Klettern in Argentinien
Michel Piola, Croix-de-Rozon/GE
Bariloche - Cerro Catedral 5/ Atlantischer Ozean o Gallegos Ein Fels-Eldorado Im Sommer transportiert der Bus, der diese beiden Orte verbindet, eine andere Art Besucher: Trekker und Kletterer, manche Klettern auf der Südhalbkugel Eine erstaunliche Feststellung: Die Mehrzahl der interessanten Felswände scheint in der nördlichen Hemisphäre konzentriert zu sein. Dort wetteifern Kalkfels, Granit, Gneiss und Sandstein darum, die schönsten Klettergebiete zu bilden. Eine merkwürdige Erscheinung, die aber weniger erstaunt, wenn man bedenkt, dass der grösste Teil der aus dem Meer aufgetauchten Landmassen sich in dieser Hemisphäre befindet und dass die Unter-wasser-Kletterei noch nicht Mode ist.
Aber auch auf der südlichen Halbkugel gibt es schöne Wände, sowohl in Australien und Neuseeland als auch in Afrika und Südamerika. Gerade Südamerika weckt in uns Bilder von ewigem Schnee und unwahrscheinlich geformten Eisorgeln ( Andenkette ), nadelscharfen, sturmumtosten Granitspitzen ( Patagonien ) und mit wilder Vegetation überzogenen Bergkuppen ( Brasilien ). Forschungsreise im Urwald oder Expedition in einer meteorologischen Hölle - muss man zugleich ein Übermensch und ein masochi-stischer Narr sein, um dorthin zum Klettern zu gehen?
Durchaus nicht. Die riesige Ausdehnung des Kontinents ist eine Garantie für nahezu unbegrenzte Möglichkeiten: allerdings gelangen Nachrichten darüber nur in homöopathischen Dosen nach Europa. So bietet Argentinien, das vor allem für seine Anden-massive des Fitz Roy und des Aconcagua bekannt ist, auch den Anhängern des reinen Kletterns Möglichkeiten, besonders auf der Höhe des 41. Breitengrades, im Gebiet des Nationalparks Nanuel Huapi dicht bei Bariloche. Diese kleine Stadt liegt sehr hübsch am Rand eines herrlichen Sees, dessen Farben sich mit dem Wetter wandeln.
Diese Region ist im Sommer wie im Winter eins der beliebtesten touristischen Ziele der Argentinier; so ist weniger als 15 km vom Stadtzentrum entfernt der schönste Wintersportort des Landes erbaut worden: Villa Catedral.
sind beides in einem. Doch die mit einem dichten Netz von Seilbahnen überzogenen Hänge oberhalb von Villa Catedral interessieren diese Besucher kaum, die sich, auf der Suche nach ursprünglicheren Landschaften, meist entschieden dem Innern des Massivs zuwenden.
Die erste Station auf ihrem Weg ist im allgemeinen die Emilio-Frey-Hütte. Sie liegt herrlich am Ufer des kleinen Tonchek-Sees, eingebettet am Rand eines kleinen steileren Nebentals. Man erreicht sie von den Bergstationen der Bahnen aus in knapp 2 Stunden Marsch oder direkt von Villa Catedral aus in 3V2 Stunden. Der See, die Hütte, das Tal ( zusammen mit dem des Campanile ) sind recht eigentlich das lebenswichtige Zentrum, die grüne Lunge des Massivs des Cerro Catedral. Überall sonst scheinen die Kämme Massiv des Cerro Catedral Catedral ( 2388 m ) Pinin Campanile Esloveno ( 2310 m ) Muralla ChinaLa Lechusa Cecilia El Monje El Mohär vom Grasbewuchs verlassen, vom Gestein erobert: Geröll, Blöcke, Nadeln, Granit-türmchen.
Diese zahllosen Formen, abwechselnd scharf wie die Schneide eines Messers oder zerrissen und gezackt nach dem Vorbild dan-tesker, wahnwitziger Werke, deren Gleichgewicht unbegreiflich ist, sind die wesentlichen Teile dessen, was der Kletterer ergründen möchte: ein Fels-Eldorado. Diese Felsnadeln, die dank ihrer relativ bescheidenen Ausdehnung ( die grössten Höhenunterschiede erreichen 250 m ) bei der Annäherung einen lie-benswürdigeren Eindruck machen als beim ersten Anblick vom Talgrund aus, bilden eins der schönsten Klettergebiete von ganz Südamerika!
Torre Principal ( 2405 m ) Ein Blick auf die Geschichte Die argentinischen Kletterer, besonders die aus Bariloche, haben von vornherein die obengenannten Qualitäten zu schätzen gewusst. Schon vor 1943, dem Jahr der Erstbesteigung der Torre Principal ( 2405 m ), haben sie das gesamte Massiv erkundet, nacheinander alle unberührten Gipfel bezwungen und dabei zahlreiche schöne Routen eröffnet. Der Fels, ein sehr alter, stellenweise auffallend ausgewitterter Granit, sehr reibungs-freundlich und zur Verwendung von Klemmkeilen geeignet, erlaubte den kühnen Kletterern, ihre sportlichen Qualitäten voll zur Geltung zu bringen, dies trotz des chronischen Mangels an Kletterausrüstung. ( Noch heute ist es einem Argentinier nicht möglich, sich das Material anders zu beschaffen, als indem er es ausländischen Kletterern abkauft oder, im äussersten Fall, aus den Herstel-lungsländern schicken lässt und die zusätzlichen Transportkosten auf sich nimmt. Bis jetzt hat sich tatsächlich noch keine Firma auf den Versuch eines Exports nach Argentinien, ein Land mit grossem wirtschaftlichem Elend, eingelassen. ) Die Einheimischen gleichen aber den Mangel an Ausrüstung ( vor allem Bohrhaken ) durch einen Einsatz aus, dessen Bedeutung in anderen Gegenden längst gesunken und abgeschwächt ist. Ein solcher Einsatz ist aber das eigentliche der Kletterei!
Nur 36 Stunden von Europa entfernt!
Für den ausländischen, vor allem den europäischen Kletterer liegt der Wert des Cerro Catedral zunächst in seiner exotischen und Prägung, meist Synonym für einen willkommenen und entspannten Ausgleich für eine harte, belastende Patagonien-Erfahrung. Doch wenn in unseren Ländern besonders üble, unfreundliche Winter herrschen, könnte die unwahrscheinlich leichte Zugänglichkeit dieses Klettergebietes sehr gut einige Vertreter des reinen Sportkletterns anziehen. Es ist möglich, am Abend aus einer europäischen Hauptstadt abzuflie-gen und am nächsten Tag gegen Ende des Vormittags in Buenos Aires zu landen. Nach einem schnellen Transfer zum nächsten Flughafen erreicht man am Nachmittag bereits Bariloche, wo die Läden bis spät in den Abend geöffnet sind, so dass viel Zeit für Einkäufe bleibt. Ein riesiges Steak in einer , eine ruhige Nacht, um die vier Stunden Zeitverlust wieder auszugleichen, und dann hat man sich bereits in der Mitte des Tages in dem bequemen am Tochek-See gut eingerichtet und ist, weniger als anderthalb Tage nach dem Abflug, bereit zum Klettern.
Ein weiterer wichtiger Anziehungspunkt der Gegend ist, ausser der langen Sonneneinstrahlung ( Anfang Januar dauert der Tag von 6.00 bis 22.30 Uhr ), die legendäre ungewöhnliche Liebenswürdigkeit der Argentinier, die sich im Bestreben, dem Besucher das Leben angenehm zu machen, keinen Deut um ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten scheren.
Die einheimischen Kletterer stehen natürlich nicht zurück: Spricht man auch nur ein paar Brocken Spanisch und passt sich ihrem ( lateinischen ) Lebensrhythmus an ( in Argentinien wird nicht vor 22.00 Uhr gegessen !), so ist man für manche verrückte, lebendige, herzerwärmende Nacht einer der ihren.
Und das Klettern? Ja natürlich! Richtet man sich, glücklich, auf dem Gipfel des Campanile, des El Tonto, der Aguja Frey ( oder einem andern ) auf, dann hat man alles begriffen, was Klettern hier bedeutet: vor allem absolute Beherrschung des Setzens von Klemmkeilen, weil die Routen, abgesehen von den unerlässlichen Sicherungspunkten in den kompakten Zonen, nur sehr mässig -das gelegentlich - oder auch gar nicht ausgerüstet sind; dann eine Bewegungs-Intelli-genz und eine ausgesprochene Antizipa-tionsfähigkeit, die durch die besondere Struktur dieses stark ausgewitterten und manchmal sehr steilen Granits notwendig wird; schliesslich ein im grossen und ganzen
Wenn Sie wissen, dass hier in den oberen Schwierigkeitsgraden noch fast alles zu machen ist, werden Sie nicht mehr daran zweifeln, dass bei Ihrer nächsten Südamerikareise das Massiv des Cerro Catedral einen Umweg lohnt!
Praktische Ratschläge Die Reise Für die Reise von Buenos Aires nach Bariloche oder umgekehrt benutzt man das Flugzeug ( Gesellschaften: Aerolineas Argentinas, Austral, Lade ) oder den Bus, der sich als die beste Gelegenheit erweist, etwas vom Land zu sehen, und drei- bis viermal billiger ist.
Die Torre Principal, mit 2405 m der höchste Gipfel des Massivs; zugleich finden sich hier auch Wände bis 250 m.
Die Fahrt mit dem Bus dauert 20 Stunden. In Bariloche gibt es eine Gepäckaufbewahrung, ihre Adresse: Vision Turismo Excursiones, Av. da Gral. San Martin 283. Dort bekommt man auch die billigsten Busbillette nach Buenos Aires.
Um nach Villa Catedral zu fahren, nimmt man den Bus der Gesellschaft Mercedes ( Av. B. Mittre; erste Abfahrt 11.00 Uhr ). Man kann auch mit dem städtischen Bus Nr. 50 nach Villa Tos/Gutierrez fahren ( billiger; Abfahrt alle 20 Minuten; der Anmarsch ist um 45 Minuten bis 1 Stunde länger ). Für Auskünfte über Klettern, Anmarsch, Wanderungen wende man sich an: Club Andino Bariloche, Casula de Correo 139, 8400 San Carlo de Bariloche, Rio Negro.
Zum Klettern geeignete Periode Frühling, Sommer und Herbst des Südens; diese Jahreszeiten sind denen der nördlichen Hemisphäre entgegengesetzt. Die argentinische Ferienzeit liegt in den Monaten Januar und Februar. Das Massiv des Cerro Catedral ist vor dem 31. Dezember fast menschenleer, danach stark besucht.
Klima Es stimmt im grossen ganzen mit dem in den Alpen während des Sommers auf 1500 bis 2000 m vorherrschenden überein. In der Regel ist es windig, aber die Temperaturen sind meist angenehm, wenn es auch nach jedem Störungsdurchzug kühl wird. Bei schlechtem Wetter sind kurze Schneestürme bis auf die Höhe des Tonchek-Sees nicht ungewöhnlich. Wegen der bereits erwähnten starken Winde ist es ratsam, den Platz für das Zelt gut auszuwählen; die besten Stellen liegen am rechten Ufer des Sees im Schutz von Sträuchern, aber auf keinen Fall in der unmittelbaren Umgebung der Emilio-Frey-Hütte ( sehr exponierter Pass ).
Ausrüstung, Topos, Bewertung, Verpflegung In Bariloche und auch in einem kleinen Laden in Villa Tos/Gutierrez bekommt man sämtlichen Proviant.In jedem Fall ist es möglich, Nachschub in einem Tag ( für Hin- und Rückweg ) zu beschaffen. In der Umgebung des Tonchek-Sees ist Camping möglich, und auch die im Sommer bewartete Emilio-Frey-Hütte bietet Unterkunft. ( In der Hütte ist ein Topo deponiert, ausserdem geben die einheimischen Kletterer mit Vergnügen Auskunft. ) In allen Routen ist eine zusätzliche Si- cherung durch Klemmkeile und Friends notwendig. Vorsicht bei den Bewertungen, sie sind, verglichen mit den französischen, durchgehend streng.
Die schönsten Klettergebiete /. Aguja Frey Dieser am meisten begangene Sektor befindet sich in nächster Nähe der Hütte ( 10 Minuten Weg ): 100 m hoch, sehr schönes Gestein, zahlreiche Routen. Empfehlenswert: ( Lost Fingers ) in der NW-Wand ( 6b ) und in der N-Wand ( 6b. 20 m abseilen auf der Südseite. Zahlreiche Möglichkeiten für Top-rope-Sicherungen und leichte Routen in den Vorbergen, vor allem in dem zurückliegenden, Pitufresas genannten ( Copo de Nieve>, 100 m, 56a ).
2. M 2 Es handelt sich um die feine Nadel in der Nähe von El Abuelo. Kurze athletische Routen von etwa 50 m im Maximum. Die schönsten sind: ( Dedos de Acero ) ( 6c, abwechslungsreich ),
3. El Abuelo Eine von der Hütte gut sichtbare massive Nadel. El Abuelo bietet eine interessante Höhendifferenz, allerdings nimmt man die Routen gewöhnlich oberhalb des Sockels in An- griff. Zahlreiche Routen in der Nordwand, darunter ( Anònimo Yankee ) ( 6c ) und ( Conflit de Générations ) ( 6c, mit einem Haltepunkt, Seillängen von ausgeprägtem Charakter: L1 und L2 = Verschneidungen, L3 = Platte, L4 = Risse und überhängende Wand ). Abseilen ( 20 m ) über die Südwand.
4. El Tonto Ein phantastisches Felsgefüge! Zugang von der Bresche im Süden von El Abuelo, dann über Bänder, oder aber direkt über ein System von Couloirs und Bändern, das rechts aufsteigt ( Beginn des Zugangs zur Torre Principal ). Steile, manchmal imposante ( z.B.
5. La Vieja Die Nadel hat zwei schöne Seiten, die im Osten und die im Norden, die 110 m Höhe erreichen. Prachtvoll sind ( Ruta del Frente ) ( 6a ), ( Sudafricana ) ( 6b ) und ( Cote de Manga>. Eine Abseillänge vom Gipfel.
6. Torre Principal ( 2405 m ) Die Westseite ist eine der höchsten Wände des Massivs ( 250 m ). Zugang in alpiner Umgebung, zuletzt Abstieg in einem steilen Couloir der Westseite ( zweimal abseilen, dann ein Firnfeld zu Saisonbeginn ), dessen höchster Punkt die erste Bresche am Fuss des Nordostgrates bildet ( von der Hütte aus gesehen ).
Sehr saubere Risse und grossartiger grauer Fels in der Westwand, in der Route ( 6b/A1 ); sicherlich eine schöne Herausforderung zum Freiklettern!
Auch in der Nord- und der Ostwand wurden Routen eröffnet. Rückkehr durch Abklettern und Abseilen über die Normalroute des Nordostgrates.
7. La Tapia Die erste Wand, die man entdeckt, wenn man den Pass zwischen dem Tonchek-Tal und dem des Campanile überquert. Dieser an den Hang ( für einmal ist der Gipfel nicht spitz ) anschliessende Vorberg aus glatten Platten bietet ein ganz anderes Gestein und Aus dem Französischen übersetzt von Roswitha Beyer, Bern Kletterei in sehr verschiedenem Stil. Die Neigung des Felsens ist weniger extrem, aber die Routen sind technisch anspruchsvoll. Besonders zu erwähnen ist das wahrhaft paradiesische Band, bei dem man beginnt ( von Sträuchern gesäumtes sandiges Ufer, ein Bach ist in unmittelbarer Nähe )! Es ist der geschützteste und folglich wärmste Sektor. Unbedingt zu begehen:
8. Cohete Lunar Diese eigenartige gespaltene Nadel gegenüber von La Tapia beeindruckt durch den grossartigen Schild ihrer Nordwestseite, durch den sich eine unglaubliche Risslinie zieht; in ihrer Nähe verläuft die herrliche Route ( Espejo interior ) ( 6b ). Die anderen offensichtlichen Linien, die bis zu 250 m Höhe erreichen können ( , 6c ), wurden zuerst begangen. Erwähnt sei das auf den ersten Blick labil wirkende Gleichgewicht des linken Gipfelblocks: eine garantiert luftige Umgebung. Leichter Abstieg über ein System von Bändern auf der rechten Seite, dabei einmal 22 m abseilen vom Gipfelblock, vom rechten Gipfel einmal kurz abseilen oder abklettern.
9. Campanile Esloveno ( 2310 m ) Und zum Schluss jetzt der Campanile, der schönste, der auf jeden Fall die anderthalb Stunden Anmarsch wert ist! Eine stolze Silhouette, phantastischer Fels, unvorstellbare Formen, märchenhafte Routen: Der Campanile hat alle Voraussetzungen, der Star des Massivs zu sein! Der Nordostpfeiler in Form eines Schiffsbugs ist prachtvoll ( Höhe 150 m ). Seine herrlichsten Routen sind
10. Und dann noch...
El Pyramidal, Muralla China, Torre Hormi-guero, Torre Otto Weisskopf, La Astilla, La Lechusa, Philippe Herron, Aguja C.A.C .: andere Nadeln, andere Klettereien, andere tolle Freuden!