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Island-Raid

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Eine Nord-Süd-Traversierung mit Pulkas

François Hans,

La Chaux-de-Fonds Schnee- und Eismauern als Schutz vor dem drohenden Blizzard 37 Es gibt intensive Gefühle, die allein von einer Landschaft ausgelöst werden... und es gibt Landschaften am Ende der Welt. Zu ihnen gehören die isländischen. Island, diese im Nordatlantik verlorene Insel bewegt sich zwischen den Extremen, zwischen Hitze und Kälte, Milde und Härte, Schnee und Feuer, den langen Nächten des Winters und den immerwährenden Tagen der Mitternachtssonne. Die Macht der Elemente regiert dort seit eh und je, Landschaften und Geistesart haben in diesem gewaltigen Schmelztiegel ihre Eigenart erhalten.

31. März 1991: Reykjavik Unser Flugzeug landet bei starkem Schneesturm. Einige Augenblicke haben wir während einer kurzen Aufhellung, wie einen Willkommensgruss, die funkelnden Eiskappen und die weissgesäumte Südküste sehen können. Nur drei Stunden trennen uns vom Abflug in Luxemburg, in leichten, frühlingshaften Hemden; jetzt und hier nun die Schneepflüge, die sich mühen, die Pisten des Flughafens in benutzbarem Zustand zu erhalten. Der Schnee, den der Wind horizontal vor sich her fegt, peitscht uns das Gesicht. Jetzt sehen wir, wie der Winter in Island ist; aber wer würde sich beklagen nach den letzten Wintern, die wir erlebt haben und die es nur dem Namen nach waren?

Den Sack auf dem Rücken, die Ski in der Hand, muss unsere kleine Vierergruppe den Zoll passieren, was schwieriger ist, als wir uns vorgestellt hatten. Unser Erscheinen in dieser winterlichen Welt ist natürlich recht ungewöhnlich und wird von den Beamten mit Skepsis und Misstrauen aufgenommen. Winterliche Expeditionen gelten als Synonym für erhebliche Risiken, mögliche Such-unternehmen, wenn sich ein Unfall ereignen sollte. Und was wir vorhaben, das gehört zu der Gattung extremer polarer Expeditionen. Doch dank unseres isländischen Führers Philippe, der uns hinter den Schranken erwartet, lässt sich alles regeln. Am Abend prüfen wir unsere Ausrüstung aufs sorgfältigste und machen eine Bestandsaufnahme. Für Philippe wird unser Unternehmen die zehnte Traversierung ( oder der Versuch dazu ) sein, für Guy die zweite, wir andern sind Neulinge, die bis jetzt nur Erfahrungen in den Alpen und im Himalaya gesammelt haben.

Wir organisieren uns Jeder von uns ist mit einem Paar Tourenski mit Metallkanten und äusserst widerstandsfähiger Bindung, mit so bequemen Schuhen wie möglich und mit einer Pulka - einer aus Norwegen stammenden Schlittenart, die über Deichsel und Geschirr verfügt - ausgerüstet. Zu dieser persönlichen Ausrüstung kommt noch eine eindrucksvolle Reihe von für jede Expedition des Himalaya-Typs unerlässlichen Dingen. Dazu gehören unter anderm zwei isothermische Zelte, ein grosser Vorrat an Brennstoff für unsere Kocher und eine mächtige Notfalltasche, weiter Verpflegung für mehr als 15 Tage, zusammengestellt aus lyophilisierten Nahrungsmitteln, geräuchertem Dörrfisch, Crevetten usw. Island verpflichtet! Es handelt sich um leicht transportierbare und kalorienreiche Lebensmittel. Für unsere Sicherheit kommt noch ein Notfunkgerät dazu, nur für den äussersten Notfall. Kurz, jeder steht vor der Notwendigkeit, 40 kg auf einem Schlitten hinter sich herzuziehen; wir sind, was unsere kommenden Leistungen angeht, etwas ratlos.

Unterwegs zum Ausgangspunkt Der heutige Tag ist für die Reise zu unserm Ausgangspunkt - Akureyri, der zweitgrössten Stadt Islands - bestimmt.

Im Morgengrauen Aufbruch zu einer Fahrt im bequemen Geländewagen entlang der Nordküste, die nur 300 km von Grönland entfernt ist. Wir fahren, gleiten auf einer tiefverschneiten Strasse, aber die überbreiten Wülste unserer Reifen sorgen dafür, dass der Wagen auch die schlimmsten Schneeverwehungen überwindet, fast als hätte er Stelzen. Herrliche Landschaften an der Küste, wo eisbedeckte Fjorde einander folgen, die trostlose Einsamkeit der Hochflächen, eindrucksvolle Felsklippen und perfekte Vulkankegel mit anthrazitschwarzen Lavabändern.

Von Zeit zu Zeit : ein einsamer Hof mit seinen herrlichen Islandponys, unwahrscheinlich widerstandsfähigen Tieren, die zu Recht der Stolz des Volkes sind. Während der ganzen Fahrt erleben wir den Wechsel zwischen Aufhellungen mit strahlendem Himmel und kurzen, aber sehr heftigen Stürmen von Grönland her. Wir kommen sehr spät im Fjord von Akureyri an, aber reich an Eindrücken und Empfindungen.

Der erste Tag Schliesslich der endgültige Aufbruch: Jetzt ist Schluss mit der Zivilisation, dem angenehmen Komfort des Hotelzimmers. Vor uns die einsame riesige Weite: Wir fühlen uns alle sehr klein, haben ein Gefühl der Furcht. In der Tiefe des Fjords legen wir die Ski an, die uns getreulich während fast 15 Tagen begleiten werden, passen die Geschirre richtig an und machen bei blendender Sonne und ohne Wind unsere ersten unsichern Schritte mit der schweren hinderlichen Last. Es geht direkt nach Süden. Am Ende des Tages erreichen wir den Fuss der 800 m hohen steilen Hänge und Felsen, die wir am nächsten Tag ersteigen müssen, um auf die Hochebenen zu gelangen. Wir richten unser erstes Lager ein und bauen aus her-ausgesägten Schnee- und Eisblöcken eine anderthalb Meter hohe Schutzmauer darum herum. Zwei Stunden

Auf den Hochebenen Eine kalte Nacht, das Thermometer zeigt fast — 30 °C, aber wir haben, behaglich in unsere Schlafsäcke vergraben, gut geschlafen. Um 7 Uhr wird es Tag, gegen 9 Uhr brechen wir, einer hinter dem andern, auf, um die sehr steilen 800 m in Angriff zu nehmen. Die Ski haben wir auf die Pulkas gepackt, denn an dem abrupten Hang könnte man zu leicht ein langes Stück rückwärts rutschen. Fünf Stunden ständiger Anstrengung, um, die Stöcke in der Hand, mit Liliputanerschrit-ten der Horizontlinie näher zu kommen; aber welches Schauspiel, als wir das Plateau erreichen! Eine fast aggressiv brennende Sonne. Während der Pause kauen wir Dörrfisch als handle es sich um Kokablätter; ungewohnt, aber nach einigen Tagen würde man fast mehr davon verlangen!

Beinahe stündlich bestimmen wir mit Karten im Massstab 1:50000 und dem Kompass unsern Standort; zehn Stunden geht es in gleichmässigem Rhythmus und in einer Geschwindigkeit von nicht mehr 3 km/h voran. Der Schnee ist hart, in kunstvollen Wogen erstarrt, die der Wind geformt hat; für das Kreuz kann es schmerzhaft werden, denn hält man wegen einer Steigung einen Augenblick an, stürzt die Pulka rachsüchtig ihrem Besitzer in den Rücken.

Wir ziehen über die endlose Weite der Moränenlandschaft bis an den Rand der Eiskappe des Hofsjökull. Als es Nacht geworden ist, erreichen wir bei zauberhaftem Nordlicht die winzige Hütte von Langafell, auf der eine ungeheure Ruhe lastet... Es kann vorkommen, dass sie monatelang niemand aufsucht, doch die Temperatur in ihr beträgt dank einer heissen Quelle +20 °C. Die regenerierende Kraft dieser wohltuenden Wasser lockert die Muskeln und lässt den Körper in einen erholsamen Schlaf sinken.

In Blizzards und Stürmen Weiter geht es, immer direkt nach Süden, durch die Einöde des Sprengisandur, zwischen den Eiskappen des Hofsjökull und des Vatnajökull hindurch; unser Ziel ist die Jö-kulldalur-Hütte. Alles geht sehr gut, trotz heftiger Stürme; dann flüchten wir uns in den Schutz unserer Zelte, deren Bahnen im Wind knallen, den Grundton bildet das Brüllen und Tosen der gegen unsere Mauern anstürmenden Böen. Merkwürdiges Gefühl einer erbarmungslosen Abgeschiedenheit, die uns an Jean-Louis Etienne und Paul-Emile Victor, unsere Vorbilder, gemahnt.

Wir ziehen den ganzen Tag weiter, unsere doppelschichtigen Schutzbrillen über die Kapuzen gezogen, denn wenn wir auch den blauen Himmel gut sehen, so bläst der Blizzard, und Sand scheint sich überall auszubreiten, sich unaufhörlich auf unsere vergänglichen Spuren zu legen. Eine grosse, diesmal aber ungeheizte Hütte, wo wir uns einen ganzen Tag ausruhen, unsere Lebensmittelvorräte kontrollieren und ein kleines Flugzeug entdecken, das in geringer Höhe seine Schleifen zieht, um für das Fernsehprogramm Aufnahmen vom winterlichen Leben zu machen.

41 Zweite Etappe: mühsamer Aufstieg über 800 m zu dem in der Sonne

Über Nacht kann die Welt sich ändern Immer noch Island: ein ganz neuer Morgen, eine Atmosphäre der Stille... Die letzten Wolkenfetzen des Sturmwetters verschwinden am Horizont. Alles ist zu einem Traum Bald ist es Nacht, die Schatten werden unendlich lang... Die Stille der eisigen Einöden fordert zur Meditation auf.

geworden, man muss sich zwicken, um daran zu glauben.

Diesmal ist es eine kurze Etappe. Einige Stunden ausgestreckt auf der Pulka, in einer atemberaubenden Landschaft, langsam den glühendheissen Tee aus der Feldflasche schlürfend, Schokolade knabbernd. Zerrissene Vulkankegel, ein riesiges erstarrtes Meer, das mit dem Horizont verschmilzt. Wir gleiten am Rand des Vatnajökull entlang, eines mächtigen Gletschers von der Grösse Korsikas.

Eine begeisternde Ankunft in der isländischen glaziologischen Forschungsstation, die während sechs Monaten unbesetzt ist, zu der wir aber den Schlüssel besitzen. Ein abendliches Fest, denn wir feiern den dreissigsten Winter von Jean-Louis. Foie gras und Alkohol machen bis spät in die Nacht die Runde.

Neunter Tag Unsere längste, aber auch unsere schnellste Etappe. Wir gleiten unaufhörlich über gefrorene Flüsse und Seen; herrlicher Schnee und ein strahlender Himmel. Unser Lachen verhallt in der Einöde, wir kommen gut voran - im Durchschnitt mit 3 km/h! Auf dieser 35 km langen Strecke blicken wir oft zurück und betrachten die beiden parallelen Linien, die am Horizont verschwinden. Als der Abend gekommen ist, richten wir unser Lager an der schönsten Stelle der ganzen Reise ein, mit einem Panorama von 360°: Wir sind im Herzen eines Amphitheaters aus zum Himmel aufragenden Bergen und Kratern. Aber die untergehende Sonne kündigt einen kommenden Sturm an; alles ist am Ende dieses Abends ungewöhnlich ruhig.

Und wieder ein schwerer Sturm Zuviel Selbstsicherheit? Wir haben {ver-säumt ), auch dort, wo wir am wenigsten mit einem Angriff des Sturms rechneten, weitere drei Meter Mauer zu bauen. Um 5 Uhr morgens kam er dann: wildes Durcheinander, höllisches Getöse der Böen... Wir haben das Gefühl, in unsern Zelten davongetragen zu werden, wie Strohhalme umherzufliegen. Wir versuchen hartnäckig, unser Lager zu schützen und zu erhalten - vergeblich. Gegen 7 Uhr müssen wir aufgeben, packen in aller Eile zusammen, nehmen unsere Pulkas und brechen auf, mit den Skispitzen möglichst nah an der Pulka des Vordermanns. Wir hoffen, Landmannalaugar zu erreichen, einen Ort, wie man sich ihn erträumt und der unser Denken schon viel beschäftigt hat, voller heisser Quellen, mit einer bewarteten Hütte. Ich war im Sommer dort und hatte wunderbare Erinnerungen an farbige Bilder, Dampfwolken, das Glucksen der Quellen, braune Felsen, Moosteppiche und das wohlige Behagen eines herrlich friedvollen Ortes bewahrt.

Gekrümmt unter den Windstössen ziehen wir voran, manchmal müssen wir anhalten, um uns gegen sie zu behaupten, den Körper nach vorn geneigt, damit das zu einer eisigen Maske gewordene Gesicht geschützt ist. Schlimme Augenblicke, in denen die geringste Bewegung - die Brille abzukratzen, in der Tasche ein energiespendendes Bonbon zu suchen - zur Strafe wird. Dazu die Angst, dabei einen Handschuh einzubüssen oder den Gefährten aus den Augen zu verlieren, während man sich vergebens heiser schreit.

Die Tatsache, dass wir entlang eines gefrorenen Flusses absteigen, beruhigt uns etwas über unsern Weg. Aber wer garantiert uns, dass wir nicht ständig von den Ufern des einen Flusses zu einem andern wechseln? Augenblicke der Anspannung, als wir uns voller Eifer daranmachen, hastig mit unsern Schaufeln eine kleine Höhle in die Schneemassen zu graben, um uns zu schützen und Atem holen zu können. Aber wir verlassen diesen ungastlichen Ort, der uns nur Gelegenheit gegeben hat, einige fade, vollkommen gefrorene und schneebestäubte Brotscheiben zu kauen, bald wieder und tauchen wohl oder übel erneut in dieses wie von Watte erfüllte endzeitliche Universum ein. Philippe vertraut jedoch dem Weg, den er als guter ( Hundeschlittenführer ) zu scheint. Er zwingt uns zu einem langsamen automatischen Schritt, wodurch wir besser vorankommen und für einen Augenblick die Gegenwart vergessen können.

Nachmittags 3 Uhr: Endlich bricht ein fahles Licht durch, das ist die so dringend erwartete Windstille. Bald darauf treffen wir, völlig unerwartet, auf eine Hochspannungsleitung. Eine kühle Begegnung mit vereisten grauen Masten, die aber beruhigend wirken, weil sie zur Wärme der Häuser führen.

Um 5 Uhr eine Überraschung: Ein Stück Wellblech taucht vor unsern Ski auf. Wir machen uns daran, die Tür der unter meterhohem Schnee begrabenen Hütte freizuschaufeln. Diese von der Vorsehung gesandte Pause hilft uns, so dass wir noch bei Einbruch der Nacht Landmannalaugar erreichen werden: Wir stürzen uns gierig auf die Lebensmittelvorräte, wärmen eine Suppe, und die Moral steigt um mehrere Grad. Dann beeilen wir uns, einige Stunden Wegs liegen noch vor uns, die Überquerung steiler Pässe, auf die lange Abfahrten folgen, in denen unsere Pulkas versuchen, uns zu überholen.

9 Uhr abends: Schweflige Dämpfe umgeben uns. Bald zeichnet sich in der Ferne die Hütte ab; den Lichtschein der Fenster verschleiert in regelmässigen Abständen der Dampf der Quellen. Unsere Freude macht sich Luft, und der Empfang ist übersprudelnd stürmisch. Jeder umarmt jeden; die Bäder, die isländischen Lieder, ein üppiges Mahl, die auftauchenden Fragen, all das macht uns sprachlos. Die Düfte der Küche, die von einer Gitarre begleiteten Lieder voller Sanftheit und Wildheit, die tröstliche Wärme wirken fast aggressiv, so dass wir eine leichte Betäubung herbeisehnen...

Der nächste Tag ist dem Nichtstun gewidmet, den erholsamen Bädern und den Solfataren, die eine schöner als die andere. Bis zum Sonnenuntergang bewegen wir uns in Schwefeldämpfen und zwischen spuckenden und permanent tätigen Heisswasserfon-tänen.

Die Zeit ist gekommen zu überlegen, wie viele Tage uns noch bis zum Rückflug bleiben. Die Südküste können wir in den kommenden Tagen nicht mehr besuchen. Im günstigsten Fall würden wir in drei Tagen die Gegend bei Skogar erreichen, aber ohne jede Sicherheitsmarge. Wir sind vernünftig und verzichten auf diesen ursprünglichen Plan.

Doch ehe wir nach Reykjavik zurückkehren, laufen wir auf Ski, ohne unsere Pulkas, zu unserm ersten Dorf, besuchen die herrlichen, unter den Eiskathedralen herabstürzenden Fälle des Gulfoss und auch den aktiven Geysir Strokur, der uns mit seinen hoch aufschiessenden Wassern empfängt.

Aus dem Französischen übersetzt von Roswitha Beyer, Bern Das 7. Lager in herrlicher Umgebung. Das einzige Mal, dass zuerst die Zelte, erst dann die Mauern errichtet wurden.

Praktische RatschlägeEs ist notwendig, auf die Solidität der Pulkas zu achten: Um das Gewicht zu vermindern, hat der Konstrukteur es für richtig gehalten, für einen der Teile Glasfasern zu verwenden. Ergebnis: Von fünf Pulkas sind zwei nach einem Aufschlag bei der Abfahrt gebrochen. Man kann kaum von einem Fortschritt sprechen. Ich wage nicht, an eine Reparatur mitten im Sturm zu denken.

- Am günstigsten für diese Art von Raid sind die Monate März/April, wenn die Tage bereits genügend lang sind, das Eis aber noch nicht aufgebrochen ist. Das beginnt im allgemeinen Anfang Mai und wird durch die Rückkehr der wilden Schwäne angekündigt. Dann ist ein Unternehmen dieser Art unmöglich mehr durchführbar.

- Unumgängliche Voraussetzung ist ebenfalls eine ausgezeichnete körperliche Konstitution und ein entsprechender Trainingsstand. Vor allem aber ist für eine solche langandauernde Traversierung ein erheblicher psychischer Einsatz notwendig, jedoch bietet sie keinerlei alpintechnische Schwierigkeiten.

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