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Julische Alpen

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Lisa Schellenberg-Gensetter, Davos-Dorf

Tagebuchblätter einer Sommer-Tourenwoche Samstag:

Sonnenschein und strahlende Laune sind der Auftakt zur I4stündigen Bahnreise nach Jesenice am Fusse der Julischen Alpen. Buchs—Arlberg-Innsbruck — Schwarzach-St. Veit - Badgastein — Tauerntunnel - Villach - Karawankentunnel. Städte, Dörfer, Seen, Berge, sie ziehen vorüber, die Augen werden müde vom vielen Schauen. Man freut sich auf geruhsamere Stunden im unbekannten Bergland.

Sonntag:

Graue Nebelfetzen hangen über den Gebirgskämmen, verwehren den Blick auf das Ziel der nächsten Tage. Wir verlassen trotzdem den überfüllten Bus in Radice nur zu gerne und wandern in anderthalb Stunden beschaulich durchs Tal der Planica, nicht ohne der weltberühmten Planica-Sprungschanze einen kurzen Besuch abzustatten. Düster stehen die Tannen riesengross um das zweigieblige, fremdartig anmutende Tamarhaus, darüber wuchten abwei- send steile Felsenmauern im feinen Nieselregen. Der nachmittägliche Ausflug hinauf zur Sleme fordert trotz der unfreundlichen Witterung die ersten Schweisstropfen. Schemengleich verlieren sich die Bäume des knorrigen Bergwaldes in der triefenden Feuchtigkeit. Für kurze Minuten erscheint geisterhaft die kühne Trutzgestalt des Jalowec aus dem Wolkengebräu, unwirklich schön. Beneidenswert die Kletterer, die morgen dort drüben den luftigen Weg suchen werden...

Montag:

Es sollte anders kommen. Programmgemäss frühe Tagwache bei der Klettergruppe, des Himmels beharrlich geöffnete Schleusen missachtend. Wenn die Hoffnung nicht wäre! Doch weder Sonne noch Hüttenwart mit Frühstück erscheinen, dafür ertönen lautstarke Diskussionen unter den Hüttenfenstern von Tamar. Schliesslich: gemeinsamer, friedlicher zweistündiger Anstieg am späten Vormittag zum zweitenmal zur Sleme mit Abstieg zum Vrsicpass. Die Passhöhe mit Autostrasse und Kiosken lockt uns nicht zum Verweilen, und kurz nachher sitzen wir schon bei einer wärmenden Suppe im heimeligen Postarhaus. Sangesfreude und Humor schwellen mit der wachsenden leeren Flaschen-batterie an, während die Nachmittagstunden unbemerkt bei strömendem Regen in einen frühen Abend übergehen, und wenig gute Aussichten eröffnen sich für die geplante Überschreitung des Prisonjik, dessen reichgegliederte Wand sich finster im Nebeltreiben aus krummholz-bewachsenen dunkeln Sockeln erhebt. Darum wird munter weitergesungen und -getrunken, bis der Keller der guten Tranksame beraubt ist, mit der Wirkung, dass auf dem Nachtlager manch gewagtes Sprüchlein fällt; insbesonders wird eine jugoslawische Verbotstafel mit viel Phantasie « wortgetreu » übersetzt.

Dienstag:

Regen, Regen und noch einmal Regen. Selbst die unverwüstlichsten Optimisten kapitu- Heren. Der Prisonjik wird mitsamt dem Jalowec-Traum begraben. Der Entschluss, einen weiteren Tag auf Wanderpfaden zu verbringen, ist sicher nicht so leicht gefallen. Aber es sollte wieder einmal anders kommen, sogar ganz anders. Nach langem Herumtrödeln endlich Aufbruch um io Uhr zum Marsch Richtung Pogacnikhaus. Wozu auch eilen, laut Programm ist dieser Spaziergang ja nur drei Stunden weit! Doch etwelche Gerüchte verhiessen uns sieben Wegstunden, was nicht zu überzeugen vermochte, da die schlechte Karte keinen Aufschluss darüber gab. Ein stürmischer Wind peitscht den kalten Regen ins Gesicht, die Pelerinen werden unbarmherzig aufgestülpt und flattern wie Fahnen über unsern Köpfen. Gespenstern gleich trabt man ergeben über den schmalen Geröllpfad längs des Prisonjiks. Eine unterwegs ins Tal weisende Tafel wird kaum beachtet; wir wollen ja nicht ins Tal, sondern zum Pogacnikhaus, und zwar so rasch wie möglich. Also aufwärts, nichts als aufwärts! Mir ist, als ob der Weg nicht mehr sehr ausgetreten sei; dazu blühen ganze Grüpplein Edelweiss zu unseren Füssen - ein wunderschöner Anblick in all dieser trostlosen Eintönigkeit. Ein steiles, hartes Schneefeld ohne Trittspur — ein weiteres Verdachtsmoment; doch nachher zickzackt « es » im stark geneigten Grashang und Geröll noch einmal gut markiert höher. Plötzlich stehen wir, statt auf dem erhofften Übergang - an einer düsteren Felsmauer. Drahtseilgeländer und Eisenstifte sichern einen luftigen Klettersteig, der sich im grauen Nichts des Nebels verliert. Da hat Hitsch eine spontane Erleuchtung: « Dr Schuss isch dusse, mer sind am Jubiläumswäg ». Dieser führt vom Prisonjik zum Razor; Hitsch erkennt das Gelände von einer früheren Überschreitung des Prisonjiks. Unser Wanderweg schwenkt offensichtlich bei jener Tafel ins Tal und erst nachher wieder zur Höhe des Passes. Diese späte Erkenntnis hilft jetzt wenig. Es gibt nur eines: die Wanderer werden notgedrungen zu Kletterern, und die Kletterer kommen noch un- verhofft zu einem bescheidenen Kraxelgenuss. Angeseilt pirscht man sich um die unzähligen Felsnasen über luftigen Abgründen, auf und ab, quert auf schmalen Bändern die endlos scheinende Wand, bis sich unversehens ein Tor im steilen Kalkgestein öffnet: das berühmte « Fenster », wie von Geisterhand in die Wand gehauen, nimmt uns auf. Stilles Staunen lässt uns die Stunden der Mühe und Kälte vergessen. Schade, dass nicht der blaue Trentahimmel durch die gegenüberliegende Öffnung lacht. Doch wenigstens regnet es nicht mehr, und nach dem Abstieg im Steilcouloir gibt 's endlich eine kurze Rast, wo Walley ironisch feststellt, dass wir laut Schlechtwetterprogramm längst im Pogacnikhaus den fälligen « Zweier » inhalie-ren sollten. Doch die Tatsachen sehen bei weitem weniger verlockend aus. Steil bäumt sich der Söller unter dem Razor zum ersehnten Übergang. Mit viel Abwechslung und weniger ausgesetzt als bisher können wir jedoch in einer Stunde dieses Ziel gewinnen. Jenseits des Sattels liegt endlich tief unter uns, im weiten Kar, die Hütte. Wie ist man froh, die schweren Säcke nach der achtstündigen Tour in die Ecke stellen zu dürfen! Ein prächtiges Nachtessen muntert auch die missgelauntesten Gemüter wieder auf, und man ist sich ausnahmslos einig, dass wir dem Zufall eine erlebnisreiche Bergfahrt zu verdanken haben.

Mittwoch:

Sonnenlicht sickert durch den Nebelvorhang, der weiterhin alle Gipfel einhüllt. Da gibt es weder Rast noch Ruh für die Kletterer. Auf den Stenar muss gestiegen werden, koste es, was es wolle. Nun, gerade viel Anstrengung verlangt dieser Gipfel nicht; dafür schenkt er uns endlich, wenn auch nur ein Stück weit, Aussicht in die versteinerten Zaubergärten des Triglavkö-nigs. Dort, über dem Vratatal, steht die tausend Meter hohe Triglavwand ( Nordwand ), gekrönt vom höchsten Gipfel der Julischen Alpen. Wie tief sind hier doch die Taleinschnitte, wie steil selbst die gewöhnlichen Wanderwege! Eine unangenehme Geröllschinderei ist dieser Abstieg vom Sovatnasattel zum Aljazerhaus. Der Blick sucht dabei gar oft die gegenüberliegende Tri-glavnordwand, und man fragt sich im geheimen, ob in diesen wilden Felsschluchten ein Aufstieg für die « Wanderer » möglich sei. Höhepunkt des Tages ist natürlich die Ankunft der jugoslawischen Freunde von Hitsch, und bald haben die jungen Leute, besonders die beiden reizenden Frauen, die Herzen der Männerwelt erobert. Das Nachtlager über einer Garage mit Benzindepot im Nebengebäude des Aljazerhau-ses bringt nicht die nötige Ruhe vor der grossen Triglavtour. Der Benzindunst verursacht bei den meisten Übelkeit, und der notwendige Gang ins Freie weckt auch die Gesunden.

Donnerstag:

Eine ziemlich angeschlagene Gesellschaft frühstückt bei Kerzenlicht und ernährt sich hauptsächlich von Tee. Zum erstenmal ist der Himmel wolkenlos - ein Geschenk für die grosse bevorstehende Tour. Vorbei am Partisanendenkmal aus dem Zweiten Weltkrieg geht 's zum Fuss der Wand, wo Kletter- und Wandergruppe sich am Einstieg zum Zimmer-Janweg bald trennen müssen. Unter Führung von Ernst Reiss, der gestern abend auf dem Aljazerhaus zu uns stiess, nehmen die Kletterer den senkrechten Fels in Angriff. Wir Wanderer steigen über die verschiedenen Steilstufen des Pragweges, der reichlich mit Eisenstiften gesichert ist, zum Firnfeld unter dem Triglavgipfel empor. Gewaltig auch hier der Tiefblick und die Wildheit der gegenüberliegenden Bastionen aus blendendweissem Kalkstein. Überraschend schnell setzt sich schon wieder eine Nebelhaube auf das Haupt des Triglav, während wir nach einem etwas mühsamen letzten Schneetippel nach sieben Stunden über die Schwelle des Tri-glavskidoms stolpern. Das letzte Stück zum Gipfel wollen wir uns gemeinsam mit der Klettergruppe am Drahtseil hinaufhissen. Nach 1Das « Fenster » am Jubiläumsweg; Prisonjik 2Der Jalovec, vom Ruzor aus etwas unruhiger Wartezeit taucht endlich am Nachmittag die erste Seilschaft unten am Ausstieg des Kugibandes auf, und bald geht 's an ein Fragen und Erzählen. Bert wurde durch Steinschlag an der Schulter verletzt; es hätte bös enden können; doch er lacht schon wieder in seiner unverwüstlichen guten Laune. Befriedigt sitzen wir vereint, wieder einmal vom Grau des Nebels eingehüllt, auf dem Triglavgipfel, und man reisst sich um den Gipfelstempel, der die Tourenbücher aller jugoslawischen Bergsteiger zieren muss — und unsere natürlich auch! Überhaupt wurde diese Stempierei nachgerade zu einer Sucht; jede Hütte, jeder Bergspitz lässt sich so verewigen, nur dass wir unsere Trophäen nicht auf irgendeinem Büro vorweisen können wie die Jugoslawen, um damit irgendeinen Grad als « Bergsteiger erster Klasse » zu erringen.

Freitag:

Kalter Wind braust um das Triglavhaus. Wir sind froh, schon gestern den Gipfel bestiegen zu haben, und streben abwärts, wärmeren Gefilden zu. Ein Nebelmeer liegt in der Senke von Bled. Wechselnde Wetterlaunen begleiten uns im Abstieg übers Planikahaus zur Dolichütte. Weiter über den Hribaricepass, das Tor ins Märchenland der Sieben Seen. Ein Abstecher zur Kanjavechütte in der Nähe des obersten Sees gewährt einen kurzen Blick ins Trentatal. Eisschollen treiben noch auf dem Wasser in der toten Einöde; dann das metallen schimmernde Auge des zweiten Sees, auch grüner See genannt, in dem sich die Klippe der Ticarica spiegelt. Welch wundersames Rasten auf sattgrü-nem Wiesengrund, der mit Dutzenden von Edel-weiss-Blütensternchen besteckt ist. Unglaublich die Blumenpracht rund um die Sieben-Seen-Hütte. Leise schaukeln kurzstielige Akeleien zu Tausenden im Abendwind, und die exotischen Blütenköpfe des Türkenbunds leuchten rot durch eine Wildnis riesiger Distelköpfe. Wie geniesst das Auge all die Farbenpracht nach der 1.

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3Triglav mit Partisanendenkmal 4Im « Tal der sieben Seen »: Grünsee ( 2. See ) mit Ticarica Photos L. Gensetter, Davos grellweissen Eintönigkeit der eben verlassenen steinernen Felsenmeere rund um den Triglav! Wo finden wir noch solch reiche, unberührte Blumengärten wie hier im Jugoslawischen Nationalpark?

Eine blasse Mondsichel hängt am Abendhimmel über dem zerrissenen Grat der Lepa, schweigend steht der Hochwald rings um den fünften See, aus dem uns unwirklich die Lichter des Hauses entgegenblinken.

Samstag:

Abschied nehmen wir vom Reich der Stille. Die melancholische Düsterkeit des untersten Sees, tief zwischen hochgewachsenen Fichtenbe-ständen, weicht bald dem fernen blinkenden Wellenspiel des Wocheinersees unter der fast senkrechten Comarcawand. Durch diese Wand führt der Weg hinab in die Geschäftigkeit des Talmenschen, in die Ruhelosigkeit des Verkehrs. Die Betriebsamkeit des südlich wirkenden Kurortes Bled am idyllischen Seegestade vermag die leise Sehnsucht nach den vergangenen Bergtagen nicht zu übertönen.

Sonntag:

Die Heimreise auf der gleichen Route ist mühsam und lang; doch die Gedanken wandern zurück, und hell erklingt das Bergvaga-bundenlied zum Abschied an die unvergesslichen Gipfel und Täler mit ihren liebenswerten Menschen - dort, im fernen Jugoslawien.

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