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Mominggrat

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Von Karl Baumann

Mit 2 Bildern ( 84, 85).Zürich, Sektion Uto ).

Von einer seltenen Fahrt will ich erzählen. Inmitten der gewaltigsten unserer Walliser Eisriesen führt sie durch wildzerrissene Gletscher und über schmale, luftige Grate. An wilder Grossartigkeit der Landschaft, an technischer Schönheit der Fels- und Eisarbeit braucht sie sich vor den berühmtesten Touren nicht zu schämen. Und eines hat sie diesen loch voraus: kaum je betritt eines Menschen Fus.s diese einsame Welt. Vergeblich suchen wir auf Firn und Fels nach ausgetretenen Pfaden und Nagelspuren. Nur wenige Eintragungen in den Höttenbüchern bezeugen, dass die Fahrt hie und da, selten genug, ausgeführt wird.

Sie hat nämlich kleine Schönheitsfehler: obwohl wir uns stundenlang an der Viertausendergrenze bewegen, erreichen wir keinen Viertausender, ja nicht einmal sonst einen Gipfel mit klangvollem Namen. Die Zugänge sind lang und beschwerlich, man mag es anpacken, wie man will. Ob wir von Trift oder von der Weiswhornhütte ausgehen, immer beansprucht schon der Anmarsch zum Hohlichtpass einen guten Teil unserer Kräfte. Und haben wir den eigentlichen Moniiiiggrat hinter uns gebracht, so steht uns noch der Abstieg von der Schulter des Zinalrothorns zur Mountethütte bevor.

Diese Nachteile mögen viele davon abhalten, unseren Spuren zu folgen. Um so besser für die anderen. Sie, die die grosse Stille der unberührten Bergwelt lieben, werden ihren Entschluss nicht bereuen.

Es ist noch dunkel, als wir am frühen Morgen eines Julitags des Jahres 1941 die gastliche Weisshornhütte verlassen. Zwischen ziehenden Nebeln blinken einzelne Sterne. Schon nach wenigen Minuten haben wir die spärlichen Wegspuren verloren, die zum Hohlichtgletscher hinunterführen. Mühsam steigen wir die steilen, leicht gefrorenen und von Felsbändern durchsetzten Grasplanken hinab. Der Nebel wird immer dichter. Feucht schlägt er sich in unsere Kleider. Die Berglaterne verbreitet nur ein trübes Licht. Die Grashänge werden zusehends steiler und die Felsabsätze heimtückischer, so dass wir es vorziehen, eine Weile zu rasten. Fröstelnd kauern wir uns auf einem schmalen Gesimse nieder und warten auf die Dämmerung. Erst nach einer halben Stunde ist es so hell geworden, dass wir unsern Abstieg fortsetzen können. Wir schlagen ein rasches Tempo ein und erreichen bald die linke Seitenmoräne des Hohlichtgletschers unweit der obersten Alphütte von Hohlicht ( ca. 2400 m ).

Auf dem Rücken dieser Moräne steigen wir gegen die Felsrippe, die sich von P. 3154 zwischen den wilden Eisbrüchen des Hohlichtgletschers hinunterzieht. Die Angaben im Walliser Führer über diese Route sind lakonisch. Wir müssen uns daher auf unsere eigenen Augen verlassen. Glücklicherweise hat sich der Nebel etwas gehoben, so dass wir den unteren Teil der Rippe gut überblicken können.

Schräg links haltend steigen wir über steile Firn- und Geröllhänge an. Spuren von Eis- und Steinschlag finden sich viele, ja einmal queren wir die glattgescheuerte Bahn eines grosseren Eissturzes. Es ist nicht ratsam, am Nachmittag hier abzusteigen, wenn der Berg sein Feuer eröffnet hat. Frühmorgens jedoch besteht keine grosse Gefahr, da der Frost das lockere Zeug in den Wänden festhält.

Die Felsrippe, die uns den Anstieg zu den oberen Böden des Hohlichtgletschers vermitteln soll, sieht von weitem recht abweisend aus. Insbesondere der Einstieg mit seinen glatten, wasserüberronnenen, steil aufgetürmten Platten scheint schwierig zu sein. Bei näherem Zusehen erweist sich aber der stark verwitterte Fels als überraschend gut begehbar. Wir halten uns ständig am äussersten linken Rand der Felsrippe, knapp über den steilen Abstürzen, und kommen rasch vorwärts.

Unser Weg ist landschaftlich von kaum zu überbietender Grossartigkeit. Zu unseren Füssen liegt der gewaltige mittlere Eissturz des Hohlichtgletschers. Ein unbeschreibliches Chaos herrscht da unten, als ob Giganten ihr wildes Spiel getrieben hätten. Eispaläste, Türme, Abbruche in den bizarresten Formen erfreuen unser Auge. Turmhoch über unseren Köpfen dräuen die blau schillernden Eisabbrüche des kleinen nördlichen Seitenarmes des Hohlichtgletschers. Sie bilden eine senkrechte Eismauer von etwa 35 m Höhe. Ihre unmittelbare Nachbarschaft ist zwar sehr eindrucksvoll, aber nicht ganz geheuer. Im Tempo des Gehetzten steigen wir daher die leichten Felsen hinauf, uns nur von Zeit zu Zeit eine kleine Rast im Schutze besonders ausgeprägter Felsköpfe gönnend.

Nicht zu Unrecht betrachtet Javelle diesen Übergang als einen der schönsten Gletscherpässe der Alpen. Die lichten, sanft gewellten Firnhänge, die vom Mettelhorn hinunterziehen, bilden eine wohltuende Ergänzung zu der wilden Grossartigkeit der näheren Umgebung. Tief unter uns liegt bereits die flache, von Geröll und Schutt übersähte Zunge des Hohlichtgletschers. Die Nebel über dem Talausgang haben sich zu phantastischen Wolkenburgen verdichtet, deren in ständiger Bewegung begriffene Zinnen und Türme im Gegenlicht schimmern und gleissen. Einem kostbaren Geschmeide gleich funkeln in dieser Fassung die ragenden Gipfel der Mischabelgruppe. Und zu unserer Rechten steht hoch über ziehenden Nebeln die frisch überschneite Pyramide des Weisshorns.

Die Felsrippe, der wir bis jetzt gefolgt sind, läuft bei 3300 m in einen steilen Schneegrat aus, der sanft zu den oberen Böden des Hohlichtgletschers überleitet. Stellenweise ist der Schnee bereits durch und durch nass und faul. Wir brechen bis zu den Hüften ein und müssen Meter für Meter mühsam erkämpfen. Glücklicherweise wird der Hang bald flacher und wir können nach links auf die sanft ansteigenden Gletscherböden abbiegen. Die flach auffallenden Sonnenstrahlen haben hier noch nicht genügend Zeit gehabt, die harte Harschkruste aufzuweichen. Grössere Hindernisse zeigen sich dann keine mehr, mit Ausnahme einiger riesiger Spalten, die uns zu Umwegen zwingen.

Das letzte Stück zieht sich in die Länge. Heiss strahlt die Sonne auf die eintönigen Schneeflächen. Kein Lüftchen weht. Die breite, weisse Senke des Passes will nicht näher kommen. Unendlich langsam ziehen die steilen Wände des Unter-Mominghorns zu unserer Linken vorbei. Ein kühler Wind fährt uns ins Gesicht, wir stehen am Hohlichtpass, 3745 m ( 10.45 Uhr ). Im Windschatten einer Schneeverwehung lassen wir uns nieder. Otto hält hier längere Zeit Rast, da er einer Unpässlichkeit wegen etwas Ruhe nötig hat. Ich besteige unterdessen das Schallihorn. Schon nach einer halben Stunde stehe ich auf dem Gipfel, 3953 m. Vom Hohlichtpass führt der einzige leichte Weg, ein steiler Firngra;, auf diesen rauhen Berg, der dem Betrachter sonst nur schaurige Abstürze und wild zerhackte Grate weist. Die Morgennebel haben sich verzogen, und mein Blick schweift frei in die Runde.

Der Mominggrat, so nennt man die Wasserscheide zwischen Arpitetta und Hohlicht vom Hohlichtpass bis zur Schulter des Zinalrothorns, lässt sich von meiner hohen Warte ausgezeichnet überblicken. Vom Pass führt ein schmaler Felsgrat zum Unter-Mominghorn, 3867 m. Dann senkt sich die teils felsige, teils schneeige Schneide zum Momingpass, 3793 m, von wo sich ein scharfer Felsgrat steil aufschwingt zum Ober-Mominghorn, 3968 m. Ein von mehreren Felsabbrüchen unterbrochener luftiger Eisgrat leitet hinüber zur Schulter des Zinalrothorns, 4065 m, und damit zu bekannteren Pfaden.

Die Karte bietet nur ein unvollkommenes Bild von diesem Gebiet. Die Westseite des Mominggrates scheint danach aus massig steilen Firnfeldern zu bestehen. In Wirklichkeit zieht sich vom Zinalrothorn bis zum Schallihorn eine äusserst steile Eisflanke von durchschnittlich 200—300 m Höhe. Erst unterhalb beginnt ein schmales Gletscherband, das zum Mominggletscher hinunterführt. Die verschiedenen auf der Karte eingezeichneten Übergänge konnten nie praktische Bedeutung erlangen. Die Westflanke ist viel zu steil und würde regelmässig vielstündige Hackerei erfordern.

Kurz vor 13 Uhr brechen wir auf. Über den massig steilen Blockgrat kommen wir in anregender Kletterei rasch vorwärts. Otto hat den Vortritt genommen. Schon nach dreissig Minuten stehen wir auf dem Gipfel des Unter-Mominghorns. Die nach Osten überhängenden Gwächten im ersten Teile des Grates, der zum Momingpass hinunterleitet, veranlassen uns, in die felsige Ostflanke auszuweichen. Blankeis unter trügerischem Sulzschnee drängt uns immer weiter vom Grat ab, und wir verlieren viel Zeit. Über ein System von Bändern gelangen wir endlich zum Pass. ( 60 Minuten. ) Von hier zieht ein stark vergwächteter Eisgrat fast horizontal hinüber zu den ersten Felsen des Ober-Mominghorns. Schaurig steil flieht die Eisflanke zu unserer Rechten ins Bodenlose. Nur dort, wo die Gwächte ansetzt, ist die Neigung etwas geringer. Sorgfältig, Fuss vor Fuss setzend, gehen wir den luftigen Pfad. Glücklicherweise hat in dieser schattigen Flanke die Sonne keine Kraft, so dass der Firn unseren Zehnzackern guten Halt bietet.

Der Felsgrat, der sich steil zum Ober-Mominghorn aufschwingt, bietet erstklassige Kletterei. Der erste, noch nicht sehr steile Teil wird in der Ostflanke auf schmalen Bändern umgangen. Durch ein plattiges Couloir erreichen wir wieder den Grat, jenseits eines zackigen Gendarmen. Nun bäumt er sich steil auf. In unvergleichlich schöner, sehr interessanter Kletterei gewinnen wir langsam an Höhe. Wir halten uns möglichst an die Gratkante. Nur an einigen wenigen Stellen sind wir gezwungen, in die Westflanke auszuweichen, gewinnen jedoch immer schon nach wenigen Metern wieder den Grat. Die Kante wird immer schärfer und steiler. Einzelne Stellen erfordern unsere volle Aufmerksamkeit und den Einsatz all unseres Könnens. Die vorsichtshalber mitgebrachten Mauerhaken allerdings können ruhig im Rucksack verbleiben. Es finden sich immer wieder gute Sicherungsplätze, und der ausgezeichnete Fels lässt kein Gefühl der Unsicherheit aufkommen. So wird die exponierte, rassige Kletterei zum reinsten Genuss.

Begeistert drücken wir uns auf dem Ober-Mominghorn die Hände. Aber es ist bereits 18 Uhr. Schon neigt sich die Sonne dem westlichen Horizont zu. Deshalb gibt es kein langes Verweilen.

In verschiedenen Steilabbrüchen senkt sich der Grat vom Ober-Moming-horn zu einer Scharte. Wieder ansteigend bildet er dann die linke Begrenzung des weiten, dreieckigen Firnfeldes, das sich von der Schulter des Rothorns herunterzieht. Wieder beginnt der Eiertanz über die schmalen, vergwächteten Eisgrate.Verschiedene verschneite und vereiste Gratabsätze kosten uns viel Zeit. Einen senkrechten, plattigen Abbruch überwinden wir mit Doppelseil. Von der Scharte queren wir leicht ansteigend einen steilen Firnhang. Auf dem folgenden, nur leicht geneigten Firnfeld liegt tiefer Flugschnee. Knietief waten wir in den grundlosen Schneemassen. Und weiter ein kleiner, heimtückischer Bergschrund, eine Seillänge mühsame Wühlarbeit in einem steilen, mit tiefem Pulverschnee angefüllten und zum Überfluss noch vereisten Couloir, und endlich stellen wir auf den letzten Felsen des Blanc-Grates ( 20.45 Uhr. ) Eben nähert sich die Sonne dem Horizont. Wie hinter einer gläsernen Glocke steht weit im Westen die Kuppel des Mont Blar c. Die waagrecht einfallenden Sonnenstrahlen legen goldene Bahnen durch den Äther. In unzähligen dunkeln Kulissen verlieren sich die Walliser Alpen in der Ferne. Kleine Abendwölklein steigen aus den Tälern und färben sich golden. Die Gletscher erglühen purpurn, die Felsen leuchten in warmem Ocker, und der Abendhimmel strahlt im durchsichtigsten Grün. In einer Farbensinfonie ohnegleichen verglüht der Tag.

Ergriffen stehen wir vor dieser Pracht. Erst als die Sonne unter den Horizont geschritten ist und die Schatten aus den Tälern steigen, nehmen wir unsern Weg wieder auf. Von früheren Fahrten her ist uns der Abstieg zur Mountethütte bekannt. Rasch geht es den ausgetretenen Pfad des Le Blanc hinunter. In sausender Abfahrt nehmen wir den Steilhang zum Mountetgletscher. Bruchharsch schlimmster Sorte bereitet uns auf den flachen Gletscherböden noch eine unangenehme Überraschung. Mit schmerzenden Schienbeinen erreichen wir endlich die Moräne und stolpern im Halbdunkel das steinige Hüttenweglein hinunter. Kurz nach 22 Uhr betreten wir die in tiefer Dunkelheit liegende Hütte.

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