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Gletscherschwankungen in der Cordillera Blanca, Peru

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Alcides Ames, Huaraz, Peru, Jürg Alean, Eglisau, und Georg Käser, Innsbruck Abb.1:

Typische steile Gletscher in der Cordillera Blanca, hier an der Südflanke der Aguja Nevada ( Eisnadel ). Solche Gletscher sind für glaziologische Routinearbeiten zu schwierig erreichbar und für Massenbilanzmes-sungen kaum begehbar.

Eine Fahrt auf die Cordillera Negra lohnt sich - weniger wegen ihrer Gipfel ( nur ein paar erreichen knapp 5000 m ), sondern wegen der Aussicht! Vor uns baut sich das grösste, höchste und am stärksten vergletscherte Hochgebirge der Tropen auf! Insgesamt sind es etwa 27 Sechstausender, mehr als 100 Fünftausender, und alle werden sie überragt vom massigen, aber grossartigen Nevado Huascaran, dessen Südgipfel mit 6768 m den höchsten Punkt Perus bildet.

722 Gletscher finden sich an den Flanken und in den Hochtälern zwischen diesen Bergen. Zusammen bedecken sie eine Fläche von 723 km2 ( vgl. unseren ersten Bericht im vorliegenden Quartalsheft ). Die Gletscherwelt der Cordillera Blanca fasziniert uns als Bergsteiger und Photographen ebenso wie als Glaziologen. Wie in den Alpen findet hier derzeit ein starker Gletscherschwund statt.

Seit den sechziger Jahren werden die Zungenpositionen einiger ausgewählter Gletscher vermessen, so dass sich die Veränderungen nun in Zahlen ausdrücken lassen.

Die Anden sind aber nicht die Alpen! Selbst die tiefsten Gletscherzungen des Beobachtungsnetzes befinden sich auf über 4600 m ü. M. Zwar kann man zumindest bei einigen mit einem geländegängigen Fahrzeug recht nahe heranfahren, jeder Besuch ist aber dennoch eine kleine Expedition ins Hochgebirge. Alle Messungen wurden von einem der Autoren ( Ames ) allein oder mit Gehilfen durchgeführt, in einem am Schluss dieses Beitrages geschilderten Fall sogar unter ganz ausserordentlichen Bedingungen.

Gletscher sind Klimaindikatoren. Besonders wertvoll sind sie in Gebieten mit spärlichen oder fehlenden Wetterstationen und Klimadaten. Die Cordillera Blanca liegt zwischen 8.5 und 10° südlicher Breite, also nur rund 1000 km südlich des Äquators. Für das globale Zirkulationssystem spielen die Tropen eine Schlüsselrolle. Deshalb sind glazio- logische Beobachtungen hier von besonderer Wichtigkeit. Auf der praktischen Seite steht der Schmelzwasserabfluss der Gletscher, der bei Gletscherschwund zwar verstärkt wird, aber auch die wertvollen Eisreserven aufbraucht. In der trockenen Jahreszeit stammt der Grossteil des Wassers der Bergbäche vom Gletscherabfluss. Über Be-wässerungssysteme, die teilweise aus vor-kolumbianischer Zeit stammen, wird es den Feldern zugeführt.

- 8°50'S— -9°10'S— Jrushraju |Yanamarey Querococha ^Gajap fPastoruri Karte 1 Lage der Gletscher in der Cordillera Blanca, bei denen Zungenveränderungen und zum Teil die Massenbilanz gemessen werden. Bei Querococha wird eine Wetterstation unterhalten.

Abb. 3:

Beim jüngsten Gletscherrückzug entstanden zahlreiche moränengestaute Seen, wie hier an der Nordseite der Aguja Nevada. Eislawinen, Erdbeben oder Starkniederschläge können sie zum Auslaufen bringen und im Tal gefährliche Hochwasser verursachen.

Abb.2:

Nevado Copa ( 6188 m ), Flugbild aus Westen, Flughöhe rund 5500 m. Links unten und in der Bildmitte sind mächtige Moränen zu sehen, die den starken Gletscherschwund in den peruanischen Anden dokumentieren. Typisch für die Cordillera Blanca ist die Bewölkung auf der Ostseite: Das Gebiet erhält seine Feuchtigkeit vom Amazonasbecken und nicht etwa vom nahegelegenen Pazifik.

In der Schlucht des Canon del Pato treibt das glaziale Schmelzwasser ein Kraftwerk mit 150 MW Leistung. Allerdings kann es während der Trockenperiode nur etwa 60% der installierten Leistung erbringen. In Zukunft sollen Speicher die Unregelmässigkeiten des Wasserangebotes ausgleichen helfen. Von wirtschaftlicher Bedeutung ist schliesslich auch der , wie die Bergsteigerei hierzulande treffend genannt wird, die sich stark an den vergletscherten Bergriesen orientiert.

Frühe Beobachtungen Im Gegensatz zu den Alpen, wo die systematischen Messungen schon früh einsetzten und Bilddokumente jahrhundertealte Glet- 141 scherstände dokumentieren, gehen genaue Positionsbestimmungen in Peru nur wenige Jahrzehnte zurück.

Als erste Europäer sahen der Eroberer Hernando Pizarro und seine Gefährten die Cordillera Blanca auf ihrem Marsch von Ca-jamarca nach Pachacamac. Sie passierten sie zunächst auf der Westseite - die Ostseite bekamen sie später auf der Rückreise von der aus zu sehen. Sie umrundeten also zwischen Januar und Mai 1533 die gesamte Gebirgskette.

Spätere Berichte aus dieser Region sind selten, bis auf eine Beschreibung einer Gletscherlawine vom Nevado Hunadoy am 6. Ja- nuar 1725. Sie wurde, genau wie die Kata-strophenlawine vom 31. Mai 1970, durch ein Erdbeben ausgelöst. Sie zerstörte die Ortschaft Ancash und forderte 1500 Todesopfer. Der Ort wurde nie wieder aufgebaut, doch ist die Provinz, der diese Region heute angehört, nach ihm benannt.

Der erste Naturforscher, der sich dem Santatal am Fuss der Cordillera Blanca widmete, war der italienische Geograph Antonio Raimondi. Er überquerte gar die kontinentale Wasserscheide am Llanganucopass und muss von dort aus die gewaltigen Gletscher am Huascaran und Huandoy ganz aus der Nähe gesehen haben, doch äussert er sich nur spärlich dazu. Allerdings berichtet er von einer Endmoräne nahe der Stadt Yungay, auf nur 2500 m ü. M. Er ist somit der erste Forscher, der die eiszeitliche Gletscherausdehnung erahnte.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts führte bergsteigerisches Interesse eine Reihe von Ausländern in die Cordillera Blanca. Reginald Enock, ein britischer Mineningenieur, unternahm zusammen mit dem Peruaner Cesar Cisneros den ersten bekannten Versuch einer Besteigung des Huascaran im Jahr 1904. Annie Peck, eine amerikanische Lehrerin, bestieg 1908 zusammen mit zwei Schweizer Bergführern den Huascaran Norte, also den etwas niedrigeren, aber sehr schönen Nordgipfel des Berges. Allerdings ist bis heute nicht ganz sicher, ob sie den Gipfel wirklich erreichte.

Systematische Erforschung Eine umfassende naturwissenschaftliche Erforschung der Cordillera Blanca begann erst 1932. Der Deutsch-Oesterreichische Alpenverein unternahm unter der Leitung von Dr. H. Kinzl eine erste von mehreren Expeditionen, in deren Verlauf nicht nur Gipfel bestiegen, sondern substantielle geographische, kartographische und glaziologische Arbeiten durchgeführt wurden. Es entstanden zunächst eine sorgfältig hergestellte, genaue Karte des Nordteils der Kordillere im Massstab 1:100000 und der prächtige Bildband Die Weisse Kordillere.

Weitere Expeditionen folgten 1936, 1939 und 1954. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg

Abb. 5:

Dieser grosse Gletschersee auf der Ostseite der Cordillera Blanca entstand erst im mittleren Drittel unseres Jahrhunderts. Abb. 5a wurde von Hoerlin vom Gipfel des Nevado de Copa ( vgl. Abb. 2 ) aus 1932 aufgenommen. Die Abb. 5b bis 5d sind Ausschnitte photogrammetrischer Luftbilder aus den Jahren 1948, 1962 und 1970. Während 1932 erst einige kleine Schmelzwasser- teiche auf der Gletscherzunge sichtbar sind, hat sich der Gletscher bis 1948 so weit zurückgezogen, dass das untere Moränenbecken weitgehend eisfrei und von Schmelzwasser gefüllt wird. Der See vergrössert sich bis 1970 weiter. Jetzt bildet der Gletscher nur noch eine schmale Kalbungsfront. Bald wird die Gletscherzunge das Felsbett freigeben, und der See wird seine maximale Länge erreicht haben.

wurde die 100000er-Karte des Südteils der Cordillera Blanca veröffentlicht, zudem eine der gesamten Kette ( 1:200000 ) und eine der Cordillera Huayhuash ( 1:50000 ). Besonders die Karten förderten den Andinismus, und zahlreiche Bergsteiger und Touristen strömten fortan ins Santatal. Sie trugen ein wenig zur wirtschaftlichen Entwicklung der Region bei. Inzwischen sind es jährlich viele hundert Andinisten, die auf den gängigeren Routen wie der Huascaran-Westseite gipfelwärts streben.

Die Cordillera Blanca ist voller Zeugen grosser eiszeitlicher und nacheiszeitlicher Gletscherschwankungen. Die gewaltigen Quertäler, die sogenannten Quebradas, haben charakteristische Trogformen, z.T. mit spektakulär steilen Granitwänden, die drohend über dem Weg des Reisenden aufragen. Weit unterhalb der heutigen Gletscherzungen liegen mächtige Moränen. Kinzl und seine Mitarbeiter fanden solche und fluvioglaziale Sedimente ( Ablagerungen eines Gletschersees ) beim Ort Molinapampa am Anfang des Canon del Pato auf nur 1800 m ü. M. Am Nordende der Kordillere identifi-zierten sie Moränen auf 1300 m, und zwar zwischen 15 und 17 km von den heutigen Eis-rändern entfernt. Ganz offensichtlich muss die Vergletscherung der Cordillera Blanca in der letzten Kaltzeit enorme Ausmasse angenommen haben!

Deutlicher als die eiszeitlichen Relikte sind Moränen einige Kilometer unterhalb der heutigen Gletscherzungen, die zweifellos bei 145 nacheiszeitlichen Vorstossphasen entstanden ( vgl. Abb. 2 ). Während der Interpretation der Luftbildaufnahmen für das peruanische Gletscherinventar kartierte einer der Autoren ( Ames ) alle erkennbaren Moränen, die gemäss Kinzl den drei obersten der historischen Gletscherstände zuzuordnen sind. Während eines fünfmonatigen Studienaufenthaltes von Alcides Ames in Innsbruck versuchte er zusammen mit Georg Käser und Christian Georges, für das Huascaran-Chopi- calqui-Massiv zwei deutliche Moränenzüge geschlossen zu kartieren. Der ältere Morä-nenstand wird der Mitte des letzten Jahrhunderts ( entsprechend den

In diesem Zusammenhang ist interessant, dass sich in der Quebrada Alpamayo Ruinen ( ) aus der Vorinkazeit nur 3 bis 4 km vor den rezenten Gletscherzungen befinden. Es gibt auch zahlreiche Gräber bei Nuevo Tambo in der Quebrada Quilcayhu-anca, auch dort nur knapp 3 km vor dem Eis. Diese und weitere Relikte zeigen einerseits die lange Besiedlungsgeschichte der Region, sie setzen andererseits auch Maximalgren-zen für die Vergletscherung während etwa dieses Jahrtausends.

Gletscher auf dem Rückzug Es scheint, dass sich die Andengletscher ganz Perus, und nicht nur die der Cordillera Blanca, seit der Mitte des letzten Jahrhunderts mehr oder weniger kontinuierlich zurückziehen. Eine einzige nennenswerte Ausnahme bildet ein kurzer Vorstoss Anfang die- 6c ses Jahrhunderts bis etwa 1924. Kinzl hörte von Bergleuten, dass ein Gletscher mit seiner anschwellenden Zunge 1923/24 einen Eingang zu einer Mine verschloss. Der Rückzug ist seither wiederum ausgeprägt, zumindest bei den vermessenen Gletschern. Unterbrochen wird er lediglich durch eine kurze stationäre Phase oder einen ganz minimen Vorstoss. Vergleiche der deutsch-österreichischen Karten mit Luftbildaufnahmen aus den Jahren 1962/63 und von 1970 zeigen, dass der Gletscherschwund kein lokales Phänomen ist. Einige kleine Gletscher, die man auf den Aufnahmen der Kinzl-Expe-ditionen noch ausmachen kann, sind mittlerweile völlig verschwunden.

rechte ( 6b ) von 1984 und die untere ( 6c ) von 1989. Der Rückzug betrug in diesem Zeitraum 132 Meter.

Systematische Zungen- und Massenbi-lanzmessungen begannen 1968 mit der Gründung einer Glaziologieabteilung in der damaligen ( Corporation Peruana del Santa ), einer staatlichen Gesellschaft zur Nutzung der Wasserkraft. Zweck der Anstrengungen war, den Beitrag der Gletscher zum Wasserabfluss und die Gefahren durch moränengestaute Seen abzuschätzen.

Zunächst wurden an vier Gletschern Messungen durchgeführt ( vgl. Karte 1 ):

- Safuna ( 3,6 km lang ) im Norden der Cordillera Blanca,Broggi ( 1,1 km ) im Zentrum,Urushraju ( 2,5 km; Höhe zwischen 4600 und 5700 m, vgl. Abb.6a-c ) im Süden,Yanamarey ( 1,7 km; Höhe zwischen 4600 und 5200 m ), ebenfalls im Süden ( vgl. Kartei ).

Bei Urushraju und Yanamarey wird mit Hilfe von Schneeprofilen und Ablationsstan-gen auch der Massenhaushalt ( Firnzuwachs und Eisverlust ) bis auf rund 4900 m Höhe erhoben.

Von 1977 bis 1983 wurde zusätzlich der Santa-Rosa-Gletscher im Süden der Cordillera Raura beobachtet. Seit Anfang der achtziger Jahre ergänzen die folgenden drei Gletscher das Beobachtungsnetz in der Cordillera Blanca:

- Huarapasca,Pastoruri ( 1,4km Länge ) undGajap ( 1,5km ), alle im Süden.

Die Auswahl musste in erster Linie unter logistischen Gesichtspunkten getroffen werden, da der Zugang zu vielen anderen schlicht unzumutbar ist, wenn auch Messinstrumente, Nahrungsmittel usw. befördert Abb.6a-c:

Von der Zunge her gesehen wirkt der Rückzug des Urushraju-Glet-schers geradezu katastrophal. Die linke Abb. ( 6a ) stammt von 1980, die werden müssen. Alle sieben Gletscher können heute immerhin nach weniger als drei Stunden Fussmarsch vom Strassenende aus erreicht werden - die Höhenakklimatisation ist zumindest für Aleides Ames kein Problem, da sein Wohnort Huaraz bereits auf 3000 m ü.M. liegt.

Neue Gletscherseen Am 13. Dezember 1941 wurden Huaraz und weiter talabwärts liegende Ortschaften von einer verheerenden ( Alluvion ), einem Gletscherhochwasser heimgesucht, das etwa 4000 Todesopfer forderte. Schuld an der Katastrophe war der Ausbruch eines Endmoränensees in der Quebrada Cohup.

Was war geschehen? Wie in vielen Fällen in der Cordillera Blanca hat auch hier ein Gletscher jahrhundertelang soviel Erosionsschutt im Zungenbereich abgelagert, dass die Abtragung durch den Gletscherbach nicht mithalten konnte und sich eine gewaltige Endmoräne auftürmte. Eine Reihe grösserer Talgletscher dieser Region verschieben dermassen viel Schutt talwärts, dass sie mittlerweile auf einer immer höheren Grundmoräne und hinter seitlichen Wallmoränen hoch über dem früheren Talboden liegen ( vgl. Abb. 6 in unserem ersten Bericht im vorliegenden QH ).

Wenn sich nun solche Gletscher zurückziehen, entsteht manchmal eine prekäre Situation: Im leeren Zungenbecken entsteht ein Gletschersee, der von einer unkonsoli-dierten, allenfalls von Toteis durchsetzten Schutt- und Trümmermasse zurückgehalten wird ( Abb. 5a—d ). Alles was es nun für eine Katastrophe braucht, ist entweder ein ordentliches Erdbeben oder eine Eislawine, die im See eine sogenannte verursacht. Unter Umständen genügt auch ein massiver Starkniederschlag, der den Seespiegel rasch ansteigen lässt: Der anschwellende Gletscherbach vermag dann den Seeausfluss tiefer zu erodieren, was den Abfluss noch mehr verstärkt usw. die Folgen kann man sich leicht ausmalen.

Durch den allgemeinen Gletscherschwund sind in der Cordillera Blanca und mit Sicherheit auch anderswo in Peru neue Gletscherseen als potentielle Gefahrenherde entstanden, so z.B. die Laguna Safuna, deretwegen auch der dortige Gletscher regelmässig beobachtet wird.

Gletscher und Klima Die Graphik auf S. 149 veranschaulicht die Ergebnisse der Messungen der Zungenveränderungen: Von 1948 bis 1980 erfolgte ein verhältnismässig langsamer Rückzug. Der Broggi-Gletscher verlor 366 m Länge oder durchschnittlich 11 Meter pro Jahr. In Bezug auf seine Länge von 1970 verkürzte er sich aber bis 1980 bereits um ein Drittel! Bei den anderen vermessenen Gletschern war der Rückzug etwas langsamer. Der Yanamarey-Gletscher stiess 1975 und 1976 sogar ein wenig vor und baute eine vier Meter hohe Endmoräne auf.

Von 1980 bis 1991 beschleunigte sich der Rückzug: Broggi zog sich in dieser Zeit durchschnittlich um 26,2 m, die anderen ( inklusive der neu vermessenen ) zwischen 17,2 und 21,1 m pro Jahr zurück. Broggi verlor allein 1991 53,2 m und ist jetzt 654 Meter kürzer als 1948!

Der Zusammenhang zwischen dem Gletscherverhalten und der Klimaentwicklung ist vorderhand kaum zu deuten, und zwar einfach deshalb nicht, weil zuwenig Klimadaten vorliegen. Zwar wird 8,5 km unterhalb des Yanamarey-Gletscher eine einfache Wetterstation bei Querococha auf 3980 m ü. M. unterhalten ( Karte 1 ), doch begannen die Temperaturmessungen erst 1954. Von damals bis 1987 ist keine systematische Zunahme der Durchschnittstemperatur zu erkennen. Aber selbstverständlich muss das Klima früher gewesen sein. Immerhin kann man sehen, dass der kleine Vorstoss des Yanamarey und des Urushraju sowie die Verlangsamung des Rückzugs des Broggi in den frühen siebziger Jahren mit etwas niedrigeren Temperaturen und deutlich höheren Niederschlagsmengen zusammenfielen.

Im übrigen spielt sich der Schneezuwachs und Schmelzverlust der Gletscher der Cordillera Blanca ganz anders ab als in den Alpen, eine Tatsache, die auch für Bergsteiger von Interesse ist. Jahreszeiten im europäischen Sinn fehlen völlig: Alle Monate des Jahres sind fast gleich warm, hingegen schwanken die Niederschläge enorm zwischen einer Regenzeit ( Oktober bis März oder April ) und einer Trockenzeit. Von Juni bis August sind Niederschläge zumindest auf der Kordille-ren-Westseite sehr selten und unergiebig. Die Zeit fürs Bergsteigen ist also eindeutig dann! Während der Schneezuwachs praktisch nur während der Regenzeit anfällt, ist es das ganze Jahr über warm genug für Eisschmelze im Zungenbereich. Schnee auf der Höhe von Huaraz ( 3000 m ü. M. ) kommt praktisch nie vor!

Erinnerungen an 1970 Die Vermessung der Gletscherzungen ist inzwischen längst Routinearbeit geworden. Aleides Ames ist seit zwei Jahren pensioniert, doch möchte er sie aus persönlichem Interesse noch möglichst lange weiterführen. Ueber besondere Ereignisse während der Feldarbeiten gibt es wenig zu berichten, allerdings mit einer schrecklichen Ausnahme: Ausgerechnet im 31. Mai 1970 führte er beim Safuna-Gletscher Vermessungsarbeiten aus, als die Katastrophe geschah, die bis heute im Bewusstsein der Bevölkerung des Santatals eingebrannt ist. So hat er das Ereignis und die folgenden Tage erlebt:

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^v^C

Yanamarey \ Urushraju

, Broggis Zungenveränderungen in Metern

\

-MIMI M 1 1 1 1 1 1 1 M 1 1 1 1 1 1 MIMI Mil Milli -H -200300400500600700 1500..

CO O OJD O> Oi O ) 1000 00 O CM -t CD 00 CJ ) CT> O> O ) 0 ) 0Ï Sonntag, 31. Mai

Die gemessenen Zungenveränderungen von sechs Gletschern der Cordillera Blanca ( oben ) und Klimadaten der Station Querococha ( unten ). Die strichlierten Linien markieren Zeitabschnitte, während derer die Zungenveränderungen aufgrund von Luftbildaufnahmen rekonstruiert wurden. Als Nullpunkt wird jeweils der Gletscherstand von 1948 angenommen. Mit Ausnahme eines kleinen Vorstosses des Uru-shraju- und des Yanama-rey-Gletschers in den siebziger Jahren ist der Gletscherrückzug praktisch ohne Unterbruch. Die Klimadaten zeigen im Zeitraum der Messungen keinen markanten Trend zur Erwärmung. Die Niederschläge haben ein wenig zugenommen.

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V'V

Auch hatten wir einen kleinen Radio dabei, mit dem wir auf Kurzwelle Stationen in Lima zu empfangen versuchten. Um 11.00 Uhr abends hörten wir, dass das Santatal - unsere Heimat - und Städte an der Küste heimgesucht worden seien, dass es Tausende von Toten gegeben habe und dass Strassen zerstört oder unterbrochen seien. In Huaraz, wo meine Familie weilte, seien 90% aller Häuser eingestürzt, und Yungay sei unter einer Eislawine vom Huascaran begraben worden.

Unter dem Eindruck dieser schrecklichen Nachricht wollten wir selbstverständlich auf schnellstem Weg nach Hause, um nach unseren Familien zu sehen. Da jedoch die Strassen unpassierbar waren, entschlossen wir uns, eine Abkürzung über einen Hochsattel von 5300 m Höhe zwischen Alpamayo und Pucahirca zu nehmen.

Montag, I. Juni Wir hatten weder Schlafsäcke noch Seile und keine Steigeisen oder Eispickel. Glücklicherweise campierte eine neuseeländische Andinistengruppe am Alpamayo. Die Bergsteiger waren bereit, uns auszuhelfen, und begleiteten uns sogar über den Pass. Dann mussten wir durch ein Seitental gegen das Santa-Cruz-Tal absteigen. Von den steilen Felswänden auf beiden Seiten lösten sich immer wieder Steinlawinen, und wir waren besorgt, ob wir die richtige Entscheidung getroffen hätten. Um 8.00 Uhr abends erreichten wir eine kleine Hütte beim Hatuncocha-See, wo wir übernachteten.

Dienstag, 2. Juni Besorgt über die Felsstürze talabwärts begannen wir unseren Weitermarsch frühmorgens. Bald verengte sich die Quebrada Santa Cruz zu einer engen Schlucht. An der ersten gefährlich Stelle warteten wir, bis eine Steinlawine niedergeprasselt war, und rannten über wacklige Blöcke in der Bergsturzabla-gerung auf der Suche nach einem sicheren Abb. 7:

Der Schneezuwachs erfolgt in der Cordillera Blanca vor allem in der Regenzeit von Oktober bis März. Die Jahresschichten des Firns lassen sich sehr schön im Abbruch oberhalb der Bergsteigerin ( mittlere der Seilschaft ) erkennen. Dieser Aufstieg zum Wallunaraju oberhalb Huaraz erfolgte im Juli 1980: Der Schnee hatte sich auf diesem nordexponierten Hang ( also der Sonnenseite in der Südhemisphäre ) gut gesetzt und war bequem begehbar. Ein schattiger Südhang hatte uns zu Beginn des Aufstiegs mehr Mühe und Kraft gekostet.

Platz. Wir mussten das noch dreimal machen, und einmal wäre einer unserer Gruppe um ein Haar von einem rasend schnell heran-gesausten Stein erschlagen worden. Völlig verdreckt und verschwitzt, aber mit heiler Haut erreichten wir schliesslich die Ortschaft Cashapampa am Ausgang der Schlucht. Die Bewohner waren erstaunt, dass wir unversehrt davongekommen waren, und gaben uns zu essen und zu trinken. Anschliessend machten wir uns wieder auf den Weg und erreichten um 6 Uhr abends Caras, wo wir auf Kollegen unseres Institutes stiessen, bei denen wir die Nacht verbringen konnten.

Mittwoch, 3. Juni Vergeblich hatten wir versucht, den Ingenieur unseres Instituts dazu zu bewegen, uns mit dem Helikopter nach Huaraz fliegen zu lassen. Man sagte uns, es sei völlig unmöglich, dort zu landen, und zwar wegen des Staubs, der sich beim Zerbersten von Lehmziegeln der zerstörten Gebäude gebildet habe. Also machten sich drei von uns erneut auf den Weg nach Huaraz ( der vierte blieb erschöpft zurück in Caras ). Spät nachmittags erreichten wir Yungay. Der Schock angesichts der von der Gletscherlawine weggefegten Stadt war zuviel für uns. Unter Tränen dachten wir an die weit über zehntausend Menschen, die von den Schlammassen lebendig begraben worden waren.

Nun hätten wir den Shacsha-Fluss überqueren müssen. Dazu war es aber zu spät, denn am Nachmittag war der Gletscherfluss zu hoch angeschwollen und hatte eine provisorische Brücke weggerissen. Also lagerten wir zusammen mit einigen Überlebenden in einem sicheren Feld zwischen Yungay und Ranrahirca. Abends beobachtete ich verwundert, wie ein Mann die Leute im Feld zählte und dann verschwand. Einige Zeit später kam er mit Nahrungsmitteln zurück, die er uns grosszügig anbot. Am gleichen Abend gab es um 11 Uhr nochmals ein starkes Beben, das ein paar kleinere Lawinen auslöste und den Gletscherfluss noch mehr anschwellen liess.

Dienstag, 4. Juni Am frühen Morgen wurden wir von ein paar Leuten aufgefordert, Holzstücke herbeizuschaffen. Der Gletscherbach war während der Kälte der Nacht etwas zurückgegangen, und die Gruppe organisierte den Bau eines behelfsmässigen Steges. Da so viele Leute sowohl hin- als auch herüber wollten, war die Brücke bald fertig, und auf der anderen Seite hatten wir gar das Glück, von einem Lastwagen nach Carhuaz mitgenommen zu werden. Von dort marschierten wir weiter nach Huaraz, das wir um 5 Uhr abends erreichten. Wir waren 100 km zu Fuss gekommen, zum Teil durch hochandines Gelände, mehrmals bedroht durch Steinschlag, durch Schlamm und Wasser. Kein Wunder, dass wir völlig erschöpft waren. Ich war überglücklich, als ich schon ausserhalb der Stadt eine Bekannte traf, die wusste, dass meine Frau und alle Kinder in Sicherheit waren. Ich fand sie schliesslich im Haus meiner Mutter, das glücklicherweise standgehalten hatte. Unser eigenes war jedoch in Trümmern, und meine Familie hatte nur dank ihrer Geistesgegenwart überlebt. Sie waren, als das Beben anfing, sofort auf den Innenhof gerannt. Andere Leute, die auf die Strasse gerannt waren, hatten weniger Glück: sie wurden unter zusammenbrechenden Hauswänden begraben. Später sollte sich herausstellen, dass das Erdbeben über 60000 Todesopfer gefordert hatte.

Abb. 8 Der Eisverlust durch Schmelzen findet an den peruanischen Gletschern zu allen Jahreszeiten statt. Einen Sommer im europäischen Sinn gibt es hier nicht. Am Rand eines kleinen Gletschers haben sich nachts Eiszapfen gebildet. Infolge der raschen Eisbewegung wurden sie bereits geknickt, ( verheilten ) aber dank des weiterhin gefrierenden Wassers laufend und brachen nicht ab. Unter der Annahme, dass die Zapfen die Bewegung von rund 12 Stunden anzeigen, ergibt sich eine grobe Schätzung der Jahresbewegung des Eises von über 200 Metern.

Am nächsten Tag ging ich ins Institut. Mein Chef gab mir vier Tage Zeit, um meine privaten Angelegenheiten zu regeln. Dann musste ich zurück zur Arbeit. Acht Tage nach dem Verlassen des Safuna-Gletscher war ich wieder in der Quebrada Llanganuco, um einen See zu vermessen, der durch einen Bergsturz vom Huascaran um 8 Meter aufgestaut worden war. Auch dort waren Menschen umgekommen, nebst peruanischen Touristen auch eine tschechoslowakische Bergsteigergruppe.

Literatur Arnes, A., et al. ( 1988 ): Glacier Inventory of Peru, Unit of Glaciology and Hydrology, Hi-drandina S.A., Huaraz Borchers, Ph. ( 1935 ): Die Weisse Kordillere, Verlag Scherl, Berlin Kaser, G. ( 1989 ): ( Vom drohenden Ausbruch eines Gletschersees in der Cordillera Blanca, Peru ), Unterricht - Eine Zeitschrift des Vereins ( Forum Wirtschaftserziehung ) für Lehrer, die Geographie und Wirtschaftskunde unterrichten, Zentralsparkasse, Wien Kinzl, H., und Schneider, E. ( 1950 ): Cordillera Blanca ( Peru ), Universitätsverlag Wagner, Innsbruck Patzelt, G. ( Hrsg., 1985 ): ( Die Berg- und Gletscherstürze vom Huascaran, Cordillera Blanca, Peru>, Hochgebirgsforschung, Heft 6, Universitätsverlag Wagner, Innsbruck

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