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Nesthorn

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Nesthorn doch nicht so ganz sicher ist, was mehr vorkommt, als man glaubt. Nun, das erstemal sei dir ein Zögern vor dem etwa drei Meter hohen, griffarmen Absatz wohl erlaubt. In Zukunft aber lassest du dich kaltlächelnd, Körper vorwärts — seitwärts, soweit hinunter, als es geht. Ein kleiner Sprung, kaum 1,2 Meter, und die Sache hält uns weiter nicht mehr auf. Wir haben noch mehr solcher kleiner Tücken vor uns. Zunächst zwei Zacken. Wir können sie umgehen oder ihnen prinzipiell den Buckel hinauf und hinunter steigen. Dann aber — « excusez»steht wohl Langohr am Berg? Vor dir sitzt geruhsam eine Sphinx, unnahbar auf allen Seiten. Ach, selbst in den Bergen ist sehr viel auch nur Fassade. Umgeh das Ding ein bisschen rechts, in den Falten ihres Gewandes findest du die Blösse. Ja, genau besehen könnte wohl die Unnahbare auch links herum bezwungen werden.

Im Sattel, der nun kommt, halten wir wohlverdiente Rast und wechseln unser Schuhwerk. Die letzte Stufe bringt Geröll, dann Schnee, und der Gipfel ist erreicht. Was du jetzt fühlst, das weisst du selbst am besten. Den Abstieg such dir selber aus. Es gibt da wohl ein halbes Dutzend Möglichkeiten.

War dieser Aufstieg nun gefährlich? Nein! Nimm einen ganzen Mann mit dir, und dann versuch es! Traust du dem Teufel nicht, nimm auch ein Seil mit, beim Abstieg über Wildhorn — oder Geltengletscher brauchst du es sowieso.

H

esthorn, 3823 m.

Mit 1 Bild und 1 Wegskizze.

Erste Durchkletterung der Ostwand.

Von Louis Alexis Gailland.

Es ist 9 Uhr abends. Claude Mézentin und ich sitzen auf der Mauer vor der Oberaletschhütte. Unablässig haften unsere Blicke an der Ostwand des Nesthorns, denn nur ihr galt ja der heutige mühsame Aufstieg zur Hütte in glühender Sonne. Unser Führer, Josef Imseng aus Brig, betrachtet sie ebenfalls und — lächelt. Das macht uns zuversichtlich, und wir suchen die Schlafplätze auf mit dem beruhigenden Gedanken, dass morgen alles gut gehen werde.

Die Wand mag ungefähr 700 m hoch sein. In ihrem rechten Teile, nicht eit vom Südostgrat entfernt, wird sie von einem Schneecouloir durchschnitten. Dieses verliert sich in der Wand etwa 200 m unterhalb des Gipfels. Hier hatte 1929 H. Booth mit seinem Führer Felix Julen den Aufstieg versucht. Da sie aber schlechten, auf Eis liegenden Schnee antrafen, konnten sie nur sehr langsam vorankommen Als sie von Steinschlag aus der über ihnen aufstrebenden Wand bedroht wurden, liessen sie das Couloir bei 3500 m links liegen und vollendeten den Aufstieg über den Südostgrat.

NESTHORN.

Dieser Weg ist im Jahre 1933 durch die Seilschaft Ryan-Franz Lochmatter wiederholt worden.

Montag, den 6. Juli 1937, verlassen wir die Hütte um 3 Uhr früh. Bei Laternenschein steigen wir über die Moräne hinab und sind bald auf dem Oberaletschgletscher angelangt. Es ist noch dunkel, doch über uns wölbt sich ein herrlicher Sternenhimmel Wir seilen uns an. Nach Uberquerung Nesthorn-Ostwand.

des Gletschers steigen wir in der Richtung des Seitenarmes, welcher zum Fusse der Ostwand führt, empor. Die Schneeverhältnisse sind vorzüglich. Wir halten uns links, um die chaotischen Eisbrüche zu vermeiden, und bei Tagesanbruch befinden wir uns etwa 100 m unterhalb des Bergschrundes. Imseng beginnt den Anstieg links auf dem ziemlich steilen Hang, der zum klaffenden und von einer 4 m hohen Eiswand überdachten Bergschrund hinaufführt. Wir versteigen uns aber, müssen wieder zurück und versuchen, das Hindernis auf einer günstiger scheinenden Schneebrücke zu überwinden.

NESTHORN.

Wir kommen glücklich hinüber und einer Schneezunge folgend bald an unsere Wand, wo uns gerade die ersten Strahlen der Morgensonne begrüssen. Sie bescheint schon die ganze Wand, und man hört zeitweise das Aufschlagen der Steine, welche im grossen Couloir herabsausen.

Um 530 Uhr beginnt die Kletterei. Zuerst steigen wir über gestufte, ziemlich lockere Felsen hinauf. Dann folgt eine Reihe von Granitblöcken, ganz dazu angetan, uns ein rasches Vorwärtskommen zu ermöglichen. Imseng wendet sich zurück und meint zuversichtlich: « Wir haben kaum fünf Stunden zu klettern und werden schon um 10 oder 11 Uhr am Gipfel sein. » Dann halten wir uns schwach rechts, denn links erhebt sich eine unzugängliche, plattige Wand. Wir stehen nun vor einer glatten Granitplatte, in welcher ein Riss schräg hinaufzieht. Dieser ist am Anfang sehr breit, und Imseng verschwindet darin wie in einer Art Höhle vollständig. Er lässt dort seinen Sack zurück und versucht dann, die abweisend aussehende Stelle zu überwinden. Über die ersten paar Meter kommt er ohne besondere Schwierigkeiten hinweg, indem er seine Knie zu Hilfe nimmt, bald aber findet er keine Griffe mehr, und die Kletterei beginnt schwierig und mühsam zu werden. Der Riss verengert sich derart, dass Imseng sich nicht mehr ganz darin einklemmen kann und sich fast völlig im Freien hinaufarbeiten muss. Wir befürchten, ihn im nächsten Augenblick in die Wand hinauspendeln zu sehen. Endlich hat er den Riss hinter sich und findet eine Plattform, von wo aus eine gute Sicherung möglich ist. Jetzt kommen zuerst die Säcke an die Reihe, und mit Hilfe des Reserveseiles ist der erste auch bald droben. Der zweite aber spielt uns einen Streich, er bleibt auf halbem Wege im Riss stecken. Claude Mézentin muss sich losseilen, und ich versuche, den eingeklemmten Rucksack freizumachen. Aber nun bin ich das Opfer, welches vom Riss gefangen gehalten wird. Beim Lösen des Rucksacks verklemme ich meinen rechten Fuss derart ungeschickt, dass ich aus dem Schuh schlüpfen muss, um weiterklettern zu können. Bald ist auch Mézentin bei uns oben und hat meinen Schuh mit.

Der folgende Aufstieg führt über eine Flucht ausgezeichneter, wenn auch griffarmer Felsen, kaum dass sich manchmal noch ein kleinstes Risschen findet. Bis hieher sind wir ziemlich rasch geklettert, aber nun befindet sich Imseng vor einer etwa 50 m hohen Wand. Links verlieren sich steile Platten im Himmelsblau, während sich die Wand nach rechts ausdehnt bis zum Couloir, in welches Julen damals mit seinem Herrn eingestiegen war. Für uns handelt es sich darum, den direkten Durchstieg in die Wand zu versuchen, die zwar in ihrem oberen Teile überhängend erscheint. Doch wir haben volles Zutrauen zu Imseng. Schon steht er am Fusse der Felswand auf einer exponierten Platte. Da ihm diese unbequeme Lage für längere Überlegungen wenig geeignet erscheint, beginnt er auch sogleich mit dem Einstieg. Er klettert sehr langsam, denn die Felsen sind schlecht und bieten nur spärliche Rauhigkeiten. Er bewegt sich über unsern Köpfen in den unmöglichsten Stellungen, den Körper vollständig im Leeren, und entschwindet dann unseren Blicken. Hierauf wird Mézentin losgeseilt und Imseng die ganze 30 m Seillänge überlassen. Bald darauf vernehmen wir laute Hammerschläge; die Stelle scheint ziemlich gefährlich zu sein, dass Imseng das Einschlagen von Felshaken für nötig erachtet. Über diesem Felsdach erheben sich nur glatte, sonnenbeschienene Platten. Imseng ist es gelungen, die erste zu überwinden und sich mit Pickelhilfe an einem engen Spalt hochzuziehen. Aber wie soll er nun sichern, wenn die 30 m Seil zu Ende sind? Wir hören, wie er einen neuen Haken einschlägt, während zu gleicher Zeit Steine über unsere Köpfe hinwegfliegen. Der Berg erscheint uns plötzlich kalt und feindselig. Die Minuten verstreichen und... immer noch befinden wir uns angeklammert am Fusse dieser Wand auf einer trügerischen Platte. Die Muskeln beginnen steif zu werden.

Inzwischen ist es Imseng gelungen, die schwere Stelle zu erklettern, und triumphierend ertönt sein Zuruf: « Nachfolgen, Herr Mézentin! » Mit Hilfe des Seilzuges entschwindet Mézentin rasch meinen Blicken. Schon nach einigen Minuten kann auch ich mich an das wieder herabgeworfene Seilende binden. Beim Versuch, die Felshaken zu lösen, verliere ich zweimal den Halt und falle ins Seil. Doch bald gelange ich zu Imseng und Mézentin und überreiche ihnen stolz die drei von mir ausgerissenen Haken. Wh Jungen sind von Eindrücken überwältigt und nicken Imseng unsere stumme, aber aufrichtige Anerkennung zu für seine grossartige Leistung in dieser exponierten, aufreibenden und allerschwierigsten Kletterei. Er selbst gesteht: « Ich habe bisher nur ein einziges Mal Felshaken zu Hilfe genommen, aber heute fand ich wirklich keinen andern Ausweg mehr. » Jenseits der berüchtigten Platte folgt eine interessante, wenn auch keine besonderen Merkmalen aufweisende Kletterei bis zu einem kleinen Grat, welcher zwei Couloirs voneinander trennt. Hier machen wir eine kurze Ruhepause. Beim öffnen des Rucksackes entgleitet Imseng eines seiner fabelhaften « Grivel»-Steigeisen ins linke Couloir; wir hören es noch höhnisch auf-klirren, ehe es im Bergschrund verschwindet. Imseng lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen, er nimmt den erleichterten Rucksack wieder auf und klettert weiter. Der uns noch vom Gipfel trennende Teil sieht allerdings wenig einladend aus. Links streben die Platten zu einem jetzt im Nebel steckenden Kamm empor. Rechts zieht ein Couloir hinauf, welches vermutlich unter der Gipfelwand auslaufen wird. Imseng wählt ohne langes Besinnen den letzteren Weg trotz der schlechten Schneeverhältnisse im Couloir. Er beginnt darin aufzusteigen und gibt uns die Anweisung, ihn 10 m vorangehen zu lassen. Er versucht dann vergeblich, mit dem Pickel zu sichern, denn die Schneeschicht beträgt nur 30 cm, und darunter liegt Eis. Die Fortsetzung des Aufstiegs erscheint deshalb sehr heikel und gefährlich. Trotzdem vertrauen wir uns alle drei dem Couloir an und folgen ihm auf eine Länge von etwa 100 m. Dann geht Imseng an die Felsen zur Rechten, wo er glücklicherweise einen parallel zum Couloir verlaufenden Riss findet, der uns weiter oben die Zurückquerung nach links ermöglichen wird. Unser Seil erweist sich jedoch als zu kurz, denn Imseng hat vergeblich nach einem Sicherungsblock Ausschau gehalten. Auf seinen Rat hin knüpfen wir das Hilfsseil ( 35 m ) an das Hauptseil, worauf auch Mézentin sich an dem erwähnten Riss hinaufarbeitet. Oben wartet er, mit den Fingern im Riss angeklammert. Auf diese NESTHORN.

Weise gelingt es Imseng, höher oben den lang gesuchten Sicherungsblock zu finden. Nun gelangt Mézentin ziemlich leicht zu ihm hinauf, wobei er unterwegs seinen Pickel fallen lässt, der laut aufschlagend den Weg des verloren gegangenen « Grivel»-Steigeisens nimmt.

Wir überqueren das Couloir ohne Schwierigkeiten und klettern dann auf brüchigen, gestuften Felsen weiter. Das lose Gestein bedingt äusserste Vorsicht. Nach den Felsstufen folgt ein kleiner Grat, von dem sich knapp hinter uns durch meine Ungeschicklichkeit eine gewaltige Steinlawine loslöst. Von diesem Grat aus erreichen wir einen kleinen Vorsprung, wo Imseng wieder einen rettenden Haken als Tritt einschlagen muss. Nach Überwindung dieser Schulter steht er abermals vor einer glatten Wand, rasch entschliesst er sich für eine weiter links befindliche Platte. Es gelingt ihm, sich an einem Riss hinaufzuarbeiten und uns von oben zu sichern. Kurz nachher stehe ich mit Mézentin auf einer Plattform bei ihm, vor Freude tief ergriffen, denn wir sehen uns kaum 100 m vom Gipfel entfernt. Vor uns erhebt sich nur noch eine steile Wand aus rötlichem, festem Granit, die wir in anregender Kletterei hinter uns bringen. Nach Umgehung eines Bandes rechts unter dem Gipfel erreichen wir um 1530 Uhr den höchsten Punkt.

Dichter Nebel umhüllt uns und es schneit, aber das hat jetzt nichts mehr zu bedeuten. Wir beachten nicht einmal den Sturmwind, der mit elementarer Wucht über die Wand fegt. Wir sitzen auf unseren Rucksäcken und reichen uns gegenseitig die Feldflasche. Um 4 Uhr beginnen wir den Abstieg über den Westgrat, um zur Gredetschlücke und Baltschiederklause zu gelangen. Man erspare mir aber die Beschreibung des aufreibenden Marsches im durchweichten Schnee des Grates und des Gredetschgletschers, sowie des folgenden Abstiegs im Eiscouloir der Gredetschlücke unter strömendem Regen. Um 22 Uhr betreten wir die Hütte.

Unsere Erinnerungen blieben lange an den Platten und Rissen der Ostwand haften. Aber noch unvergänglicher ist uns das Andenken an unseren wagemutigen und vorsichtigen Führer, dem es mit seinem sichern Orientierungssinn geglückt ist, einen günstigeren Weg zu finden als Felix Julen und Franz Lochmatter.

( Aus dem Französischen übersetzt von Werner Naef. )

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