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Jungfrau

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Robert Schönbächler, Zürich

Wie der Berg zu seinem Namen kam? In der Festschrift zum 50. Geburtstag der Sektion Lau-brunnen ( ign-igôi ) heisst es, dass es Mönche des Klosters Interlaken waren, die der makellos rein und unnahbar über alles Weltliche erhaben glänzenden Gestalt am hohen Horizont im 14.Jahrhundert den magischen Namen gaben. Dies dürfte aber nicht die einzige Deutung sein, wird doch von anderer Seite behauptet, die Anwohner hätten den Berg auf den Jungfrauennamen getauft, weil er ein von ewigem Schnee und Eis starrender Berg und darüberhinaus durchaus unzugänglich sei. Im bekannten Hochgebirgsführer von Coolidge, übersetzt und herausgegeben von Dr. H. Dübi, findet sich der Hinweis, dass die Walliser dem Berg den Namen « Fraueli-horn » gegeben hätten. Zutreffender erscheint aber die Erklärung, dass bei den Augustinerinnen von Interlaken, die um 1257-1484 Weiden am Fusse der Jungfrau besassen, in einem alten Einkünfterodel der Name « Jungfrauberg » für eine solche Weide vorkomme. Diese Theorie stützen auch Urkunden, wonach die Augustinerinnen 1386 « 23 Kuhrechte auf der Weingeren-Alp » -womit sicher die Wengernalp gemeint ist - kauften. Damit wären wir auch wieder in der Nähe der Namengebung durch die Mönche von Interlaken angelangt. Ist es aber nur Zufall, dass in unmittelbarer Nachbarschaft der Jungfrau die sanftere Bergkuppe auf den Namen Mönch getauft wurde? Wie dem auch sei: ein schöner und treffender Name wurde für das dominierende Eismassiv über den Lütschinenwassern ausersehen, ganz geeignet, die Bergsteigerherzen höher schlagen zu lassen.

Erst sechs Jahrhunderte nach der ersten Namengebung gelang den Gebrüdern Johann Rudolf und Hieronymus Meyer aus Aarau mit ihren Führern Josef Bortis und Alois Volker am 3. August 1811 die Erstbesteigung der Jungfrau vom Lötschental - Konkordiaplatz aus. Und welche interessante Geschichte würde das Jungfraumassiv wohl zu erzählen wissen, etwa über die Erschliessung des Gebietes durch den gradiosen Bau der Jungfraubahn im Jahre 1912, über die Traversierung des Jungfraujochs im Freiballon vom gleichen Jahr oder die erste Überfliegung im einmotorigen Hochdecker durch Oskar Bider auf seinem Flug von Bern nach Mailand. Doch noch ein Ereignis verdient in Zusammenhang mit dieser Betrachtung festgehalten zu werden: die erste Traversierung im Segelflugzeug am 6. September 1935, als Pilot Hermann Schreiber seinen « Condor » auf der Höhe des Jungfraujochs vom Schleppflugzeug losklinkte, in den aufsteigenden Luftströmen zum Breithorn und Bietschhorn segelte, dann die Simplongegend ansteuerte und schliesslich in abendlichen Thermikwinden über das Centovalli nach Locarno flog und in der Magadinoebene landete. Ruft da die Jungfrau uns Bergsteigern nicht so nebenbei auch ihre grosse Bedeutung in der Geschichte des schweizerischen Bergbahnbaus und der Luftfahrt in Erinnerung? Vor allem aber weiss die Jungfrau- und wie könnte man von einer « jungen Dame » etwas anderes erwarten — ihre Reize dem Bergsteiger verlockend vor Augen zu führen; sie fasziniert ihn nicht nur, wenn er von Wengen, Murren oder Interlaken aus zu ihr aufschaut; auch vom Mittelland oder den Jurahöhen aus, wenn etwa ein Föhntag den ganzen Alpenkranz in klarem, hartem Licht hervortreten lässt, erscheint das Jungfraumassiv in majestätischer Dominanz. Und wer schon einmal am Morgen früh auf dem Jungfrau-Gipfel gestanden hat und über das noch im Dämmerlicht dösende Lauterbrunnenta ) nach Mürren und darüberhinaus zum Thunersee und ins dunstüberlagerte Mittelland blicken durfte, den zieht eine magische Kraft immer wieder da herauf.

Darum sage ich meinen mir durch schon so manche Fahrt verbundenen Berggefährten Heini, Fritz und René von Herzen gerne mein Mithalten zu. Unser Plan, über den Rottalgrat die Jung- frau zu besteigen, stand schon im Frühjahr fest, und entsprechend hatten wir auch unsere Früh-jahrsfahrten abgestimmt. Am dritten Sonntag im August 1967 verlassen wir Zürich bei strömendem Regen. Auftrieb gibt uns nur der Wetterbericht, und keiner von uns wagt ein Wort des Zweifels zu äussern.

Gegen 19 Uhr erreichen wir bei nebligem, aber nur noch feuchtem Wetter die Rottalhütte, die wir allein schon wegen ihres mehr als 60 Jahre alten Gewandes sofort liebgewinnen und die uns köstliche Gedanken über den Hergang des einstigen Hüttenbaus spinnen lässt. Die auffallend kurzen, aber zimmermannsgerecht verbundenen und im Laufe der Jahre und Ereignisse fast schwarz gewordenen Holzbalken erwecken in uns Gefühle der Geborgenheit und Zuversicht, für welche wir Bergsteiger vor einer grossen Fahrt so aufnahmefähig und dankbar sind. Wie wir im abendlichen Dämmerlicht zu Tische sitzen, fällt auf einmal helleres Licht in die Stube. Erwartungsvoll eilen wir ins Freie: Wunderbar lichtet sich stellenweise der Hochnebel, und die letzten Sonnenstrahlen lassen die NW-Wände des Gletscherhorns und der Ebnefluh im Alpenglühen aufleuchten. Wir ahnen das grandiose Schauspiel eines prachtvollen Sonnenuntergangs, der über einem wogenden Nebelmeer wohl den Alpenkranz dunkelrot und weithin leuchten lässt, und sind glücklich in der Hoffnung, dass morgen Sonnenschein und klares Wetter unsere Fahrt zur Jungfrau begleiten werden. Darin bestärkt uns auch ein aufkommender frostiger Nordwind.

Um 04.45 Uhr verlassen wir bei klarem Sternenhimmel die uns liebgewordene Unterkunft. Wenn wir auch ab und zu die von der Hütte wegführenden Wegspuren in der noch herrschenden Dunkelheit verlieren, so erkennen wir doch anhand der hoch oben aufblitzenden Taschenlampen zweier deutscher Bergsteiger, die eine Stunde vor uns aufgebrochen sind und schon am Übergang zum inneren Rottalgrat klettern, dass unsere Aufstiegsrichtung stimmt. Die immer häufiger und während längerer Zeit umherstreifenden Lichtkegel mahnen uns aber, auf den mit Steinmännchen gelegentlich signalisierten Pfad ganz besonders zu achten. Wir vermuten, dass die deutschen Berggefährten den Weg verloren haben. Da ragen ganz unvermutet die elegant geschwungenen Hörner eines prächtigen Steinbocks in den leicht erhellten Morgenhimmel. Der selbstsichere Kerl lässt uns auf wenige Meter an sich herantreten; in stoischer Ruhe scheint er sogar diese unerwartete Begegnung zu geniessen und zu wissen, was für einen nachhaltigen Eindruck er auf uns macht. Dieses Erlebnis verdanken wir der grossen Aufgeschlossenheit unserer Väter, die dieses prachtvolle Wild hier wieder einbürgerten und den Segen des Jagdbannbezirkes erkannten. Noch lange kreist unser Gespräch um diese unerwartete, seltene Begegnung.

Wie wir den inneren Rottalrücken erreichen, wird es vollends hell. Bald holen wir im immer noch leicht begehbaren Gelände die vorangehenden deutschen Gefährten ein, die uns bestätigen, die obersten Wegspuren am Rottalrücken verpasst zu haben. Sie erzählen uns auch von ihren vier Kameraden, die sich am gleichen Morgen an die Besteigung der Ebnefluh-Nordwand wagten und die auch sie noch nicht erspäht haben. Ein kalter Fallwind lässt uns gerne unsere ziemlich ausgedienten Fingerhandschuhe überziehen, nachdem wir uns in zwei Partien angeseilt haben. Dann führt uns Heiri über heikel abwärts geschichtete Schrofen an Absätzen vorbei und durch eisüberzogene Kehlen zum ausgesetzten Schneegrätchen hinauf. Wir bemerken von hier aus das unterste fixe Seil und sind glücklich, uns auf der rechten Route zu befinden, denn noch ist keiner von uns über den Rottalgrat geklettert. Haben wir bis anhin nur sporadisch mit Schnee- und Wassereis überzogene Kletterstellen angetroffen, so häufen sich diese nun immer mehr. Ja, selbst die folgenden dicken fixen Seile sind stellenweise vereist und eingeschneit. Wir erkennen, dass viele der Kletterstellen ohne diese Seilhilfen nur sehr schwer und da und dort nur unter Hakensicherung zu bewältigen wären. So wissen wir bei diesen Verhältnissen auch die zwischen den fixen Seilen eingeschlagenen Eisenstifte sehr zu schätzen. Immer noch steigen wir im Schatten auf, doch, aufwärts blickend, gewahren wir bereits einige Podeste, die im Gegenlicht der aufsteigenden Sonne begehrte Sicherungsplätze versprechen; wir freuen uns darauf. Der fast durchwegs lose Fels erfordert bei drei gleichzeitig kletternden Partien sorgfältiges Steigen und Sichern. Und doch kommen wir behende vorwärts.

In dem gewaltigen, 600 Meter steil aufgerichteten Schlussstück der Nordwand der Ebnefluh entdecken wir nun auch kleine, stetig aufwärts rückende Punkte: Es sind die Kameraden unserer zwei nachfolgenden deutschen Gefährten. Wir bewundern die vier Alpinisten, die diese insgesamt 1000 Meter hohe Firn- und Eiswand anpackten und sehr rasch schon bis zur Hälfte vorangekommen sind.

Auch unsere Aufstiegsroute stellt sich als überraschend steil heraus, doch finden wir immer wieder gute Sicherungsplätze. Unaufhaltsam führt uns unser Heiri hinauf, bald da, bald dort eine seiner Sicherungsschiingen an einer Felsnase oder in einem Riss einhängend. Nicht nur das Seil ist es, das uns verbindet, auch unsere Gedanken eilen von einem zum andern. Volle Aufmerksamkeit müssen wir den Verhältnissen schenken und besonders den verschneiten Felsen und den Steinen, die oft nur einen trügerischen Halt gewähren. Bei aller Vorsicht können wir es doch nicht verhindern, dass sich hie und da einer unter unsern Füssen oder Händen löst. Angstvoll verfolgen wir dann seine tollen Sprünge und machen unsere nachfolgenden zwei Partien durch Zurufe auf die drohende Gefahr aufmerksam. Mit uns gewinnt aber auch immer mehr die Sonne an Höhe, können wir uns nun doch fast bei jeder Seillänge auf einer der besonnten Kanzeln nachsichern.

Glückliche Genugtuung und Erleichterung empfinden wir, wie wir den im letzten Teil durchwegs mit Schnee und Eis bedeckten Rottalfelsen entsteigen und auf den Hochfirn treten können. Nun sind wir den Schwierigkeiten entronnen. Ein gutmütiger Hochfirn lässt uns mit den Steigeisen nach einer ausgiebigen Rast in flottem Schritt gipfelwärts ziehen. Meine Gedanken sind bei jenen vier jungen Bergkameraden, die ein Jahr zuvor an dieser Stelle biwakieren mussten und in tagelangem, schwerem Sturm, der jeden Rettungsversuch vereitelte, infolge Sauerstoffmangels im Schneeloch ihr Leben verloren. Und in der Tat, kein schützendes Felsgrätchen und keine Schneewächte, nur hochgezogener, absolut offener Firn muss hier jeden Menschen ganz besonders hart der Unbill von Wetter und Sturm aussetzen. Uns kommt auf diesem isolierten, obersten Gletscher-balkon der Jungfrau zum Bewusstsein, wie wichtig für diese anspruchsvolle Fahrt gute und sichere Wetterbedingungen sind, denn im Falle eines Wetterumschlages gibt es vom Hochfirn aus kaum ein Zurück. Immer wieder blicken wir hinunter über die eindrucksvollen, steil abfallenden Grate und Couloirs ins Rottal, in die Tiefe zum feinen Silberfaden des Schmadribachs und zu den aus der Vogelschau topfeben scheinenden grünen Matten.

Gedanken machen wir uns wegen der zwei Seilschaften in der Nordwand der Ebnefluh. Die vier Kameraden scheinen rund 150 Meter unterhalb des Gipfels im steilsten Stück der Nordwand blockiert zu sein. Wir vermuten, dass sie irgendwelche Schwierigkeiten zu meistern haben und dass der beträchtliche Neuschnee der Vortage und eine möglicherweise perfide Eisunterlage besondere Probleme stellen.

Ganz unerwartet nehmen wir im obersten Teil des Hochfirns, dort, wo er sich von den Felsen des Jungfraugipfels löst, Aufstiegsspuren wahr: Die Guggiroute muss im Aufstieg begangen worden sein! Diese freudige Feststellung lässt uns das ganze morgige Programm—mit der Jungfraubahn zur Station Eismeer und Aufstieg zur Mittellegihütte, übermorgen über den Mittellegigrat zum Eiger -durcheinandergeraten. Denn eine gespurte Guggiroute sollte man sich nicht entgehen lassen! Im Weiteraufstieg zu den Felsen der Normalroute fragt sich jeder von uns im geheimen, ob wir ange- sichts dieser Verhältnisse nicht die Guggiroute nach neuerlichem Aufstieg zur Jungfrau vom Joch her geniessen sollten. Mir ginge damit ein ganz grosser Wunsch in Erfüllung, und ich meine, dass der Mittellegigrat doch auch noch später drankommen könnte. Immer eindringlicher und begehrlicher melden sich diese Wünsche im Weiteraufstieg zur Jungfrau. Doch dann stehen wir auf dem Gipfel und lassen die majestätische Pracht der Bergriesen der Berner und der Walliser Alpen auf uns einwirken. Bei Windstille und prächtigem Sonnenglanz dürfen wir all das wahrhaft Wunderbare in uns aufnehmen. Linkerhand, vom Jungfraujoch her, reflektiert die neue Kuppel des Sphinx-Observatoriums die Sonnenstrahlen zu uns herauf, und im Bereiche des Rottalsattels können wir mehrere Partien erkennen, die sich teils im Abstieg, teils aber noch im Aufstieg befinden. Doch immer wieder müssen wir die unzähligen Gipfel, Grate und Gletscher bewundern.

Im Abstieg zum Rottalsattel überholen wir italienische Seilschaften, die uns mit komplizierten Seilmanövern und mit ihrer zur Schau getragenen « Schlosserei » inklusive Helmbewehrung eher negativ beeindrucken, herrschen hier doch gute Firn- und Felsverhältnisse vor. Im Rottalsattel finden wir zu unserem grossen Erstaunen keine direkte Routenspur mehr durch die Rottalmulde zum Jungfraujoch, wie wir dies von früheren Besteigungen her gewohnt waren. Bergführer erzählten uns dann später im abendlichen Gespräch im Jungfraujoch, dass der Schrund unterhalb des Rottalsattels « für die im Joch anfallenden Touristen » zu schwierig geworden sei, so dass man den Umweg über den Ostsporn des Rottalhorns gewählt habe. Unsere glückliche Stimmung lässt uns aber auch noch mit dieser Einlage in zwar verlangsamter, müde gewordener Fahrt fertig werden. Zufrieden und dankbar kommen wir zum Sphinxstollen. Die letzten Sonnenstrahlen streifen über dem Konkordiaplatz die Bergspitzen himmelwärts; kein Wölkchen ist zu sehen.

Anderntags stehen wir frühmorgens schon wieder beim Gipfelsignal der Jungfrau. Unsere heu- tige Fahrt gilt nun der umgekehrten Traversierung: über die Gletscher der Guggiroute zur Kleinen Scheidegg. Länger, als dies üblich ist, verweilen wir auf dem Silbersattel, unserem letzten Aussichtspunkt auf die gestrige Route. Blicke — Gedanken — Worte gelten der prachtvollen Fahrt aus der Tiefe des Rottals zum Hochfirn und zur Jungfrau. Noch einige Male blitzen auf der folgenden grossartigen Eisfahrt an den Silberhörnern vorbei die schönsten Stellen der Rottalroute auf. Wir alle sind einfach glücklich über unser Dasein-Dürfen auf diesem auserlesenen Pünktchen der Erde, wie man ein solches kaum anderswo findet und dessen Beschreibung immer nur menschlich und darum unvollkommen sein kann.

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