auszuführen; wir nahmen eine kleine Forschungsreise in Aussicht, um die Schneeverhältnisse einigermaßen kennen zu lernen. Meine Absichten gingen eigentlich in die Gegend des Piz d' Arblatsch, aber als wir am 3. Januar mittags die Wanderung antraten, konnten wir der Bequemlichkeit des gebahnten Weges in die Val Faller hinein nicht widerstehen. Nach Sblox hinauf wartete unser vom ersten Schritte an eine mühsame Schneestampferei, thaleinwärts konnten wir verhältnismäßig leicht marschieren, da erst vor wenigen Tagen das Alpendörfchen Tga ( Casa ) verlassen worden war. Wir gingen bis zu den Hütten von Igl Plang, am Fuße des Piz Piatta, bis wohin der Weg noch gebahnt war, lernten dabei, daß wir bei einer Temperatur von —20° C. gut thun würden, uns recht warm zu kleiden, und erfuhren überdies, als wir einen kleinen Abstecher machten, daß die Strapazen irgend einer Hochtour keine geringen sein würden. Bei der schlechten Beschaffenheit des Schnees empfahl es sich, Schneereifen anzulegen. Klucker hatte ein Paar mitgebracht, aber was nützte das, wenn man kein zweites auftreiben konnte, wie es der Fall war! Als ich in der Gegend von Arnoz den Forbisch wieder erblickte, erwachte die Lust, ihm einen Winterbesuch zu machen, und die Erkenntnis, daß an ihm die Schneeverhältnisse günstiger sein würden, als bei der eigentlich geplanten Tour, ließ mich bald einen Entschluß fassen.

Donnerstag den 4. Januar verließen wir, 5 Minuten vor 6 Uhr, Mühlen und erreichten punkt 7 Uhr die Hütten von Arnoz. Die empfindliche Kälte hatte unsere Schritte so beschleunigt, daß wir weniger Zeit brauchten, als bei den drei früheren Malen, wo ich hier gewesen war. Wir hatten je eine Flasche Wein und Kaffee mitgenommen; die Überzeugung, daß die erste uns kaum munden würde, bewog uns, sie in einer der Hütten zurückzulassen. Was den Aufstieg anbetrifft, so igt nur zu sagen, daß wir ziemlich genau den Weg einschlugen, den ich im April mit Signorell genommen hatte. Die Menge des Schnees war nicht gar groß, aber seine Beschaffenheit schlecht genug, und schließlich kommt es ziemlich auf eins heraus, ob ein halber Meter weicher Schnee liegt oder mehr. Die Hauptarbeit im Stampfen mußte natürlich Klucker leisten; nur ein- mal nahm ich während einiger Zeit den Vortritt, war aber froh, als ich die beabsichtigte Anzahl von Schritten gemacht hatte. Still genug war die Natur, aber nicht leblos, wie mancherlei Spuren im Schnee bewiesen. An den Hängen des Forbisch erblickten wir einen Fuchs, und gleich darauf einen Gemsbock, die aber beide keine genauere Bekanntschaft mit uns machen wollten. Längere Zeit folgten wir den Spuren des letztern; ich suchte sogar Klucker mit der Bemerkung zu reizen, ich würde bei einer allfälligen Publikation mitteilen, daß wir eine Gemse zum Führer gehabt hätten. Etwas nach ein Uhr, 41/2 Stunden nachdem wir Arnoz verlassen hatten, erreichten wir den Grat an der gleichen Stelle wie seiner Zeit beim ersten Versuche, und um 1 Uhr 40 Min. waren wir bei der damaligen Umkehrstelle. Wir umgingen den Absturz in der gleichen Weise, wie es die zweiten Besteiger des Piz Forbisch, die Herren Emil Huber und Dr. Max Schneeli mit Joseph Gamma, am 24. Juni 1893 gethan hatten, indem wir an der Westwand ein Stück hinunterstiegen. Um 2 Uhr 45 Min. betraten wir den Gipfel. Die Flasche mit den Karten der bisherigen zwei Besteigungen war unversehrt; von der Flagge, die wir am 21. Mai aus einem Taschentuch hergestellt hatten und die von unsern Nachfolgern wieder in Stand gestellt worden war, fand sich nichts mehr vor. Die Temperatur war verhältnismäßig tief ( immerhin muß man bedenken, daß es am selben Tage in Zürich etwa ebenso kalt war ), nämlich —19° C, aber erträglich, weil die Luft ziemlich ruhig war und wir uns mit der Kleidung vorgesehen hatten. Die Fernsicht im ganzen war gut, in ganz auffallender Schärfe hoben sich einige Walliserberge: Monte Rosa, Matterhorn, Mischabelgruppe ab, ebenso einige Berner: Finsteraarhorn und Schreckhorn. Sonst waren in dieser Richtung ziemlich viele Wolken, und ganz verhüllt blieb die Berninagruppe. Wir hielten es eine halbe Stunde auf dem Gipfel aus, länger zu bleiben verbot uns schon die Rücksicht auf die nahende Nacht. Eine Viertelstunde brauchten wir bis zum Fuße des Absturzes, der sich, wie wir nun deutlich sahen, auch erklettern läßt, und eine fernere Viertelstunde verstrich, bis wir bei der großen Schneerinne waren, durch die wir abstiegen. Zu unserm Schaden, denn wenn sie auch nicht schlimm war, so erforderten dafür die untern Partien ein höchst aufreibendes Schneestampfen, das uns erleichtert aufatmen ließ, als wir endlich wieder den Spuren des Aufstieges folgen konnten. Um 5 Uhr 20 Min. waren wir in Arnoz und fanden dort die zurückgelassene Flasche vor, aber ohne Inhalt. Wir hatten beim Aufstieg von der Höhe des Grates aus gesehen, daß von Arnoz Heu zu Thal geschafft wurde, aber nicht geahnt, daß unser Wein und einige Cigarren zum Opfer fallen sollten. Groß war die Betrübnis nicht, wir kürzten unsern Aufenthalt ab und trafen um sechs Uhr in Mühlen ein.

Nur noch wenige Worte über die nächsten zwei Tage. Der 5. Januar sollte der Ruhe gewidmet sein, der 6. dem Piz Piatta. Klucker unternahm am 5. eine kleine Orientierungsreise, da er noch nie auf dem Piatta gewesen war, ich vergnügte mich mit Lesen und einem Spaziergang auf der Straße. Ob die Besteigung des Piz Piatta uns gelingen würde, war zweifelhaft, denn um Mittag war in Mühlen die Temperatur fast auf 0° gestiegen, und in der Höhe wütete, wie Klucker berichtete, der Sturm. Am Abend traf von Sils ein zweites Paar Schneereifen ein, das uns ermöglichte, den Aufstieg auf den Piz Piatta in etwas weniger Zeit als auf den Forbisch auszuführen. Wir trugen sie von Igl Plang bis zu einer Höhe von etwa 3150 m, in welcher die Felsen betreten werden mußten. Das Wetter war uns nicht günstig; am Morgen war es gut, gegen Mittag bedeckte sich der Himmel und ein ganz leichtes Schneien bei absoluter Windstille dauerte fast den ganzen Nachmittag an.

Ich bin am Schlusse und habe, außer der Bitte um Nachsicht, nur noch Lobsprüche zu erteilen; einmal der liebenswürdigen Familie Balzer zum Löwen, bei der ich immer die freundlichste Aufnahme gefunden habe, und dann dem Führer Klucker, der ihrer zwar nicht mehr bedarf und dem ich daher nur zurufe: Auf Wiedersehen.

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