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Jura und Alpen - Vom Stil der Gebirge

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Von Valentin Binggeli

( Langenthal )

I. Eingang

Jedes Gebirge hat seinen Stil. Es ist hier aber nicht allein Architektonik, die diesen Stil ausmacht und prägt. Durch den Bau ist wohl der Grundcharakter grob gezeichnet, erst das gesamte Bild aber, in der durch Bau und Lage bedingten Eigenart, formt den Charakter eines Gebirges, seinen Stil. Wie grosse Kräfte das Gebäude des Gebirges schufen, so formen weiter Boden und organische Natur den Menschen und seine Werke. Aus der Dreiheit Untergrund - lebende Welt - Kultur wird im Zusammenleben, im Gegen-, Durch- und Mit-einanderwirken, eine harmonische Einheit. Diese Dreiheit in der Einheit prägt die Eigenart des Stils.

Um den Inhalt dieser Stilarten zu finden, werden wir nun immer wieder kompetente Sprecher, neben Forschern besonders auch Dichter, anhören, denen wir, und ihren Worten, wohl vertrauen dürfen: ihre Sprache spricht nicht über eine Landschaft, sondern in und aus dieser heraus.

Alpen und Juragebirge bilden mit dem flachem Hügelland der Mitte die drei Haupt-einheiten der schweizerischen Landschaft. Wenn wir hier den Stil der Gebirge schauen, so wissen wir, dass im Grund natürlich jede Landschaft ihren Stil besitzt. Das Gebirge aber, als von Geburt an ausgezeichnete Landschaft, machte von jeher auf den Menschen einen besonderen Eindruck.

Die Stilarten der Gebirge sind so verschieden wie Grösse, Gewalt, Besonderheiten dieser Gebirge und wie ihr Eindruck auf den einzelnen Menschen. Wenn wir im weiteren versuchen, die Charaktere von Alpen und Juragebirge darzulegen und einander gegenüberzustellen, so heisst das nie, dass wir den « Grossen und Vielfältigen » dem « Kleinen und Einfachen » überordnen wollen. Es gibt wohl eine Klassierung in faunistischer, floristischer, tektonischer, geologischer, orographischer Hinsicht etc., aber keine der landschaftlichen Eigenart, und um diese geht es uns hier im besonderen.

So hat der Jura einfach sein Gesicht, das in seiner « stilvollen Einfachheit » eigentlich gar nicht mit der gigantischen Gewalt und Mannigfaltigkeit der alpinen Gebirgswelt verglichen werden kann; wir können nur mit feinem Gefühl die beiden nebeneinander betrachten. Es wäre grober und vermessner Sinn, wenn wir landschaftliche Schönheit und Eigenart klassifizieren wollten.

II. Der Jura

Wenn im Mittelland der Bauer vom Pflug aufschaut, gilt sein Blick wohl erst dem strahlenden Firnediadem der Alpen, dann aber wendet er sich auch und grüsst die blauen Bergzüge des Juras. In Staunen schaut er auf zur Hoheit des Hochgebirges - in freundlicher Vertrautheit blickt er hinüber zum « lieben blauen Berg ».

Hie Höhe, Grösse und Gewaltigkeit! scheint uns das Gipfelmeer im Süden zuzurufen. Im Nord die blaue Linie: Hie Einfachheit, Bescheidenheit, Bemessenheit!

Im Gegensatz zu den Alpen ist der Jura von Grund auf einfach gestaltet. Wie in den Alpen die allgemeine Kompliziertheit im Bau beginnt, so beginnt auch dort die Einfachheit des Juragebirges. In seinen Klüsen treffen wir instruktivste Beispiele einfacher Faltentektonik. Die Jurafalten sind ihrer Einfachheit wegen berühmt. Eduard Suess bezeichnet den Jura als « Muster eines durch einseitige Bewegung erzeugten, durch Stauung an fremden Massen festgehaltenen Gebirges ».

Und wie die Alpen, sind alle Kettengebirge der Erde, der Apennin, die Karpaten, die Pyrenäen, der Ural, der Kaukasus, der Himalaya, die Kordilleren usw. gefaltet. Aber in keinem einzigen Gebirge tritt die Faltung so klar und einfach hervor wie im Jura.

( Hermann Walser x ) Klarheit und Einfachheit der jurassischen Tektonik bedingen bis zu einem gewissen Grade die Einfachheit des Gesteinsmosaiks. Dann kommt dazu, dass wir hier keine Erup-tiva haben und als Folge auch keine metamorphen Gesteine. Der Jura ist ein ausgesprochenes Sedimentgebirge: vorherrschend sind Kalke, untergeordnet Tone und Sandstein. In der sorgfältigen Faltung der Sedimentkomplexe liegt der Umstand, dass die darin verpackten, versteinerten Tiere und Pflanzen so gut erhalten geblieben sind. Die wunderbaren Jura-fossilien, uns oft Zeugen einer andersartigen, verschwundenen Welt, sind hochberühmt. So werden auch eine Epoche des Mesozoikums und ihre Gesteinsprodukte nach diesem Gebirge benannt: Jurazeit, Juraformation.

Von Gesteinsmaterial und Baugefüge her führt die « Linie der jurassischen Einfachheit » in logischer Fortsetzung zu organischer Natur und Mensch. In der organischen Welt wird die Linie zur Fläche: die weiten Wald- und Weidegebiete! Auch bei den Menschen in ihren Sprach-gesellschaften und Gegenden besonderer Sitten und Bräuche finden wir eine relative Gross-flächigkeit. Im Grunde ihres Wesens sind Natur und Mensch im Jura von einer feinen Einfachheit, einer Bescheidenheit und Zurückhaltung - das ist die Grösse jurassischen Charakters. Kurz und klar können wir vielleicht eine alpin-jurassische Differenzierung erhalten, wenn wir der « alpinen Mannigfaltigkeit und Fülle » Hermann Walsers « stilvolle Einfachheit » des Juragebirges gegenüberstellen.

Das Landschaftsbild des inneren Gebirges ist von stilvoller Einfachheit. Wer auf seinen Höhen dahinwandert, durchschreitet stundenlang lichte, vom Weidenvieh angefressene Wälder von Weiss- und Rottannen, knorrigen Buchen, bemoosten Ahornen, Erlen mit silbern blinkendem Laube, dann blumige, aber magere, oft durch Steinmauern abgeteilte Weiden auf rissigem, rötlichem Erdboden. Er blickt in ein dicht-bevölkertes Längstal hinunter, das mit grünen Wiesen in verschwimmende Fernen zieht...Hermann Walser 2 ) Da führt der Weg am Südrand des Bergrückens hart über steilen, heissen Kalkflühen dahin. Die Tannen, die ihre Wipfel heraufrecken, müssen sich mit ihrer derben Wurzelfaust fest im Gestein einklammern, um sichern Stand zu finden. Dann wieder schreiten wir über eine sonnige Hochweide und freuen uns an den Herdenglocken ruhig grasender Rinder. Ein niederes Schindelhaus mit weiter Stallung duckt sich an eine wettergeschützte Lehne hin, und ein Wässerlein zieht in den hellen Grund einen Strich von dunklerem Grün. Und auf einmal wieder springt aus dem sanften Gelände eine nackte Felsklippe auf, kühn und schroff wie eine der Bergruinen, die da und dort auf den seitlichen Ausläufern stehen, und unser Weglein windet sich mühsam daran vorüber. Nun wieder geht 's durch trockenen, sandigen Heideboden, auf dem spärliche Föhrenstämme ihre dunkeln Schirme sehnsüchtig ins Licht erheben. Im falben Grase schimmert die Silberdistel mit ihrem weissen Strahlenkranz, und über dem Wege schwebt ein Falter mit braunen, sammetfeinen Flügeln.Arthur Frey ) 1 Hermann Walser: Die Schweiz, Begleitwort zur eidgenössischen Schulwandkarte; Bern 1908.

2 Hermann Walser: Landeskunde der Schweiz; 1908.

Dem Jura fehlen die Saisons, Palaces und Casinos. Seine Entwicklung ist einen andern Weg gegangen, und seiner Schönheit haftet noch der Erdduft an. Oft wenn unten in der Ebene die Sonne lacht, streichen schwere Regenwolken über die dunklen Tannenspitzen hinweg, und wenn wir erst noch am Rand seiner Hänge auf einen seiner wortkargen Bauern stossen, dann scheint alles manchmal eher aufzufordern, den Fuss nicht weiter zu setzen und davon abzustehen, dem holperigen Weg durch den dichten Waldbestand zu den kahlen Höhen zu folgen. Wer aber einmal die Steinmauern seiner ausgedehnten Weiden, die Furchen seiner Äcker oder die Schwelle einer Werkstatt im Jura überschritten hat, wer in einer verrauchten Küche am summenden Kessel sass, der deutet das Wesen der Gegend anders; dem wird das stille, fast in sich gerichtete Lächeln des Jurassiers erst offenbar. Aus seinen Worten spürt er, wie schlicht und tief der Bergbewohner hier oben seinen Boden, sein Land liebt.Jules BaillodsBetrachtet man den Jura zunächst aus einiger Ferne, dann bietet sich dem Blick eine einzige blaue Linie, gleichsam die oberste Grenze der Erde mit bald goldenen, bald feurigen unerreichbaren Rändern, ein langer fest gezeichneter Saum, von Genf herkommend, ansteigend, fallend und sich wieder aufwärts biegend, stellenweise kahl, dann bewaldet, von Klüsen durchbrochen und von Felsen gezähnt...

( Jules Baillodsa ) Felsen und Zähne aber ragen nicht zu schwindelnder Alpenhöhe auf. Kaum dass es sich eine Crête herausnimmt, über die massgebende Linie sich emporzurecken. Die Losung heisst: « Bemesst den Schritt, bemesst den Schwung! » Wir können geradezu von einem « Mass des Berges » sprechen. Nichts von dem masslosen Aufstreben der Alpen - es gilt nicht den Himmel zu erstürmen - man bleibt, was man ist: Erde. Dessen eingedenk übt man bewusst die geziemende Zurückhaltung: bis hieher - und nicht weiter! Wie in den Alpen die gigantischen Gipfel das Höchste und Himmlische zu erringen versuchen, so scheinen sich hier die Berggestalten zu beugen vor einer höheren Macht. Die blaue Linie ist Gleichnis jurassischer Wesensart: Weite, Einfachheit, Bemessenheit, Bescheidenheit. Jene weite, wundersame Monotonie prägt den Charakterzug des jurassischen Gesichtes.

Die Alpen - ein gotischer Dom. Der Jura - eine romanische Basilika. Die Ketten-gewölbe erscheinen wie Rundbogen romanischer Tore oder Fenster. Romanik der weiten, gleichförmigen Flächen ( unverzierte Mauern und Wände romanischer Bauten ), der kraftvollen Einfachheit im allgemeinen. Romanik in der bescheidenen Bemessenheit, in der sich die Bergzüge vor der Hoheit niederwölben. Nicht kriechende Demut, ängstliche Ergebung, sprechen aus diesem Sich-Beugen, sondern Kraft, Wille, Weisheit.

Ruhige Romanik des Juragebirges!

Wie die Melodie eines melancholischen Liedes fliessen die Linien der Landschaft. Auf sich schwingend, zurück sich wölbend, finden sie sich immer wieder im Grundton. Oft wie eine Klage klingt der monotone Gesang. Wer diesen Klang nicht kennt, den mutet er vielleicht beängstigend, unheimlich, fremdartig an. Wer dies Land nicht erlebt hat, dem mag 1 Wanderungen im Jura, herausgegeben vom Publizitätsdienst SBB.

Die Alpen - 1953 - Les Alpes24 es langweilig, reizlos, bedrückend erscheinen. Nicht strahlend im Firnelicht glänzen seine Zinnen, oft eher ins Dunkle verschleiern sich die Farben. Gerade diese monotonen Harmonien aber, die dunkelsamtene Waldfarbigkeit, sind doch die wunderartigen Reize des Juras! Wer nicht oberflächlich schaut und fühlt, erkennt im monotonen, melancholischen Gesicht der Landschaft einen starken, wohl den stärksten Zug jurassischer Eigenart: Wälder -Weiden - Weite - Einsamkeit.

Der Duft des Thymians mischt sich mit dem kräftigen Atem der trockenen Erde. Die Grillen schnarren zwischen dem blassen Leinkraut und den leuchtenden Büscheln des Goldklees. Rotgeflügelte Heuschrecken schwirren vor einem auf, und man weiss nicht, soll man wandern in dieser Sommerluft, oder soll man sich behaglich ins Gras hinlegen, im Schatten einer einsamen Baumgruppe und in halbem Träumen die Einsamkeit, den Frieden und das mannigfaltige Naturwalten dieser lieben Bergwelt geniessen.

( Arthur Frey ) In seiner träumerischen, weichen und unbestimmten Art ist der Jura die rechte Landschaft der Romantik. Aus seinen sonnenvollen Felsen, den samtenen Wäldern, den bunten Blumen und Faltern strömt ein Hauch von feiner Lyrik. Ist es Zufall, dass die Juralandschaft umgeben ist von vielen Worten, die mit W beginnen und die deren Weichheit schon in der Sprache zum Ausdruck bringen? Wälder, Wipfel, Weiden - weite Wellen, Wanderland.

Nicht hart und unerbittlich wie die Alpen tritt der Jura an uns heran; sein Wesen lässt ihn eher einen Kompromiss abschliessen; er ist nachgiebiger und larger, in dieser Hinsicht grosszügiger als die Alpen. Weichheit und träumerische Unbestimmtheit aber bedeuten beim Jura nicht Merkmale einer kraftlosen und erdenfernen Romantik: es ist die « zarte Lieblichkeit » und Träumerei eigenartig aufgehoben in einem Grundcharakter ruhiger Kraft und klar bewusster Erdgebundenheit.

Der Jura ist vergleichbar dem gereiften Menschen; ein aus den Stürmen der Jugend zur überhobenen Ruhe des Alters gefestigter Charakter. Es ist nicht das jugendliche Ungestüm des alpinen Gesichtes, kristallhart und kantig; die rundlichen Formen der Kalkfalten zeugen das Bemessene, Ruhige der jurassischen Ausgeglichenheit. Mit heissem Hauch spricht der Föhn vom jugendlichen Brausen des Alpenblutes - kühler weht vom Jura her der Nord wie Atem eines in der Zeit und Arbeit abgekühlten ruhigem Gemütes. Wilde, eckige, masslose Formen, lebenssprühend, unbedenklich - Alpenform als Sinnbild der Jugendlichkeit. Ruhig runde Formen, abgemessen, Ziel und Zweck bedenkend, jedoch in weitem Schwünge schweifend - Juraform als Sinnbild des erfahrnen Alters.

Gruss dir, du tannendunkler Jurahang, Ihr sonnigen Weiden voll Herdenglockenklang, Altgraues Schloss, vom Efeu grün umsponnen, Du stolze Fluh, du kühler Waldesbronnen, Ihr trauten Dörfer, Städte dort im Tal, Das Wandervolk grüsst euch vieltausendmalTh. Saladin1 Th. Saladin: Gruss dem Jura.

Der Jura ist das Land des Wanderns - im Gegensatz zu den Alpen als dem klassischen Lande des Steigens und Kletterns. Die Horizontale ist die Gerade der Juralandschaft. Sei uns deshalb die Horizontale das verbindende Symbol für Jura und Wanderer.

Leider zeigt das jetzige Jahrhundert sich auf weite Strecken nicht mehr mit dem Wanderstab verbunden. Leider! Denn das Wandern hat seine tiefe Bedeutung im körperlichen und geistigen Wachstum des Menschen. Dies lässt sich unschwer erkennen, wenn wir die eigentlichen Gründe sehen, die sich dagegenstellen:

1. Gegenüber der motorisierten Fortbewegung ist das Wandern zu langsam und zu beschwerlich.

2. Gegenüber dem Klettern ist das Wandern zu langweilig und zu wenig gefährlich. Dass wir Extreme beleuchten, ist klar; aber diese Extreme bestehen - heute stärker denn je. Krieg und unruhige Zeiten tragen das Ihre dazu bei; geweckt im Menschen, wächst der Keim sich aus.

Dass da die « Horizontale », als Gegenkraft, ihre Berechtigung hat, wird wohl überall zugegeben werden müssen: das Wandern in besinnlicher Beschaulichkeit, oft in Schweiss und Mühsamkeit, dann in Ruhe und Gelassenheit, ungezwungen, froh und frei...

Die « Horizontale » bedeutet Kampf einer gewissen Oberflächlichkeit und Überheblichkeit von heute. Wahres Wandern ist Charakterbildung, ist Weg zu vertieftem Wissen, zu einer gesunden, festen Haltung, die wir heute nötig haben.

Der Jura ist ungemein malerisch. Im Hochgebirge sind die Farben vielfach vom alpinen Glänze überstrahlt. Hier aber wirken die Farben freier, voller. Den Grund zu dieser vollen, mannigfachen Farbigkeit legt das Gestein; die jurassischen Kalke und Tone, auch gewisse Sandsteine weisen verschiedenste, ungeahnte Farbtöne auf; vom feinen Grün und Blau und Violett geht 's zu starkem Braun und Rot, zu Orange, Gelb, bis zum gleissend hellen Weiss. Als Felsfarbe ist im allgemeinen am weitesten verbreitet der Ocker. Als zweite Hauptfarbe, bei der visuellen Betrachtung oft als erste wirkend, tritt die Waldfarbe auf. Dabei sind Laubund Nadelwald natürlich ganz verschieden. Der meist vorkommende Mischwald geht vom Blau und Grün fast immer stark in ein Schwarz-Grün über, das weite Jurahänge in eine dunkle Samtdecke kleidet. Dieses wunderschöne, spezifisch jurassische Samtdunkel bildet im Zusammenklang mit dem Grün der ausgedehnten Weiden und Wiesen die Charakter-farbe des Gebirges: jenes eigentümliche Grün-Blau, das mit dem Ort, der Witterung, der Entfernung sich ändert - und doch im Grund das gleiche bleibt. Interessant ist auch, dass das Gebirge aus der Ferne eher blau, in der Nähe mehr grün erscheint. Gotthelf ( Mittelland ): «... der liebe blaue Berg... »1 Spitteler ( Jura ) :«... über die grünen Berge... »2 In seiner schönsten Farbigkeit zeigt sich uns der liebe Berg im Herbst, wenn aus den samten dunklen Wipfeln der weiten Waldesriesen und dem weichen Grün der Weiden das Gold des Laubes flammt - über ernsten Tannen und farbig frohen Blätterhäuptern eine helle Kalkcrête vor neblichtem Himmel sich somit. Ein Bild Böcklins!

Böcklins Augen tranken die hellste Sonne, die vollen, tiefen Farben der heimatlichen Berghänge und Gründe. Als er später die leuchtendste aller Paletten errang, da glänzten sie wieder empor. Aber seine junge Seele sog auch den schwermütigen Ernst der Jura- 1der Jura; Gotthelf: Leiden und Freuden eines Schulmeisters ( Erster Teil ).

2 Carl Spitteler: Schmetterlinge; Zürich 1945.

höhen ein und hauchte ihn, trotzdem seine Heimatkunst bald nach den Jugendjahren sich zur Weltkunst gewandelt hatte und die Formen anderer Landschaften ihm lieber geworden waren, hundertfach in seine Schöpfungen. Wer im Jura gewisse Formationen und Felswände gesehen hat, den wird es nicht unmöglich dünken, dass Jugendeindrücke in der « Toteninsel » wieder erstanden, wenn auch gewisse Gebilde in der Nähe von Neapel den unmittelbaren Anstoss zu dem Bilde gegeben haben mögen.

( Adolf FreyWir wandern weiter über die Höhe, wo der laue Abendwind weht. Bei einem Weidegatter holen wir einen Mann ein: gedrungene, rundliche Gestalt, das Gesicht von einem dichten, braunen Barte umgeben; helle, graue, kluge Augen. Er erwidert freundlich unser « Guten Abe » und schreitet rüstig mit uns weiter. Wir bringen das Gespräch auf die Landschaft und loben ihre herbe Eigenart. « Ja, much isch es de hingäge scho da obe. Im Wymonet man es vüra scho ygschneie. Da uf em obere Bärg sy albe d'Öpfien u d'Zwätschge no nid ryf, we der Winter chunt - cheu de alben im Chäller no usryfe. So im Jänner, Hörner, wohl, da git 's de Hüüfe Schnee. Da sy mer bim Milchfüehre d'Ross scho mithinen ebstoche. Da nimmt me de halt alben e Schufie mit, we me weis, dass der Wäg voll Wächten isch.Christian Lerch 2 ) Der Jurassier ist kein eigentlicher Gebirgsbewohner, sein Leben aber zeigt doch viel Ähnliches mit dem des Berglers. Zähigkeit und äussere Härte sind beiderorts Bedingung, ebenfalls eine grosse Anspruchslosigkeit. Wenn vielen Täufern der Jura zur zweiten Heimat geworden ist, so können wir diese Anhänglichkeit wohl verstehen, denken wir an das Wesen dieser einfachen Leute. Nur Menschen mit solch einer Haltung können zu der Zufriedenheit gelangen, die aus den Worten des oben gehörten Täufers im Jura spricht.

Im Hochgebirge sind es besonders die mühsame Bearbeitung des steilen und verschnit-tenen Geländes und die Gefahren ( Lawine, Felssturz, Wildbach, Föhnfeuer ), die den zähen und kräftigen Menschen fordern, im Jura mehr die Kargheit des Bodens und das rauhe Klima. Die Eigenart der Landschaft, wie sie auch sei, ist aber immer gerade Grund der Anhänglichkeit und Liebe der Bewohner.

Wir können den Jurassier - unter dunklem Filz das freundliche Gesicht, die breite Gestalt fest mit dem Boden verbunden - mit seinem Haus vergleichen: das helle Mauerwerk breit in den Boden gepflanzt, darüber das weit ausladende Dach, von dem oft heute leider noch das Regenwasser in Zisternen aufgefangen werden muss, des durchlässigen Kalkunter-grunds wegen.

Wenn vielleicht das « fieissige Völklein » ( Gotthelf ) auf dem Jura dem Fremden meist still und verschlossen begegnet, so müssen wir noch erwähnen, dass zwischen West und Ost ein gewisser Unterschied besteht: im westlichen Jura wohnt französisches Blut, das Wesen der Bewohner ist hier naturgemäss offener und spontaner.

Vor dem Juraberg empfand der Mensch natürlicherweise nicht jene Angst, die er vor den Alpen hatte. Der Jura besitzt keine grosse Eroberungsgeschichte wie die Alpen. Aber der Jura hat seine historische Eigenart. Der Jura ist nicht, wie die Alpen, das Symbol der 1 Adolf Frey: Arnold Böcklin in der Juralandschaft; 1903 ( in Egli: Erlebte Landschaft ).

2 Christian Lerch: Sonntagnachmittag auf einsamer Jurahöhe ( in Wälti: Die Schweiz in Lebensbildern, Band IV, Bern ).

Schweizerfreiheit. Aber er gehört ins Bild dieser Freiheit, vielleicht in unserem Jahrhundert mehr denn früher.

Die alten Eidgenossen waren zwar immer schon bestrebt gewesen, den Jurawall, als natürliche Abgrenzung ihrer Gebiete, zu erreichen. Besonders Bern zog es gegen die Waadt und gegen den Jura, der « uralt Landmark der uralten Eidgnosschaft gen Sonnenuntergang ». Hier bereits nimmt der Juraberg einen wichtigen Platz im Bild der Schweizerfreiheit ein. In unserem Jahrhundert aber mag er vielen geradezu zum zweiten Symbol der Freiheit, neben dem Alpengebirge, geworden sein: durch die Besetzung unserer Nordgrenze im ersten Weltkrieg 1914-1918.

Carl Spittelers « Schmetterlinge » sind, wie er selber sagt, aus der Juralandschaft geschaut. Er habe den stärksten Natureindruck seines Lebens dort gewonnen, schreibt der grosse Freund des Juras. « Es ist für mich das Schönste alles Schönen... » Seine Schmetterlinge bilden selbst geradezu einen Teil der Landschaft. Die wunderartigen Farben in den sonnigen Gedichten sind nicht nur Farben des Schwalbenschwanzes, Pfauenauges, des Blauvögeleins, es sind auch die Farben der Juralandschaft. Seine Liebe zu den schwebenden, schaukelnden, tänzelnden, fächelnden Falterfarben ist auch die Liebe zu den warmen Jurafarben. Sein Lob der farbigen Falterschönheit ist auch das Loblied auf die sonnenvollen Felsen, Wälder und Weiden des Juragebirges.

Aufs weiche Moos im tiefen Waldesdüster Setzt ich den Tritt. Da deutete die magische Lucille:

« Komm mit! » Sie flog voran durch Felsen und durch Grotten, Den Weg zu zeigen. Quellen und Brünnlein hört ich leise rauschen, Dann Schweigen...aus: Lucille ) Ein Bündel Sonnengold im stillen Eichenwald Und durch die leisen Hallen ruft der Kuckuck.

Über den weiten wolkenweichen Wipfel Des Waldesriesen schlüpft ein leichter Schatten...

( aus: Proserpina ) ( Carl Spitteler1 ) Auf seine Art, in meisterhaft verdichteter Form, zeichnet Adolf Frey Charakter und Stellung des Juragebirges im Vergleich zu Mittelland und Alpen:

Der Jura steigert die Idylle des schweizerischen Hügellandes zu einer entschiedeneren Haltung und mildert die unnahbare Wildheit und Majestät des Hochgebirges zu ernster Kraft.Schiuss folgt ) 1 Carl Spitteler: Schmetterlinge; Zürich 1945.

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