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Kleinere Berge im Davosergebiet

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Von Ed. Imhof ( Sektion Prätigau ).

Gewiß it Bèeht hebt Herr A. Wäber im letzten Jahrbuch des S.A.C., Seite 154, hervor, daß auch die Berge dritten und vierten Ranges ebenso gut wie diejenigen ersten und zweiten Banges zum Gesamtbild der Alpen gehören, und daß mit der Begehung und Beschreibung nur der Hauptgipfel die touristische Aufgabe des S.A.C. ebensowenig gelöst ist, wie die Aufgabe unserer Topographen durch die Vollendung des Dreiecknetzes erster Ordnung erschöpft war. Von solchen Bergen dritten und vierten Ranges aus der Aibulagruppe wollen die folgenden Blätter erzählen und damit einen kleinen Beitrag liefern zur Zeichnung des Gesamtbildes dieser Gruppe. Die bisher erschienenen dreißig Bände unseres Jahrbuches haben zwar schon manche Partien dieses Bildes gezeichnet, bald mehr in großen Zügen, bald mit sorgfältiger Ausführung des einzelnen. Aber es fehlt doch noch viel bis zur Vollendung des Bildes, es fehlen noch charakteristische Hauptlinien und namentlich bleibt der Kleinmalerei noch viel zu thun übrig; Die unten zu beschreibenden Berge z.B. sind in allen dreißig Bänden de& Jahrbuches noch mit keiner Silbe erwähnt und das Gleiche gilt von gar vielen ihrer Genossen, besonders solcher aus dem Oberhalbstein und Avers, zum Teil auch aus den Gebieten von Bergan und Davos. Es war darum sehr zu begrüßen, daß die Hauptversammlung des S.A.C. 1895 die Albulagruppe noch für weitere 2 Jahre als officielles Exkursionsgebiet beizubehalten beschloß. So ist zu hoffen, daß das Bild dieser großen und schönen Gruppe wenigstens in touristischer Beziehung zu einiger Vollständigkeit kommen wird, wenn anders die Clubisten es nicht unter ihrer würde oder nicht der Mühe wert halten, auch die kleinern und leichtern Berge zu besteigen und den Thälern und Pässen ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Und wer frisch und froh gewandert ist in diesen Bergen, der erzähle uns davon, daß unsere Kenntnis vom Gebirg sich mehre und auch wir Anteil bekommen an seinen Freuden xrr^«'w ,« .îv -. *rz - M. Imhof.

und Erfahrungen. Denn mit Recht sägt Comenius einmal: ^Dein Wissen ist nichts, wenn nicht andere wissen, daß du es weißt/ Man soll also sein Wissen andern mitteilen, nicht bloß zu deren Nutz und Frommen, sondern zum eigenen Vorteil, um es für sich-selber zu größerer Klarheit und Festigkeit zu bringen. Das gilt auch von unsern touristischen Kenntnissen und Erfahrungen. Es ist darum zu bedauern, daß manche schöne und interessante Touren, die von andern in den letzten Jahren ini Alî>uîa* »gebiet ausgeführt worden sind, bisher im Jahrbuch noch nicht zur Dar-, Stellung kamen.

1. Ton Davos übe? den Stulsefgrat nach Bergan.

Am 16. August 1892 war ich mit dem ersten Zug von KloStörs nach Davos gefahren und hatte mich dort bei Herrn Rzewuski nach den Bergtiner Bergen erkundigt, die ich in den nächstfolgenden Tagen mit Führer Peter Mattier zu besteigen gedachte. Dann hatte ich mich bei " Metzger Hartmann ifiit Fleisohwaren für mehrere Tage versehen. Dieser weiß nämlich, was ein guter, nahrhafter und schmackhafter Bergproviant ist, was auch einige Tage in einem Tornister oder Rucksack frisch und appetitlich bleibt, und speciell, was mir mundet, da er mich schon öftere für Bergwanderungen bedient hat. So konnte ich denn, geistig und leiblich wohlausgerüstet, cfen Marsch um 9 Uhr 45 Min. antreten* Mein Ziel für diesen Tag war Bergfin, das ich als Ausgangspunkt für größere Touren ip Aussicht genommen hatte. Ich wollte aber zu Fuß hin und damit eine kleine Bergtour verbinden. Da erschien denn der Stulsergrat, der mir noch neu war, als das Gegebene.

Also nahm ich den Weg nach Monétein unter die Füße, um von dort auf die Bühlenfurka und das Bühlenhorn zu steigen und den ganzen Stulsergrat bis an sein westliches Ende, die Muchetta, zu überschreiten. Es war ein heißer Tag und ich war froh, als ich unterhalb Glaris das neue staubfreie Sträßchen betreten konnte, das in sanfter Steigung durch Wald und grüne Matten nach Monstein hinauf führt. Dieses anmutige Dörfchen liegt-hingestreui auf einer sonnigen Terrasse, hoch über dem sogenannten Schmelzboden, wo früher die Erze des benachbarten Silber-berges verhüttet wurden. Man ist hier am untern Ende der Landschaft Davos und sieht hinunter in die dunkle Schlucht der Züge mit der längs dem schäumenden Bach hinziehenden Straße, auf die steilen Wald-und Schutthänge und schroff abgebrochenen Felswände der rechten Thak sehe und auf die. das Ganze bekrönende Gipfelreihe von der Amselfluh bis zum Lenzerhorn, ja, in der Flucht des Thals grüßt aus weiter Ferne der Piz Beverin. Die schöne weite Rasenterrasse von Monstein ist ringsum von dichtem Bergwald umschlossen, auch die Züge sind als Ganzes mehr eine Wald- als eine Felsschlucht, und namentlich sind die vom, .v":"%vfj Krachenhorn und Bühlenhofii gegefi Monstein vorspringenden Bergnasen des Brand und Bodmen von dichten Waldmänteln eingehüllt, Waldmäntel, die einige hundert Metervom Thalgrund bis auf,die Scheitelkante der Berge steigen und dort mit einem gar lieblich am blauen Himmel sich abzeichnenden Arvenkranz abschließen.-Hätten wir der Kurorte und Sommerfrischen nicht genug, gewiß, Monstein wäre passend dazu. Doch, schöner ist es jetzt mit seinen brauhen Hütten und einfachen Sitten, als im zweifelhaften Schmuck steinerner Hotelpaläste. Aber wer weiß, wie lange es sieh dieser erwehren wird, jetzt wo ein neues Fahrsträßchen es mit der übrigen Welt verbindet! Schon sollen die ersten Vorboten 4er tiberall hinsteigenden yiut des Fremdenverkehrs auch nach Monstein gekommen sein und zwar sowohl in Form von Wintergästen als von Sommerfrischlern, und da es ihnçn gefallen hat, so werden sie nicht ermangeln, den îïamen des jetzt noch m stillen Ortes in weitern Kreisen bekannt zu dachen, und das übrige giebt sich dann wie anderwärts yon selbst.

Ich hatte mich bei dem mir von früher her bekannten Pfarrer des Ortes ein Stündchen verplaudert und mußte nun eilen, wenn ich heute noch über die Berge nach BergÜn gelangen wollte. Das verplauderte Stündchen war übrigens nicht verlorne Zeit, denn Herr Pfarrer Kobelt hatte mir manches von Monstein und seinen Bergen erzählt, was mich interessieren konnte. Außerdem hatte er mich auf den Weg mit Bpeise und Trank'gestärkt, so daß iöh um so kräftiger ausziehen konnte und bis auf das Bühlenhorn keine weitere Rast mehr nötig hatte. Er begleitete mich noch ein gutes Stüek Wjeges bis nach den Inneralpen. Soweit führt ein ordentlicher Weg in mäßiger Steigung thalaufwärts ïwisuben Waldstreifen dahin und es öffnet sich allmählich der Blick auf den Thalhintergrund mit seinen zackigen Felshörnern, zunächst auf den wie eine. Säge gescharteten Mäschengrat, dann auch auf das Bühlenhorn, daß Gypshorn und auf das vornübergebeugte Krummhörnli, das von dieser Seite ganz unnahbar erscheint, während man auf der hintern Seite, vom Ducanpaß her, sehr leicht hinauf kommt. Es ist ein kleines Berglein, nicht höher als der letztgenannte Paß und von diesem kaum als solches zu erkennen.

Ich bin mehrmals %tiber den Ducanpaß gegangen, ohne daß mir da, wo auf der Exkursionskarte das Krummhörnli steht, etwas besonderes aufgefallen wäre. Erst seitdem ich es von den Monsteiner Inneralpen aus gesehen habe, weiß ich, daß es nicht nur dem Namen nach, sondern in Wirklichkeit existiert. Ich habe mir sogar einmal im Vorbeigehen die Mühe genommen, ihm vom Ducanpaß aus eine kurze Visite abzustatten, Und ich hatte diesen kleinen Abstecher nicht zu bereuen, denn das Krummhörnli bereitete mir einen freundlichen Empfang und zeigte mir folgendes hübsche Bild: die stolze Kette des Hoch- und Gletscher-Ducan vomMittags-iiOrn bis zum Piz Prosonch mit ihren fürchterlichen Steilwänden und end* :^^~T,M. Imhof.

losen Trümmerhalden, das wtistenartige Stulserthal und die frischgrünen Böden der Inneralpen und des Cuolm da Latsch, den gewaltigen Dom. des Piz d' Aela und den schlanken Spitzturm des Tinzenhorns und noci* vieles andere im engem und weitern Umkreis, so daß ich ganz befriedigt von meinem neuen Bekannten schied und ihm versprach, bei Gelegenheit wiederzukommen. Würde es mit seinen 2672 Metern anderswo stehen^ etwa in den Voralpen, und würde es da so keck und kühn in die Welt hinausschauen wie auf die Inneralpen hinunter und dabei auf einer Seite so leicht zugänglich sein wie vom Ducanpaß aus, so würde es eine Be-* rühmtheit ersten Ranges sein und ganze Pilgerkarawanen zu sich heraufziehen sehen.

Der Herr Pfarrer war noch nicht lange umgekehrt und hatte beim Abschied einiges Bedenken darüber geäußert, daß ich so ganz allein in die Bergwildnis mich begeben wollte, als schon ein Hirt auf mich zukam und seine Not klagte, daß ihm die Zündhölzchen ausgegangen seien, er also sein Pfeifchen nicht anzünden könne. Dabei hielt er mir die braune Deckelpfeife mit einer so bedauerlichen Miene hin, daß ich die großem Not sofort begriff und mich doch des Lachens nicht erwehren konnte. Zu meiner und seiner Freude konnte ich ihm aushelfen, wofür er denn auch in der aufrichtigsten und treuartigsten Weise dankte. Ich zündete nun auch ein „ Sttimpchentó an und ließ mich in ein Gespräch ein mit dem Mann, der sich sehr wunderte, daß so ein Herr ganz allein in diesen abgelegenen Bergen umhersteige. Bald hatte er denn auch heraus, woher und wer ich sei und wohin ich wolle, und auch ich wurde auf Befragen, mit seinem Civilstand bekannt. So kamen wir über die grünen Grashänge und zuletzt über eine kleinere Schutthalde mit einer kleinen Wegspur auf die Bühlenfurka. Dort verließ er mich, nicht ohne noch einmal für die Zündhölzchen und für die gute Unterhaltung gedankt zu haben.

Ich war nun auf dem zerrissenen Felsgrat, der gegen das Horn stellenweise noch ziemlich steil ansteigt, aber doch keinerlei Schwierigkeiten bietet, so daß ich leicht und rasch vorwärts kam und den Gipfel des Bühlenhorns um 4 Uhr 10 Min. erreichte. Da ich erst um 1 Uhr 20 Min. von Monstein aufgebrochen war, so hatte ich trotz einiger Auf-haltung unterwegs nicht ganz drei Stunden gebraucht, um eine Wegstrecke von etwa 7 Kilometer und eine Höhe von rund 1200 m zu tiber-winden, muß also trotz Begleitung und großer Hitze stramm ausgezogen sein. Da ich nach der Combeschen Formel gegen vier Stunden berechnet hatte, so hatte ich jetzt das in Monstein verplauderte Stündchen wieder eingeholt und zugleich die Gewißheit erlangt, daß ich leicht bei Tag wieder im Thal sein werde.

So blieb ich denn bis 5 Uhr auf dem schönen Punkt und vertiefte mich in das von andern Höhen aus so oft gesehene, aber immer wieder schöne und auch immer wieder Neues bietende Panorama. Den Glanz- 36 Kleinere Berge im Davoser Gebiet.

-'-,; M 37 punkt der Aussicht bilden die Bergünerstöcke: Piz d' Aela, Tinzenhorn und Piz Michel. Wie sie BO stolz da stehen, so unvergleichlich groß und schön, so gewaltig und abschreckend und doch auch wieder so zauberhaft anziehend! Für nie waren sie heute der, Gegenstand eines ganz besonderen Interesses, standen sie doch für die nächste Zeit- auf meinem Exkursionsprogramm und^sollte gleich morgen der Anfang mit $e© Tinzenhorn gemacht werden. Das letztere erscheint als kühn aufragender Turm, von dem man jetzt, da er vom blendenden Licht umflossen ist, fast meinen möchte, er wäre von weißem Marmor und nach der Art der gotischen Türme zierlich durchbrochen. Es ist ein Klettergerüst von gigantischen Formen, so recht nach dem Herzen der Felsenmänner. Und nun sein Nachbar, der hoch- und breitgewölbte Aela! Ein Berg ganz anderer Art, nicht schlank und zierlich gebaut, sondern massig und schwer und breit hingestellt als ein Riese und starker Held mitten in eine Welt von stolz und kühn dreinblickenden Mannen, die aber dennoch ehrerbietig vor ihm sich neigen. Er zeigt sich hier in seiner ganzen Größe und man sieht an ihm jedes Felsband, jede Runge, jede Schnee- und Eisrinne, jede Furche in der Stirn und jede Falte im Gewand. Zwischen seinen beiden Flügeln, dem Rugnux dador und Rugnux dadains, lagert oberhalb der Waldgrenze das wilde Hochkar Tranter Aela, unten mit Bergschutt, oben mit Schnee und Eis erfüllt. Mitten drin erhebt sich die kleine, aber scharf zugespitzte Pyramide des Barba Peder und von ihm zieht ein Felsgrat bis gegen den Aelagipfel hinauf, der den untern Gletscher halbiert. Der obere Gletscher ist kleiner, aber steiler und bricht unten mit blauschimmernden Seraks ab. Die ganze Anstiegslinie ist deutlich genug zu erkennen, sieht aber an einzelnen Stellen etwas unheimlich aus. Man vergleiche in,Jahrbuch S.A.C. XXX, pag. 88, das schöne Bild des Piz d' Aela nach einer Photographie von Herrn D. Stokar vom Latscher Kulm aus.

Hinter den Bergüner Stöcken erscheinen die kühne Gestalt des Piz Piatta und die verwetterten Schieferberge des Piz Forbisch und Piz d' Arblatsch^ links vom Piz d' Aela die schöne Errgruppe mit ihren vier Centralgipfeln und dem Piz Julier als Flügelmann links. Herrlich ist auch der Piz Kesch, glanzvoll die Berninagruppe in ihrem tadellos weißen Mantel. Ob diesen Prachtgestalten vergißt man fast die nähern Sachen und doch bieten auch diese des Interessanten gar viel. Die Ducankette erscheint wie geologisch koloriert, so deutlich leben sich die verschiedenen Gesteinsschichten nach ihren Farben ab: gelb, rostfarbig, dunkelgrau, braun, hellgrau, weiß/ Es dürfte wenige Gebirgszüge geben, deren Schichtenfolge vom Verrucano bis zum Plattenkalk ( Theobalds Hauptdolomit ) schon aus beträchtlicher Entfernung an dem bloßen Farbenwechsel zu erkennen ist. Nur flüchtig werfen wir noch einen Blick auf die stolzen Zinnen des Rätikon, auf einzelne Glieder der Tödi kette,, auf das näher- #8Ed.Imhòf:

stehende Pléssurgebirge und auf Teile der weniger hervortretenden Sil-vrettagruppe und der Bündner Oberländer Berge. Zwischen diese dichtgedrängten Bergmassçn legen sich einige freundliche ThalbHder, so die grünen Alpen und Matten van Monstein und in prächtiger Beleuchtung Davos Platz und Frauen kirch, dann Teile des Albulathals von Alvaneu bis in den Schyn mit Tiefenkastels,, Stttms, Mons und andern Dörfern, endlich über die grüne Fläche des Latscher Kulms eine Strecke der f Albulastraße hinter Bergtin.

Es war bereits 5 Uhr, als ich mich wieder auf den Weg machte, um nun den ganzen Stulsergrat bis zur Muchetta zu überschreiten. Zuerst ging 's, vielleicht etwa 150 Meter\ abwärts auf der nicht sehr steilen Bergkante und dann folgte der nur schwach gewellte Grat mit nur ganz geringen Gegensteigungen. Links kommen die mehr öder weniger steilen Weidenhänge bis auf den Grat hinauf, rechts fällt derselbe steiler, stellenweise mit einigem GeschrÖfe oder mit breitern Schutthalden ab. Das war ein herrlicher Spaziergang über diesen Grat hin, angesichts des in schönster Abendbeleuchtung dastehenden Alpenkranzes und des immer mehr sich erweiternden Blicks in die Thäler der Albula und des Ländw^ssers. Ein Dorf um das andere, eine Häusergruppe um die andere trat hervor im hellen Glanz der Abendsonne, und zu Tausenden glitzerten allüberall die über die Thalgründe, Gehängeterrassen und sanfter geneigten Halden hingestreuten Häuser, Hütten, Ställe und Heuschober, da und dort audb Kirchen und Kapellen. Mit jedem Schritt veränderte sich das Bild, teils in den Objekten, teils in der Beleuchtung. Aber dei* Glanzpunkt war die Muchetta selber, auf der ich, trotzdem es Abend geworden war, Bk Stunden verweilte ( von 5 ühr 45 Min. bis 6 Uhr 30 Min. ) » Mit der Entzifferung der Aussicht und mit dem Notizenmachen hatte ich jetzt nichts zu thun, denn das war auf dem Büblenhom und auf dem Weg von dort hieher geschehen. Ich konnte mich also dem bloßen ungestörten Gehießen und Bewundern hingeben. Die Gebirgsaussicht ist zwar etwas beschränkter als jtuf dem Bühlenhorn, aber deshalb doch nicht weniger schön, namentlich be} dieser wundervollen Abendbeleuchtung. Speciell die drei Bergünerstöcke erscheinen auf d^r Muchetta noch großartiger, da man sie, besonders den Piz d' Aela^ gleich von der Thalsohle aufsteigen sieht und ihnen auch etwas näher ist. Aber wichtiger als die Veränderung im Gebirgspanorama ist diejenige in der Thalaussicht. Man steht hier in der Gabelung des Albula- und Landwasserthals und sieht diese Thäler in ihrer ganzen Ausdehnung mit etwa zwanzig Dörfern und mit ihren Bächen und Straßen, Wäldern, Wiesen und Feldern. Man hat das alles in der schönsten Vogelschau, von Davos Dörfli und Platz mit ihren glänzenden Palästen toì mit dem See bis hinunter nach Tiefenkastels, Alvaschein, Obervaz, Mons und Stürvis und bis wieder hinein nach Bergün, Stuls und Latsch. Nur das in dei1 Thalgabel liegende Filisur und das am Nordabhang des Siulser.Varala grates klebende Jenisberg sieht man nicht, doch war dieses auf dem Weg Melier längere Zeit sichtbar und Filisur rückt in das Gesichtsfeld, wenn man nur ein wenig vom Gipfel westlich absteigt auf einen Vor-sprung,der ebenfalls mit einem Steinmännchen gekrönt ist.

Doch ich mußte endlich aufbrechen und wieder ins Thal niedersteigen, 6 lfo Uhr abends wary dazu gewiß nicht mehr zu früh. Ich spazierte also ein Stück weit auf dem Stulsergrat zurück bis gegen Punkt 2622, wobei ich « fenisberg noch einmal zu Gesicht bekam, warf da noch einen letzten Blick auf die schönsten Teile des herrlichen Rundgemäldes und eilte dann mit großen Schritten über die teilweise steilen Rasenhänge gerade hinunter zur Schäferhütte und von da auf den Weg, der etwas weiter unten beginnt und zttnäehst noch über Weiden, dann durch schönen Wald ins Thal hinunter führt, um beim Maiensäß Runsolas das Sträßchen des Stulser-thals zu erreichen. Ich bin da Term ausgezogen, denn von der Schäferhütte an brauchte ich nicht mehr als eine halbe Stunde his zur Brücke von Runsolas oder für einen Abstieg von 670 Meter. Ich wollte eben noch vor der bald einbrechenden Nacht unten sein, was mir denn auch gelang* Nun hatte ich nichts mehr zu fürchten, ich war auf gebahntem Wege und in bewohnten Regionen, also durfte ich es nun wieder etwas gemütlicher nehmen. Im leichten frohen Wanderschritt marschierte ich auf dem netten, leicht abwärts steigenden Sträßchen zunächst noch durch prächtigen Tannenwald, dann durch die grünen Wiesenterrassen hinaus nach Stuls. Biet herrschte schon die stille Abendruhe, auf dem Platz und in den Gassen war fast niemand zu sehen, da und dort glimmte in einem Häuschen ein rötliches Licht oder zeigte sich durch die offene Ktichenthtire, die zugleich Hausthüre ist, das flackernde Feuer auf dem Herd, ein einziges ^buona seiraa kam mir vom Brunnen entgegen, wo ein Mädchen noch den letzten Eimer Wasser holte. Dann traf ich niemand mehr bis Bergün, und doch war es nur etwa 7*/2 Uhr, als ich durch Stuls kam. Aber in diesen Bergdörfern, wo die Leute im Sommer tagsüber strenge Heuerarbeit haben und am Morgen früh aufstehn müssen, ^ehen sie am Abend auch früh jan^er Dach. Die schlimme Gewohnheit des Spät&üfv sitzens, gar etwa noehrin dumpfer Wirtsstube bei Kartenspiel und Air kohol, ist ihnen fremd. Auch für mich war eö nun Abend geworden, ich eilte nicht mehr allzu sehr, namentlich nicht so lange der Weg auf der hoch über der Albula sich nach Latsch hinziehenden Terrasse blieb. Ich ließ den schönen Tag noch einmal im Geiste an mir vorbeiziehen und schaute bewundernd an das Tinzenhorn und den Piz d'Äela hinauf, die jetzt als schwarze Riesengestalten aus der Tiefe des Thals sich empör-schwangen zum Sternenzelt, Halbwegs zwischen Stuls und Latsch zweigte mein Weg sich vom Latscherweg ab und führte mich, ein Sttiek weit durch recht dunkel gewordenen Wald, hinunter gegen den Bergüner ein, aber dann noch einmal abbiegend auf die große schöne Poststraße, ^55*«^ V::-:,-rattil der ich in wenigen Minuten um 8 Uhr 2p Min. mein heutiges Tagesziel, Bergün, erreichte und dort im „ Weißen Kreuz " gute Aufnahme fand. QJme Säumen suchte ich noch den Führer Peter Mettier in seiner W^ itttng auf und fand ihn zu meiner Freude bereit, noch in dersethéû Nacht ü»t ^pair nach dem Tiiizènhorn aufzubrechen. Wir haben dann richtig am folgenden Tag dieses Horn, beim herrlichsten Wetter und in fröhüchsfer Stimmung bestiegen, dann noch eine Reihe weiterer größerer Totìren gè-macht und dabei unendlich schöne Stunden verlebt Doch will ich jetzt nicht davon erzählen, obwohl sie auch ins Clubgebiet gehören. Aber von den großen Touren und von den Hauptbergen wird sonst genug her richtet, ich will mich an die kleinem halten.

2. Ein Höhenweg von Dayos Platz nach Sertig* Ein in seiner Art ebenso schöner, aber noch seltener ausgeführter Bergspaziergang als der eben beschriebene ist derjenige von Davos Plate Über das Jakbbshorn und die ganze sich anschließende Bergkette bis zum Gefroren Horn nach Sertig Dorili. Ein Punkt wie die Muchetta ïôt allerdings hier nicht vorhanden und die Grat Wanderung ist länger und wegen der größeren Gegensteigungen mühsamer als auf dem Stuisergrat. Dafür erreicht man aber auch schon in 2—3 Stunden den ersten Gipfelpunkt, das Jakobshorn, und hat hier, wie schon vorher auf dem Bremen* bfihl, eine ganz prächtige Aussicht Von da weg bleibt man immer auf dem Grat, wandert also stundenlang in freier, aussichtsreicher Höhe, ohne Schwierigkeiten oder Gefahren zu begegnen. Und sind die Gegensteigungen auch größer als am Stuisergrat, so sind sie doch nur mäßig, so daß sie mehr Abwechslung in den Marsch bringen, als Mühe bereiten; Ich habe die ganze Tour schon 2 Mal ausgeführt und beide Mal viel Freude daran gehabt. Von der einen dieser Touren, die auf den 17. August 1893 fiel, sei mir gestattet, hier zu erzählen.

Nachdem man in wenigen Minuten das Davoserthal überquert hat, kommt man in den schönen Wald, der unter dem Bremenbühl und der Ischaalp den ganzen Bergabbang in einen dichten schwarzen Mantel hüllt und im untern Teil von schönen Spazierwegen durchzogen ist. Nachdem ich mich hier eine Weile ergangen hatte, wendete ich mich dam Ischaalp weg zu und stieg auf demselben, trotz seiner beträchtlichen Steilheit, rasch aufwärts, ohne mich an die normalen 300—400 Meter zu halten, 4ie ein „ vernünftiger " Bergsteiger per Stunde steigen soll. vRichtig war ich denn auch schon um 11 Uhr 50 Min. auf dem Bremenbühl und um 1% Uhr 15 Min. auf dem Jakobshorn, nachdem ich Davos Platz nur wenige Minuten vor 10 Uhr verlassen hatte. Bei stetigem und gleichmäßigem Ausschreite® kommt man eben auch bei einem ganz verständig«mäßigen Tempo rasch vorwärts, ohne rennen zu müssen.

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Kleinere Berge im Davoser ixtbiei.

Die Aussicht auf dem Jakobshorn war schon recht schöne; ick blieb aber doch nicht länger als etwa ]/4 Stunde, hauptsächlich um den herrlichen Blick in das Davoserthal mit seinen Dörfern, seinem See und seinen Hunderten von über die ganze Thalsohle und über die Untern Abhänge hingesäeten Häusern und Ställen zu genießen, denn das mußte mir auf meinem Weitermarsche bald entschwinden ,'während die G tfbirgsaussicht sich je länger je mehr entfalten mußte. ist auch die Thalaussicht hier bei weitem nicht so ausgedehnt und mannigfaltig wie auf der Muchetta, so ist doch speciell der Blick auf die unmittelbar zu J^ttfeen liegende Landschaft Davos hier schöner und deutlicher als dort. Am Platz und auch im Dörfli erkennt man jedes einzelne Gebäude, man hört den Pfiff der Lokomotive, sieht sie am Bahnhof hin und her manövrieren und sieht die Züge kommen und gehen. Auch der Blick in die beiden Seitenthäler Dischma und Sertig und auf die sie einschließenden Bergketten, besonders auf die hüttenbestreute, grüne Wiesenfläche Hinter den Ecken mit der darüber aufsteigenden gewaltigen Kalkmauer der Ducankette, hat viel Anziehendes und man begreift, daß das idyllische Sertig Dörfli ein Ort ist, der sich eine kleine Kolonie von immer wiederkommenden Stammgästen erworben hat. Zur Skizzierung der Bergaussicht möge es genügen, einige entferntere und hervorragende Spitzen zu nennen, um anzudeuten, daß dieses von Davos aus mit so wenig Zeit- und Kraftaufwand zu gewinnende Panorama, wenn auch -nicht so großartig wie vom Schwarzhorn, der Weißfluh und andern höhern Punkten, doch ein ganz sehenswertes ist. Über die Ducankette blickt stolz der hochragende Kesch herein und in größerer Ferne der Piz d' Err, der Piz délias Calderas und der Piz Piatta, rechts davon über die Monsteiner Berge stehen in schöner Gruppe die Bergünerstöcke ( Piz d' Aela, Tinzenhorn und Piz Michel ) und über die südwestlichen Teile der Strelakette erblickt man in weiter Ferne einige Häupter des Bündner Oberlandes und der Tödikette, rechts von/der Weißfluh zeigen sich die Haupt-, berge des Rätikon: Scesaplana, Drusenfluh, Sulzfluh und Madrishorn und neben dem letztern über das Schlappinerjoch einige winzige Spitzen des Montafun, darunter die breitere Rotwand. Auch die Silvrettagruppe ist in diesem Kreise durch Groß-Litzner und Groß-Seehorn, Plattenhörner, Piz Linard und einige kleinere Trabanten würdig vertreten, und ihr schließen sich zur Ausfüllung der Lücke bis zum Piz Kesch noch an das Weiß- horn, das Schwarzhorn und der Piz Vadret mit ihren Genossen und mit dem großen Scalettàgletscbér.

Beim Weitergehen entfaltete sich dann das Gebirgspanorama immer mehr und es änderte sich die Gruppierung oder die Beleuchtung, so daß das Bild immer wieder neue Seiten zeigte, auch wenn es sich nicht wesentlich erweiterte. Auf dem Jatzhorn z.B., das ich 20 Minuten nach Verlassen des Jaköbshorns um 12 Uhr 50 Min. erreichte, ist der Gesichts r.y:?+: &-.v.""-:

kreis nicht viçl weiter geworden, aber der Piz Kesch, die Bergünerstöcke, die Hörner der Silvrettagruppe, des Rätikons, der Glarner Alpen ( Tödi, BrigelseVhörner, Yorab, Ringelspitz u.a. ) und des Bündner Ober landes mit Béverin, Surettähorn, Tamboborn, Rheinwaldhorn, Pia Terri etc. treten mächtiger hervor und der Scalettagletscher zeigt sich in voller Pracht, selbst einige Spitzen der BAninagruppe tauchen auf, aber die Errgruppe ist weniger deutlich geworden und namentlich die Thalaussicht bei weitem nicht mehr so schön wie auf dem Jakobshorn und auf dem Bremeifbühl. immerhin lohnt es sich der Mühe, das Jatzhorn mitzunehmen, wenn man auf das Jakobshorn steigt, denn* der Zusatz an Kraft und Zeit ist doch nur ein sehr geringer und die Aussicht wieder eine andere und speciell als Bergaussicht vorteilhaftere* Auch diç Plora bietet hier oben manches Schöne. So notierte yieh mir auf dem zum Teil doch schon felsigen Kamm vom Bremenbühl bit zum Jatzhorn folgende kleine Reihe: Campanula barbata, Scheuchzerî und latifolia, Saxifrâga aïzoïdes und stellaris, Bellidiastrum, Ôlobularjà^ Sempervivum arachnoïdeum, Achillea atrata und moschata ( Iva- oder Wild fräuleinkraut ), Euphrasia minima ( weiß und gelb ), Orepis aurea/ Arnica montana, Hypoehäris uniflora, Sehecio carniolicus, Azalea procumbens, Bartsia alpina. Natürlich fehlt auch die Alpenrose nicht, die ganze Halden bedeckt, während diç andern Blumen mehr vereinzelt und zerstreut unter den Gräsern sich finden oder den kahlen Bergschutt beleben, aber auch da und dort kleine, in allen Farben schillernde Gärtchen; zusammensetzen.

Um 1 Uhr 30 Min. setzte ich die Wanderung wieder fort und brauchte gerade

Die Aussicht auf diesem Weg und auf dem Thälihorn ist wieder etwas beschränkter als auf dem Jatzhorn. Die BergÜnerstöcke, der Piz ,:':Kleinere Berge im Davoser Gebiet.

Piatta und der Piz Vadret sind aus dem Bilde verschwunden, dafür ist das Verstanklahorn aufgetaucht und namentlich das'.'Sertigthal zeigt sich in seiner ganzen Ausdehnung und macht einen außerordentlich freundlichen Eindruck. Der Piz Kesch und die Ducankette vom Mittaghorn bis zum Gletscher-Ducan haben gewannen Tmd erseheinen in voller Größe und Kraft, denn man ist ihnen wesentlich nähergertiekt, auch ( las Älplihorn einerseits und das Flüela-Schwarzhorn andererseits präsentieren sich vorteilhaft, und am erstem lege ich mir die Anstiegsrouten zurecht, eine von links über das Älpeli und eine von rechts fiber

Vom Thälihorn hätte ich nun, wenn es mir daran gelegen gewesen wäre, bald in Sertig zu sein, direkt dorthin absteigen können. Vom Horn südwestlich über breite und nicht sehr steile Wiesenhänge àbstei-gend, wäre ich am obern Waldrand auf einen Weg gekommen, der mich leicht und schnell inô Thal gebracht hätte. Es ist das der Weg, den die Sertiger Sommergäste einschlagen, wenn sie auf das Thälihorn gehen, Aber mir lag mehr daran, noch länger in der Höhe zu bleiben und die Kammwanderung bis zum Gefroren Horn fortzusetzen. Also tritt ich um 3 Uhr wieder an und hatte das Vergnügen, daß die Wanderung nun bald etwas Abwechslung erhielt und einen mehr bergsteigeriseben Charakter annahm. Der Grat wurde felsiger und zerrissener und fing auch àty sich einige ordentliche Abstürze rechts und links zu erlauben, wenn es auch nicht in schwindelnde Abgründe ging. Von Schwierigkeiten, und Verlegenheiten, von ängstlichem Suchen nach einem passablen Ausweg, von heiklen Klettereien und Traversierungen längs schmalen Bändern gab 's aber auch hier nichts. Der Weg war klar genug vorgezeichnet und konnte aufrechten Ganges, und ohne mit den Handelt zur greifen zu müssen, passiert werden. Doch erforderte der letzte Aufstieg auf das 2824 Meter hohe Wuosthorn eine Steigung von circa 200 Meter, was nach längerer Kamm Wanderung mit mehrfachem Auf- und Absteigen immerhin etwas ermüdet. Aber in einer halben Stunde, vom Tbälihoni an gerechnet, war die Sache abgethan, und ich hatte den .höchsten Punkt meiner heutigen Tour erreicht. Ich konnte also schon wieder rasten und Umschau halten. Der Piz Kesch trat immer mächtiger hervor, jetzt auch mit seinem glänzenden Hermelinmantel, dem Porchabeila » gietscher. Er hat sich Überhaupt heute als ein König der Berge in weitem Umkreis erwiesen und zwar sowohl durch seine stolze Gestalt und Haltung, als durch seine alles überragende Höhe. Nachdem er einmal beim Jakob8horn auf dem Plan erschienen war, hatte er das Feld nicht mehr geräumt, sondern türmte sich je länger je imposanter und gewaltiger auf. Auch die schöne Gruppe des Piz Vadret und Piz Sursufa mit dem Piz Grialetsch und Scalettahorn standen jetzt da in voller Parade, angethan mit ihren schimmernden Gletschermänteln, und ;vW- '., auch die Berninagruppe guckte links vom Kesch neugierig hervor, rend der Rätikon, der Säntis und die Churfirsten, die Tödikette, die Bündner Oberländer und die Adulagruppe sich zu einem weiten Halbkreis zusammenschlössen, der sich rechts an die Silvrettagruppe, links an die Bergünerstöcke, die Errgruppe und Oberhalbsteinerberge anlehnte. Piz d' Aela, Tinzenhorn und Piz Piatta schauten wieder gar stolz und kühl* in die Lande hinaus, als wären sie sich ihrer Größe und Herrlichkeit bewußt. Innerhalb dieses weiten Umkreises lagerten sich in malerischen .Gruppen alle die zahllosen kleineren Berge des Davoser-, Albula- urid Plessurgebietes, die demjenigen doch auch Interesse gewähren, der auf tnanchen von ihnen gestanden und Umschau, gehalten hat. Er sucht sie auf, alle diese seine Kletter- und Schaugerüste, und freut sich, wenn ihm keiner seiner Lieblinge fehlt.

So war also die Bergaussicht eine schöne und weite, die schönste, die ich heute genossen hatte. Doch konnte ich mich nicht zu lange hier aufhalten, denn ich mußte noch hinüber zum Gefroren Horn, dem letzten meines heutigen Programms. Der Weg führte mich zunächst durch wildes Felsrevier auf einen südlichen Nebengipfel des Wuosthorns, dann über teilweise berasten Kamin auf die Sennetrizfurka hinunter mit cirka 200 Meter Abstieg und von da in weitem Bogen wieder 120 Meter au* steigend mit kleinen Gegensteigungen, zuletzt wieder über leichten Felsen,; zum gewünschten Punkt, der mich trotz seines frösteligen Namens und d«r vorgerückten Zeit nicht zum Frieren brachte. Es war 5 Uhr 10 Mim wie ich das Gefroren Horn erreichte, und ich s hatte vom Wuosthorn weg 65 Minuten gebraucht.

Ein halbes Stündchen durfte ich mir hier noch ganz gut erlauben, denn es war jetzt erst 5 Uhr, und bis nach Sertig Dörfli hinunter mußte ich höchstens IV2 Stunden rechnen. Vor 7 Uhr brauchte ich aber nicht dort zu sein. Die Aussicht bot zwar wenig Neues, war im Gegenteil wieder beschränkter geworden, aber ich wollte sie in der beginnenden Abendbeleuchtung genießen. Und diese war herrlich, besonders die gewaltigen Kalkwände der Ducankette schienen förmlich zu glühen und in eigenem Lichte zu strahlen und der Kesch mit seinem Gletschermäntel leuchtete in geradezu blendendem Glanz. Mit besonderem Wohlgefallen weilte mein Blick auch auf dem Kühalphorn mit seinem feinen Firnkamm und auf seinen drei Nachbarn: AügstenhÖrnli, Bocktenhorn und Sattelhorn, denn das sind mir gute, liebe Bekannte, die alle mir einst freund-~ liehen Empfang bereitet hatten. Namentlich jener prächtige Firnkamm, der vom Kühalphorn zum Scalettapaß hinunterzieht und den ich vor einem Jahr mit dem braven Führer Georg Valer von Davos in seiner ganzen Länge begangen hatte, fesselte mein Auge, und deutlich konnte ich dort unsere ganze Marschroute mit allen ihren Einzelheiten verfolgen und so die schöne Wanderung in Gedanken und Gefühlen noch einmal Kleinere Berge im Davoser Gebiet.i$ dttrchleben. Heu war dann gegenüber den Aussichten des heutigen Tages besonders der Blick in die beiden hintern Verzweigungen des Sertigtfrals, in das grüne Kübalptbal einerseits und in das trostjose, einem Wtistentbal alle Ehre^anthu€^deDucânthal andererseits, die man beide in ihrer ganzen Ausdehnung |)is auf den Sertìgr* und Ducanpaß hinauf über^ blickt, über welchen dort der Piz Kesçh und hier der Piz d' Aela m mächtigen Pdrmen sich auftürmen. Herrlich breitet sich zu Füßen der grüne Wiesengrund des Sertigthale » aus mit seinen braunen Hütten und Häusergruppen, seinem winzigen Kircjhlein und dem in tiefer Elamm zerstäubenden Wasserfall. Emsig sind dort die Leute mit der Heuernte beschäftigt und deutlich kann man die kleinen Heuberge den Hütten zusteuern sehen, indessen im Kühalpthal eine friedliche Herde weidet.

Aus der beabsichtigten halbstündigen Rast waren schon Bk Stunden geworden, als ich endlich zum Abstieg ins Thal mich entschloß. Ich stieg über die stufenförmigen Felsen der Westseite steil hinunter ziemlich direkt auf Punkt 2316 und den dort beginnenden Weg zu. Der war bald erreicht, und nun führte mich der Weg, zwar immer noch steil, aber doch angenehmer als es auf den meist glatt abgemähten Rasenhängen. gewesen wäre, direkt zum Dörfchen hinunter, wo ich wenige Minuten nach 7 Uhr ankam. Im vordem Wirtshaus kehrte ich> alter Übung gemäß, ein und erhielt da in freundlichster Weise, was den Wanderer nach langem Marsch erfreuen kann. Übrigens war der Marsch gar nicht so besondere lang gewesen, denn um 10 Uhr vormittags war ich von Davos Platz abmarschiert und um 7-Uhr abends war ich in Sertig Dörfli, macht 9 Stunden, wovon 2lk Stunden auf die Rasten und nur 6V2 Stunden auf den Marsch kommen. Gewiß wenig Zeit und wenig Mühe für das, was mir gelloten wurde!

Zum Schluß ein Verzeichnis von Pflanzen, das ich bei einer andern Gelegenheit auf einem einzigen Fleck unter dem Jatzhorn in cirka 2400 m Höhej aufgenommen habe:

Homogyne-alpina, Arnica montana, Crépis aurea, Hypochäris unifiora, Senecio carnioHeus, Euphrasia minima, Allium SchÖnoprasum, Eriophorum Scheflchzéri ( Wollgras ), Campanula Scheuchzeri, barbata und latifolik, Veratrtini album, Cirsium spinosissimum, Anthillis vulneraria, Trifolium badinm, Globularia cordifolia, Artemisia Mutellina, Isländisch Moos, Chry-santèmum älpinum, Bellidiastrum, Nigritella angustifolia ( Bränderli ), Sem-perviyum arachnoïâeum, Saxifraga aïzoïdes, Anemone alpina ( verblüht, aber mit schönen Fruchtköpfen ), Antennaria dioica, Erica carnea, Caliuna vulgaris, Gentiana lutea und punctata, Bärentraube, Heidelbeere und rostr blätterige Alpenrose.

., ^ ^ ^r^r-v^-T. .v:;,Ed. Itnhof.

3. llplihorn, Krachenhorn und Gletscher -Ducau.

Am darauffolgenden Tag, den 19. August 1893, habe ich eine Tour ausgeführt, die mich jetzt noch ganz besonders freut. Sie kam ganz unbeabsichtigt zu stände, ist aber denrtoch auf das beste gelungen. Eigentlich wollte ich an diesem Tag nur das Älplihorn besteigen, aberl'appétit Vient en mangeantwie ich einmal dort war und den Tag ausfüllen wollte, £og ich weiter, stieg planlos, den momentanen Ein-gebu ngen folgend, in den Bergen herum, und so gab denn eins das andere, bis ich auch das Krachenhorn und den Gletscher-Ducan hinter mir hatte.Vor und auch noch bei Antritt der Tour hätte ich es für unmöglich oder doch für unverständig gehalten, diese drei ziemlich weit von einander entfernten und durch tiefe Einschnitte getrennten Berge an einem Tag zu besteigen. Wie es aber einmal gemacht war, war ich von der Tour sehr befriedigt und ich freue mich noch jetzt über dieselbe. Es war ja auch alles leicht gegangen und es hatte sich ungezwungen und ungesucht eins ana andere gehängt. Wie sich das so machte, soll im; folgenden erzählt werden.

Da ich in meinem Sinn nur eine kleine Tour, das ÄlpHhoriL(30lOvorhatte, so brach ieh erst spät, um 7 Uhr, von Sertig Dörfli auf. Zuerst schritt ich eine kurze Strecke thalauswärts bis über den Fählenbach hinaus, wo das Thalsträßchen steiler sich senkt und mit einer Biegung an den Sertigbach herantritt. Ein kleiner Steg führte mich dort bei Punkt Ì839 über den Bach, Von dort'führte ein ordentlicher Geißen weg schräg über die besonders im untern Teil stark mit Steintrtiminern besäeten Rasenhänge links hinauf zum Bergli, einer Mulde zwischen S'chwars-i9uh und Schrattenfluh, wo er mit dem von den Großen Alpen herkommenden zusammentrifft und bald sein Ende ndet. Dieser Wèg tìt auf der Exkursionskarte nicht angegeben, aber doch gut gangbar und vom Thalsträßchen und vom Dörfli aus in seiner ganzen Länge zu erkennèB, aogar besser als der von den Großen Alpen aus aufsteigende und in dir Karte verzeichnete. Ihn wählte ich mir zur Anstiegsroute und ich kam auf ihm auch rasch in die Höhe. Oben in der Mulde des Bérgli ist dies Weide sehr spärlich und überall stark von Gesteinstrümmern tiberschüttet; es/ herrscht der Schutt gegenüber dem Rasen entschieden vor. Darum findet matt hier weder Alp noch Mäder, wie sie %doch sonst in der Nachbarschaft, z.B. gegen das Thälihorn, Jatz- und Jakobshorn, am Rinerhorn etc., np0h in großer Ausdehnung vorkommen. Es kündigt sieh in diesen Schutt-iQassen in sehr augenfälliger Weise der Gesteinswechsel an. Die letztgenannten Hörner bestehen aus krystallinischen Felsarten, besonders aus Gneis und Hornblendeschiefer, die leicht erdig zerfallen und die Entstehung breiter Rasenhänge begünstigen. Auch das Leidbachborn, der nächste nördliche Nachbar des Älplihorns, besteht noch aus diesen Felsarten, aber das letztere selber ist schon ein Kalkberg. Der Formationswechsel geht gerade durch unser Bergli, indem er schräg vom Sertiger Wasserfall zu diesem aufsteigt und dann über die Gratlücke zwischen Leidbachhorn und Älplihorn bei Punkt 2729 weiter zieht. Die Schuttmassen kommen nun hauptsächlich von dieser Lücke und vom Älplihorn her, und gewiß würde die ganze Mulde in eine Wüste verwandelt sein, wenn auch das Leidbachhorn und die Schwarzfluh Kalkberge wären. Bezeichnend sind übrigens die Namen Schwarzfluh und Schrattenfluh^ für die das Bergli flankierenden Ausläufer von Leidbachhorn und Älplihorn, und sie geben Zeugnis für die Beobachtungsgabe des Volkes und sein Gefühl für richtige Namengebung. Sie entsprechen nämlich genau dem Naturcharakter ihrer Träger,

Der Aufstieg durch die Trümmermassen des Bergli war nicht überall mühelos, besonders im obern Teil, wo das Gehänge steiler wurde und mit feinerem, unter den Füßen wegrutschendem Schutt bedeckt war. So wares mir derni ganz angenehm, als ich gegen 9 Uhr den Grat bei 2729 * erreichte und damit wieder auf festeres Terrain kam. Ohne mióh aufzuhalten, verfolgte ich denselben, südwärts aufsteigend. Das ging anfangs ganz leicht, aber bald wurden die Felsen schwieriger, zerrissener und stellenweise für einen Alleingänger fast unangreifbar. Nach beiden Seiten fielen sie in senkrechten Wänden ab und der Kamm selber war mit unangenehmen Einschnitten und Zacken verbarrikadiert, so daß ich ein Stück weit ordentlich zu klettern hatte, wobei mir der Eispickel mehr im Weg; als von Nutzen war. Besonders eine Stelle brachte mich in eine etwas mißliche Lage und machte mir zu ihrer Überwindung ordentlich zu schaffen. Ich stand in einer engen Gratlücke, und vor mir türmte sich ein mächtiger Klotz auf, der nach allen Seiten senkrecht und in bedeutende Tiefe abgebrochen war. Umgehen konnte ich ihn nicht, qnd das Überklettern schien mir gefährlich oder doch gewagt. Schoif dachte ich aö Umkehr und Angriff von einer andern Seite. Aber ich sah doch, daß, wenn ich den Klotz überklettern könnte, ich dann gewonnen Spiel hätte und in wenigen Minuten auf der Spitze sein würde. Eine genauere Untersuchung zeigte mir eine angreifbare Stelle am Turm, ein in halber Höhe desselben sich links herumziehendes Band, nur war dasselbe abschüssig und schmal, und von meinem Standpunkt nicht leicht zu erreichen. Doch wollte ich einen Versuch machen und kletterte also etwa zimmer- Ed. Imhof.

hoch an meinem Felsen hinauf, bis ich das Band mit der linken Hand erreichen konnte, wobei ich aber mit den Füßen nur schlechten Stand hatte und mit der Rechten unsicher am Fels umhertastete, ohne einen guten Griff oder Stützpunkt finden zu können. Ich war da in einer etwas hdlden Situation und ich dachte ans „ fröhliche Murmeltier ", an seine vorwurfsvollen Blicke und seine geheime oder offene Schadenfreude, Was sollte ich da thun? Vorwärts konnte ich nicht, rückwärts auch fast nicht und da hängen bleiben doch auch nicht. Das Zurückgehen war mir, abgesehen davon, daß es eben auch nicht mehr leicht gewesen wäre„ das Unliebste, fast wollte ich lieber noch eine Weile da hängen und über das Klettern philosophieren. Da traf das rechte Knie auf eine schwache rundliche Ausbauchung des Felsens und ich erhielt so genügende Festig- keit, um mit dem linken Arm weiter sticken und ihn ganz, bjesoam- ders auch fest mit dem Ellbogen, auf dem Band auflegen und mich té auf dasselbe hinauf stemmen zu können. Wie ich oben war, fand ich es besser, als es mir von unten geschienen hatte. Der Boden war rauh, und bot ziemlich gutennur stieg er ziemlich steil an und der darüber aufsteigende Fels hatte etwas dumm sich -vordrängende Kanten, um die ich mich behutsam herumbiegen mußte. Aber ich kam doch ordentlich vorwärts, und; war bald aus den mißlichem Stellen heraus. weiter oben war der Grat zwar immer noch wild zerklüftet und geschartet, hatte aber doch überall Durchgänge genug, um ein ordentliches und ziemlich ungehindertes Fortkommen zu ermöglichen., Auch die eben mit Mühe überwundene Stelle war nur deshalb schlimm und schwierig, weil ich allein war. Zu zweien wäre man mit gegenseitiger Hülfeleistung leicht über sie hinweggekommen. Ob ich sie ganz hätte vermeiden können, wenn; ich weiter unten einen etwas andern Weg eingeschlagen und, statt durchweg den Grat zu überklettern, ein Stück weit die Flanken traversiert hätte, kann ich jetzt nicht sagen. Aber es hat mir doch geschienen, als hätte ich mich ein bißchen in den Felsen vergangen und als hätte ich bei genauerem Suchen einen besseren Weg finde!, können. Aber die Sache war ja auch so gelungen und ich schritt nun frohgemut dem nahen Ziele zu, das ich in wenigen weitem Minuten um 10 Uhr erreichte.

Ich hatte es wieder einmal gut getroffen: angenehme Temperatur ohne sind, tiefblauer Himmel, reine klare Luft und ein wunderbare] » Panorama, das-inallen Teilenfrei und offen vor dem entzückten Blick sich entfaltete. Mich interessierte vor allem die weite, reichgegliederf e Albulâgruppe als-das gegenwärtige Excursionsgebiet und als dag auch räumlich Nächstliegende. Da fehlt fast nichts, als die Kette vom Julierpaß bis zum Piz Stella und merkwürdigerweise auch der Piz Piatta, der mir sonst auf meinen diesjährigen Touren überall begegnet war und nachgerade zu meinen Vertrauten zählte. Heute blieb er hinter dem x y, breitschulterigen Piz d' Aela versteckt. Um so grandioser erschien dafür eben dieser Aela und die Gruppe der Bergünerstöcke überhaupt, dann die Errgruppe bis zum Piz Julier und noch näher die Gruppen des Piz Kesch und des Piz Vadret mit ihrem stolzen Gefolge und mit all ihren Vor-und Seitenketten, unter denen die Ducankette mit ihren wilden Gestalten gewaltigen Eindruck macht. Weniger günstig zeigt sich die Silvrettagruppe, die nur mit ihren höchsten Spitzen über die drei vorgelagerten Ketten emporragt. Vollständig überblickt man aber wieder das quasi Voralpengebiet des Plessurgébirges und wie eine Art Dolomiten die weißschimmernden Kalkzinnen des Rätikon über den grünen Vorbergen des Prätigau. Daran schließt sich, in ungeheurer Länge hingestreckt, die Tödikette, in der kein bedeutenderer Gipfel fehlt, und die kleine Lücke zwischen ihr und dem Eätikon füllen die Churfirsten und der Säntis. Schön, sehr schön sind heute auch die Berge des Bündner Oberlandes: das Rheinwaldhorn und seine nächsten Genossen als Umwallung des Zapportgletschers, dann die schneeige Pyramide des Tambohorns und die Surettahörner links, der schwarze Piz Terri und die Medelserhörner rechts davon, und davor die fast unentwirrbaren Massen zwischen Vorder- und Hinterrhein. Und über und zwischen diesen nähern Gebirgsgruppen winken da und dort noch entferntere Gletscherwelten: dort im Westen zwischen Oberalpstock und Piz Medels einzelne Riesen der Finsteraarhorn- und der Dammagruppe und ihnen gegenüber im Osten zwischen Piz Vadret und Schwarzhorn die ^ Ötzthalergruppe, im Südosten zwischen Piz Vadret und, Hoch-Ducan die Ortleirgruppe und im Süden zwischen Piz Kesch und Piz Julier in vollem Glanz die Berninagruppe. Man kann sich nicht satt sehen, muß immer und immer wieder vorne anfangen und bald da, bald dort in eine Gruppe sich vertiefen oder einzelne Gestalten bewundern. Und doch sind es nicht die Gebirge allein, die uns fesseln, denn das Älplihorn gewährt auch einen schönen Blick in das Sertiger-, Monsteiner-, Davoser- und Albulathal. Eine ganze Reihe von Dörfern sind deutlich zu erkennen, so das stattliche Davos Platz, und das freundliche Sertig Dörfli, sowie Wiesen und Schmitten, dann weiter unten im Kessel von Tiefenkastei dieses selbst und Surava und in einem hoher liegenden Kranz: A Ivanen, Brienz, Mons, Stürvis und die beiden Mutten. Diese Thalaussicht giebt dem Panorama des Älplihorns eine größere Mannigfaltigkeit und Lebendigkeit, als sie dasjenige des so berühmten Fltfela-Sdiwarzhorns hat. Daß letzteres so gar viel bekannter und besuchter ist, hat seinen Grund gewiß weniger in der kaum schöneren Aussicht als in der für Touristen bequemeren Lage an der Flüelastraße, die bis auf 2400 m hinauf führt und in dieser Ctöhe im Hospiz gute Unterkunft gewährt. Gleichwohl ist auch das Älplihorn kein verborgener und vergessener Punkt mehr. Von Davos, Sertig und Monstein erhält es immer mehr Besuch, wie die vielen Visitenkarten beweisen, die man auf dem Gipfel findet. Der Steinmann ist zusammen-. ' » .,*,.

gefallen und bildet nur noch einen ungeordneten Haufen, und die Karten fand ieh nicbi in Flaschen wohlgëborgen, sondern lose zwischen den Steinen zerstreut una dem Spiel der Winde preisgegeben. Da sollten die Führer einige Ordnung schaffen.

Nach IV2 stündigem Aufenthalt trat ich um IIV2 Uhr den Weitermarsch an. Atn Morgen hatte ich gedacht, vom Älplihorn über den Südgrat zu Punkt 2748 und von da Über das Alpelti ins Thal abzusteigen, eventuell mit einem kleinen »Abstecher vom Alpelti aus zum breiten Rücken des Männlenep, um von da einige Edelweiß mitzunehmen. Aber jetzt änderte ich den Plan und stieg über den Südwestgrat hinunter zu £ünkt, 2697, dann quer durch das Bärenthäli zur Vanezfurka und von da über'.sehr steile Rasenhänge und durch wildzerrissene Felsen direkt auf das Krachenhorn, das ich um 12 Uhr 45 Min. erreichte.

Hier fand ich einen großen soliden Steinmann mit Holzkreuz, abqr nur wenige Karten. Die Aussicht ist immer noch, schön, wenn auch viel beschränkter als auf dem Älplihorn. Die Bernina-, Ortler- und Ötzthaleralpen z.B. sind verschwunden, im übrigen aber die BündiierAlpen noch fast vollzählig, ebenso die Tödikette unverkürzt und auch einige Bernerriesen noch gut zu erkennen. Am schönsten fand ich aber die Bergünerstöcke und die Errgruppe und großartig eindrucksvoll die mächtige Ducankette, vor deren Frontmitte man hier steht, so daß man sie kaum tob einem andern Punkt aus besser Überblicken kann. Aufgefallen ist mir im Bttndner Oberland das kleine, aber außerordentlich steil und spitz aufsteigende Zervrfeilerhorn, das ich auf dem Älplihorn nicht beachtet habe, obwohl man es von dort gewiß auch sehen kann. Von Dörfern glänzten in der Ferne die beiden Mutten und mehrere am Heinzenberg, darunter Tschappina und Glas, letzteres auf der Höhe des gleichnamigen Passes.

Ich versuchte nun " vom Krachenhorn auf dem Grat direkt zum Ducanpaß abzusteigen, fand aber die Sache auf dem äußerst zerrissenen unef zerfallenen Grat bald etwas schwierig und ließ m}ch darum durch eine steile lind, lange Schüttrinne auf der Ostseite hinunter, um dann längs dem Fuß dés Grates um 2 Uhr, d.h. in 35 Minuten vom Gipfel an gerechnet, den Ducanpaß zu erreichen.

Hier wäre es nun allerdings an der Zeit gewesen, umzukehren, und ich hatte auch kurz vorher noch nichts anderes im Sinn gehabt, abet ich War wieder einmal schwach und ließ mich von dem nahen Gletsch^ Ducan und seinem netten kleinen Gletscher verleiten, auch noch da hinauf zu steigen. Ich mußte mir eben sagen, daß die Gelegenheit jetzt gar günstig sei und ich in etwa einer Stunde oben sein könne, während sehr wahrscheinlich eine zweite Gelegenheit bei ebenso herrlichem Wetter sich nicht so bald wieder einstellen würde. Also machte ich mich ohne langes Besinnen gleich wieder auf den Weg, dem neuen Kleinere Berge im Davoser Gebiet.5T schönen Ziel entgegen. Im untersten Teil des Aufstiegs benutzte ich den vom Paß zum Gipfel aufsteigenden Grat, wo Fels, Schutt und Schnee mehrfach wechselten, aber keine Schwierigkeiten bereiteten. Dann fand ich es bequemer, auf dein Gletscher weiter zu gehen, bis die nach oben größer werdende Steilheit, der tiefere und weiche Schnee und besonders die immer mehr aufklaffende Randspalte mich nötigte, wieder auf den Kamm zu steigen, was eben dieser Spalto wegen erst naei einigem Suchen gelang. Über den obersten Teil des hier nur wenig zerklüfteten Kammes erreichte ich dann leicht und schnell den Gipfel um a Uhr.

Die Aussicht war wieder weiter geworden: zwischen Piz Kesch und Piz Uertsch zeigte sich wieder in glänzender Pracht die Berninagrüppe vom Piz Roseg bis zum Piz Cambrena, zwischen Piz Kesch und Piz Vadret die Ortlergruppe in langer majestätischer Reibe und weiter links die Ötzthalergruppe. Auch der Piz Piatta war nun endlich aus seinem Versteck hinter dein Piz d' Aela hervorgetreten, und daran reihte sich nach rechts das weite Gebiet der Adula- und Medelsergruppe und weiter der Damma- und Finsteraarhorngruppe.Von da biö zur Silvrettagruppe schließen den weiten Kreis die langhingestreckte Tödikette und der Rätikon, beide in voller Ausdehnung, Auch Säntis und GhurjSfsten fehlen nicht. Das weitaus Schönste sind aber natürlich die so nahe stehenden Gruppen des Piz Kesch, Piz Vadret, Piz d' Err und Piz d' Aela, die in prächtiger Anordnung dastehen und alle Einzelheiten erkennen lassen. Von großem Interesse war es mir auch, hier auf dem Centralpunkt der Dueankette au stehen und von da aus die durch den Wechsel der geologischen Verhältnisse bedingten Veränderungen in den Formen und Farben der umliegenden Gebirge zu betrachten. Das war mit ein Grund gewesen, der mich zum Abstecher auf den Gletscher-Ducan veranlaßt hatte, denn hier mußten sich mir sowohl Kalk- als GneisgeJ)irge in unmittelbarer $ähe und in großer Ausdehnung zeigen. Der Einfluß der Gesteinsart trat übrigens nicht nur in den Gipfeln und Gräten, sondern auch in der Beschaffenheit der Gehänge und Thäler sehr deutlich hervor, besonders im Gegensatz zwischen den förmlichen Wüsten des Stulser- und Ducanthals einerseits und der wiesengrünen Val Tuors andererseits, aus der die vielen Maiensäßhütten von Chaclavuot, Chants, Punts d' Alp etc. gar freundlich herauf grüßten. Dort unten auf den Mädern von Crealetsch und Ravigliel wären mehrere Personen, Männer und Frauen, mit Heuen beschäftigt, und wir haben uns gegenseitig unsere Jauchzer zugesandt. Auch an den Ufern der spiegelnden Raveischseen waren Leute zu sehen. So war ich denn auch hier nicht so ganz allein und verloren. Im Notfall hätte ich mich den Heuern in Crealetsch wohl verständlich machen können, die gewiß auch den Weg zu mir herauf gefunden hätten. Sonst aber war von menschlichen Wesen und Ansiedlungen nicht mehr zu er- SäEu. Imhof.

kennen als in weiter Ferne einige Dörfer des Heinzen- und des Muttenberges.

Sehoû war es 4 Uhr vorbei, als ich noch den Steinmann musterte ü&d meine Karte denjenigen der Herren Pfarrer Hauri, Oskar Schuster und einiger anderer hinzufügte und dann den Rückzug antrat. Um die passende Stelle für den Übergang über die Randkluft des Gletschers nicht zu verfehlen and. um Schneller und leichter auf den doch teilweise Vorhandenen Pfad des Ducanthais zu kommen, wählte ich bis zum Ducanpaß für den Abstieg die gleiche Route wie für den Aufstieg. Dann ging 's in rascherem Tempo thalabwärts über Stock und Stein, bald auf einem meist nur schwach angedeuteten Weg, bald ohne das. Man kann sich da einigermaßen eine Vorstellung von einer Wtistenwanderung machen, denn an Vegetation fehlt es sowohl im Thalgrund, als an den steilen Fels- und Schuttgehängen fast ganz. Nur weiter unten bei der Schäferhütte wird sie etwas tippiger und weist neben den Gräsern die gewöhnlichsten Alpenblumen und Alpenstauden auf. Um so interessanter sind die geologischen Verhältnisse, da sich hier die verschiedenen Schichten der bildnerischen Trias meist ziemlich deutlich erkennen .lassen. Im Thai und an den beidseitigen Gehängen herrschen die triasischen Mittelbildungen ( Virgloriakalk, Partnachschichten, Arlbergkalk und Lüner-schichten ), die sich auch dem Mindergeübten und demjenigen, der die einzelnen Glieder nicht zu unterscheiden vermag, durch ihre dunkelny bräunlichen und gelblichen Farbentöne, sowie durch das Vorherrschen der porösen und löcherigen Rauchwacken zu erkennen geben. Darüber folgen in mächtiger Entwicklung, besonders die obersten Gräte und Gipfel der Ducankette zusammensetzend, die hellfarbigen Hauptdoloitiite oder Plattenkalke. In der Hnken Bergwand liegen über denselben noch die leicht kenntlichen Kössenerschichten. Es sind dieselben gelb angewitterten, auf den frischen Bruchflächen aber fast schwarzen Mergelkalke und Kalksteine, die für den Scesaplanagipfel so charakteristisch sind und mich deshalb auf dem Älplihorn und Krachenhorn so heimelig angemutet haben. Weiter unten am Ausgang des Thales, z.B. bei dem in tiefer Klamm brausend herabstürzenden Wasserfall, kann man sehen, wie die Triasschichten den Verrucanogesteinen und diese wieder den Gneisen und Hornblendegesteinen aufgelagert sind » — Wann ich dort ankam, kann ich nicht mehr sagen, aber es kann nicht spät gewesen sein, denn ich kam immer noch bei Tag in Sertig Dörfli an, wo ein reges Leben herrschte^ denn es hatten sich Clubisten und andere Bergfreunde aus nah und fern eingefunden, um am folgenden Tag die neue Keschhtitte einzuweihen.

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