Kletterparadies Dolomiten | Club Alpino Svizzero CAS
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Kletterparadies Dolomiten

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

VON YVETTE VAUCHER, GENÈVE

Die elegante, aber feuchte Route in der riesenhaften und düsteren Nordwand der Civetta ist eine so hartnäckige Versuchung, dass man ihr eines Tages verfallen muss.

Wir begeben uns einmal mehr in diese « Dolomitenatmosphäre ». Überall senkrechte Wände; der Blick schweift ungehindert nach oben, immer höher, und ruht manchmal unter schattigen « strapiombi ». Ich liebe dieses klangvolle italienische Wort « strapiombi ».

Dieses Jahr suchen wir die Coldai-Hütte am Ende der Civetta-Kette auf. Wir marschieren ihr langsam entgegen, als ich mich plötzlich wie berauscht fühle... Ich wandle wie auf Wolken, und nahes Herdengeläute erreicht mein Ohr. Michel begleitet mich besorgt an einem grossen Block vorbei - hinter dem ein Motorroller am Hang in einer Benzinlache liegt... letztes Zeichen der mechanisierten Zivilisation, die wir für einige Tage vergessen wollen. Fern vom Benzingeruch verfliegt mein « Rausch », und ich strebe mit ausdauerndem Schritt und mit klarem Kopf der Hütte zu. Ein Wand-spiegel am Eingang erlaubt ein flüchtiges Zurechtmachen des nicht sehr eleganten Aussehens, bevor wir den warmen Hüttenraum betreten. Freunde sind da: Heinz Steinkötter von Trento; wir entdecken Jörg Lehne, Dietrich Hasse und seine Frau, die uns alle von den Veranstaltungen anlässlich des Bergfilm-Festivals in Trento bekannt sind. Diese Begegnungen führen zu so engen Bindungen, dass wir in aller Herren Ländern auf Freunde zählen können. In dieser Hütte halten sich auch zwei französische Alpinisten auf, welche die « Haute-Route » der Dolomiten begehen. Die Stimmung ist wirklich sympathisch. Bei vollen oder schon leeren Gläsern kreuzen sich Projekte, finden Übereinstimmung... und zwingen uns, die Nachtruhe hinauszuschieben.

Gegenwärtig ist das Wetter unbeständig. Während der letzten Tage blieb der Himmel immer bis gegen 9 Uhr bedeckt; dann herrschte während etwa vier Stunden Sonnenschein. Um 14 Uhr herum verdüsterte sich der Himmel aufs neue, und am Nachmittag verhüllten Regen und Gewitterwolken die Berge.

Wir vier, Jörg, Dietrich, Michel und ich selbst, brechen von der Coldai-Hütte mit der Absicht auf, die berüchtigte riesige Verschneidung Philipp-Flamm zu bezwingen. Ich finde, dass wir sehr schnell dem Fuss der Wand zustreben. Es ist dunkel; ständig geht es auf und ab. Bei Tagesanbruch sind wir im Begriff, im Geröllfeld aufzusteigen; das grosse Abenteuer, in das wir uns einlassen wollen, beginnt. Aha! nun wird das Tempo beschleunigt... weil zwei andere Kletterer von der Tissi-Hütte her anrücken. Die Poesie des Abenteuers verblasst für eine Weile, weil wir die ersten sein wollen: eine alltägliche, aber oft folgenschwere Streitfrage. Schwitzend und keuchend, behelmt, rasch angeseilt, starten wir, Dietrich und Jörg da, wir dort hinauf. Der Aufstieg ist schon sehr steil, aber die Schlüsselstellen befinden sich erst weiter oben. Der erste Stand ist bequem, und wir sind wieder alle vier bei sammen. Die zwei mit Stiften aller Grössen behangenen Bergsteiger von Tissi holen uns auf dem Standplatz ein; es sind Engländer. Die Kletterei ist schön, frei, elegant, luftig, sehr schwierig, erfolgt aber ohne Hilfsmittel. Nun erblicken wir weit unter uns die Geröllfelder am Fuss des Berges. Je höher wir steigen, desto besser lässt sich die Höhe der Wand ermessen: es sind 1100 Meter Höhendifferenz!

Nach einer Platte von 30 Metern erreiche ich einen Stand, auf dem sich bequem ruhen liesse. Michel wird am Vorrücken aufgehalten und wartet, in einem engen Kamin eingeklemmt, geduldig, bis Jörg und Dietrich eine als heikel bekannte Traverse mit einem fixen Seil gesichert haben. Die Liebenswürdigkeit unserer Kameraden, ihre Ruhe und Schweigsamkeit tragen zum grossen Erlebnis dieser Bergfahrt bei. Von den Kletterern aus England vernehmen wir noch einige vom Nebel gedämpfte Worte, während sich das Wetter langsam, aber sicher verschlechtert.

Im Nebel lässt sich die Fortsetzung der Route kaum feststellen. Bei einer Aufhellung erkenne ich einen Augenblick lang einen furchterregenden Überhang, den Jörg durch Querung zu meistern versucht, indem er sich von unten her an ihm festhält, während die Füsse sich dagegen stemmen. Ohne Herrn Dülfer könnte ein Griffwechsel an der Kante gefährlich werden. Bald bin ich an der Reihe!... Es regnet! Wenn nur der Fels noch trocken bleibt! Ich sichere mich - theoretisch, unter einem Überhang... Auf der andern Seite markiert eine Reihe von Wasserfällen die Route.

Michel, leider ohne Regenschirm, setzt sich an die Spitze der Kolonne ( und ich werde mich nicht erholen können. Es gelingt ihm, mit äusserst raffinierter Klettertechnik, die sein Geheimnis bleibt, eine natürliche und glatte Wasserrinne zu überwinden. Er ist schon ganz durchnässt, als Dietrich einen Trick findet, um ohne Dusche diese Stelle zu bezwingen. Michel erfindet neue Kunststücke und holt uns ein. Jetzt fallen schwere Tropfen, und wir setzen unsern Aufstieg im Wasserfall, geschützt durch unsern Helm, über drei Seillängen fort. Michel fühlt sich wie ein Fisch im Wasser... und wir müssen ihm wohl oder übel folgen. Es gelingt ihm jedoch, einen trockenen Platz zu finden, den wir für ein Biwak einrichten. Die Zeit ist rascher vorgerückt als wir beim Klettern, und schon bricht die Abenddämmerung herein. In unsern durchnässten Kleidern, die auf der Haut kleben, macht sich die Kälte bemerkbar. In Slip und Hemd schlotternd, schlüpfen wir nacheinander, stark abgekühlt, in die aus den feuchten Säcken gezogenen, aber wunderbar trockenen Kleider. In der Duvetweste nistet sich wohlige Behaglichkeit ein. Die Kocher summen und verheissen warmes Wasser. Wie tut das wohl, so ein kleiner Becher mit heissem Wasser in der Hand!

Unsere Kameraden erinnern uns daran, dass heute der festliche Abend des 1.August ist... im Kreise unserer Stirnlampen. Auch ist Halbzeit eines Wunschtraumes, der Wirklichkeit wird... die Nordwand der Civetta.

Diese lange Nacht an der Civetta ist aber doch etwas ungemütlich. Auf engem Raum sitzend, wo soll man da den Kopf anlehnen? Wie schwer so ein Kopf ist, wenn man ihn nicht stützen kann! Gegen den Fels gelehnt, sinkt er bald auf die Schulter und fällt schliesslich auf die Brust... und dann schmerzt der Nacken! Man kann ihn auch in die Steigbügel hängen!

Obschon wir wie gerädert sind, überrascht uns die graue Morgendämmerung. Der See von Alleghe ist immer noch schmutzig, und kein Boot zeigt sich zu so früher Stunde. Bis wir wieder bereit sind, vergeht eine gute Stunde. Noch kraftlos steigen wir durch einen klebrigen Kamin. Länge um Länge läuft ab; die Kletterei ist immer gleich senkrecht. Plötzlich habe ich den Eindruck, dass sich ein Band abzeichnet, dann ein weiteres, die vertikale Flucht unterbrechend. Auf Grund bestimmter Lichteffekte schliesse ich, dass irgendwo, mehr oder weniger nahe, ein Grat sein muss. Von blossem Auge lassen sich keine Entfernungen unterscheiden, doch sehe ich auf Michels Helm einen eigenartigen Widerschein. Wir müssen uns also schon sehr hoch oben befinden... Aber natürlich! Wir können das ja auf der Ansichtskarte feststellen, die Jörg und Dietrich mitgenommen haben. Ich steige dem Lichtschimmer entgegen, wie seinerzeit die Hirten dem Stern gefolgt sind, und, geblendet von dem Licht, das über eine Lücke in die noch sehr düstere Wand fällt, schliesse ich zu Michel auf.

Jetzt noch die letzte Seillänge, und ich erblicke Michel im Sonnenglanz auf dem Berggrat, am Ziel der Tour. Wir sind alle glücklich - sprachlos. Welch wunderbares Einvernehmen während des ganzen Aufstiegs! Die Sonne scheint sehr warm; es muss jetzt etwa 10 Uhr sein. Auf dem Gipfel tragen wir uns im « Goldenen Buch » ein, und zwar - welche Überraschunganschliessend an drei Kameraden aus Genf, die zwei Tage vor uns hier gewesen sind.

Der Abstieg ist leicht; über ein kleines Geröllfeld erreichen wir die Torrani-Hütte. Das Bier schmeckt gut. Der Hüttenwart lächelt verschmitzt.

Weiter unten nochmals Geröllfelder; wir müssen mehr als 1300 Meter absteigen. Die ersten Blumen: Arnika, Stiefmütterchen, Astern. Die Mohnblumen beginnen sich zu schliessen. Das bedeutet Regen. Und schon ist er da! Auf dieser Bergseite ist er willkommen. Mit entblösstem Oberkörper ( oder fast ) nehmen wir ihn geduldig in Kauf. Der Abstieg endet bei einsetzendem Gewitter. Das Abenteuer ist abgeschlossen.

Ein Programm weniger - eine Freude mehrÜbersetzung Jakob Meier )

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