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Grand Teton

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( « The American Matterhorn »; südlich des Yellowstone Parks. ) Von Ulrich Wieland.

Der Name verspricht viel; die Wirklichkeit hält nicht alles. Ich möchte den Berg mit dem Zinalrothorn vergleichen, dem er vollkommen ebenbürtig sein dürfte. Die Besteigung auf dem gewöhnlichen Weg bietet viel Schönes und Interessantes; ausserdem gibt es dort noch Probleme zu lösen.

Ein glücklicher Zufall hatte es gefügt, dass mein Freund Fredi Luce seine Amerikareise zu einer Zeit ausführte, während der ich als Werkstudent in den Vereinigten Staaten tätig war. In den Industriestädten des Ostens hatten wir uns als Arbeiter schlecht und recht durchgeschlagen, bis der Sommer gekommen war, mit ihm die grosse Hitze, die den Aufenthalt in der feuchten Luft der Niederungen noch unerträglicher macht als Rauch und Schmutz zuvor; kein Wunder, dass wir mit aller Macht hinausdrängten, um endlich einmal wieder Bergluft zu atmen. Der Entschluss war rasch gefasst, mein Auto in guter Form, und so fuhren wir strahlend vergnügt anfangs August 1928 von Pittsburgh ab mit dem einzigen Wunsche, möglichst rasch zu den Rocky Mountains zu gelangen.

Am Nachmittage des fünften Reisetages tauchte die Kette des Felsengebirges vor uns auf, ähnlich den Voralpen, wenn man sich ihnen über die bayerische Hochebene nähert. Der Anblick ist in der Tat fast derselbe, trotzdem Ebene und Gebirge rund tausend Meter höher liegen; der Europäer begreift daher nicht recht, dass er es mit Viertausendern zu tun haben soll. Die Tatsache, dass wir auf das 4320 m hohe Gipfelplateau des Pikes Peak mit dem Auto fahren konnten und die Fahrt nicht einmal so viel Geschicklichkeit erforderte wie etwa Grimsel oder Furka, konnte unsere Achtung vor diesen Bergen keineswegs heben; doch überzeugte uns eine Besteigung des Longs Peak, 4350 m, dass auch hier noch alpine Probleme der Lösung harren. Der gewöhnliche Weg durch die West- und Südflanke dieses Berges ist leicht, die Nordflanke bietet ganz hübsche Kletterei, aber die Ostwand wird auch dem besten Kletterer ganz erhebliche Schwierigkeiten machen. Wir begnügten uns in diesem Falle mit der Feststellung, dass wir trotz der langen und zermürbenden Zeit, die wir in der Ebene zugebracht hatten, in recht guter Form waren, und freuten uns riesig über die Klarheit der weiten Sicht, in dem Gedanken, der Schmutzatmosphäre Pittsburghs erst seit einer Woche entronnen zu sein.

Nach diesem Besuch in den Denver Rocky Mountains ging die Fahrt nach Salt Lake City. Zwei Drittel dieser Reise führen durch völlig unfruchtbares Wüstenland, in dem man zweimal erst nach 80 km wieder auf eine menschliche Behausung trifft. Wir waren froh, die Strecke zwischen den beiden Städten in zwei Tagen hinter uns gebracht zu haben. Die Salzseestadt mit ihren Merkwürdigkeiten hielt uns einige Zeit fest; dann steuerten wir nach Norden, dem Yellowstone Park zu.

Auf dem Wege dorthin, aber ein wenig abseits von der grossen Strasse, musste sich ein etwas sagenhafter Berg befinden; kein einziger Amerikaner, den wir darüber befragt hatten, konnte uns Auskunft geben. Ich wusste nur von meinem Clubkameraden Allemann, dass der Grand Teton « worth while » sei und dass der Berg im Tale des Snake River, im sogenannten Jackson Hole, an der Strasse zum Südeingang des Yellowstone Parks liege. Bei Pocatello kamen wir in die Nähe des Schlangenflusses; die grosse Strasse verlässt die Flussniederung jedoch wieder bei Idaho Falls, wo wir abzweigten und dem Flusslauf auf schlechten und rechten Wegen folgten. Auf hohem Passe überquerten wir eine Gebirgskette — die südlichen Ausläufer der Teton Range —, während der Fluss sich unten durch eine Schlucht zwängt. Von der Brücke über den Snake River, kurz vor Jackson, erblickten wir zum erstenmal die Teton Mountains, ein ziemlich isoliertes Felsengebirge, aus dem der Grand Teton bescheiden, aber doch unverkennbar spitz herausragt. Begeistert über das für amerikanische Verhältnisse wunderbare Landschaftsbild sausten wir das breite und nur wenig besiedelte Tal hinauf, die Tetons stets vor Augen, bis wir ganz nahe bei den Bergen waren.

Mit der Unterkunft hatten wir Glück, denn gerade an der Stelle, wo die Strasse am nächsten an die Berge herantritt, trafen wir auf ein ganz neues Camp. Diese in Nordamerika schon sehr verbreitete Einrichtung ist so herrlich und nachahmenswert, dass sie eine kurze Schilderung verdient. Dicht neben der Strasse tut sich eine Art Hain auf mit unzähligen kleinen Hüttchen, teils einzeln, teils zusammengebaut, immer aber mit so viel Platz dazwischen, dass man sein Auto gleichsam vor die Zimmertür stellen kann. Diese Quartiere kosten nur etwa den vierten Teil eines Hotelzimmers; ausserdem hat man keinerlei Umstände mit dem Gepäck, lässt alles im Auto, kann selbst kochen und ist in jeder Beziehung frei. Die Inneneinrichtung der Hüttchen ist sehr verschieden; manche haben nur ein riesiges Familienbett, manche sind ganz fabelhaft eingerichtet. In Kalifornien bringen sie es bis zu fliessendem kaltem und warmem Wasser, Gasherd, elektrischem Licht, Dusche und Bad in jeder einzelnen Hütte; viele Camps besitzen auch Schwimmbäder. Und das alles für nur 1 Dollar die Nacht!

Das Camp am Jenny Lake war nun nicht so vornehm, aber sauber und nett, so dass wir uns gleich äusserst wohl fühlten. Am nächsten Tage gingen wir sofort auf Erkundung aus, fuhren die Strasse auf und ab und suchten durch eingehende Bespiegelung des Grand Teton einen möglichen Aufstieg herauszufinden. Die Leute im Tal schienen über die Möglichkeiten einer Besteigung kaum orientiert zu sein; alles, was wir erfahren konnten, war, dass auf der Ostseite des Berges in etwa 3000 m Höhe zwei hübsche kleine Seen gelegen seien, dass ein Fusspfad dort hinaufführen würde und dass man von da weiter « zu den Gletschern » gehen könne. Man stelle sich nun vor, dass etwa zwei allerdings gut deutsch sprechende Engländer in Täsch im Nikolaital auftauchten, das Zinalrothorn besteigen wollen und eine ähnliche Auskunft erhalten. Wenn man bedenkt, dass keinerlei Literatur über den zu besteigenden Berg besteht, dann hat man ungefähr unsere Situation am Fusse des Grand Teton.

Noch am gleichen Abend bezogen wir ein Biwak bei den beiden Seen und stiegen am nächsten Morgen früh über eine Felsrippe in ein nördlich angren-zendes Tal, wo wir uns bei anbrechendem Tage in einem von grossen, schmutzigen Schneefeldern und Moränen angefüllten, überaus düsteren Loche wiederfanden. Es war ungefähr so, als ob wir in den Kessel unterhalb des Col de Tournanche geraten wären, nur nicht so grossartig und viel enger. Die Nord- und Ostabstürze des Grand Teton sind äusserst steil und verwehren jeden Zugang. Wir wandten unsere Aufmerksamkeit daher dem Südostgrat zu, welcher unten ein breites Bollwerk in den Kessel vorschiebt. Zunächst kamen wir über steile Schrofen gut hoch; dann aber türmten sich die Felsen immer mächtiger, das Gestein wurde immer plattiger, und, um die Mittagszeit erst etwa 3600 m hoch, erkannten wir, dass wir an diesem Tage nicht mehr auf dem Gipfel stehen könnten. Der Aufstieg über diesen Grat dürfte eine alpine Unternehmung ersten Ranges sein. Man muss dazu jedoch viel höher oben biwakieren, als wir das taten, am besten schon auf dem Bollwerk, denn der Grat wird infolge der schwierigen Felsen und der häufigen tiefen Unterbrechungen sehr viel Zeit in Anspruch nehmen.

Wir kehrten also um, wurden dabei von einem tüchtigen Hagelwetter überrascht und trabten am späten Nachmittag wieder unserem Camp zu. In dem urwaldähnlichen Gestrüpp am Ostabhang des Gebirges wurden wir plötzlich angerufen. Wild aber ehrlich aussehende Männer fragten uns nach dem Wege zur Landstrasse. Während wir Auskunft gaben, hefteten sich die Blicke der Männer auf unsere Willisch-Pickel und Eckenstein-Eisen. Es stellte sich bald heraus, dass wir uns einer Gruppe von Bergsteigern gegenüber befanden, die tags zuvor auf dem Grand Teton gewesen und von ihrem Erlebnis noch vollkommen erfüllt waren. Wir erfuhren, dass wir die Besteigung auf der verkehrten Seite versucht hatten, und wurden nun über den normalen Weg aufs genaueste unterrichtet. Der leichteste Anstieg führt im Süden um den Berg herum, durch ein grosses Couloir zu einem kleinen Sattel und von da durch die Westwand direkt zum Gipfel. Das Zusammentreffen von zwei so verschiedenen Partien an einem urwaldähnlichen Fleck hinterliess bei beiden Teilen einen grossen Eindruck, zumal da keiner damit rechnete, irgendjemand ähnlich Gesinntem zu begegnen. Auf der einen Seite vier waschechte Amerikaner der Gebirgsstaaten, die von ihrer Heimat in Idaho mit einem alten Ford über die Berge gekommen waren, um den schon seit Jahren gehegten Wunsch einer Tetonbesteigung in Erfüllung gehen zu lassen. Auf der anderen Seite zwei junge Leute, die weiss Gott woher kamen, erst kurze Zeit im Lande waren und nun auch da hinauf wollten. Den Amerikanern erschien das nahezu unbegreiflich.

Beim zweiten Versuch folgten wir den Angaben unserer Vorgänger, fanden alles tadellos, kamen glänzend vorwärts und hatten am zweiten Tag morgens um 9 Uhr schon vier Fünftel der ganzen Besteigung hinter uns. Da brach plötzlich ein schauderhaftes Unwetter los, und Blitz, Donner, Sturm und Schnee trieben uns schleunigst wieder hinunter. Reichlich kummervoll kehrten wir abermals geschlagen ins Tal zurück.

Es war kalt geworden, der Teton hatte fussstiefen Neuschnee erhalten, und wir sahen die Aussichtslosigkeit eines neuerlichen Versuches in den allernächsten Tagen ohne viel Überlegung ein. Wir fuhren daher in den Yellowstone Park und ergötzten uns dort ausgiebig an dem merkwürdigen Tun und Treiben der vielen Geysirs. Es war überaus kalt — der Park liegt durchschnittlich 2200 m hoch — und in den Nächten fror es gar. Aber am dritten Tage wurde das Wetter prächtig. Wir erblickten plötzlich von einem Punkte zwischen 01d Faithful und Yellowstone Lake die hundert Kilometer entfernten Tetons in fabelhafter Klarheit, und da gab es kein Halten mehr. Noch am gleichen Nachmittag trafen wir wieder in Jenny Lake ein, verproviantierten uns und schliefen ein paar Stunden, bis der Wecker um Mitternacht rasselte. Um Zeit zu sparen und um bei der Grabeskälte nicht im Freien übernachten zu müssen, hatten wir nämlich beschlossen, die Unternehmung in einem Zuge vom Tal aus durchzuführen, wohl wissend, dass wir dann einen Höhenabstand von 2100 m auf völlig unwegsamem Gelände zu überwinden und daher keine Zeit zu verlieren hatten.

Zunächst fuhren wir nun schon ganz gewohnheitsmässig mit unserem Auto ein kurzes Stück auf der Landstrasse nach Süden, bogen gegen die Berge hin ab, benützten die einzige über den Cottonwood Creek führende Brücke in Mrs. Luccus'Ranch und fuhren schliesslich über Stock und Stein an den Eingang eines kleinen Tälchens, bis der Wagen im Busch stecken blieb. Dort liessen wir ihn im hohen Grase versteckt einfach stehen. Es folgte nun der schon gewohnte Kampf gegen urwaldähnliches Gestrüpp einerseits und nicht enden wollende Trümmer eines Bergsturzes andererseits. Man geht zunächst gerade gegen den Berg zu, biegt dann allmählich nach Süden ab, um den Eingang des Bradley Canyons zu gewinnen, eines Tales, welches sich auf der Südseite des Grand Teton zu einem breiten, schon 3520 m hohen Sattel zwischen Grand und Middle Teton hinaufzieht. Dieses Tal ist in seinem mittleren Teil arg unwegsam, da es von Gesteinstrümmern fast ganz erfüllt ist. Man hält sich am besten immer nahe am Bach auf der nördlichen Talseite. Das Tal führt direkt gegen den Middle Teton, einen mittleren Felsberg mit ganz charakteristischer, schwarzer Schichtlinie in seiner Ostflanke. In der Talsohle am Fuss dieses Berges angekommen, erblickt man rechts oben, mitten im Geröllhang, eine Felskanzel, auf der noch einige Fichten stehen; dort oben, in etwa 3000 m Höhe, befindet sich ein ganz idealer Biwakplatz. Die Nacht, die wir fünf Tage zuvor an dieser Stelle zugebracht hatten, war sehr eindrucksvoll gewesen. Jetzt gingen wir im Dämmerlicht daran vorbei und zogen weiter über ausgedehnte Blockhänge zur Zunge eines kleinen Gletschers, der vom Middle Teton herunterkommt; über diesen Gletscher und seine nördliche Seitenmoräne gelangten wir unter den Grossen Sattel und stiegen über eine Felsstufe auf denselben hinauf.

Bis hierher bietet die Besteigung nicht viel Interessantes; der Anmarsch kommt einem daher recht lang und ermüdend vor. Die Tatsache, dass wir diesen Teil der Bergfahrt bei Nacht im ersten Ansturm glatt erledigt hatten, Hess unsere Stimmung und Zuversicht aufs höchste steigen. Bei Sonnenaufgang frühstückten wir zunächst einmal tüchtig und genossen den ersten, verhältnismässig freien Rundblick. Zu beiden Seiten des Sattels reicht der Blick weit in die breiten, tausend Meter tieferen Täler im Osten und Westen der Teton Range hinaus und verliert sich in der entfernten Hügellandschaft. Im Süden zeigt sich der Middle Teton in voller Grösse, und im Norden liegt der Weiterweg auf den Grand Teton klar vor einem. Der breite Rücken führt zu einem gewaltigen Turm, welcher den östlichen Eckpfeiler einer grossen, nach Südwesten hinabziehenden Felsrinne bildet. Auf bequemen Bändern quert man am Fusse des Turmes in das Couloir hinein und steigt dasselbe seiner ganzen Länge nach hinauf zum oberen Sattel, 3990 m. Der Schutt in der Rinne gibt oft Anlass zu Steinschlag, und die zahlreichen Felsstufen sind manchmal nicht leicht zu überwinden.

Der obere Sattel befindet sich zwischen dem eigentlichen Gipfelaufbau und einem nach Westen vorgeschobenen Horn, dem West Peak ( 4050 m ), von dem aus man einen vorzüglichen Blick in die Westwand des Grand Teton hat. Ein fast senkrechter Felswall von beträchtlicher Höhe scheint den Weiterweg zu versperren, da die ihn durchziehenden Risse oben durch gewaltige Blöcke verriegelt sind. Am Fusse des Felswalles führt jedoch ein zuerst breites, dann immer schmäler und schmäler werdendes Band schwach ansteigend in die Nordwestwand hinaus, wo es am Fusse eines tiefen Kamins endet. Die Exposition dieses Bandes gerade an der Stelle, wo man nur noch mit beiden Armen oder mit einem Bein und einem Arm darin Platz hat, ist so gewaltig, dass dies zweifellos die eindrucksvollste Stelle der ganzen Besteigung darstellt. Lässt man den Blick über die Platte, an der man hängt, in die Tiefe gleiten, so trifft er erst gut tausend Meter tiefer und nahezu senkrecht darunter auf ein Schneefeld in jenem düsteren Kessel auf der Nordseite des Grand Teton. Technische Schwierigkeiten bietet das Band, von den Amerikanern « The Wriggle » genannt, dagegen kaum, da die Schichtung des Bandes überall, auch da, wo man über einige wacklige Blöcke hinwegklettern muss, nach innen geht. Der auf das Band folgende Kamin ist kurz und nicht schwierig, nur muss sein Eingang über einen mannshohen Überhang gewonnen werden, wenn man es nicht vorzieht, denselben in noch grösserer Exposition als zuvor zu umgehen und weiter hinten in den Kamin einzusteigen.

Der kleine Kamin mündet auf ziemlich flach geschichtete Platten aus, die man geradeaus hinaufgeht bis an den Fuss eines zweiten, weniger bedeutenden Felswalles. Ein tiefer, etwa dreissig Meter langer, gutgriffiger Riss zieht von links unten nach rechts oben auf die Höhe dieses zweiten Walles. In unserem Falle war der Grund des Risses bös vereist, sonst dürfte er im allgemeinen keine Schwierigkeiten bieten. Es folgt wieder ein Absatz und wieder ein Wall, der jedoch in einer tief eingerissenen Schlucht gut zu durchsteigen ist, schliesslich leichtes Blockgelände und der Gipfelgrat, den man etwa 150 Meter südlich des höchsten Punktes betritt. Die letzten Schritte zum Gipfel sind ein fabelhafter, unaussprechlicher Genuss für denjenigen, der den Augenblick des Ausstieges von einer düsteren Wand auf einen freien Grat, mit dem höchsten Punkt vor den Augen, richtig zu schätzen weiss. Es war 1145.

Unser Glück über das doch noch gelungene Unternehmen kannte keine Grenzen. Das Wetter war fabelhaft schön, die Luft war ruhig, und so konnten wir, in der Sonne bratend, uns des Daseins vollkommen freuen. Wenn wir daran dachten, dass wir uns gute 10,000 Kilometer entfernt von der Heimat mitten in einem so merkwürdigen Lande auf einem einzigartigen Hochgipfel befanden, dann hatten wir einander nichts mehr zu sagen. Immer und immer wieder liessen wir den Blick in die Runde schweifen, fanden nirgends einen Halt und wurden daher unwillkürlich zur Konstruktion eines Bildes gezwungen, wie es eben nur die heimatlichen Berge in ihrer unübertroffenen Geschlossenheit darbieten. So weit und umfassend die Aussicht von allen grossen Bergen der Vereinigten Staaten sein mag — und sie ist im wahrsten Sinne des Wortes unermesslich —, so bietet sie doch durchaus nichts Charakteristisches, denn der Blick verliert sich über ein paar unbedeutende Zacken in der nächsten Umgebung in endlosen Ebenen, bestenfalls Hügelketten. Auch der Kontrast zwischen weissem Schnee und grüner Vegetation, der die Alpenbilder so unerhört malerisch macht, fehlt drüben fast vollkommen. Das graue Gestein, meistens noch von Schutt überdeckt, überragt alles andere, und saubere Gletscher gibt es eigentlich nicht. Um das zu haben, muss man weiter nördlich nach Kanada gehen.

Es ist daher über die landschaftlichen Eindrücke bei der Tetonbesteigung nicht viel zu sagen. Der Blick von oben ähnelt ganz und gar demjenigen aus einem Flugzeug: das Tal des Schlangenflusses mit der Autostrasse, die kleinen Seen am Fuss des Bergmassivs und der grosse Jackson Lake in grösserer Entfernung liegen wie eine Landkarte unter einem. Mount Owen, der stolze noch unbezwungene Zacken nordöstlich des Grand Teton, ist unter den übrigen Graten und Flanken der nächsten Umgebung untergegangen; etwas höher als die übrige Masse tritt nur der weiter nördlich gelegene Mount Moran heraus. Hoch im Norden vermutet man die dunkeln Wälder und weissen Wasser des Yellowstone Parks. Im Südwesten ist die Windriver Range mit dem zwar sehr hohen, aber ganz flachen Fremont Peak gut zu sehen, und direkt nach Süden streicht der Blick dem verebbenden Kamm der Teton Range entlang. Im Westen und Osten verliert sich das Auge in der endlosen Hügellandschaft Idahos und Wyomings.

Anderthalb herrliche Stunden brachten wir auf dem kleinen, aber bedeutenden Gipfelplätzchen zu, dann betrieben wir den Abstieg mit Energie. Über alle die bekannten Stellen kamen wir rasch hinunter und trafen mit sinkender Sonne am Biwakplatz mit den Fichten ein. Ein riesiges Latschen-feuer wurde angesteckt, und wohlig reckten wir unsere Glieder auf dem Lager von Tannennadeln unter dem grossen Stein. Der Rest des Proviantes war leider allzu schnell verzehrt; darum und auch der Temperatur halber stolperten wir noch bei Licht das Bradley Canyon hinunter, atmeten auf, als wir endlich unserem getreuen Fahrzeug in die Augen leuchteten und löschten das Lämpchen in der Hütte am Jenny Lake genau vierundzwanzig Stunden, nachdem wir es in der Nacht zuvor angezündet hatten.

Am nächsten Morgen nahmen wir erst einmal ein herrliches Bad am Fusse unseres Berges und dauernd im Angesicht des Gipfels. Nachmittags besuchten wir ein Cowboy- und Cowgirlspiel in Jackson, wo es sehr wild zuging. Am übernächsten Tag setzten wir unsere Reise fort, nochmals durch den Yellowstone Park und weiter durch die nördlichen Gebirgsstaaten nach Seattle. Dort bestiegen wir den Mount Rainier, 4394 m. Alsdann fuhren wir über San Franzisko nach Los Angeles und San Diego, und schliesslich wieder durch den ganzen Kontinent nach dem Osten zurück, denn mit dem Beginn der kalten Jahreszeit mussten wir doch wieder zu arbeiten anfangen. Wenn man ein volles Vierteljahr herumgereist ist, arbeitet man gerne wieder!

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