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Kleine Walliser Haute Route

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Mit 3 Bildern ( 72—74Von Armin Rühl

( Zürich ) Fast tägliche Gewitter und Regenfälle kennzeichneten den Sommer 1951. In den Hochalpen herrschten noch anfangs August winterliche Verhältnisse. Diesem Wetter Rechnung tragend, legten wir uns ein Tourenprogramm zurecht, das sich auch bei schlechten Witterungsverhältnissen durchführen liess. Nach einem 6tägigen Zermatter Aufenthalt führte es uns von St. Niklaus im Mattertal durch Täler, über Pässe und Gipfel ins Val des Dix. Es waren einfache Pfade, die wir gingen, und leichte Aussichtsberge, die wir bestiegen. Harzduftende Lärchen- und Arvenwälder, blumenreiche Matten, schwarzbraune Stadel und Häuser, einfache, klassisch schöne Kirchen und Kapellen, Einheimische in ihren malerischen Trachten, Ein- und Überblicke in die Gipfel- und Gletscherwelt der Walliser Riesen und nicht zuletzt der ausgezeichnete Fendant hinterliessen unvergessliche Eindrücke, wie ich sie von manchen schwereren Fahrten in Fels und Eis nicht empfangen habe.

Ein schmaler Weg führt durch saftgrüne Wiesen zum Dorf hinaus. Durch lichten Fichtenwald zieht der Weg dann ohne grosse Steigung ins Tobel des Jungbaches hinein, um dann auf der anderen Talseite steil nach Jungen hinaufzuführen. Hier ist Wallis, wie wir es gewünscht und gesucht haben. Gelbbraune, heisse, sonnige Halden, darin schwarzgrüne Flächen, von Sadesträuchern herrührend. Den Sadestrauch - Juniperus Sabina - habe ich nur im Mattertal und seinen Seitentälern, wo er sehr häufig ist, wahrgenommen; in den weiter westlich gelegenen Tälern tritt an dessen Stelle der Wacholder, der z.B. ob St. Luc in mehreren Meter hohen, kegelförmigen Bäumchen vorkommt. Alte verkrüppelte Birken stehen ob den Klippen, die den Hang gegen das Mattertal begrenzen. Die spinnwebige und die grosse Hauswurz blühen auf den grossen Steinblöcken, die silbergrauen Büsche des Wermuts erfüllten die Luft mit bitterherbem Geruch. Wo auf der neuen Landeskarte ein geschlossener Waldzipfel noch bis zum Jungbach hinabreicht, stehen nur noch wenige, mächtige, wipfellose Lärchen und ein paar riesige, kahle Baumleichen. Eine Staublawine hat den ganzen Wald vernichtet, wie ich später erfuhr. Jungen, ein Sommerdorf auf aussichtsreicher Terrasse gelegen, dank künstlicher Bewässerung von grünen Matten umgeben, hat eine schöne kleine Kirche, die leider dem Zerfall entgegengeht, wie auch die meisten Häuser und Stadel. Im ganzen Ort trafen wir nur eine Frau und einen Mann an. Schuld an der Auswanderung tragen die Fabriken in Visp, wo die Männer von St. Niklaus leichteren Verdienst finden. Im Lärchje, etwas abseits des Dorfes, fanden wir gastliches Obdach, wo für geringes Entgelt Milch, Eier, Butter und saubere Betten zu haben sind.

Eine gespensterhafte Stimmung lag am Morgen über der Landschaft. Nebel wallten um die Flühe, welche die kleine Terrasse des Lärchje begrenzen; es sah aus, als ob die Felsen in einer Flucht ins Mattertal abfallen würden. Hin und wieder vermochte ein Sonnenstrahl das bald hellere, bald dunklere Gewölk zu durchbrechen, einmal sah man ein Stück von Grächen am gegenüber liegenden Talhang, dann wieder eine weisse Spitze, die zur Mischabelgruppe gehörte. Lange Zeit führte der Weg einer Trockenmauer entlang, auf deren Scheitel sich alle fels- und schuttliebenden Pflanzen ein Stelldichein zu geben schienen, wie denn überhaupt die zu durchwandernden Matten und Schutthänge eine seltene Fülle von Alpenblumen aufwiesen. Zu Tausenden leuchteten die Fruchtstände der Alpenanemone wie Silberkugeln im Gegenlicht der Morgensonne. Die Gipfel der Mischabelgruppe stachen blendendweiss in den klaren blauen Himmel, während der Nebel als grauweisses Gewoge die Furchen der Täler füllte. Endlose Geröllhalden, wie uns schien, leiteten nach Umgehung des Steintalgrates ins Augstbord und zum gleichnamigen Pass hinauf. Das Schwarzhorn, ein bekannter Aussichtspunkt, wurde vom Pass in dreiviertelstündigem Aufstieg, zuletzt über mit Schnee- und Eisnadeln überzogene Blöcke, erreicht. Während der zweistündigen Gipfelrast genossen wir die vielgerühmte Aussicht nur ratenweise, da gegen Mittag Wolken die höheren Spitzen im Süden überzogen hatten, nur ab und zu wurde ein Gipfel oder ein Massiv für kurze Zeit frei. Westwärts überblickten wir einen Teil unserer Route für die nächsten Tage mit Bella Tola und Sasseneire als Kulminationspunkten. Im Abstieg durchs Grubtäli zum Gruben-Oberstaffel sahen wir zum erstenmal das schokoladebraune bis schwarze, kurzbeinige, gedrungene Eringer Vieh, dem wir in der Folge noch öfters begegneten und dessen Anblick mir jedesmal Freude machte. Bald nach dem Mittelstaffel nahm uns der erst lockere, dann fast urwaldartige Arvenwald auf. Das gedämpfte Licht, die vielen langen meergrünen Bartflechten, die von den Ästen niederhängen, die nur von einzelnen Insekten unterbrochene Stille gaben diesem Gang etwas Feierliches und Düsteres zugleich. Der Bergschatten hatte die Talsohle erreicht, als wir nach Gruben-Meiden ins Turtmanntal kamen, eines der wenigen grossen Seitentäler der Rhone, das noch durch keine Fahrstrasse oder ein Bähnlein irgendwelcher Art « erschlossen » ist. Das einzige Verkehrsmittel ist immer noch das Saumtier. Ein vorzügliches Fondue und ein ausgezeichneter Fendant beschlossen den Tag.

« Es hat seine prächtigen Gletscher, die sein Haupt umlagern, einen wilden Bach, Wälder, die ihresgleichen im ganzen Wallis nicht haben, eine Flora ausserordentlich reich und kostbar... » So hat der Genfer Botaniker Correvon das Turtmanntal besungen. Der Scheitel der Diablons war schon von der Sonne gerötet, als wir die Turtmänne überschritten und durch einen dieser Wälder zum Meiden-Oberstaffel stiegen, wo wir köstliche frische Milch erhielten. Durch mageren, mit Steinen übersäten Kurzrasen, in dem Vergissmeinnicht - blau wie der Himmel über uns -, kurzblättriger Enzian und das langgespornte violette Veilchen blühten, führte der Pfad weiter, bis wir unverhofft am Meidensee standen. Lange hielten wir an diesem Kleinod von einem Bergsee Rast. Auf den warmen Steinen am Nordufer sitzend, schauten wir das unvergesslich schöne Bild des Weisshorns mit Barr- und Brunegghorn zur Linken, Zinalrothorn und Diablons zur Rechten, dem der schwarze Klotz des Meidhorns im Vordergrund eine malerische Kontrastwirkung verlieh. Gestochen klar gab der Seespiegel das Bild zurück. Vor der letzten Steigung zum Meidpass rechts abbiegend, ging 's über gutartigen Gufer zum Borterpass empor, wo die aus gelblich-weissem Quarzit bestehende Kuppe der Bella Tola unvermittelt sichtbar wurde. Auf hartem Schnee horizontal querend, gelangten wir zum Pas du Bœuf und weiter über das Rund Horli in kurzer Zeit zum Gipfel der Bella Tola. Einen schöneren Tag hätten wir nicht wünschen können, um die mit Recht gepriesene Aussicht zu geniessen. Nur durch die lange Furche des Rhonetales getrennt, reihte sich im weiten Umkreis, vom Mont Blanc bis zum Gotthard, Gipfel an Gipfel. Besonders markant traten die Berge zwischen Simplon und Grossem St. Bernhard hervor, vor allen das von jeder Seite imponierende Weisshorn. Schöne Tief blicke ins Rhonetal, auf Illsee, Illgraben, die beiden Meretschiseen sowie auf Chandolin und Vercorin gewährte der Nordgipfel, nach der neuen Landeskarte jetzt Rothorn benannt. Erst am späten Nachmittag bummelten wir nach St. Luc hinab mit seinen von der Sonne sammetbraun gebrannten Holzhäusern, die mit ihren Lauben an Bilder Vallets erinnerten. Sterne funkelten zwischen ziehendem Gewölk, als wir Einzug in Grimentz hielten. Mit dem letzten Postautokurs waren wir von Vissoie heraufgekommen. Im Hotel Becs de Bosson fanden wir eine Gaststätte von der Art, wie sie zur Zeit des « golden age » des Alpinismus die Schweiz als Gastland berühmt gemacht haben. Mit viel Liebe und Verständnis zur Sache gesammelt, finden alte Möbel, Bilder, Haus- und Alpwirtschaftsgeräte des Tales ungezwungen einen Platz, den Räumen ein Cachet des Ruhigen und Wohnlichen verleihend.

Noch schlief das Dorf, als wir uns im Morgengrauen zwischen den braunen Häusern und Ställen hindurch La Gougra, dem Talbach, zuwandten. Regen verheissend schoben sich schwarze Wolkenballen von Süden her dem Rhonetal zu. Zweimal La Gougra überschreitend, ging 's durch lockeren Lärchenbestand hinauf in den flachen, baumlosen Talboden des oberen Val de Moiry. Über die anfänglich steilen, dann sich verflachenden Hänge der Montagnes de Torrent kamen wir zum Lac des Autannes, wo sich uns nach Süden eine wildschöne Szenerie bot: schwarzgrün der See, dahinter blendend weiss der Moirygletscher, überragt von Zinalrothorn, Obergabelhorn, Dent Blanche. Über allem die rasch ziehenden Wolken, die hin und wieder ein Stück blauen Himmels freigaben und damit stets wechselnde Lichteffekte schufen. Von der Höhe des Col de Torrent, wo dürftige Felstrümmer Schutz vor einem Regenguss geboten hatten, gelangten wir, immer der Gratkante folgend, in einer schwachen Stunde auf die Sasseneire, einen wichtigen trigonometrischen Punkt und berühmten Aussichtsberg. Von neuem einsetzende Regen- und Graupelschauer beschränkten die Rast und auch die Sicht auf ein Minimum, lediglich die niedrigeren Gipfel der Umrahmung des Val d' Anniviers und des Val d' Hérens waren sichtbar, die Bella Tola im Osten hob sich fast grell von den sie umgebenden Höhen ab. In strömendem Regen eilten wir die schwarzen Schieferhalden zum weitläufigen Plateau der Alp Cotter und den gleichnamigen Hütten hinab. Die Sonne schien bereits wieder, als wir über Villa und La Sage, typische kleine Walliser Dörfer, nach Les Haudères kamen. In La Sage sah ich zum erstenmal die malerische Tracht des Tales und erhielt meinen ersten, aber nicht letzten Korb, als ich die Trägerinnen bat, sie photographieren zu dürfen.

Der folgende Morgen wurde zu einer eingehenden Besichtigung von Evolène und Haudères benutzt. Diese grossen Dörfer haben trotz Autostrasse und Fremdenindustrie noch viel von ihrer ursprünglichen Art bewahrt, besser als die Orte in den Visper Tälern. Es war ein heisser Augusttag, als wir nachmittags durchs Val d' AroUa hinaufwanderten. Zwischen La Gouille und AroUa war die ganze Bevölkerung mit dem Einbringen des Heus beschäftigt. Überall begegneten einem die mit schweren Heuburden beladenen Maultiere. Die Frauen arbeiten ausnahmslos in der Tracht, welche aus einem bis auf die Schuhe reichenden Rock mit weiten Falten und einer kurzen ärmellosen, anliegenden Jacke besteht, beides aus dunkler, handgesponnener Wolle angefertigt. Unter der Jacke wird ein weisses Leinen-hemd getragen und um die Schultern ein rotgemustertes Tuch. Der eigenartig geformte, schwarze Strohhut mit den gerafften, schwarzen Bändern vervollständigt die Tracht und verleiht ihr grösstenteils den pittoresken Reiz. Wir hatten am nächsten Tag Gelegenheit, auch die Sonntagstracht zu sehen, die sich nur durch farbenfreudigere Bänder auf den Hüten sowie teils durch langärmlige Jacken von der Werktagstracht unterscheidet. Aufgefallen sind mir kleine Kinder, Buben und Mädchen, die schwarze Röcke, bunt bestickte Kappen und ebensolche, kreuzweise über die Brust verlaufende Bänder trugen. Das Tal ist reich an landschaftlichen Reizen. Matten und Wälder säumen abwechslungsweise den Weg, über den dunklen Arvenwäldern im Talhintergrund erhebt sich wuchtig die weisse Kuppe des Pigne d' Arolla, zur Linken begleiten einen die Stotzigen Wände und Zacken der Grandes Dents. Die junge, milchigweisse Borgne singt ihr kraftstrotzendes Lied - in ein paar Jahren wird es ein unscheinbares Wässerlein sein, denn man ist eifrig am Werk, die Wasser des Arollatales nach dem Val des Dix abzuleiten. Was weniger reizvoll ist, das sind die beiden Starkstromleitungen, die durch das Tal führen, der Kasten des Hotels Mont Collon, die Barackendörfer und die beiden Materialseilbahnen, die von AroUa aus zu den StoUenfenstern führen. Sucht man aber ein Plätzchen in den herrlichen Arvenwaldungen ob AroUa auf, wo diese Kulturerscheinungen nicht mehr ins Blickfeld treten, so hat man eine der schönsten Bergansichten vor sich, den gletscherumflossenen Mont CoUon, der schon zutreffend mit einem abgestumpften gotischen Turm verglichen wurde.

Maria Himmelfahrt. Erst spät waren wir von AroUa fortgekommen. Heiss brannte die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Noch während des Aufstiegs über die etwas monotonen Hänge der Montagne de 1'AroUa sah ich die kleine Kapelle vor mir, vor der sich die feiertäglich gekleideten Bewohner der obersten Talschaft zur Messe eingefunden hatten. Nur ein seelischer Krüppel hätte sich der Weihe dieser Stunde inmitten Gottes grossartigster Schöpfung entziehen können. Kurz vor der Gabelung des Pas de Chèvres und des Col de Riedmatten kommt man durch karrenartigen Kalkfels, wo wenige Meter abseits des Pfades viele Edelweiss stehen. Obwohl höher als der Pas, de Chèvres, wählten wir den Col de Riedmatten als Übergang ins Val des Dix, da dieser nach Angabe des Walliser Führers vorzuziehen ist, falls man kein Seil hat. Als wir von der Passhöhe ein Stück gegen die Monts Rouges anstiegen, erschloss sich uns eine neue Bergwelt, deren Hauptanziehungspunkte der Mont Blanc de Cheüon und der Mont Pleureur mit den Trabanten La SaUe und La Luette sind. Die Passübergänge bieten insofern noch eine Überraschung, als die Westseite kaum 100 Meter zum Glacier de Cheilon und somit ins Val des Dix abfäUt, während die Höhendifferenz bis Arolla rund 1000 Meter beträgt. Quer über den schuttbedeckten, fast spaltenlosen Gletscher der Cabane Val des Dix zuhaltend, bemerkten wir am Pas de Chèvre eine eiserne Leiter, die eine mühelose Überwindung der etwa 20 Meter hohen Wandstufe erlaubt und deren Kenntnis uns einen Umweg von über einer halben Stunde erspart hätte. Überrascht war ich, den rätischen Alpenmohn auf dem kahlen Moränenschutt in der Umgebung der Hütte anzutreffen. Gewaltiger und unnahbarer noch als am Tage schien die eisgepanzerte, elegant in eine Spitze auslaufende Nordflanke des Mont Blanc de Cheilon, wie wir vor dem Schlafengehen nochmals vor die Hütte traten.

Trub und unfreundlich war der letzte Tag unserer Wanderung angebrochen. Über den Gletscher und seine mächtige linke Seitenmoräne stiegen wir gegen den Stausee des Dixence-Werkes ab. Bei der Baustelle ob der Alp Cheilon, wo der von Arolla kommende Stollen münden wird, bot sich Gelegenheit zu einer abenteuerlichen Jeep-Fahrt bis zum See-Ende.Von den Lärchenwäldern des obern Val d' Hérémence brachte uns der « Flèche du Val des Dix » rasch zu den Rebbergen im Rhonetal und nach Sitten, das das Ende unserer Haute Route und einer Reihe schöner Tage bedeutete, welche heute köstliche Erinnerung sind.

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