J. Heierli und W. Öchsli: Urgeschichte des Wallis | Club Alpino Svizzero CAS
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J. Heierli und W. Öchsli: Urgeschichte des Wallis

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Robert Durrer: Die Freiherrn von Ringgenberg und der Ringgenberger Handel, Jahrbuch für Schweizerische Geschichte. Band XXI. Zürich 1896.

W. A. B. Coolidge: Quelques noms de lieux dans la Vallée de Saas. Anzeiger für Schweiz. Geschichte. 1896, Nr. 6, und 1897, Nr. 1.

Die beiden Zürcher Gelehrten haben in diesem 84 Seiten starken Heft mit Karte und 9 Tafeln ihre Aufgabe, die Geschichte des Wallis in den prähistorischen Zeiten und während der Römerherrschaft aufzuhellen und auf wissenschaftlich unanfechtbaren Boden zu stellen, jedenfalls dem Ziele sehr nahe gebracht, wenn auch noch manche Rätsel übrig bleiben und nicht alle aufgestellten Hypothesen uns befriedigen. Denn, aufrichtig gestanden, waren mir die Aufstellungen des Archäologen überzeugender als die des Historikers. Herr Heierli hat nachgewiesen und mit Fundstücken belegt, daß das Rhonethal seit sehr alten Zeiten bewohnt war und ebenso ein großer Teil der Seitenthäler; es wird wahrscheinlich gemacht, durch gleichmäßige Funde beim Leukerbad und bei Frutigen, daß die Gemmi schon in prähistorischen Zeiten als Übergang diente. Das Lötschenthal, das Eringer- und Eifischthal, die beiden Visperthäler, das Binnthal waren bevölkert, so gut wie die Terrassen von Salvan, von Chandolin und Savièse und die Dransethales Prähistorische Funde sind gemacht worden auf der Distelalp, an den Hubel-wängen oberhalb Zermatt, auf dem Großen St. Bernhard, am Schallenberg oberhalb Brig, bei Schmldigenhäusern im Binnthal, zu Reckingen. Es ist also gewiß der Große St. Bernhard, sehr wahrscheinlich der Monte Moro und Theodulpaß und vielleicht auch der Simplon, Albrun und Griespaß schon vor der Römerzeit benutzt worden. Welches die Bevölkerung dieser Thäler war, kann man aus den Funden, welche von der Steinzeit durch die Bronze- und Eisenperiode bis in die römische Zeit reichen, nicht ersehen. Der Kulturzustand entspricht den gleichaltrigen Funden in der übrigen Schweiz.

Herr Prof. Öchsli hat nun versucht, durch eine bestechende Reihe von Schlüssen und Kombinationen zu beweisen, daß das Wallis vor der aus Cäsar bekannten lepontisch-keltischen Bevölkerung der Uberi, Seduni, Veragri und Nantuates schon von germanischen Stämmen besetzt war. Er verbindet die Nachrichten des Festus Avienus, eines spätrömischen Kompilators, dessen Quellen aber bis ins V. Jahrhundert v. Chr. zurückgehen sollen, über die Geographie und Bevölkerung des obern Rhone-thales mit den Notizen bei griechischen und römischen Schriftstellern über die Gäsateneinfälle von 225 und 223 in Italien, die Cimbern- und Hel-vetierkriege und die Anwohner des Mons Pœninus. Avienus nennt die Tylangii, Daliterni und Clahilci, Namen, die er selbst als barbarisch klingend bezeichnet. Öchsli vergleicht nun die Tylangier mit den Tu-lingern bei Cäsar, einem dem Namen nach germanischen Stamm, welche sich an dem Helvetierauszug beteiligten; für die Daliterner verweist er, wie andere vor ihm, auf die Dala bei Leuk; auch für die Clahilci findet sich eine, allerdings etwas gezwungene, Analogie in germanischen Stammes-namen bei Strabo und Ptolemäus. Die Gäsaten kommen von den Alpen und der Ehone, der Name eines ihrer Führer, Aneroëstes, klingt an Ario-vist und Segest an. Livius nennt die Bewohner des Pöninisehen Thales „ Halbgermanen ", und die unter Augustus ( aus alten Materialien ) redigierten Triumphalfasten lassen den Marcellus, den Besieger des Gäsatenführers Viridomar, über Insubrer und Germanen triumphieren. Das ist, wie gesagt, bestechend, und Herr Öchsli hat alles, was für seine Theorie spricht, geschickt zusammengestellt, aber dennoch kann ich meine Bedenken gegen diese Hypothese nicht überwinden. Die Zurückführung der Nachrichten Aviens auf so alte Quellen ist unsicher, die Namen sind so verzwickte, daß nichts Bestimmtes damit anzufangen ist, und Mommsen hat gewiß recht, wenn er die Bezeichnung „ Germanen " in den Triumphalfasten und bei Livius als das Ergebnis gelehrter Spekulation ansieht und glaubt, in keinem Fall könnten darunter die spätem Deutschen gemeint sein. Ich stehe also den vorrömischen Germanen im Wallis ebenso skeptisch gegenüber, wie Herr Öchsli der Frage nach der Abkunft der Lepontier und Rätier, über die er sich mit großer Zurückhaltung ausspricht. Sonst hat mir seine Darstellung der ältesten Geschichte des Wallis sehr gefallen. Ich vermisse nur eine Erörterung der Frage, ob der Simplon in römischer Zeit wirklich gebraucht worden sei, was mir noch gar nicht ausgemacht ist, trotzdem eine der Goldminen bei Gondo heute noch die „ römische " heißt. Über die Provinzialeinteilung und -Verwaltung des Wallis urteilt « r richtig. Der Zusammenschluß von Wallis und Rätien unter einem Präfekten von der Einverleibung ins römische Reich bis auf Marc Aurei setzt meiner Meinung nach die Benutzung der Oberalp und Furka als notwendig voraus, aber quellenmäßig beweisen läßt sich das freilich nicht.

Ebenfalls mit der Geschichte des Wallis, aber im Mittelalter, befaßt sich die eingehende Arbeit des Herrn Staatsarchivars in Stans. Er nennt sie einen Beitrag zur Schweizer Dynastengeschichte und zur Kritik Tschudischer Geschichtschreibung. Ich kann hier auf die zuverlässigen und wertvollen Resultate Durrers in diesen Hinsichten nicht eingehen; ich will nur hervorheben, was für die Beziehungen zwischen Bern und Wallis und den daherigen Verkehr über das Gebirge aus der Arbeit Neues zu lernen ist.

Zunächst hat Herr Durrer entschiedener, als das bisher geschehen ist, den Zusammenhang zwischen den Häusern Brienz-Ringgenberg und Raron klargelegt. Wir wissen nun bestimmt, daß diese Familie, deren Stammgüter „ von den Rhonethälern bis an den Fuß des Urirotstocks und an den Ufern des Bielersees zerstreut lagen ", von einem nicht sicher zu bestimmenden Orte Opelingen stammte. „ Im Jahr 1146 schenkt Eglolf von Opelingen Eigengüter an das Kloster Frienisberg, nachdem er den Anteil seines Bruders Diethelm gegen die Allode Raron im Wallis und Brienz, welche Rudolf von Belp und Wernher von Signau zu Lehen getragen, eingetauscht. " Unter den Zeugen figurieren Ulricus et Burchardus de Sigenowo. Man versteht nun auf einmal, warum neben Burg Rinkenberg im Bündner Oberland ( Gebiet der Abtei Dissentis ), deren Zähringer Ursprung Prof. Muoth ( Programm der Bündner Kantonsschule 1893, pag. 44 ) konstatiert hat, noch heute Dorf Zignau liegt, und wir sehen immer deutlicher in eine gewaltige Verschiebung hinein, welche im XII. Jahrhundert alemannisches Volk vom Haslithal und Brienzersee ins Wallis und nach Bünden geführt hat. Ich begreife nun auch, was lange ein Rätsel war, wie in das Walliser Volkslied von der „ Schlacht im Baltschiederthal " ( Anzeiger für Schweizergeschichte IV, pag. 354 ) die „ Unterwälder " hineingekommen sind und woher die frappante Ähnlichkeit mit einer Brienzer Sage kommt. Historisch datieren kann man nun das Volkslied aber doch nicht, weil der „ Baronenkrieg " der Zähringer Epoche, wohin es am besten passen würde, in die 73jährige ( 1146 bis 1219 ) Lücke der Ringgenberger Urkunden fällt. Der Leser dieser vorzüglichen Monographie wird leicht noch andere Entdeckungen machen; ich mache z.B. darauf aufmerksam, daß man in dem Bericht über die Revolution von 1380 die Ursachen der Kienholz- und Lammbachkata-strophen von heute ( Verwüstung der Bannwälder ) finden kann.

In Erwiderung der Aufstellungen des Herrn Iselin, über welche ich im Jahrbuch S.A.C. XXXI, pag. 396, geredet habe, hat Mr. Coolidge die Frage nach den Saaser Ortsnamen einer erneuten Prüfung unterzogen und besonders über das Alter der Benennung Mischabel peinlich genaue Untersuchung angestellt. Dazu kommt die Untersuchung über das Alter des Blattes Biella des Wörlschen Atlasses, welche Professor J. H. Graf in Bern im Anzeiger für Schweizergeschichte 1896, pag. 368, angestellt hat, und der Text zweier Urkunden aus Val Anzasca von 1250, welche Abbé Gremaud in Freiburg uns geliefert hat. Mit diesem Material läßt sich der gegenwärtige Stand der Forschung über diese Fragen etwa so resümieren: der Name Mischabel, in der Mehrzahl, ist Reisenden im Saasthal bekannt geworden mindestens schon 1822 ( Reise von Hirzel-Escher ). Er ist die zuerst im Saasthal gebräuchliche Bezeichnung für die Gipfelkette vom Täschhorn bis zur Südlenzspitze und schließt manchmal auch das Ulrichshorn, als „ Kleine Mischabel ", mit ein. Den Namen Dom hat der Domherr Berchtold bei Gelegenheit seiner Walliser Triangulation aufgebracht, als er 1833 von den Abhängen des Torrenthorns aus die Höhe des noch jetzt so genannten Gipfels bestimmte. Er meinte aber mit dem Worte „ Mischabel-Dom = Dreizack der Saaser " die Gipfelreihe Täschhorn, Dom und Nadelhorn ( siehe Echo des Alpes 1874, pag. 282, und den deutschen Originaltext Berchtolds im Festbericht der Generalversammlung in Sitten 1874, pag. 27 ). Auch Engelhardt meint, mit einer konfusen Ausnahme, mit Mischabel immer drei Gipfel. Der Name Täschhorn stammt von der Zermatter Seite, wo der Dom Grabenhorn hieß. Der Name Mischabel kann durch Begriffsvertauschung „ Mistgabel " bedeuten und Walserdeutsch sein; jedenfalls ist diese Volksetymologie so- alt wie das Vorkommen des Namens in Karten und Büchern. Die oben erwähnten Urkunden beweisen, daß der Graf von Biandrate sich 1250 das Recht sicherte, seine Hörigen in Val Anzasca nach der Majorie Visp, wo er auch begütert war, zu verpflanzen, und es ist wahrscheinlich, daß solche Verpflanzungen stattgefunden haben. Die Frage nach dem Ursprung der Saaser Ortsnamen ist freilich damit nicht entschieden und wird eben doch nach linguistischen Grundsätzen beurteilt werden müssen. Jedenfalls aber ist der historische Zusammenhang der Bevölkerungen diesseits und jenseits des Monte Rosa und Monte Moro durch die erneuten Untersuchungen klarer geworden.Redaktion.

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