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Mescalito

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Dominique Roulin, Genf

El Capitan Die Sonne vertreibt das schimmernde Licht der Morgendämmerung. Ein Strom von Gold ergiesst sich über die Flanken des Sea of Dreams, während die Kante des North America Wall bereits in jene Art Heiterkeit getaucht ist, die uns erwartet. So beginnt der dritte Tag unserer Reise in diesem Granit-meer; eine Fahrt ohne Überraschungen in einer erhabenen Gegend. Die Temperatur ist ziemlich mild und erlaubt uns, jeweils in ver-hältnismässiger Ruhe aufzubrechen. Während wir beim Morgenessen sind, dringen von fern einige laute Sätze zu uns, erste Wortwechsel zwischen Kletterern von Seilschaften an der Nose. Die Nose am El Capitan ist ein echtes Gegenstück zum Hörnligrat, dieser Aufstieg leidet tatsächlich an einem übertrieben starken Zulauf. Wenn auch die für die Begehung der grossen klassischen Route am El Capitan erforderlichen Fähigkeiten von den am Matterhorn notwendigen verschieden sind, so darf man doch mit vollem Recht annehmen, dass sich die aus diesen Verhältnissen sich ergebenden Schäden gleichen. Und so betrachtet, ist wirklich der Berg besiegt!

Unser Morgenessen ist beendet. Zeit, aus unsern Hängematten zu kommen und uns auf den Aufbruch vorzubereiten. Ich ziehe die kleinen Hörmuscheln meines Walkman über die Ohren, und so, mit einer Musik, die ich gern habe, gelingt es mir, völlig mit der Wand zu verschmelzen.

Wir beginnen zu klettern. Ein Unternehmen ausserhalb der Zeit und den klassischen Empfehlungen für das Klettern. Bernard übernimmt, wie fast immer, die Führung. Für mich handelt es sich um die erste Big-Wall-Erfah-rung. Am Vorabend, als ich mir in den Kopf gesetzt hatte, eine Seillänge als erster zu gehen, haben mich Zweifel über mein Adrenalin-Potential gepackt. Am Stand angekommen, war ich in einem solchen Zustand der Dehydratisierung, dass ich beschloss, künftig bei der Wahl der Seillängen vorsichtiger zu sein.

Mein Kollege nimmt die grossen Traversen in der Mitte der Wand in Angriff. Wir werden dafür den grössten Teil des Tages brauchen. Langsam geht es unter überhängenden Verschneidungen von rechts nach links voran. Ein ungewöhnlicher Spaziergang, jenseits der Senkrechten, der vom angenehmen Grad A 1 bis zum A4, , reicht. Ein Vergnügen, wenn man mit Jümars klettert. Die Anspannung erreicht ihren Höhepunkt, als es darum geht, sich an einem 6-mm-Bohrhaken herabzulassen und den unvermeidlichen Pendelquergang, die Krönung der Unsicherheit einer solchen Situation, auszuführen. Einige Fortbewegungspunkte reissen unter meiner zartfühlenden Behandlung aus und veranlassen mich, die Lautstärke meines Walkman zu reduzieren, um jedes verdächtige Geräusch, das eine ( Höllenfahrt ) ankündigen könnte, rechtzeitig zu bemerken.

Beim Zusammentreffen mit Early Moming Light, der von Harding eröffneten Route, bereiten wir uns auf unsere dritte Nacht vor. Zum dritten Mal schlafe ich in Mescalito ein. Das Biwak befindet sich dort, wo zwei für die Eröffnung am El Capitan wichtige Anstiege zusammenkommen. Es handelt sich dabei um die Antwort des genialen Charlie Porter auf die Herausforderung durch Harding. Early Moming Light ist in einem Abschnitt, in dem Porter und seine Freunde kurze Zeit später bewiesen haben, dass dieses Platten-Meer einige Schwächen besass, mit Hilfe zahlreicher Bohrhaken eröffnet worden. Die Hauptsache, um zum Erfolg zu gelangen, war, die notwendigen Talente zu vereinigen. Im Oktober 1973 versahen Charlie Porter, Hugh Burton, Steve Sutton und Chris Nelson den El Capitan mit ihrer grossartigen gemeinsamen Signatur: Mescalito. Durchsteigt man diese Route, so ist man von den Kunstgriffen beeindruckt, mit denen die Tücken einer solchen Wand überlistet wurden. Spärliche Risse, die nirgends hinführen. Bohrhaken sind, berücksichtigt man die Struktur der Wand, sozusagen nicht vorhanden. Charlie Porter war der Mann dieses Labyrinths, und es fällt schwer, nicht daran zu denken.

Die Morgendämmerung wirkt am vierten Tag noch vielversprechender als an den vorangegangenen. Es ist verhältnismässig frisch, wir meinen also, wir könnten wegen unserer Wasservorräte unbesorgt sein. Wir steigen in aller Ruhe bis zu der grossen Verschneidung auf, die den Zugang zum oberen Drittel der Wand ermöglicht. Der Abend bricht an, als ich mit dem Aufstieg über eine Schuppe im Die zu den Traversen führende ( Rampe ) Schwierigkeitsgrad 5.9 kämpfe; diese Schwierigkeit ist an sich nichts Besonderes, nur nehme ich sie müde und mit an diesem Ort unnützem Eisenzeug in Angriff. Ein Elefant steigt zum Himmel auf! Ich zögere... Erst nach mehreren Versuchen riskiere ich alles. Meine Reserven gehen zu Ende, und ich zweifle wieder einmal an meiner Voraussicht, soweit es um die Wahl der Seillängen geht. Zu spät! Dieses Mal muss ich mit der Passage fertig werden, andernfalls ist Schluss.

Der Klimmzug auf den Gipfel der Schuppe ( natürlich einer sich nach aussen öffnenden und abdrängenden Schuppe ) ähnelt nichts Er-klärbarem. Eine Art Patchwork aus der Verwegenheit der Jugend und der Panik eines vom Tode bedrohten Flüchtlings. Müde liege ich ausgestreckt auf einer kleinen Terrasse, versuche, wieder meine innere Ruhe zu finden.

Aber die Dunkelheit nimmt zu, und ich muss noch den Sack aufziehen, während Bernard mit dem Jümar aufsteigt. Die vierte Nacht in Mescalito. Early Moming Light ist jetzt fern. Von nun an sind wir allein auf den Spuren von Charlie Porter.

Wieder eine Nacht, wieder ein Tagesanbruch. Wenig Worte. Es geht darum, die Träume, die uns umgeben, nicht zu zerstören. Der fünfte Tag geht glatt und schnell vorbei. Nichts stört das Einvernehmen, nichts behindert die verschiedenen, inzwischen gut eingespielten Manöver. Mehrere als ( expanding ) zu bewertende Seillängen stellen Bernard auf die Probe. Doch da er inzwischen ein Dutzend Wände am El Capitan auf seinem Erfolgskonto hat, beanspruchen sie seine Nerven nicht wirklich. Wir kommen schnell voran, und wir überraschen uns dabei, den Gipfel für den Abend ins Auge zu fassen.

Unter uns die eindrucksvolle Tiefe. Ein Geruch nach Mescal verwirrt mir den Kopf genau in dem Augenblick, als drei Fallschirmspringer in unserm Rücken herunterschweben. Alles geht sehr schnell. Die Verankerungspunkte geben in den Schwierigkeiten um A4 nur höchst zweifelhaften Halt.

Unsere Tour nähert sich nun allmählich ihrem Ende, und mir ist es wichtig, diesen Traum bis zur Neige auszukosten. Der Klettersack scheint uns jetzt weniger schwer, und alle Seilmanöver werden leichter. Noch nie hatte ich in solchem Masse feststellen können, dass beim Klettern mit technischen Hilfsmitteln so viel Schönheit der Bewegung möglich ist. Die Vielzahl der Verlagerungen des Körpers, die feine, sorgfältige Gewichtsverteilung, die aussetzende Atmung und das heftig schlagende Herz; doch auch das wiederholte allmähliche Vorankommen, dem ein nicht zu unterdrückendes Verlangen folgt, in die roten Zonen aufzusteigen. Es gibt alles, auch den gewagten Freikletterschritt mit einem schlecht gewählten Klemmkeil zwischen den Zähnen... Ein Gefühl, das ich vor langer Zeit in den Dolomiten erlebt habe, als ich die grosse Verschneidung des Su Alto kletterte. Doch hier kommen noch das milde Wetter und, vor allem, die Zeit zum Träumen dazu.

Noch einige Seillängen ( ich werde mich an einen Pendelquergang zu einem kopfüber angebrachten Haken erinnern ) und eine Traverse entlang eines von Fledermäusen bewohnten Risses. Zu gefährlich, diese Traversierung an Jümars auszuführen! Man muss sie in Freiklettertechnik in Angriff nehmen, mit dem Gefühl, einen Taucheranzug und einen Bleigürtel zu tragen. Mit einer gewissen Erleichterung erreiche ich den Standplatz Nummer 27. Wir befinden uns unter der Ausstiegswand, in einem ziemlich ungastlichen Bereich. Eine kleine Verschneidung mit Hilfe von , eine heikle Hakenplazierung, eine Reihe Bohrhaken in einer eindrucksvollen, ständig leicht überhängenden Wand, und Bernard steigt oben aus der Route, als sei nichts gewesen. Unsere fünfte Nacht werden wir auf der Gipfelfläche verbringen.

Jetzt tauchen wir langsam aus dem Traum auf... Der war während der gesamten Traversierung ruhig, nicht ein böser Zwischenfall hat die Welt des Mescalito erschüttert. Ungeachtet einiger gut verständlicher Ängste hat nichts unsern unwiderstehlichen Wunsch ändern können, so etwas noch einmal zu unternehmen!

Während wir am Vormittag des sechsten Tages zu den von Menschen bewohnten Ge- 135 Dritter Tag, kurz vor den Traversen bieten zurückkehrten, bewegten uns ganz verschiedene Gefühle. Mescalito hat unser innerstes Wesen durch die grosse Schönheit der Route und das Fehlen von Zugeständnissen, die irgendeine Erleichterung schaffen könnten, geprägt. Eine Route der siebziger Jahre von hohem Rang!

Aus dem französischsprachigen Teil. Übersetzt von Roswitha Beyer, Bern

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